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Dortmund – Hochburg der „Autonomen Nationalisten“

Im Frühjahr diesen Jahres kam es innerhalb der linken Szene rund um Dortmund zu Aufregung über die Ankündigung der Dortmunder Neonazi-Szene am 1. Mai einen Aufmarsch im Stadtgebiet zu organisieren. Es ist an sich nichts Neues, dass neonazistische Gruppierungen, vor allem die NPD, versuchen an diesem Tag ihre antidemokratische Propaganda zu verbreiten. So fanden größere rechte Kundgebungen und Demonstrationen in den letzten Jahren am 1. Mai  in folgenden Städten statt: Berlin-Liechtenberg (2004), Leipzig (2005), Dortmund (2007), Hamburg (2008), Berlin-Köpenick (2009), Berlin (2010). Die Gründe warum die Ankündigung der Nazis Dortmund am 1. Mai 2012 zu einem Aufmarschgebiet der rechten Szene zu machen auf so viel Empörung stießen, liegen tiefer.  Von unserer Gastautorin Jennifer Lewin.

Die Neonazi-Szene in Dortmund, einer Stadt mit 600.000 Einwohnern, einer Universität und einer florierenden Einkaufsstraße, operiert nicht im Verborgenen. Wer sich an einem Samstag auf dem Weg vom Bahnhof zum Einkaufsbummel in die City die Mühe macht das Flugblatt zu lesen, das mit etwas Zurückhaltung von zwei in Schwarz gekleideten Jugendlichen an die Passanten auf der Katharinentreppe verteilt wird, wird in einigen kurzen Sätzen darüber aufgeklärt, was ihn beim Erreichen des Katherainenplatzes erwartet: dort steht mal wieder eine Gruppe von 10, ebenfalls in schwarz gekleideten Jugendlichen, vor sich einen Tapeziertisch auf dem allerlei Broschüren und Flugblätter ausliegen, daneben einen Lautsprecherwagen aus dessen Boxen ein wummernder Hardcore-Sound kommt, das Ganze flankiert von 2 Polizeiwagen. Wer also das Flugblatt liest, wird erfahren, dass es sich bei diesen Jugendlichen um Nazis, genauer um Mitglieder der sog. ‚Autonomen Nationalisten‘ handelt, die beiden Jungs auf der Treppe gehören zur lokalen Antifa. Sie dürfen nicht näher an die Nazis heran als bis auf die Treppe, denn die Nazis haben ihre Veranstaltung offiziell bei der Stadt angemeldet und genehmigt bekommen.

Rechte Aktivitäten in Dortmund

Dortmund ist in den letzten Jahren zu einem Zentrum der westdeutschen Naziszene geworden. Angriffe auf MigrantInnen, Gewerkschaftmitglieder und Linke, auf Kneipen, Parteibüros und Stadtfeste sind in Dortmund an der Tagesordnung. 15 Jahre haben Polizei, Justiz und die lokale PolitikerInnen die Augen vor dem Problem verschlossen. Dass Angriffe von rechten Gruppen immer noch bagatellisiert werden, zeigen die Vorfälle von der „inoffiziellen“ Meisterschaftsfeier der Fans des BVB in der Nacht vom Samstag 21. April auf Sonntag 22. April: zum wiederholten Male wurde in dieser Nacht die linke Szenekneipe ‚Hirsch-Q‘ von rechten Fußballfans überfallen. Dieser Vorfall schaffte es in die Ruhr Nachrichten und fand sonst nur Erwähnung in linken Internetmedienportalen.[1] Das ist auch kein Wunder, denn die Pressemitteillung der Polizei Dortmund verschweigt den Angriff. Dort heißt es schlicht und weg: „Der Einsatz verlief insgesamt friedlich.“

Die Dortmunder Neonazis schrecken auch vor Morden nicht zurück: 2000 tötete ein Dortmunder Neonazi 3 Polizisten, 2005 wurde der Punk Thomas Schulz von einem Nazi erstochen und 2006 erschossen Mitglieder des rechten Terrornetzwerks NSU den Kioskbesitzer Mehmet Kubaşik.[2] Noch immer ist nicht ganz aufgeklärt, welche Rolle der Verfassungsschutz und die Polizei bei den Morden der NSU spielten.

