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Fräulein Nina: „Die Nordstadt ist eine Lebensaufgabe!“

Die Entertainerin Fräulein Nina war eine Ikone der neuen Dortmunder Nordtstadt. Seit 2008 wohnt sie in Hamburg. Im Interview sagte sie uns warum und was sie an der Entwicklung in Dortmunds Norden störte.

Ruhrbarone: Fräulein Nina. Du bist 2008 nach Hamburg gezogen. Ein Verlust, von dem sich das Ruhrgebiet und die Dortmunder Nordstadt ja nur langsam erholen. Warum bist Du gegangen?

Fräulein Nina: Die Gründe waren vielschichtig, ich versuch´s trotzdem kurz: ich war solo, meine WG löste sich auf, mal in Hamburg zu wohnen ein langes Fernziel von mir, die Gelegenheit günstig, die Biege zu machen, denn dank meines Jobs und des Tourgeschäfts wusste ich, dass ich regelmäßig in Dortmund und im Ruhrgebiet Station machen würde. Aber um im Ruhrgebiet Station zu machen, dafür muss man da nicht wohnen. Dann tat sich eine gute Gelegenheit auf, ein Freund hatte eine Wohnung in Hamburg bezogen und bot mir sein Wohnzimmer als Teilzeit-WG-Zimmer an. Ich schlug zu, das ging hoppladihopp. Ich lieh mir einen kleinen Bulli von einer Freundin und packte das Nötigste ein und los ging´s. Meine Eltern waren zu dem Zeitpunkt im Urlaub. Ich schrieb ihnen eine SMS: bin jetzt in Hamburg. Sie schrieben zurück: schön, wir sind auf Sardinien. Dass es hieß, dass ich ab jetzt da wohne, da war ich wohl mal wieder zu schnell, das hatten sie nicht verstanden. Aus künstlerischer Sicht gab es auch einige Anlässe, warum ich nach Hamburg wollte.

Künstlerisch war ich an einem Punkt angelangt, wo ich merkte: entweder, ich bleibe jetzt hier und spiele an den immer gleichen Orten, dafür regelmäßig und ganz gut bezahlt und reproduziere, kopiere und imitiere mich immer wieder selbst, bis die Leute im Publikum synchron meine Texte mitsprechen und mitsingen können.

Hast Du in Hamburg bei Null angefangen oder gab es schon ein paar Leute die Fräulein Nina kannten?

Aus der künstlerischen Branche kannte ich niemanden, aber einige meiner Freunde waren einige Jahre zuvor auch schon nach HH gezogen. Ich bin mal zu meiner Ruhrgebiets-Zeit im Bahnhof Langendreer bei Bernd Begemann mit auf die Bühne gehüpft, als er fragte, ob Jemand im Publikum die Duettstimme samt Text zu „irgendwie klappt es mit uns“ kennt und habe das mit ihm gesungen. Das war aber für lange Zeit, auch als ich schon in Hamburg war, die einzige Begegnung, die ich überhaupt in der Weise hatte – von Kennen konnte hier keine Rede sein.

Was anders beim Neustart in Hamburg?

Im Ruhrgebiet gab es Unterstützung von Freunden, der Familie, einen Proberaum, das subrosa als Heimatbühne und eben Dortmund als Stadt, die Lust hatte, mich zu „entdecken“ und zu erkunden. Schnell gab es viele Konzerte, Presseberichte und Konzertbuchungen. In Hamburg war ich ohne Band und war bereits ein Jahr vorher dazu übergegangen, dem Schreiben mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Kurzum: im Ruhrgebiet war ich jünger, ständig unter vielen inspirierenden und inspirierten Leuten, machte vor allem Musik und war überall willkommen. In Hamburg wohnte ich anfangs eher abseits, hatte Zeit, mich, meinen kleinen Schreibtisch und einen Computer. Zeit für Demut, Wehmut, Heimweh, statt sonst Fernweh nach HH, Zeit zum Schreiben. Eine Art selbstverordnetes Schreib-Exil.

Du warst auch sehr stark in und für die Nordstadt engagiert. Hattest Du auch das Gefühl, es geht da nicht mehr weiter?

Die Nordstadt ist eine Lebensaufgabe! Ich bin das für einige Jahre angetreten und es kam aus dem Viertel und unmittelbar aus mir selbst heraus, da was zu tun und Leuten klar zu machen, wie schön es dort ist. Das finde ich heute immer noch, aber auch hier drehten sich die Bemühungen und die Personen, die sich in der Nordstadt engagierten scheinbar im Kreis. Damit will ich überhaupt nicht sagen, dass nichts voran geht, im Gegenteil. Ich freue mich sehr über die Entwicklungen der Kultur- und Lokalakteure außerhalb von Unternehmen wie der steg, oder so, sehr. Ich hoffte lange auf den Zuzug vieler anderer, bewegter, interessanter Menschen, die auch dann und wann mal herein gekleckert kommen in die Nordstadt. Trotzdem war mir das nicht genug, ich musste mich wegbewegen, weil ich ja neben meiner Liebe zur Nordstadt auch meine neuen künstlerischen Ziele nicht aus den Augen verlieren wollte.

Außerdem gefiel mir nicht die von außen konstruierte, aufgezwungene und damit vermeintliche Aufwertung des Viertels als kreativwirtschaftlicher Standort – das ist eine große Frechheit gewesen und läuft meines Erachtens auch völlig an den Bedürfnissen der Hauptbewohnerschaft der Nordstadt, die nicht künstlerisch ist, vorbei.

