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NRW: “ Die Zahl der Salafisten, die bereit sind, für ihre Überzeugungen zu töten und zu sterben, wächst rasant.“

Abu Dawud aus Gladbeck
Abu Dawud aus Gladbeck

Dinslaken, Solingen, Witten, Gladbeck: In Nordrhein-Westfalen werben Salafisten mit Erfolg um Nachwuchs für den Islamischen Staat. Das Land hält dagegen. Es setzt auf eine Doppelstrategie aus Repression und Prävention. Neben der akuten Gefahrenabwehr werden deswegen auch Projekte unterstützt, die ein abgleiten von muslimischen Jugendlichen in den Hass verhindern wollen.

Stadtteile wie Dinslaken-Lohberg gibt es viele im Ruhrgebiet. Die Zeche, die früher Tausenden einen Arbeits- und Ausbildungsplatz gab, ist seit 2005 geschlossen und heute ein sogenanntes Kreativquartier. Jobs gibt es seitdem so gut wie keine mehr auf dem weitläufigen Gelände des ehemaligen Bergwerks, und für die Menschen in der Siedlung nebenan schon gar nicht. Das Gelb der Hausfassaden lässt sich unter dem Dreck nur noch erahnen. Auf dem Marktplatz der Siedlung lungern ein paar Trinker herum. Um die Altpapier- und Glascontainer am Rand häuft sich der Müll. Lohberg ist die Heimat einer der bekanntesten Salafistengruppen Deutschlands. Knapp zehn der mehrere Dutzend Anhänger großen Clique an militanten Gläubigen sind längst in den Irak gezogen. Einer von ihnen, Philipp B., hat im August einen Selbstmordanschlag verübt, bei dem 21 Menschen starben.

Als Philipp B. und seine Freunde sich religiös radikalisierten, fiel das kaum jemandem auf. Im Gegenteil: Je frommer die Clique wurde, umso weniger auffällig wurden sie. Die offensichtlichen kriminellen Delikte wurden sogar weniger. Sie hörten auf zu dealen und sich zu mit anderen zu prügeln. Für Schlagzeilen sorgten einige erst wieder, als sie als extremistische Salafisten für den Islamischen Staat in den Krieg zogen und zu Killern wurden.

Für Burkhard Freier, Chef des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzes, sind die gewaltbereiten Salafisten zur Zeit die größte Bedrohung: „Von keiner anderen Gruppierung geht im Moment eine vergleichbare Gefahr aus. Die Zahl der Salafisten, die bereit sind, für ihre Überzeugungen zu töten und zu sterben, wächst rasant.“ Freier stellt allerdings auch klar, dass nur bestimmte Gruppen der Salafisten ein Problem darstellen: „Der bei weitem größte Teil der Salafisten legt den Koran sehr altmodisch aus und will nur nach sehr strengen Regeln ihrer Altvorderen leben. Da mischen wir uns natürlich nicht ein. In Deutschland gibt es Religionsfreiheit.“ Anders sieht es bei den 1800 politischen Salafisten in NRW aus. Von ihnen schätzt der Verfassungsschutz 200 als gewaltbereit ein. 130 junge Männer sind nach Syrien und in den Irak gereist, um dort die Terrorgruppe Islamischer Staat zu unterstützen. Zu den politischen Salafisten zählt der Verfassungsschutz auch die Gruppe um den deutschen Konvertiten Pierre Vogel. Er provoziert gerne und posiert mit einer Limonade der Marke „ISIS“ vor der Kamera. Zur gleichen Gruppe gehört auch Sven Lau, der mit seiner Sharia Polizei durch Wuppertal zog und dessen Gruppe nun unter dem neuen Namen „Pro Halal“ junge Muslime zur frommen Lebensweise drängt. Zu den Gewaltbereiten gehören diejenigen, die für den Islamischen Staat kämpfen wollen – vor allem in Syrien und dem Irak. Sie lassen sich nicht durch ihre toten Glaubensgenossen abschrecken, die vom IS nach einer militärischen Kurzausbildung als Kanonenfutter verheizt werden. Im Gegenteil, der Märtyrertod ihrer Freunde macht diese zu Vorbildern, denen sie nacheifern wollen.