Den letzten großen Naziaufmarsch sah die Stadt Dortmund am 3. September 2011 als die Nazis auf ihrem 7. „Nationalen Antikriegstag“ mit 700 TeilnehmerInnen, darunter ein großer Teil ’schwarzer Block‘ und Autonome NationalisteInnen, ihren Geschichtsrevisionismus sowie Antiamerikanismus und Antisemitismus zur Schau stellen durften. In diesem Jahr riefen auch der sozialdemokratische Oberbürgermeister der Stadt Dortmund und andere PolitikerInnen die BürgerInnen zu Sitzblockaden auf der Demoroute gegen die Nazis auf um den Aufmarsch zu verhindern. Der Polizeipräsident war mit diesem Vorgehen überhaupt nicht einverstanden und startete Wochen vor dem Aufmarsch eine großangelegte Pressekampagne, in der er den Aufruf zu Sitzblockaden versuchte in eine Straftat umzudefinieren. Die Kampagne ging an den DortmunderInnen scheinbar unbeeindruckt vorbei, denn am 3. September waren in Dortmund 10.000 Gegen demonstrantenInnen unterwegs und es gelang trotz einer Gegenmacht von 5.000 Polizisten, die die Nazis schützen, die Demoroute zu verkürzen und den Aufmarsch lange aufzuhalten. Selbst an diesem Wochenende, an dem in Dortmund zig Veranstaltungen gegen Rassismus und das Vergessen stattfanden, wurde in Dortmund-Dorstfeld ein Stadtteilfest von Nazis überfallen.

1. Mai 2009

Auch der 1. Mai ist in der Erinnerung vieler DortmunderInnen verbunden mit einer traumatisierenden Erfahrung: dem Überfall auf die DGB-Kundgebung am 1. Mai 2009 auf dem Dortmunder Friedensplatz. Damals zogen mehrere hundert Neonazis vom Hauptbahnhof Richtung Alte Synagoge, wo sie die TeilnehmerInnen der DGB-Kundgebung angriffen und sich mit der unvorbereiteten Polizei ein Gefecht lieferten. Erst nachdem die Polizei Verstärkung, unter anderem mit Hubschraubern, hinzuzog, gelang es 400 Faschisten in der Innenstadt festzusetzen, woraufhin Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts auf Landfriendensbruchs eingeleitet wurden. Weitergehende strafrechtliche Konsequenzen hatte der Naziüberfall am 1. Mai 2009 für einzelne am Angriff beteiligte Nazis, die vermeintlichen Rädelsführer Dennis Giemsch und Alexander Deptolla wurden jedoch am 19.6.2012 vom Vorwurf der „Anstiftung zur Gewalt“ freigesprochen. Lange Zeit haben Polizei, Justiz und lokale Politik vor den Vorgängen in Dortmund die Augen verschlossen. Erst nachdem auch die ‚Mitte der Gesellschaft‘ wie GewerkschaftlerInnen und Mitglieder etablierter Parteien zum Ziel rechter Gewalt wurden, fand eine Sensibilisierung und die Entwicklung eines Problembewusstseins gegenüber dem über die letzten Jahre zugenommenen gewalttätigen rechten Aktionismus statt. Wer nun noch behauptet, Dortmund hätte kein Nazi-Problem, der verschließt die Augen vor der Realität.

