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Die B3E-Story 15 – Bürgerliche Hochkultur und Bermuda-Kneipenkultur verbinden sich.

Der eigentliche Ursprung der im Tucholsky begonnenen und später  immer wieder aufflammenden und weiter geführten Kooperation zwischen der sogenannten bürgerlichen Hochkultur, vor allem der des Bochumer  Schauspielhauses,  und dem Bermudadreieck, liegt allerdings nicht in der dortigen Gastronomie sondern im dortigen Buchhandel begründet. Der Büchernarr und Literaturkenner Hanns Janssen eröffnete nämlich schon 1965 an der Brüderstraße nicht seinen ersten – aber die Zeichen der Zeit erkennend und sich dazugehörig fühlend – den ersten sehr bald als „links“ bezeichneten Buchladen Bochums.

Genau so etwas suchte der erste als „links“ geltende Intendant der Stadt, Peter Zadek und sein äußerst literaturbeflissener und belesener Chefdramaturg Greiffenhagen, als sie in diese Stadt kamen. Welches Glück, der Buchladen war nur fünf Minuten zu Fuß von ihrem neuen Arbeitsplatz entfernt. Zu dieser Zeit sah es in dessen Umgebung  allerdings noch ganz anders aus, als heute. Die Brüderstraße war noch ein Hort des Einzelhandels und des Handwerks. Ein Friseur, ein Schuhmacher, ein Installateur, ein Malermeister, ein Neonröhrenhersteller, verschiedene kleine Boutiquen, zwei Kneipen und ein Kolonialwarenhändler bestimmen das Straßenbild. Die typische Mischung eines innenstadtnahen Gründerviertels. In den 70er  und 80er Jahren mussten sie dann Stück für Stück der einrückenden Bermuda-Gastronomie weichen oder wurden von ihr übernommen.

Die Buchhandlung, in der der heute in Funk und Fernsehen bekannte Kabarettist Jochen Malmsheimer eine Lehre zum Buchhändler absolvierte,  hielt sich nicht nur, sie wurde sogar erweitert. Mit den 70er Jahren bricht dann das große Jahrzehnt des Lesens an, des politischen Lesens vor allem, des Interesses an kritischer Gesellschaftsliteratur und der Diskussion darüber. Wie überhaupt dieses „rote Jahrzehnt“ mehrheitliche die jungen Köpfe bewegt, und nicht oder nur sehr selten die realen gesellschaftlichen Verhältnisse. Die ändern sich zwar auch, aber mehr in kultureller und sozialer Hinsicht, als wirtschaftlich. Der allseits kritisierte und in vielen Aktionen „bekämpfte“ Kapitalismus blühte im Gegenteil erst richtig auf, und die breite Masse begann nun auch ganz unten von seinen damals noch üppigen Wachstumsraten zu profitieren.

Es ist also kein Wunder, dass die „Revolution“ vor allem eine sprachliche, eine des Diskurses und vor allem eine der verbalen und schreibenden Aktion war. Die aber braucht Treffpunkte für die, die sie machten, beobachteten, begleiteten, bewunderten, kritisierten, konsumierten, sich davon ausruhten, sie vor- und nachbereiteten. Die damit verbundene soziokulturelle Dynamik, auch zwischen den Geschlechtern , die Suche nach  immer neuen Begegnungen, die Befriedigung der wachsenden zwischenmenschlichen Neugierde, die sich mit neuen Ideen vom Zusammenleben und häufig mit dem eigenen Erwachsenwerden vermischte, suchte sich öffentliche und zugleich geschlossene Räume. Die Kneipe wurde so fast automatisch zum beliebtesten kollektiven Aufenthaltsort dieser Zeit. Sie stand in ihrer langen Kulturgeschichte zum ersten Mal seit langem wieder im Zentrum.

Es war dieser allgemeine  gesellschaftliche Trend, der im damaligen Engelbertviertel besonders intensiv zum Tragen kam. Es waren die Pioniere des Bermudadreiecks, die nicht nur dazu gehörten sondern auch davon persönlich profitierten. Mitten in der tiefsten Diskussionsphase über den Kapitalismus entstand an einem Ort, an dem diese besonders häufig stattfand, eine neue Unternehmergeneration, die sich dessen am Anfang nicht einmal richtig bewusst war, weil sie zumindest teil- und phasenweise selber zu den Diskutanten und Kritikern zählte. Das ist, gesellschaftspolitisch gesehen, die ironische Seite der Geschichte  des Bermudadreiecks.

Sie erklärt zumindest zum Teil, wie trotz der allgemeinen Verdrängung des Einzelhandels aus dem damals noch Engelbertviertel genannten Quartier  sich die Buchhandlung Janssen bis heute halten konnte. Urbanität ist letztlich auch eine Ware, die produziert und vermarktet werden muss. Urbanität ist eine Dienstleistung, die sich nicht nur an den Bauch sondern auch an den Kopf, ja in der Zeit der Entstehung des Bermudadreiecks sogar bevorzugt an den Kopf, gewandt hat.