Wer hat die denn konstruiert? Dortmund hat doch in diesem Bereich auf den U-Turm gesetzt, weil es da Fördergelder gab. Ein wirkliches Interesse am Thema Kreativwirtschaft gab es doch nie.

Ich hatte das so verstanden, dass das U unter anderem auch die Pforte zur Nordstadt und dem bunten Leben dort werden sollte. Es gab hier regelmäßig über die Urban-II-Gelder kleineffektige Aktionen, z.B. die farbige Ausleuchtung der Bahnunterführung an der alten Fritz-Brinkhoffs-Straße von der Nordstadt Richtung Westend.

Spätestens ja auch zum Kulturhauptstadt Jahr hieß es ja auf einmal, ganz Dortmund sei total kreativ und kreativwirtschaftlich. Ich erinnere mich auch an ein Gründungstreffen, geleitet von der steg, im Jahr 2007 für die „Kulturmeile Nordstadt“. Da habe ich mich auch sehr drüber aufgeregt. 2 vollbezahlte Angestellte hatten einen kreativen Stadtplan der Nordstadt erstellt und dann am Ende ihrer Wirkenszeit die Akteure zu den Standorten zum Gespräch eingeladen und gefragt, wer jetzt ehrenamtlich welche Aufgaben von den Künstlern und Kulturschaffenden übernimmt, die sich sich zur Sicherung und Ausweitung des kreativwirtschaftlichen Standorts für uns ausgedacht hatten. Ich hab dann kurz gesagt, wie hoch mein Beratungshonorar in dem Zusammenhang wäre und ich wurde als die „Undankbare“, der man eine Chance bietet, abgestempelt. Konnte dennoch an einigen Stellen meine Kritik platzieren, trotz meiner Position der Spielverderberin.

Ist das in Hamburg anders? Oder existiert dort die sagenumwobene Kreativwirtschaft auch nur als Simulation? In Berlin hat man ja das Gefühl, dass das oft nur kaschierte Arbeitslosigkeit ist.

Eigentlich läuft das in allen Städten immer ähnlich ab, glaube ich. Aber es ist ganz schön, wenn sich die Gesichter und die Umgebung zwischendurch mal ändert.

Und was jetzt Kunst und was kaschierte Arbeitslosigkeit ist obliegt nicht meiner Bewertung. Vielleicht ist in diesen Zeiten ja gar der Status des Arbeitslosseins auch schon wieder Kunst, wer weiß. Aber ich kann sagen, dass es zum Beispiel in Hamburg viel selbstverständlicher ist, dass Leute Kunst machen und darin ernst genommen, auch wenn sie nebenbei noch kellnern oder Kohle vom Amt beziehen. Vielleicht einfach auch nur aus dem Grund, weil speziell St. Pauli einfach ein Ballungsgebiet ist von Künstlern oder welchen, die gerne welche wären, darin aber auch herzlich willkommen sind.

Ich fühle mich hier, im Gegensatz zu Dortmund, etwas von der Pflicht entbunden erfolgreich zu bleiben oder noch erfolgreicher zu werden. Ich bin hier und ich tue, was ich kann und das ist eben meistens Kunst.

Der künstlerische Alltag fällt mir hier leichter.

Du hast auch mal gesagt, dass die Leute in Hamburg politisch schneller zu mobilisieren sind und nicht so lethargisch seien wie im Ruhrgebiet.

Ja, den Eindruck habe ich. Wähne mich hier in einem kleinen, traditionell-politischen Epizentrum der Republik und stelle fest, dass mir das gut tut.

Was genau ist anders?

Es scheint mir hier Teil der Kultur zu sein, sich im Alltag selbstverständlicher, auch einfach mal auf der Straße mit Leuten, die man vielleicht noch nicht mal kennt, über das, was abgeht, auszutauschen. Das schlägt sich auch im Stadtteilbild nieder. Nicht selten ist bei mir unterm Fenster irgendeine Spontan-Demo oder sozialkritische Kunstperformance zu sehen.

Oder beispielsweise auch bei Festnahmen rundum die Reeperbahn mischen sich häufig Passanten ein und fragen bei der Polizei nach, warum sie jetzt Jemanden mitnehmen, was er getan haben soll und gleichen es ab mit ihren Beobachtungen der Ausgangssituation. Das lässt mich besser schlafen.

Um das aber nicht zu stark zu verklären: natürlich gibt es auch hier das andere, Wegsehen bei Ungerechtigkeiten und Gewalt usw., klar, das gibt es ebenso hier, wie auch anderswo.

Kommen wir zum Ende: Wann bist Du wieder im Ruhrgebiet zu sehen und wo?

Da muss ich jetzt aber lachen. Nach der Sommerpause schließe ich nach einer kleinen Veranstaltung, die hier vor 3 Tagen in Hamburg stattgefunden hat, fünf Auftritte im Ruhrgebiet an: am 16.September bin ich zu Gast bei der deutsch-italienischen Gesellschaft in Bochum, am 17. September mit Murat Kayi in Migrantenpop im Hans- Blücher (nicht Hans Albers!)- Park in der good old Nordstadt, am 24. September mit Guten Tacheles (Tobi Katze, Torsten Sträter, Murat Kayi) auf der Kulturbühne der DEW21 und am 25. September mit der Theaterrevue „Aus Kindern werden Leute, aus Mädchen werden Leute“ im Spiegelzelt zusammen mit dem Bräute-Ensemble und am 5. Oktober mit Migrantenpop im FZW. Zwischendrin und vor allem danach erst geht´s nach Köln, Düsseldorf, Basel, Zürich, Bad Oldesloe und Berlin und zwischendurch immer wieder auftanken in Hamburg.

Fräulein Nina und Bernd Begemann:

 

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