Die Mär von der Extremismus-Theorie

Seitdem bekannt ist, dass auch in Dortmund ein Opfer der Terrorzelle NSU zu beklagen ist, ist auch Dortmund und sein allgemeines Nazi-Problem wieder in den Fokus auch überregionaler Medien gerückt. Längst berichten lokale Medien wie der WDR regelmäßig über die Zustände in Dortmund, insbesondere dem Stadtteil Dorstfeld. In Diskussionen über die Legitimation rechter Aufmärsche und Kundgebungen wird jedoch verstärkt mit der Extremismustheorie argumentiert, in der rechte und linke „Gewalttäter“ gleichgesetzt werden. So machte im Februar in einer Dortmund-Dorstfelder Realschule eine Ausstellung des Verfassungsschutzes mit dem Titel halt: „Es betrifft dich! Demokratie schützen – gegen Extremismus in Deutschland“, die genau diesen Extremismusansatz bedient.

Und liegen die AnhängerInnen dieser Theorie in Politik und Medien in ihren Einschätzungen nicht richtig? Schließlich unterscheiden sich die beiden Jungs von der Antifa auf der Katharinentreppe äußerlich kaum von ihren 10 Altersgenossen oben auf dem Platz. Die haben auch diese Tunnel in den Ohren und tragen Piercings. Eine darartige Verwischung äußerlicher, aber auch inhaltlicher Unterschiede spielt den etablierten Parteien, egal welcher coleur, in die Karten. Die Dortmunder Neonazi-Szene ist stark ausdifferenziert. Die Jugendlichen, die sich regelmäßig auf dem Katharinenplatz, dem Einfallstor in die Innenstadt positionieren, um Altersgenossen anzusprechen und sie mit rechten Flugblättern oder CDs zu locken, bezeichnen sich selbst als „Autonome Nationalisten“ („AN“). Sie operieren wie die NPD in Dortmund nicht im Verborgenen, sondern sind außerordentlich aktiv: sie verteilen regelmäßig Flyer in der Innenstadt, organisieren Konzerte mit rechten Bands sowie Demonstrationen und Kundgebungen. Hierbei stehen vor allem der sog. „Nationale Antikriegstag“ im September sowie Aktivitäten am 1. Mai zentral. Die Dortmunder Nazis sind darüber hinaus sehr reiselustig. Kaum ein rechter Aufmarsch in der Region findet ohne sie statt.

 

„Autonome Nationalisten“ (ANs)

Deutlich wird, dass Aktionismus ein essentieller Bestandteil des Konzepts der ANs ist. Die Dortmunder Nazis erfüllen mit dieser Erscheinungsform in der rechten Szene eine Vorreiterrolle, an der sich die rechte Strukturen wie Kameradschaften vor allem aus den Nachbarstädten zunehmend orientieren. Die ausgeprägte Aktionsbereitschaft und ihre – im Vergleich mit der alten Kameradschaft Dortmund – gewachsenen Strukturen in Dortmund werden innerhalb der rechten Szene in ganz Deutschland zum Vorbild einer „National befreiten Zone“ genommen, so dass Dortmund für Neonazis aus dem gesamten Bundesgebiet zu einem anziehenden Aktionsfeld geworden ist und viele Nazis sogar ihren Wohnsitz nach Dorstfeld verlegen. Die Folgen für den Stadtteil und seine BewohnerInnen sind enorm: dort herrscht ein Klima der Angst, die geschürt wird durch eine von den dort lebenden Nazis offen zur Schau gestellte Inszenierung ihrer Dominanz, zum Beispiel durch regelmäßig durchgeführte „Patrouillien“ mit Hunden, Angriffen auf Geschäfte von MigrantInnen oder der Einschüchterung von Menschen, die sich gegen die Vorgänge in Dorstfeld zur Wehr setzen (indem sie rechte Aufkleber entfernen) oder darüber berichten.[3]

