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In Ewigkeit Ameisen am Schauspiel Dortmund

Julia Schubert, Bettina Lieder in In Ewigkeit Ameisen (Foto: Matthias Seier)
Julia Schubert, Bettina Lieder in In Ewigkeit Ameisen (Foto: Matthias Seier)

Mit „Einige Nachrichten an das All“ hatte Kay Voges einen der ersten ganz großen Erfolge am Schauspiel Dortmund. Aus dem Text von Wolfram Lotz machte er einen Film, den er als Vorstellung im Theater zeigte. Die mediale Unschärfe wohnt allen Lotz-Texten inne. Das derzeit vielgespielte „Die lächerliche Finsternis“ ist ursprünglich ein Hörspiel, funktioniert aber ebenso auf der Theaterbühne. Auch „In Ewigkeit Ameisen“ ist zunächst Hörspiel gewesen. Doch Lotz‘ Texte hantieren ohnehin immer mit der Verwirrung der Mittel. Seine Besetzungslisten enthalten oft reihenweise so detaillierte wie kaum realisierbare Darstellerangaben und in seinen Regieanweisungen findet sich massenhaft völlig unmögliches. Fast könnte man daraus schließen, dass diese Texte gar nicht für die Bühne geschrieben seien, sondern für die reine Lektüre. Das Gegenteil ist allerdings der Fall, wie etliche zwingende Inszenierungen seiner Stücke beweisen. Eine ganz kleine und verschämt als „szenische Lesung“ titulierte, ist jetzt wieder in Dortmund im Megastore zu sehen.

Die Darstellerinnen Bettina Lieder und Julia Schubert haben sich „In Ewigkeit Ameisen“ vorgenommen. Uwe Schmieder und Frank Genser spielen per Video mit und die Einrichtung übernahm Wiebke Rüter. Auch in „In Ewigkeit Ameisen“ zeigt sich deutlich, warum Wolfram Lotz derzeit einer der gefragtesten deutschsprachigen Theaterautoren ist. Er versteht es auf brillante Art, eine absurde und durchaus auch brüllkomische Geschichte mit aktuellen Themen und hochintelligenten Spielen mit der Wahrnehmung der Zuschauer aufzuladen.

Schubert und Lieder beginnen den Abend erst einmal damit, sich vorzustellen. Ausbildung , Karrierestationen, Rollen werden ausgebreitet. Lieder die erfolgreiche Überfliegerin, Schubert die Versagerin, die nur in Rostock (!) studiert hat und es eigentlich nie zu etwas bringen wird. Die Konstellation ist nicht zufällig, denn nahtlos setzt sich das soziale Gefälle zwischen den beiden fort, wenn sie in ihre Rollen als Professor Schneling-Göbelitz und dessen Assistent Müller wechseln. Gemeinsam sind sie im Urwald unterwegs auf der Suche nach einer sagenumwobenen blauen Ameise, deren Entdeckung Schneling-Göbelitz den ewigen Nachruhm sichern soll. Erschwert wird die Suche durch den absurden Umstand, dass der Professor im Rollstuhl sitzt. Doch so sehr er dadurch eigentlich auf Müller im weglosen Urwald angewiesen ist, stellt er doch immer wieder auch seine Unabhängigkeit aus, denn letztlich könnte er ja auch den Motor des Rollstuhls benutzen, wenn Müller ausfallen sollte. Dass ganz nebenbei auch noch der finale Atomkrieg tobt, ist nur Grund für noch etwas mehr Eile. Schließlich muss die Ameise noch nach dem Professor benannt werden, bevor alles untergeht. Einzige Verbindung zum Rest der Welt ist ein Radio. Uwe Schmieder und Frank Genser sind die Radiosprecher, die per Video (Video: Jan Voges) aus einer anderen Weltuntergangsszene am Schauspiel Dortmund zugeschaltet werden: Becketts Endspiel.

Über weite Stecken erzählt Lotz ganz straight eine absurde Geschichte, doch dann tun sich immer mehr Risse in der theatralen Realität auf, bilden Krater und lassen schließlich das Konzept der Bühnenrepräsentation genauso explodieren, wie in ihr gerade die Atomkriegswelt explodiert. Lieder und Schubert fallen scheinbar aus den Rollen, reflektieren wieder darüber, was, warum und wie sie da spielen und doch ist dieses Zerbröseln der Spielhandlung immer auch wieder selbst als Spiel erkennbar. Oder auch nicht. Hier liegt die Meisterschaft von Lotz‘ Text, die von den beiden Schauspielerinnen mit viel Lust kongenial umgesetzt wird. Die Spirale dreht so unerbittlich weiter, bis der Zuschauer völlig aus der Bahn gerät und nirgends mehr festen Halt hat. Und schon gar nicht in der Schlußapotheose, in der Bettina Lieder plötzlich selbst als blaue Ameise (Kostüme: Vanessa Rust) erscheint.

Diesen Abend nur als szenische Lesung abzutun, wäre falsch. Auf überaus intelligente Art und Weise nutzt die Regie von Wiebke Rüter das Medium der Lesung, um eine weitere Ebene einzuziehen, die es zu zerstören gilt. Und was Lieder und Schubert hier zeigen, ist vollwertiges Schauspiel auf überaus hohem Niveau.

Termine: 13.5., 19.6., Schauspiel Dortmund, Megabar

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