 

„Meine Sorge ist, dass diese gewaltbereiten Salafisten ihre Kriegserfahrung mit zurück nach Deutschland bringen. Dann könnte uns ein Anschlag drohen, der unsere Gesellschaft verändert.“

 

Die rechtlichen Möglichkeiten sind begrenzt: „Wir haben Reiseverbote ausgesprochen. Aber leider finden immer noch zu viele über die offenen Grenzen Europas einen Weg der über die Türkei in die Kampfgebiete führt “, sagte Freier. Wer zurückkehrt ist entweder schwer traumatisiert oder noch gewalttätiger und enthemmter, als bei der Ausreise aus Deutschland.

Eine Chance, gegen den gewaltbereiten Salafismus vorzugehen, sieht Freier in der Prävention: „Wir müssen die Jugendlichen erreichen, bevor sie sich radikalisieren.“ Das Land, sagt Freier, habe im März das Projekt Wegweiser gestartet. Es hilft den Jugendlichen, die drohen, in die Szene der gewaltbereiten Salafisten abzurutschen, einen Ausweg zu finden. „Wegweiser ist ein Erfolg. Obwohl das Programm erst ein halbes Jahr läuft, ist es gelungen, Kontakt zu vielen Jugendlichen aufzunehmen und ein umfassendes Netzwerk aufzubauen.“

 

Drei Standorte hat Wegweiser in Nordrhein-Westfalen: Neben Bonn und Düsseldorf ist das Präventionsprojekt im Ruhrgebiet in Bochum präsent. Hier ist der IFAK e.V., ein Verein für multikulturelle Jugendarbeit, der Träger. Für Friederike Müller, die IFAK-Geschäftsführerin ist der Schutz der Jugendlichen vor allem ein Rennen gegen die Zeit: „Wir müssen schneller sein als die Salafisten.“

 

Deswegen hat Wegweiser ein Netzwerk aufgebaut bei dem Freunde, Verwandte, Angehörige aber auch Lehrer sich melden können, wenn sie Angst haben und befürchten, ein Jugendlicher würde in den radikalen Salafismus abgleiten. „Lehrern fiel auf, dass Jugendliche ihr Aussehen wechselten und auf einmal Bärte trugen, anfingen, auf dem Schulhof zu missionieren oder ihren Freunden mit Begeisterung Hinrichtungsvideos aus dem Gebiet des Islamischen Staats zeigten. Unsere Leuten fahren dann raus und suchen vor allem erst einmal das Gespräch mit den Jugendlichen.“

 

Das ist natürlich freiwillig. Denn kein Jugendlicher werde dazu gezwungen, mit Wegweiser zu reden. Und nicht immer sind die Sorgen der Lehrer berechtigt, manchmal stellt sich auch alles als Missverständnis heraus. In zehn Fällen hat Wegweiser in Bochum allerdings ganz konkret damit begonnen, mit den Jugendlichen zu arbeiten. „Es geht darum, Jugendliche davon abzuhalten, in den Krieg zu ziehen.“

 

Die Gründe dafür, das Leben in Deutschland aufzugeben, um in Syrien oder dem Irak zu kämpfen, seien ebenso unterschiedlich wie die Jugendlichen, die von einem Leben als Gotteskrieger träumen: „Wir haben Förderschüler und Gymnasiasten unter unseren Klienten.“ Einige seien vorbestraft, viele aber auch noch nie mit dem Gesetz in Konflikt geraten. Was viele vereint: Das Gefühl der Orientierungslosigkeit. Sie fühlen sich ausgegrenzt und suchen deswegen Anerkennung in einer Gruppe mit einem einfachen Wertesystem. Mit klaren Vorschriften und Regeln.

 

Und deswegen orientieren sich einige am Islamischen Staat. Sie mögen das Gefühl der Gemeinschaft, die Anerkennung, wichtig zu sein und für ein hohes Ziel, den Islam, zu kämpfen. „Ihnen wird gesagt, sie könnten mithelfen, den Islamischen Staat aufzubauen, und auf sie käme es ganz persönlich an.“ Die Salafisten benutzen darüber hinaus die sozialen Medien und sprächen die Jugendlichen in deren eigener Sprache an.