Die zu Beginn des Auftauchens der „Autonomen Nationalen“ in der rechten Bewegung zu beobachtende Feindschaft zwischen der NPD und den ANs, die bis hin zu körperlichen Auseinandersetzungen führte, gehört der Vergangenheit an. Der Verfassungsschutz beobachtet vor allem im Westen Deutschlands und rund um Berlin Aktivitäten aus den Reihen der ANs und stellt fest, dass die Mitglieder dieser Strukturen häufig zwischen 18 und 25 Jahren alt seien, damit deutlich jünger sind als die Wortführer der NPD. Auch diese scheinen erkannt zu haben, dass die ANs damit ein Klientel ansprechen, dass für sie nur schwer erreichbar ist: Jugendliche, die sich nicht durch die „traditionellen“ rechten Themen nicht angesprochen fühlen. Sie setzen dabei beispielsweise auf eigene soziale Netzwerke („Netzwerk Rechts“) oder produzieren Schulhof-CDs mit rechtem Hiphop („Jugend in Bewegung – Schüler CD des nationalen Widerstands“), die sie auf den Schulhöfen weiterführender Schulen verteilen. Dass die ANs vor allem darauf setzen, in Regionen rechte Strukturen zu etablieren, in denen sie ein Potential in der Jugend vermuten, zeigen auch die Ausführungen eines linken Aktivisten aus Berlin, der in den 80er Jahren in Dortmund wohnte. Er schreibt im Zusammenhang mit der Nazidemonstration am 1. Mai 2004 in Berlin:

In der Gesamtentwicklung sind diese Neuentwicklungen in der Kameradschaftsszene Berlins vor dem Hintergrund einer längeren Stagnationsphase zu sehen. Sie sind bemerkenswert, da sich erstmals seit zwei Jahren wieder eine Führungsszene herauszubilden scheint. Dieser schwarze Block von rechts sollte vermummt im NPD-Aufzug mitlaufen und unterwegs Linke oder andere unerwünschte Personen angreifen.
Von militanten Nazis aus diesen Gruppen wird seit längerer Zeit eine gewalttätige Eskalation in Friedrichshain verbreitet und propagiert. […] Der Bezirk Friedrichshain ist für militante Nazis besonders wichtig geworden, weil sich hier seit dem Mauerfall die sonst in östlichen Bezirken vorherrschende rechte Jugendkultur nicht durchsetzen konnte.“[4]

Reaktionäre Ideologie

Auch Frauen treten in den Strukturen der ANs mehr in den Vordergrund, verteilen Flyer, nehmen an Demonstrationen teil und sichern Angriffe ab wie zum Beispiel in den Videoaufnahmen beim Überfall auf die Hirsch-Q  im Dezember 2010 zu sehen.[5] Dass sich dadurch das traditionelle Rollenklischee, das Frauen ihren Platz vornehmlich in der Familie zuweist, nicht verändert, zeigt folgender Fall, der auf einem youtube-Video gemacht am 3. September 2011 von der Nazi-Demo zu sehen ist. Die Aufnahme zeigt wie sich der rechte ’schwarze Block‘ innerhalb des Demonstrationszuges formiert, unter dem sich auch einige, in schwarz-gekleidete Frauen befinden. Diese werden dann mehrmals vom Demonstrationsleiter per Lautsprecher aufgefordert an das Ende der Demo zu gehen: „Frauen nach hinten!“ Diese Beobachtung verwundert nicht wie Gerrit de Wet und Judith Wolters 2004 bezogen auf die Erscheinung der ANs in den Niederlanden schreiben: „wenn man bedenkt, dass Eigenschaften wie Autonomie und Individualismus, die doch essentiell für einen schwarzen Block sind, im vollkommenden Gegensatz stehen zu einem äußerst hierarchischen national-sozialistischen Weltbild.“[6]

