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Baumwolle aus Usbekistan, garantiert handgepflückt

Hemd, Hose, Unterwäsche, vieles von dem was wir täglich an- und ausziehen, ist aus Baumwolle gefertigt. Auch zu Weihnachten wird gerne ein Kleidungsstück, Hemd oder Socken, unter den Tannenbaum gelegt. Jedes Jahr kauft der durchschnittliche Bundesbürger einen Koffer voller neuer Kleidung. Aber woher stammt die Baumwolle für den Pyjama neben der Krippe?

Foto: Thomas Grabka

Im Oktober 2004 war ich in einem kleinen Dorf im Ferghanatal unweit der usbekischen Stadt Namangan. Ich stand auf der Zufahrtstrasse zu einem Schulgebäude. Es war gegen Nachmittag. Plötzlich kamen von allen Seiten Jungen und Mädchen. Sie waren zwischen acht und zwölf Jahre alt, und jeder von ihnen trug einen gefüllten Plastiksack. Die Kinder rannten in die Schule und wurden dort schon von zwei Lehrerinnen erwartet. Die usbekischen Pädagoginnen standen mit Turmfrisur auf dem Schulhof neben einem Hügel dreckiger Baumwolle und einer Waage. Jedes Kind, musste die Tüte ausleeren, die eingesammelte Baumwolle auf die Waage legen, und warten bis die Lehrerin hinter dem Namen einen Haken setzte. In dieser Schule wurden die Kinder nicht fürs Schreiben, Rechnen oder Singen benotet, sondern für die gepflückten Kilos flauschiger Feldfrucht, die sie anschleppten. Die Kinder mit den Plastiktüten vor der Schule in Namangan war kein journalistischer Zufallstreffer. Kinderarbeit bei der Baumwollernte gehört in Usbekistan zum Alltag. Die Kinder arbeiten jedoch nicht auf den Baumwollfeldern, um etwa das Familieneinkommen zu erhöhen, sondern weil der usbekische Staat sie von der Schulbank in die Felder zwingt.

Usbekistan ist der fünftgrößte Baumwollproduzent der Welt und drittgrößte Exporteur. Eine Millionen Tonnen Baumwolle werden knapp jedes Jahr angebaut und für eine Milliarden US$ auf den Weltmarkt verkauft. Doch die Farmer, die die Baumwolle anbauen, oder die Kinder, die sie einsammeln, haben nichts von dem Geld. Der usbekische Staat zwingt die Farmer Baumwolle anzubauen, und jedes Jahr einen Ernteplan zu erfüllen. Den usbekischen Bauern ist es nicht erlaubt die Baumwolle auf dem freien Markt zu verkaufen, sondern sie müssen sie zu festgesetzten Preisen an den Staat abgeben. Erst wenn der Plan erfüllt ist, haben die Usbeken das Recht mit anderen Feldfrüchten den Lebensunterhalt zu verdienen. Weigern sich die usbekischen Farmer oder erfüllen nicht die Norm, können die Repräsentanten des Staates ganz schon ruppig werden.

In diesem November wurde ein Fall bekannt, dass ein usbekischer Beamte, einen Bauern zwang ein Grab auszuheben und sich dort reinzulegen. Zudem hatte er noch einen Mullah ans offene Grab beordert, der das Totengebet sprach. Der Farmer hatte es gewagt, dass Baumwollfeld nach abgeschlossener Ernte umzupflügen und keine Zweitlese mehr durchgeführt. Der Usbeke durfte weiterleben, der Beamte filmte aber die Erniedrigung auf Handy und zeigte es den anderen Farmern als Warnung.

Dies ist kein Einzelfall. Ein Drittel der usbekischen Bevölkerung wird in die Baumwollproduktion gezwungen. Bei der Ernte greift der usbekische Staat auf Kinder und Studenten zurück. Aus Schulen und Universitäten wird die Jugend des Landes auf die Felder gezwungen. Die staatlich organisierte Kinderarbeit in Usbekistan ist seit langem bekannt und kaum zu verstecken. Aber Usbekistan ist ein geschlossenes Land. Journalisten werden verfolgt und eine unabhängige Berichterstattung ist kaum möglich. Jede Form des Protests wird mit aller staatlichen Gewalt unterdrückt. Im Mai 2005 schossen Panzerwagen in Andischan einen Volksaufstand gegen die staatliche Willkür zusammen. Aber 2007 gelang einem britischen Kamerateam ein Scoop, als sie sich trotz der harschen Akkreditierungsbeschränkungen nach Usbekistan reisen konnten. Auf Youtube kann man sich die Sendung von BBC Newsnight anschauen, und sehen, wie Kinder sogar von der usbekischen Polizei in die Baumwollfelder eskortiert werden. 