„Salafismus“, sagt der Münsteraner Soziologe Aladin El-Mafaalani, „ist im Westen vor allem eine Jugendkultur“. Eine, die polarisiert wie früher Hippies oder Punks. „Salafismus finden Jugendliche entweder cool oder sie hassen ihn. Egal ist das niemanden.“ Im deutschen Hip-Hop spiele Salafismus mittlerweile eine große Rolle: „Früher orientierten sich viele Hip-Hopper am Gangsterrap aus den USA, aber das funktionierte nie so richtig und passte einfach nicht nach Deutschland. Eine Gang, die sich auf einem Spielplatz in Neuköln trifft, ist etwas anderes als eine Gang im Westen von Los Angeles, die mit automatischen Waffen um die Vorherrschaft in ihrem Viertel kämpft.“ Mit dem Salafismus, der Religiosität aber auch mit dem Krieg, dem Kampf und dem Tod hätte der deutsche Hip-Hop jetzt seine eigenen Geschichten. Dazu kommt nach El-Mafaalanis Ansicht, dass der religiöse Hip-Hop gesellschaftskritisch sei: „Da geht es auch um die Fragen von Gerechtigkeit, Ausgrenzung und Opferbereitschaft. Das Thema des klassischen Gangsterraps war der Traum, dieselben Statussymbole zu haben, wie die Oberschicht – nur in größer.“ Ein Thema sei die gefühlte Diskriminierung von Muslimen durch den Westen: „Da heißt es dann, 300.000 Syrer sterben, und keiner kümmert sich darum. Sterben ein paar Jesiden und Christen, kommen sofort die Bomber.“

 

Gegen die zeitgemäße Ansprache der Jugendlichen, gegen die großen Bilder von Mut und Kraft, von Glaube und Hingabe setzt Wegweiser die Lösungen für Alltagsprobleme hier und jetzt in Deutschland. Auf konkrete, praktische Hilfe um eine eigene Perspektive zu entwickeln.

Im Gespräch mit den Jugendlichen zeigt Wegweiser konkrete Alternativen zum Marsch in den Krieg auf: „Wir tun alles, um sie wieder für die Schule zu motivieren. Gibt es Ärger im Elternhaus, suchen wir auch dort das Gespräch oder helfen bei der Wohnungssuche. Wir vermitteln Kontakte zu islamischen Geistlichen und Gemeinden, damit sie auch einmal eine andere religiöse Perspektive als die der Salafisten kennen lernen.“ Das ist eine dauerhafte Perspektive. Eine konkrete und sinnvolle Alternative, weiß Friederike Müller: „Zur Prävention gibt es keine Alternative. 130 vor allem junge Menschen aus NRW sind bislang nach Syrien und in den Irak gereist. Von einigen wissen wir, dass es vorher Signale gab, darüber reden zu wollen, es aber noch niemanden gab, der sie professionell betreute. „Genau da setzten wir an.“

Und Wegweiser weiß auch, dass es manchmal sehr schnell gehen muss: „Wir wissen von einem Fall, da hatte ein Jugendlicher vor den Sommerferien Streit mit seinem Vater. Als die Schule wieder begann, war er schon im Krieg“.

Die Salafisten würden es den Jugendlichen einfach machen. Nicht nur mit ihrem Weltbild, in dem alles schwarz und weiß ist, die Lösung immer Kampf und religiöse Strenge heißt: „Darüber hinaus kümmern sie sich um viel. Sie haben Kontakte, Geld und Waffen. Wer ins Kriegsgebiet reisen will bekommt Unterstützung und braucht nicht einmal einen Cent. Alles wird für ihn erledigt.“

Die Rückkehrer, die es mittlerweile auch gibt, würden sich in zwei Gruppen aufteilen. Entweder, sagt Müller, seien sie traumatisiert oder fanatisiert. Psychische Wracks, die Betreuung bräuchten gäbe es in beiden Gruppen. Gefährlich sind allerdings diejenigen, die neue Kämpfer anwerben und vielleicht sogar selbst Anschläge verüben wollen. Die Konzepte von Wegweiser greifen deswegen früher. Bevor es so weit kommt und die Strafverfolgungsbehörden ermitteln. „Wir sehen wie groß das Problem ist und wie stark es zunimmt. Deswegen handelt Wegweiser jetzt.“ Zwei bis vier Stunden, manchmal mehr, würden sich die IFAK-Mitarbeiter um ihre zehn Klienten in der Woche kümmern. Junge Menschen vom Weg in die Radikalisierung abzubringen, kostet viel Zeit. NRW will das Projekt ausbauen – aber das wird Zeit kosten. Zeit, die eigentlich nicht mehr zur Verfügung steht.