Letztendlich haben die Dortmunder NPD-Kader entschieden den Aufmarsch am 1. Mai 2012 in Dortmund abzusagen und stattdessen die rechte Szene in Bonn zu versammeln. Dortmund blieb jedoch nicht verschont: statt am 1. Mai meldeten die Nazis nun für den 31. März 2012 ein Rechtsrock-Konzert am Hauptbahnhof mit anschließendem Demonstrationszug zu ihrem ehemaligen „Nationalen Zentrum“ an der Rheinischen Straße an. Damit reagierten die Nazis sowohl auf das ihnen in Dortmund inzwischen auch von bürgerliche Seite entgegenschlagende feindliche Klima wegen des Überfalls am 1.  Mai, andererseits auf eine lang auf sich warten lassende Reaktion der Stadt Dortmund. Diese hatte nämlich bereits Anfang 2011 das Haus an der Rheinischen Straße 135 gekauft, dass den Nazis bis 31. März 2012 als Treffpunkt gedient hatte. Mit dem Ankauf des Gebäudes an der Rheinschen Straße hat die Stadt Dortmund nun endlich Taten folgen lassen und genau dies nahmen die Nazis in Dortmund zum Anlass ihre Demonstration inkl. Rechtsrock-Konzert in der Dortmunder Innenstadt zu veranstalten. Die Demo fand unter dem Motto „R135 bleibt!“ statt angelehnt an Slogans aus linken Hausbesetzer-Demos und bestand aus etwas 300 Nazis vorwiegend als ANer erkennbar, darunter auch wieder auffallend viele junge Frauen. Das Hauptbanner war unter anderem geschmückt mit einem Regenbogen. Aufmarsch und Rechtsrock-Konzert blieben von den Dortmunder BürgerInnen weitestgehend ignoriert, obwohl sich alles in unmittelbarer Nähe zur Einkaufsstraße abspielte. Die Polzei hatte durch erfolgreiche Taktik verhindert, dass die 400 linken GegendemonstrantInnen die am Vormittag eine eigene Demonstration in der „National befreiten Zone“ in Dorstfeld abgehalten hatten, sich den Nazis in den Weg stellen konnten. Es ist den Nazis jedoch auch nicht gelungen eine große Öffentlichkeit für sich schaffen oder sich als Gruppe bei den Aktivitäten hervorzutun, die unter dem Label 31M in anderen Städten liefen.

Fazit

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die ANs vor allem auf erlebnisorientierte Aktionsformen setzen, jedoch besetzen sie Symbole wie Kleidung (Palästinenser-Tuch) und Lifestyle-Elemente (gefärbte Haare, Piercings) aber auch symbolische Tage wie den 1. Mai und den 1. September oder den 18. und 19. Februar so geschickt, dass sie damit versuchen Politikfelder auf die rechte Seite ziehen, die traditionell von der Linken bearbeitet werden. So versucht die NPD seit 10 Jahren den 1. Mai für sich zu vereinnahmen und vom internationalen Tag der Arbeit zum nationalen Kampftag umzudeuten, ebenso wie dies bei den Aktionen Anfang September in Dortmund der Fall ist. Dies geschieht immer wieder mit Bezugnahme auf den Nationalsozialismus verbunden mit Themen wie der soziale Frage, Globalisierungskritik und Kritik an der Rolle von Polizei und Politik. Typische rechte Themen wie Einwanderungs- und Familienpolitik treten augenscheinlich in den Hintergrund, werden aber auf den einschlägigen Nazi seiten im Internet immer noch offen ausgesprochen. Was zeigt dass die „Neubesetzung“ dieser Themenfelder in Wirklichkeit gar nicht stattfindet, sondern nur als Tarnmantel für die seit Jahrzehnten vorgetragenen revisionistischen und rassistischen Themen der NPD und anderer rechter Parteien dient. Das Erstarken der Struktur der „Autonomen Nationalisten“ ist vielmehr als ein Versuch zu verstehen, eine neue Generation rechter Nachwuchskader heranzuziehen als dass sich an der von der NPD propagierten Ideologie einer „Volksgemeinschaft“ etwas ändert. Was sich jedoch verändert ist das tradiotionelle Bild eines rechten Aktivisten. Der szenetypische Skinhead oder Hooligan tritt immer mehr in den Hintergrund, während die Angehörige der ANs zur neuen Vorhut der rechten Szene werden.[7]

