In Stuttgart wollen Teile der Fans das ‚Commando‘!

Fredi Bobic. Quelle: Wikipedia, Foto: RudolfSimon, Lizenz: CC BY-SA 3.0
Fredi Bobic. Quelle: Wikipedia, Foto: RudolfSimon, Lizenz: CC BY-SA 3.0

In den letzten Wochen haben wir hier bei den Ruhrbaronen wiederholt über den Unterschied, die Vor- und Nachteile sogenannter ‚Traditionsclubs‘ im Profifußball im Vergleich zu den sogenannten ‚Werksclubs‘ diskutiert. Erinnert sei in diesem Zusammenhang noch einmal an die Vorbehalte vieler Traditionalisten unter den Fußballfreunden gegenüber Clubs wie RB Leipzig, welche von großen Sponsoren bzw. sogar von Industriekonzernen gelenkt bzw. zumindest beeinflusst werden.

Das allerdings auch die Verhältnisse bei den sogenannten Traditionsclubs nicht immer günstige Arbeitsbedingungen für die Verantwortlichen im Millionengeschäft Bundesliga bieten, das erlebt man gerade aktuell am Beispiel VfB Stuttgart, wo einige Vertreter der sogenannten ‚Ultras‘ zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt, unmittelbar vor einen wichtigen Heimspiel, jüngst mit einem Protestschreiben für viel Unruhe sorgten und auch großes Unverständnis bei vielen Beobachtern dafür ernteten.

Was ist passiert? Der Deutsche Meister des Jahres 2007 kommt bekanntlich aus einer sehr schweren Saison, konnte unter ‚Feuerwehrmann‘ Huub Stevens im Traineramt erst kurz vor Saisonende im Mai den Klassenerhalt sichern. Zuvor waren sowohl Trainer Bruno Labbadia als auch der neue Co-Trainer der Nationalmannschaft Thomas Schneider mehr oder weniger kläglich an der Aufgabe gescheitert aus dem im VfB wieder eine verlässliche Größe der Liga zu formen.

Im Sommer dann die Neuverpflichtung von Trainer Armin Veh, welcher aus Frankfurt an den Neckar zurück wechselte, wieder zu dem Verein mit dem er 2007 Deutscher Meister wurde. Doch auch der Saisonstart unter Veh brachte bisher nicht den gewünschten sportlichen Erfolg. Dem Pokal-Aus beim Zweitligisten in Bochum folgten Misserfolge in der Bundesliga, so dass die Stuttgarter nach drei Spielen mit nur einem Tor und einem Punkt auf der Habenseite erneut das Ende der Tabelle zierten. Dass das die Anhänger der Schwaben grundsätzlich nicht freut ist klar. Doch dass dann ausgerechnet vor dem Heimspiel gegen 1899 Hoffenheim ein ‚Offener Brief‘ einer Ultraorganisation für Schlagzeilen sorgt, in dem man offen mit dem Bruch zu den Verantwortlichen droht, faktisch die Trennung von Präsident und Sportdirektor forciert und letztendlich mit ‚Liebesentzug‘ gegenüber dem eigenen Verein droht, das gibt auch der Diskussion rund um die Vor- und Nachteile der sogenannten Traditionsclubs gegenüber den ‚Werksclubs‘ neuen Zündstoff.

Hier zunächst einmal der Wortlaut der jüngsten Stellungnahme der besagten Stuttgarter Ultras:

„Der freie Fall – Wir haben die Schnauze voll

Die Entwicklung unseres VfB seit der Meisterschaft 2007 schmerzt jeden VfB-Fan. Seither befindet sich ein Traditionsverein im freien Fall – ohne Ausblick auf Besserung. Das Vertrauen in die handelnden Personen ist gänzlich verschwunden. Warum das aus unserer Sicht so drastisch formuliert werden muss, wollen wir nachfolgend darlegen.