Der Geist dieser Zeit war wirklich ein geistiger und weniger ein materieller. So passte die bei Janssen angebotene „Geistesnahrung“ sehr wohl zu den anderen Genussmitteln, welche die wachsende Gastronomie zusätzlich und neben der zwischenmenschlichen Kommunikation anbot. Selbst theoriegeschichtlich passte hier am Anfang alles zusammen, beinhaltete die Urbanität aus ihrer Ideengeschichte heraus doch auch immer den Ort des kritischen Diskurses. Dem, was man in den 20er Jahren eine „Karawanserei des Geistes“ nannte, kam das Bermudadreieck in den 70er und auch noch zu Beginn der 80er Jahre sehr nahe.

Die Buchhandlung Janssen spielte dabei nicht nur in der späteren Zusammenarbeit mit dem Tucholsky eine hervorgehoben Rolle. Zadek versuchte, das Schauspielhaus von einem Ort der bewussten Politik- und Realitätsferne wieder an die wirkliche Welt und ihre aktuellen Konflikte heranzuführen. Das gelang ihm zwar nur sehr begrenzt, aber indem er eine nahegelegene und hochfrequentierte Buchhandlung zu seinem thematischen Partner machte, verlängerte er die geistige Wirkungskette seiner Theaterstücke zumindest in den kulturellen, städtischen Alltag von Bochum hinein.

Hinzu kam, dass er sich deswegen auch selbst in die Buchhandlung und damit natürlich unvermeidlich in das damals sich entwickelnde Kneipenviertel hinein begab. Er, und später auch seine Schauspieler und Mitarbeiter, wurden damit Teil der dort stattfindenden Kommunikation. Etwas, was ein Schalla, selbst wenn er zu dieser Zeit noch Intendant gewesen wäre, schon von seinem Selbstverständnis her nie getan hätte. Erst später entdeckte dann auch das Theaterpublikum das Bermudadreieck, und das nicht zuletzt, weil es sich durch seinen neuen Intendanten und seine Stückauswahl selbst gewandelt hatte.

Peter Zadek sorgte dafür, dass es im Schauspielhaus andere und vor allem jüngere Zuschauer gab, die schon von sich aus eine gewisse Affinität zum Bermudadreieck hatten. Andererseits ermutigten diese später auch die konventionelleren, aber nichtsdestotrotz neugierigen Teil der herkömmlichen Besucher, ihnen dorthin zu folgen. Dazu musste allerdings auch das Bermudadreieck erst einmal so etwas bieten wie das Tucholsky. Etwas „Feineres“ welches immer noch genügend anders war als jenes, was ein klassisches Theaterpublikum normalerweise nach einem Abend im Schauspielhaus als Gaststätte aufsuchte.

So musste es auf beiden Seiten auch innere Veränderungen geben, ehe die äußere Annäherung sich ausbilden konnte. Erst nachdem der starke politische Impetus der 70er Jahre auch im Bermudadreieck „nur“ noch der kulturellen Motivation gewichen war, und sich zugleich das bürgerliche Publikum des Schauspielhauses von der klassischen  Theaterkleidung immer mehr befreit hatte, konnten sich Bermuda-Gäste und Schauspielpublikum nicht nur im Tucholsky problemlos vermischen. Heute, beim jährlichen Open-Air-Konzert der Bochumer Symphonikern auf den Konrad Adenauer Platz, sind sie selbst bei näherem Hinsehen nicht mehr voneinander zu unterscheiden.

Mehr zu dem Thema:

Teil 1: Die B3E-Story – oder wie das Bochumer Szeneviertel namens Bermudadreieck entstanden ist

Teil 2: Die B3E-Story 2: Entstanden aus dem Nichts?

Teil 3: Die B3E-Story Teil 3- Vom proletarischen Moltkeviertel zur Bochumer Studentenbewegung

Teil 6: Die B3E-Story 6 – Vom Club Liberitas zum Mandragora

Teil 7: Die B3E-Story Teil 7: Vom Appel zum Sachs

Teil 8: Die B3E-Story 8 – Die 80ger Jahre und die Entstehung der Szenemagazine

Teil 9: Die B3E Story 9 – Die Rolle der Bochumer Stadtverwaltung

Teil 10: Die B3E-Story Teil 10 – Die Entstehung des „Bauer-Imperiums“

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Paul
Paul
11 Jahre zuvor

Liebe Leute,

die Reihe von Arnold Voss ist wirklich super. In den letzten Artikeln ist mir nur aufgefallen, dass es nur so vor orthografischen Fehlern/Tippfehlern o.ä. wimmelt. „Tucholski“ z.B.

Wolfgang Wendland
11 Jahre zuvor

Ja, als ich Zadek das letzte mal in Bochum getroffen habe hat er viel über das Tocholsky erzählt. 😉

Tom
Tom
11 Jahre zuvor

Die Buchhandlung ist vor allem unter dem Namen Janssen bekannt. Gar nicht bekannt ist dagegen ein Zadek-Dramaturg namens Beier. Zadeks Chefdramaturg war Greiffenhagen. Ob hier Hermann Beil gemeint ist, Peymanns Co? Ansonsten eine tolle Serie, Danke dafür!

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Monika Finke
Monika Finke
11 Jahre zuvor

„Linker“ Buchladen, „linker Zadek“? Ups!
Echte „Linke“ von damals schmunzeln darüber!
In der Endfassung sollte das Wort „Links“ besser nicht erscheinen.
Liebe Grüße
Monika Finke

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