1. September 2012: „Nationalen Antikriegstag“ verhindern!

In diesem Jahr erwartet Dortmund nun der 8. „Nationale Antikriegstag“ und zwar genau am 1. September, für den es sich von linker Seite bereits nun zu rüsten gilt. Dabei hilft sicher ein Blick auf die Auswertung der Protestaktionen rund um den „Nationalen Antikriegstag“ vom 3. September 2011:

„Obwohl der Aufmarsch am 3.9.2011 in Dortmund nicht verhindert wurde, spricht „Dortmund stellt sich quer“ von einem politischen Erfolg.“

Die vom Bündnis „Dortmund stellt sich quer“ genannten Erfolgserlebnisse der Aktionen aus 2011 werden uns Orientierung und Ausgangspunkt für Gegenveranstaltungen und -aktionen zum diesjährigen geplanten Nazi-Aufmarsch in Dortmund sein:

  • Die AntifaschistInnen in Dortmund waren zunehmend entschlossen, die Nazis tatsächlich zu stoppen, statt symbolisch abseits der Nazis zu demonstrieren.
  • Das Konzept des zivilen Ungehorsams fand breite Unterstützung und das Instrument der Blockaden galt allgemein als angemessen.
  • Die Protestbewegung entschied unabhängig von behördlichen Genehmigungen, Polizei und Justiz über Aktionsorte und -formen.
  • In zahlreichen Mobilisierungaktionen wurden vor allem die BewohnerInnen der Dortmunder Nordstadt angesprochen. „Dortmund stellt sich quer“ wird auch weiterhin einen Schwerpunkt auf die Aktivierung der AnwohnerInnen der betroffenen Stadtviertel legen.
  • Trotz eines Polizeiaufgebotes führten „Dortmund stellt sich quer“ und „Dortmund Nazifrei“ Blockaden innerhalb der Sperrzone durch.
  • Selbstbestimmte Handlungs- und Aktionstätigkeit bestimmte die Arbeit von „Dortmund stellt sich quer“.
  • Das Verhältnis der verschiedenen Bündnisse war durch grundsätzliche Solidarität geprägt.
  • Es gab kaum Diastanzierungen, weder von absolut friedlichen noch von militant agierenden AntifaschistInnen – eine von Polizei und etablierter Politik forcierte Spaltung in „gute“ und „böse“ Protestierer konnte überwiegend abgewehrt werden.
  • „Dortmund stellt sich quer“ setzte insbesondere mit der Demonstration „Gegen Faschismus,Imperialismus und Krieg“ am Vorabend des 3.9.2011 eigene inhaltliche Akzente gegen Militarismus, Imperialismus und Kriegstreiberei.[8]

Jüngste Beispiele eines breiten Protestes gegen Naziaufmärsche in Dortmund (2011), Hamm, Bonn und Münster haben gezeigt, dass breite Bündnisse gegen Rechts gemeinsam mit den AnwohnerInnen und den Mitteln des zivilen Ungehorsams oft zu Erheblichen Verzögerungen für die Nazis und letztendlich Verkürzungen oder Verlegung ihrer Demonstrationsrouten führen. Das Ziel auf das wir hinarbeiten, ist jedoch diese von deutschen Gerichten genehmigten Naziaufmärsche zu stoppen. Das aktive Entgegenstellen und Protestieren gegen faschistische Propagana-Veranstaltungen setzt in jedem Fall ein deutliches Zeichen, nicht nur für Völkerverständigung, sondern ganz eindeutig gegen die Nazis in unseren Städten und Stadtteilen. In allen oben genannten Städten fanden sich die engaierten BürgerInnen einer Übermacht an Polizei mit schwerem Gerät gegenüber, deren Führungen auch stets im Vorfeld der Nazi-Aufmärsche darum bemüht waren, die Aufrufe zu friedlichen Sitzblockaden in Straftaten umzudeuten. Davon dürfen sich alle, die gegen Faschismus und Rassismus einstehen wollen nicht einschüchtern lassen. Wir stehen auf der richtigen Seite und wir müssen zeigen, dass wir mehr sind als sie! Selbst die Verfassungsschützer können die gewalteindämmende soziale Kontrollfunktion linker Gegendemonstrationen nicht leugnen: „die meist deutlich höhere Zahl der Gegendemonstranten halten Rechtsextremisten von gewalttätigen Aktionen ab.“[9]