Die Mannschaft

Nicht erst seit dem vergangenen Abstiegskampf wird deutlich, dass nur sehr wenige Spieler Verantwortung übernehmen wollen und dabei selten einen glücklichen Eindruck hinterlassen. Einen Lautsprecher mit Substanz, der das Gebilde Mannschaft in schwierigen Situationen zusammenhält, sucht man vergebens. In anderen Vereinen – mit oftmals deutlich kleinerem Budget – gibt es ähnliche Probleme, dort aber treten die Spieler als Team auf, in dem persönliche Befindlichkeiten keine Rolle spielen. Der VfB hingegen hat im Moment kein Wir-Gefühl. Verantwortung ist für einen Großteil der Mannschaft ein Fremdwort. „Das müssen Sie die Älteren fragen“, antwortete Moritz Leitner nach dem Spiel in München auf die Fragen der Journalisten und wirkte dabei wie ein beleidigtes Kind. Wenn man von nicht vorhandenem Teamgeist spricht, muss man auch zweifelsohne von nicht vorhandener Hierarchie sprechen. Spieler, die augenscheinlich voran gehen wollen, werden von ihren Kollegen nicht ernst genommen. Warum auch, es fehlt schließlich so einigen an den spielerischen Fähigkeiten, sich unersetzlich zu machen. Und manchen schlichtweg an der Identifikation mit dem Verein.

Der Sportvorstand

Das Stichwort Hierarchie führt uns unweigerlich zum Sportvorstand Fredi Bobic. Es ist an der Zeit, einem verdienten Ex-Spieler ein miserables Arbeitszeugnis als Manager auszusprechen. Kaum ein Neuzugang schafft den Durchbruch, kaum eine Neuverpflichtung entwickelt sich weiter und – zurück zum vorherigen Punkt – keine Neuverpflichtung übernimmt Verantwortung auf dem Platz oder stabilisiert die Hierarchie in der Mannschaft. Wer von sich behauptet, beim Kauf von neuen Spielern vor allem auf die Mentalität zu achten, der muss die genannten Probleme erkennen und lösen. Doch nichts dergleichen geschieht. Nur die wenigsten Verpflichtungen setzen sich überhaupt durch – von Spielern, die voran gehen, ganz zu schweigen. Woche für Woche sehen wir eine konzeptlos zusammengekaufte Mannschaft ohne Grundgerüst und Linie. Stattdessen werden junge Spieler – ohne Zweifel Talente – zu zukünftigen Nationalspielern hochgelobt und der Hierarchie so zunehmend geschadet. Die Transferbilanz ist katastrophal. Die falschen Spieler werden geholt, die falschen abgegeben und die falschen bleiben. Resultat ist ein völlig aufgeblähter Kader, gespickt mit Mittelmaß. Verdeutlichen lässt sich diese Bilanz durch einen Blick auf die aktuelle Torjägerliste. Platz eins teilen sich Shinji Okazaki und Julian Schieber, während man in Stuttgart bereits seit April auf ein Stürmertor warten muss.

Der Präsident

„Mittel- und langfristig ist nach wie vor die Champions League das Ziel, auch wenn das jetzt überheblich klingt“, so Bernd Wahler nach neun sieglosen Spielen und dem unrühmlichen Unentschieden gegen den Tabellenletzten Braunschweig im vergangenen März. Aussagen wie diese haben ebenso wenig einen positiven Effekt wie das Versprechen von Krachern auf dem Transfermarkt. Wer Namen wie Gomez oder Khedira in den Ring wirft, schürt nichts als Euphorie und eine viel zu hohe Erwartungshaltung, die sich bei Nicht-Erfüllen dann logischerweise in Pfiffen niederschlägt. Wenn dann im Endeffekt bei einem Absteiger unter anderem ein verletzter Spieler eingekauft wird, dann verkennt man die Realität und erhöht den Druck auf die Neuverpflichtungen unnötig. Der nächste, scheinbar völlig unbekümmerte Vorstoß ist brandaktuell. Nach Informationen der Stuttgarter Zeitung sollen mindestens zwei junge Talente pro Saison an die Bundesliga herangeführt werden, vertraglich mit dem Trainer festgeschrieben. Trotz der guten Jugendarbeit gibt es aber auch in Stuttgart keine jährliche Garantie auf Talente mit Starpotenzial. Wir werden den Eindruck nicht los, dass Bernd Wahler zwar in der Öffentlichkeit besser ankommt als sein Vorgänger, allerdings kaum kompetenter ist. Denn wer seinem Sportvorstand vertraut, installiert kein Beratergremium, das über keinerlei Entscheidungskompetenzen verfügt und im vollkommenen Widerspruch zu schlanken und effizienten Strukturen steht. Wer ihm nicht vertraut, zieht drastischere Konsequenzen. Mit einem Präsidenten, der bei schlechtem Wetter Visionen hat und beim Heimspiel gegen Braunschweig in der letzten Saison kein Wort an eine fragende Kurve richten wollte, ist dem Verein nicht geholfen. Der VfB braucht keinen lustigen Repräsentanten, der Luftschlösser baut, er braucht einen Krisenmanager, der klar vermittelt, wie er den Karren aus dem Dreck ziehen will.