 

Der Psychologe Ahmad Mansour ist arabischer Israeli und beschäftigt sich schon lange mit den Auswirkungen des Islamismus: „Wegweiser finde ich sehr gut, da wird wichtige Arbeit geleistet.“ Aber das reiche nicht. „Lehrer und Sozialarbeiter müssen im Rahmen ihrer Ausbildung erkennen wann Jugendliche in den Islamismus abgleiten. Es kann doch nicht sein, dass diese Leute später in Stadtteilen arbeiten, wo religiöser Fundamentalismus ein großes Thema ist, sie aber davon keine Ahnung haben.“ In die Präventionsprojekte müssten auch Quartiersmanager einbezogen werden, Schulen, Vereine, viele lokale Partner mit Wissen um die Gefahr und eigenen Ideen für die Arbeit mit gefährdeten Jugendlichen in ihrem Umfeld.

Doch mit Präventionsarbeit allein, mit der Ausbildung von Pädagogen, sagt Mansour, sei das Problem nicht zu lösen. „Die Gesellschaft muss den Jugendlichen zeigen, dass sie dazugehören. Es muss Schluss sein damit, dass es in allen Debatten immer zwei Seiten gibt: Das „Wir“, die traditionelle Mehrheitsgesellschaft, und das „Ihr“, die Migranten. Aber auch die Muslime sieht der Psychologe in der Pflicht: „Mir reichen die Lippenbekenntnisse und Distanzierung von ISIS nicht, wenn Moscheen die Basis bieten, indem sie sich in eine Opferrolle begeben, patriarchalische Strukturen festigen und an der Geschlechtertrennung festhalten. Der Islam darf nicht mehr nur buchstäblich verstanden werden. Die Muslime müssen ihre Religion reformieren, neue Vorbilder für die Jugendlichen schaffen, die mit den autoritären Inhalten von heute nichts mehr zu tun haben.“

Zu sehen ist von dieser Entwicklung bei den Muslimischen Verbänden noch nichts, und auch die Mehrheitsgesellschaft ist gerade erst dabei, das Problem zu erkennen. Mit Schrecken sieht sie junge Menschen in den Kampf ziehen, auf ihren Hass fehlen ihr noch die Antworten. Und nach Abbau von Grenzen in den Köpfen und Debatten sieht es schon gar nicht aus. Es wird Zeit brauchen, Antworten zu finden, sich der Herausforderung zu stellen.

Der Artikel erschien in ähnlicher Form bereist auf cicero.de

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Nansy
Nansy
9 Jahre zuvor

Die Präventionsarbeit von „Wegweiser“ ist ein wichtiger Schritt für die Zukunft. Für viele Jugendliche kommt diese Arbeit aber viel zu spät – wer bereits mit der Waffe in der Hand die Menschen terrorisiert, der wird für Gesprächsangebote in der Regel nicht mehr erreichbar sein. Wer von einem Leben als Gotteskrieger nicht nur träumt, sondern es bereits umsetzt, der wird über kurz oder lang wohl die harte Realität kennenlernen – wenn er diese Erfahrung überhaupt überleben sollte….

keineEigenverantwortung
keineEigenverantwortung
9 Jahre zuvor

Ein Leben nach den Regeln des Slafismus ist in Deutschland aus meiner Sicht nicht möglich. Hierfür gibt es zu viele Gesetze und Errungenschaften der letzten Jahrzehnte und Jahrhunderte, die dem widersprechen.

Hier muss der Staat auch Grenzen zeigen. Mir ist der Artikel deshalb zu „schwammig“.
Es wird die Quoten für weibliche Aufsichtsräte etc. geben und gleichzeitig haben Gruppen aus angeblich religiösen Motiven Probleme, dass Frauen ihr Gesicht in der Öffentlichkeit zeigen? Das passt nicht zusammen.

Der Wunsch nach klaren Regeln und Orientierung ist natürlich auch eine Ohrfeige für die ganzen Schul-/Erziehungsexperimente der letzten Jahre.

In letzter Zeit fehlt mir zu oft ein klares Bekenntnis zu unserer liberalen, freiheitlichen und offenen Gesellschaft. Andere Gesellschaft erlebe ich immer öfter als freier und lebensbejahender (z.B. Westküste USA). Im Endeffekt ist auch so etwas ein Standortfaktor.

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