In Großbritannien löste der Bericht eine Debatte aus und einige Handelsketten haben sich entschieden, keine Kleidung mehr ins Sortiment zu nehmen, die aus usbekischer Baumwolle besteht. H&M und C&A verfügten, dass die Zulieferer garantieren müssen, dass bei der Herstellung der gelieferten Kleidung keine Baumwolle aus Usbekistan verwendet wird. „C&A bleibt bei dieser Politik, denn Usbekistan hat bis heute nicht überzeugend beweisen können, dass auf die Kinderarbeit tatsächlich verzichtet wird“, sagt der Unternehmenssprecher Thorsten Rolfes.

Die usbekische Regierung hat nach der Ausstrahlung des BBC Filmes erst dementiert und dann Konventionen unterschrieben, die Kinderarbeit bannen. Aber auch bei der Ernte 2009 gibt es massenweise Nachrichten aus dem Land, die davon berichten, dass Kinder weiterhin in die usbekischen Baumwollfelder getrieben werden. Fotos und Berichte werden von Journalisten aus Usbekistan in die Welt versandt, obwohl sie wissen, dass sie diese Berichterstattung unter Einsatz ihres Lebens und Gesundheit tun. Usbekistan ist mit knapp 10.000 Tonnen jährlich in Deutschland der Drittgrößte Importeur für Baumwolle. Bei der Bremer Baumwollbörse, dem Verband baumwollimportierender Unternehmen, ist das Problem der Kinderarbeit in Usbekistan bekannt, die Sprecherin Elke Hortmeyer erklärt, dass der Verband keinen Code of Conduct habe, da „der üblicherweise von den Unternehmen selbst aufgestellt wird. Die Handelsgeschäfte unserer Mitglieder können wir nicht beeinflussen“. Zu dem gibt Hortmeyer zu bedenken, dass die Textilindustrie in Deutschland auch nicht mehr zu groß sei und wenn Deutschland oder Europa sich weigerten usbekische Baumwolle zu kaufen, würden sich in China genügend Abnehmer finden.

Die Verantwortung bleibt so allein beim Kunden. Auf der Podiumsdiskussion der Welthungerhilfe “Is fashion immoral“ in Düsseldorf wurde Anfang Dezember der verantwortungsvolle Verbraucher beschworen. Es macht Sinn vor dem Kauf eines Kleidungsstücks zu fragen, woher die Baumwolle stammt. Und nur dort zu kaufen, wo keine usbekische Baumwolle drin ist. C&A oder H&M zeigen, dass Unternehmen, wenn sie wollen, dies sehr wohl kontrollieren können. Und bei einem Baumwollboykott aus Usbekistan muss sich der Kunde auch keine Sorge machen, dass der Farmer in Usbekistan um das Einkommen gebracht werden könnte. Er und seine Kinder sehen eh nichts von dem Geld. Den Baumwollgewinn stecken sich die usbekischen Eliten in die Taschen.

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Dortmunder
Dortmunder
14 Jahre zuvor

Auch auf die Gefahr hin, dass ich mich unbeliebt mache:
Heißt diese Seite hier Ruhrbarone oder EhemaligeSowjetRepublikBarone?

Stefan Laurin
Admin
14 Jahre zuvor

@Dortmunder: Ich finde den Artikel gut und würde mir mehr davon wünschen. Ein Blog dass sich nur mit dem Ruhrgebiet beschäftigt fände ich langweilig.

Dortmunder
Dortmunder
14 Jahre zuvor

@Stefan Laurin:
Ich habe nicht gesagt, dass ich den Artikel schlecht finde. Ich habe diese Seite aber trotzdem als Plattform für interessante Beiträge zwischen Dortmund im Osten und Duisburg im West begriffen.
Berichte über Baumwollpflücker in Usbekistan lese ich lieber in der TAZ oder im Spiegel.

David Schraven
Admin
14 Jahre zuvor

@ Dortmunder

Du beklagst Dich im ernst, weil Du was interessantes lesen muss? Mein Tipp, lies doch einfach was langweiliges, wenn Du keine Lust drauf hast.