Eine einmalige Finanzspritze in Form einer Ausgliederung der Profiabteilung verbunden mit einem Einstieg von Investoren wird derzeit als Allheilmittel verschrien. Solche gefährlichen Mätzchen sind unserer Meinung nach völlig unnötig. Wenn die handelnden Personen ihr Handwerkszeug beherrschen und die vorhandenen Mittel optimal verwenden würden, wäre der VfB schon jetzt konkurrenzfähig. Zusätzliches Geld würde derzeit wohl noch schneller versickern als damals die Gomez-Millionen.

Die Fans

Trotz der unterirdischen Vorsaison wurden wieder knapp 30.000 Dauerkarten verkauft. Dieser Zuspruch ist ebenso bemerkenswert wie die mehreren Tausend Teilnehmer der diesjährigen Karawane Cannstatt, die wohlgemerkt nach dem Pokal-Aus in Bochum stattfand. Die weiß-rote Fangemeinde hält zum VfB wie eh und je. Bereits im vergangenen Abstiegskampf haben die Fans bewiesen, wie leidensfähig und geduldig sie sind. Sie haben trotz großer Unzufriedenheit ihren Verein bis zur letzten Minute unterstützt. Wenn jetzt einige Spieler oder Verantwortliche eine Mitschuld auf den Rängen suchen, dann ist die Schmerzgrenze eindeutig erreicht. Die vergangene Saison ist nicht vergessen, und so sprechen im Moment 37 Spiele und 33 Punkte Bände.

– Wir wollen keine Ausreden mehr hören, das Maß ist voll!

– Die Probleme müssen endlich gelöst werden, bevor man es im dritten Anlauf seit 2011 schafft, das Schiff vollends zu versenken!

– Unser Geduldsfaden ist kaum noch existent! Eine weitere “Zusammenhalten-Saison” wird es mit uns nicht geben!

Commando Cannstatt im September 2014“

 

Müßig zu erwähnen, dass der VfB auch sein Heimspiel am Samstag gegen Hoffenheim dann anschließend mit 0:2 verloren hat, nun Tabellenletzter ist…

In diesem aktuellen Fall stellt sich für den Beobachter nun gleich eine ganze Reihe von Fragen:

Haben die Ultras hier in diesem Fall ihrem Verein nicht einen Bärendienst erwiesen, indem sie den völlig falschen Zeitpunkt für ihre durchaus berechtigten Fragen und sorgen gewählt haben?

Kann man nach nur wenigen Saisonspielen überhaupt schon eine wirkliche Standortbestimmung vornehmen?

Wird die Kritik der Fans so nicht zu einer zusätzlichen Belastung für Trainer Veh und seine Jungs?

Zudem stellt sich generell die Grundsatzfrage inwieweit solche Versuche der indirekten Einflussnahme auf die Vereinspolitik von einigen Außenstehenden statthaft bzw. sinnvoll sind. Denn auch ein paar hundert Ultras repräsentieren ja nicht die Meinung aller Fans, werden selbst untereinander vermutlich zumindest im Detail unterschiedliche Ansichten und Meinungen vertreten.

Dass man die Arbeit der letzten Jahre, gerade vielleicht auch von Fredi Bobic, durchaus kritisieren kann dürfte ja klar sein. Doch fällt gerade die Ausbildung eines Teamgedankens bei der Mannschaft nicht auch in das Verantwortungsgebiet des Trainers? Dieser wird von der Kritik aber ausdrücklich ausgenommen, da er erst kurz wieder beim Verein ist.