Also, seid alle am 1. September auf den Straßen in Dortmund! Beteiligt euch, wo ihr könnt an den Vorbereitungen für Aktionen und Veranstaltungen rund um diesen Tag! Kommt zum bundesweiten Antifa-Camp vom 24.08. – 2.9. nach Dortmund!

Ich möchte diesen Artikel schließen mit einem Poetry-Slam-Text, den ich mir 2011 als Bewohnerin der Nordstadt, tagtäglich konfrontiert mit Dortmunds braunem Streichelzoo von der Seele geschrieben habe und der mir seitdem Leitbild ist für mein Handeln damit Dortmund weiterhin eine lebendige, lebenswerte und multikulturelle Stadt bleibt!

Jennifer Lewin

Dortmunds brauner Streichelzoo

I.

Schau auf die Dächer der Nordstadt, sie hält mich wach
die Taube auf dem Dach wirkt wirklich wie ein Dachhase
ich grase die Vergangenheit ab, die Phase, in der ich erwachte,
die machte, dass sich die Leere wieder anfüllt
und das Dasein sich anfühlt wie zusammengeknüllt.
Damals auf Platte in Stuggitown da fühlte ich mich stark
und ’95 in Hannovers Nordstadt gehörte uns die Stadt
wenn auch nur für eine Nacht.
Jetzt sitz ich hier in Dortmund Nazi-Stadt
auf den Dielen meiner Bruchbude, der Substube
und bekämpf diese Ohnmacht, die ich täglich auf der Strasse seh
sie geht mit mir auf gleichem Boden
gelogen, wer sagt hier sei alles ok.

WIR SIND BACK MIT NEUEN KARTEN
KIEZSPORT KANN JETZT NICHT MEHR WARTEN
WER HAT UNS VERRATEN?!
DORTMUND – NORDSTADT – HAFEN
IST ANTIFA-GEBIET
UND EKLÄRT DEN KRIEG
NAZIS UND DEM STAATLICHEN DISPOSITIV
DER EXTREMISMUS-THEORIE

II.

Denn oben im Rathaus sitzen sie’s aus
auf der Straße sieths nicht anders aus
Sierau versus Schulze was hilft das schon
wenn sie sich bei Straßenprostitution, bei Graffiti einig sind
Wessen Kind sind denn die Autonomen Nationalen,
diese Asozialen, die über unsere Jugend herfallen,
indem sie gefallen, Familen am 1. Mai anfallen –
und der Platzhirsch immer wieder mit dabei.
Für Politik und Polizei degradiert zur Kneipenschlägerei
dabei war die Kamera dabei das Dreckspack zu filmen,
den Kahlin gerade raus aus dem Knast
saß viel zu kurz für eine Tat
die ungeächtet bleibt
solange man bei Gericht und anderswo die Worte „politisch motiviert“ streicht.

DOCH WIR SIND BACK MIT NEUEN KARTEN
KIEZSPORT KANN JETZT NICHT MEHR WARTEN
WER HAT UNS VERRATEN?!
DORTMUND – NORDSTADT – HAFEN
IST ANTIFA-GEBIET
UND EKLÄRT DEN KRIEG
NAZIS UND DEM STAATLICHEN DISPOSITIV
DER EXTREMISMUS-THEORIE

III.