Wir werden bringen, was wir für richtig halten. Und diese Geschichte ist sehr gut.

Arnold Voß
Arnold Voß
14 Jahre zuvor

@Dortmunder
Vorschlag zur Güte:Einfach weiterblättern.

Puck
Puck
14 Jahre zuvor

Das Problem mit der Baumwolle und der Kinderarbeit gibt es doch nicht nur in Usbekistan, sondern auch z. B. in Afrika und Indien. Und es geht dabei durchaus nicht nur um die Ernte, sondern z. B. auch die Weiterverarbeitung. Es gibt Filmaufnahmen von KIndern, die knietief in einer Giftbrühe waten, um Baumwolle zu färben.
Daß C+A und H+M jetzt keine Baumwolle aus Usbekistan mehr verwenden, ist sicher löblich, geht aber am eigentlichen Problem vorbei. Das Problem ist die Geiz-ist-geil-Menthalität auch bei Leuten, die es eigentlich nicht nötig hätten, und die durch Läden wie C+A und H+M bewußt gefördert wird – und auch die Anzeige für Jeans für 9.90 EUR neben dem Artikel kommt mir eher wie ein übler Scherz vor.
Oder war das bewußte Ironie?
Es gibt inzwischen Möglichkeiten, sich sozial- und umweltbewußt zu kleiden. Einfach mal auf utopia.de oder bei Hess-Natur reinschauen. Da gibt es zwar keine T-Shirts für 5 EUR, aber auch keine überteuerten Luxusartikel. Und für Skeptiker: Öko-Kleidung bedeutet heute nicht mehr Grobstrick mit Rentiermuster à la „…ich bin der Martin, ne…“

Viel besser als Baumwolle, deren exorbitanter Verbrauch an Wasser die Öko-Bilanz selbst unter günstigsten Umständen ziemlich ruiniert, sind Textilien aus Hanf. Die sind obendrein auch noch haltbarer und noch angenehmer zu tragen als Baumwolle. Hanf ist eine sehr schnell wachsende Pflanze, die fast überall wächst, wesentlich weniger Wasser braucht als Baumwolle und obendrein durch ihren üppigen Wuchs Pflanzenschutzmittel überflüssig macht – das Unkraut hat schlicht keinen Platz mehr zwischen den Pflanzen.
Da gibt es nur ein Problem: Unter den Hanfpflanzen gibt es bekanntlich auch jene mit einem Anteil von, nun ja, halluzigenen Stoffen. Zwar tendiert dieser Anteil bei den für die Textilherstellung benutzten Pflanzen gegen Null, aber jedem Anbauer wird trotzdem Stress gemacht, weil er ja – so rein hypothetisch – statt der genehmigten Pflanzen eben diejenigen mit der Rauschwirkung anbauen könnte. Ein Argument, das ich ziemlich bescheuert finde; sollte irgendein schlaues Bäuerlein auf die Idee kommen, statt Hanf zur Textilproduktion eine Züchtung … aus den Niederlanden… anbauen, bekäme er spätestens beim Verkauf Probleme mit ganz anderen Leuten als der Polizei…

Berlingonaut
Berlingonaut
14 Jahre zuvor

„Es macht Sinn vor dem Kauf eines Kleidungsstücks zu fragen, woher die Baumwolle stammt.“

Macht es das? Und wer sollte mir diese Frage wahrheitsgemäß beantworten können oder wollen?

Fakt ist: Entweder ist wirklich Kinderarbeit an der Herstellung der Baumwolle beteiligt und man weiß es, verneint es dem Kinden gegenüber jedoch, oder man weiß es schlicht und einfach nicht. Die zweite Variante halte ich angesichts der mittlerweile großen Anzahl Mitarbeiter ohne Fachwissen in Bekleidungsgeschäften für wahrscheinlicher.

Nein, der Boykott von Artikeln, die durch Kinderarbeit entstehen, muss im Ursprungsland erfolgen. Nur dort trifft es die Produzenten und verantwortlichen Politikern unmittelbar und zwingt sie zum Umdenken. Wenn die Ware erst einmal hier gelandet ist, ist es schon zu spät. Dann wurde schon Profit damit erzielt.

trackback

[…] neu ist das Thema dennoch nicht, hier findet ihr einen weiteren Artikel zum Thema Baumwolle aus […]

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