Generell fällt auf, dass es in der vereinsinternen Kommunikation des VfB aktuell nicht zu stimmen scheint, wenn sich zahlreiche Fans zu so einer Aktion genötigt fühlen. Man hätte solche Dinge doch eigentlich auch intern ansprechen können, vielleicht sogar müssen. Dass dies offenbar nicht geschah, oder so nicht möglich war, das sollte diejenigen die es mit den Stuttgartern halten vielmehr beunruhigen.

Denn eigentlich kann es ja nicht angehen, dass am Ende die Ultras die Personalpolitik des Vereins bestimmen…

Und schon sind wir auch wieder bei der Diskussion um die Werksclubs. Denn genau das wird an diesen gerne kritisiert. Häufig heißt es, die Fans hätten dort zu wenig Mitspracherecht. Beim Beispiel VfB könnte man die Frage umgekehrt stellen: Ist eine solche versuchte Einflussnahme von Fans nicht am Ende nachteilig für einen Verein? Zumal zu diesem Zeitpunkt…

Ein Club kann sich doch eigentlich nicht von einigen seiner Anhänger so massiv in die Vereinspolitik hineinreden lassen. Und jetzt wo die Saison gerade einmal gestartet ist kann man nicht ernsthaft über einen Wechsel im Sportdirektorenamt sprechen.

Die Aktion der Ultras sorgt nur für unnötige Unruhe. Die Transferperiode ist eh gerade beendet. Zumindest die laufende Hinrunde sollte man die Verantwortlichen beim VfB also ohnehin wohl besser noch in Ruhe arbeiten lassen.

Die Diskussionen über den Wettbewerb zwischen Tradition und Kommerz wird so etwas jedenfalls weiter befeuern. Und wohl nicht im Sinne der Traditionalisten, steht zu befürchten… Der VfB Stuttgart droht so, bei weiteren sportlichen Misserfolgen, schon bald endgültig in Streit und Missgunst zu versinken.

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Randoll Jama
Randoll Jama
9 Jahre zuvor

Wieso sind Ultras bei einem Verein „Aussenstehende“? Sie gestalten den Verein (meist auch als Mitglieder) doch nicht weniger als zb ein Trainer oder Spieler, im Gegenteil.

Thomas Weigle
Thomas Weigle
9 Jahre zuvor

Ich weiß gar nicht, was die Fans des VFB haben. Immerhin hat der VFB doch mehr Perspektive als die SGE. Und die hat immerhin schon 5 Punkte. Da sollten die Fans mit der Kehrwoche im Vorstand des VFB noch ein wenig zuwarten.

Thomas Weigle
Thomas Weigle
9 Jahre zuvor

Da hast du natürlich recht, Robin, nur, wann sind wir Fans denn schon mal rational in Bezug auf UNSEREN Verein unterwegs. Kommt hinzu, dass die Fans im Spätzleland ja nun schon länger von IHRER Mannschaft gepiesackt werden bis der Arzt bzw. der Veh kommt. Und immer noch keine Besserung, und dann auch noch gegen Hoffenheim verlieren, Höchststrafe für die Fans. Schlimmer käme wohl nur eine Niederlage gegen die Kickers aus Degerloch, aber die sind ja NOCH zwei Klassen entfernt.

Thomas Weigle
Thomas Weigle
9 Jahre zuvor

Jau, das kenn ich bei mir auch, vor allem wenn die Rote Laterne kommt, wie letzthin Augsburg und der Eintracht heimleuchtet, gerne auch mit Hilfe des Schiris oder versagender Technik.

WALTER Stach
WALTER Stach
9 Jahre zuvor

Wo ausschließlich „basisdemokratisch“ gelenkte und bestimmte Organisatonen enden, erleben wir zur Zeit bei den PIRATEN.
„Erschwerend“ kommt hier noch dazu, daß die ULTRAS nicht d i e Basis sind, sondern nur eine Teilmenge.

WALTER Stach
WALTER Stach
9 Jahre zuvor

Robin,
sind die Stuttgarter auf dem besten Wege, sich am HSV der Spielzeit 2012/2o13 bzw. an dessem chaotischen Gesamtzustand zu orientieren?

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