Dortmund brauner Streichelzoo
traurig kündet nur dein „U“ fürs Wochenende:
Nazis sind uncool
Ist Kunst euer einziges tool
im Kampf gegen diese Hools
oder sind sie euch ganz recht
gibt es nicht viel schlech-
teres: den Strassenstrich, das Haushaltsloch?
Und doch regt sich hier Widerstand
stehen Menschen Hand in Hand
auf der Straße und zur Strafe
drängt ihr sie an den Rand.
Das geht an Wesseler, Sirau und die ganze bürgerliche Presse-Land-
schaft: wir werden wieder auf die Straße gehen
nicht länger zusehen wie Giemsch hier seine Fäden zieht
dank ihm braune Scheiße sprießt.
Das hier ist unser Kiez!

DENN WIR SIND BACK MIT NEUEN KARTEN
KIEZSPORT KANN JETZT NICHT MEHR WARTEN
WER HAT UNS VERRATEN?!
DORTMUND – NORDSTADT – HAFEN
IST ANTIFA-GEBIET
UND EKLÄRT DEN KRIEG
NAZIS UND DEM STAATLICHEN DISPOSITIV
DER EXTREMISMUS-THEORIE



[1] https://ruhrbarone.de/dortmund-naziangriff-in-der-meisternacht/

[2] Dokumentation in Dortmunder Zustände. Strukturen, AkteurInnen und Entwicklungen im Jahr 2010

[3] http://antifaunion.blogsport.de/2012/03/25/wdr-lokalzeit-polizei-gegen-nazis-in-dorstfeld

[4] http://www.antifa.de/cms/content/view/222/32/

[5] https://www.ruhrbarone.de/ausgewertetes-video-eines-nazi-angriffs-auf-dortmunder-szene-kneipe-setzt-staatsanwaltschaft-unter-druck/

[6] “Autonome neo-nazi’s op de linkse toer?”, Gerrit de Wit, Fabel-krant 95/96,Gebladerte Archief, www.doorbraak.eu.

[7] Dieser Artikel erschien in gekürzter niederländischer Fassung und mit Bezug auf die Situation der ANs in den Niederlanden in der aktuellen Ausgabe der Doorbraak-Krant Nr. 16: http://www.doorbraak.eu/gebladerte/index.html

[8] http://dortmundquer.blogsport.de/2012/01/16/auswertung-dssq-2011-zwei-schritte-vor-in-dortmund/

[9] Verfassungsschutzbericht 2011. Vorabfassung, S. 60.

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[…] futziwolf Ein ausführlicher Artikel über Rechte Aktivitäten in Dortmund von Jennifer Lewin auf ruhrbarone.deIm Frühjahr diesen Jahres kam es innerhalb der linken Szene rund um Dortmund zu Aufregung über die […]

Sonja
Sonja
11 Jahre zuvor

„Noch immer ist nicht ganz aufgeklärt, welche Rolle der Verfassungsschutz und die Polizei bei den Morden der NSU spielten.“

Dazu würde ich mir auch noch einen investigativen Blog-Artikel wünschen !

KZSP
KZSP
11 Jahre zuvor

Netter Text, vor allem der Poerty-Slam Text!

Also auf auf, zu neuen taten.

Tortist
Tortist
11 Jahre zuvor

Es ist bedauerlich, dass auf den Ruhrbaronen der fundierte, recherierte Journalismus immer mehr verdrängt wird von politischen Phrasendreschertexten.
Pointiert und auch kontrovers zu argumentieren geht anders. Schade.

heskem
heskem
11 Jahre zuvor

Danke für den Artikel. Sehr stichhaltig, inhaltlich substanziell und einen schönen Abschluß in Form des Gedichts. Journalismus wie man ihn sich wünscht, Meinung statt Mainstream.

Und Tortist: du kannst ja WAZ oder Bild lesen.

Tortist
Tortist
11 Jahre zuvor

@Heksem
Wie eine journalistische Aufarbeitung der einer rechten Veranstaltung geht zeigt schön der Artikel von Martin Boettger.Der kann das nämlich.

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[…] Hochburg der „Autonomen Nationalisten“ (Ruhrbarone) […]

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