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Kuratoren außer Rand und Band

R&P im Pott soundraumDie Entstehung und historische Entwicklung der Rock- und Popmusik im Siedlungsverband Ruhrkohlebezirk (SVR) seit dem Jahr 1956 bis in die Gegenwart, dargestellt an über Eintausend ausgestellten  Exponaten wie bebilderten Schallplattenhüllen, elektronisch verstärkten Musikinstrumenten und dekorativen Großdrucken veranstaltet vom Ruhr Museum auf dem UNESCO Welterbe Zollverein in der Ruhrmetropole Essen im Jahr 2016 anno domini Jesu Christi.

Herbert Grönemeyer hat 1984 nicht nur der titelgebenden Stadt Bochum, sondern dem ganzen Ruhrgebiet eine inoffizielle Hymne geschrieben. Das führt dazu, dass man außerhalb des Ruhrgebiets beim Thema Pottrockpop in erster Linie an Herbie und seine Songs denkt. Das wird der tatsächlichen Vielfalt von sechzig Jahren Rock- und Popgeschichte, die im Ruhrgebiet ihre Spuren hinterlassen haben, nicht gerecht. Hier sind tausende von Bands entstanden, von denen manche heute noch existieren, von denen einige erfolgreich wurden und zu internationalem Ruhm gelangten, während anderen dieser Erfolg nicht beschieden war. Was sie alle gemeinsam haben ist, dass sie Teil der Kulturgeschichte des Ruhrgebiets geworden sind. Diesen Teil will die Ausstellung Rock und Pop im Pott für den Besucher sichtbar machen. Soweit, so löblich.

 

Zu Beginn der Ausstellung führt der Weg den Besucher zum zentralen Soundraum, wo mit einer multimedialen Einspielung die vitale und facettenreiche Musikszene des Ruhrpotts erlebbar gemacht wird. „Denn eine Ausstellung über Rock und Pop im Ruhrgebiet kann ja schlecht das flüchtige Phänomen Musik in die Vitrine legen, sondern nur deren Verdinglichung und Begleiterscheinungen in Form von Gegenständen und Musikinstrumenten aus der Musikwelt und ihrer Geschichte.“ (Ausstellungskatalog) Doch im Soundraum nimmt der Hit-Mix den Besucher mit auf eine Zeitreise durch die Musikszene Ruhr seit den 1980er Jahren. Es gibt ein Wiederhören mit den Hits der Neuen Deutschen Welle, mit Nena, Extrabreit, Geier Sturzflug, die Kassierer und natürlich auch Herbert Grönemeyer. Der audiovisuelle Parcour durch Zeiten und Stile mixt Hip Hop, trifft House, trifft Deutschrock, trifft NDW, trifft Welthit. Damit ist der Soundraum der emotionale Kern  der Ausstellung, der Hit Mix trifft den Zuhörer mitten ins Herz. Großartig!

Draußen geht es weiter mit Input für das Hirn: Der chronologische Rundgang im Hauptausstellungsraum kann von den Besuchern je nach individuellem Interesse durch Umwege durch die 14 flankierenden Seitenkabinette gestaltet werden, in denen Einzelthemen wie Musik und Mode behandelt werden, oder wo man zu Musik tanzen und sich selbst dabei zusehen kann (Tanzraum). Am größten ist das Kabinett mit dem Titel Gruppenbild; der mit mehr als 700 Covern von Schallplatten, CD’s und Kompaktkassetten der Bands des Ruhrgebiets aus sieben Jahrzehnten deutlich machen soll, dass das Ruhrgebiet seit den 1950er Jahren Heimat und Tummelplatz einer unglaublich vitalen und facettenreichen Musiker- und Bandszene ist. Doch der Effekt verfehlt seine Wirkung komplett; vor lauter Covern sieht man die Musikszene nicht mehr, es kommt einem so vor, als ginge man durch eine seelenlose, schrillbunte Musiktapeterie.

Der chronologische Rundgang widmet sich nach den Anfängen des Rock und Pop im Pott den wichtigen Veranstaltungsformaten, die hier kreiert wurden und Strahlkraft über das Ruhrgebiet hinaus entfalteten, wie beispielsweise die internationalen Essener Songtage, das internationale Essener Pop und Bluesfestival, die Rockpalast Nacht, Bochum Total und die Loveparade.

Einem weiteren thematischen Schwerpunkt der Ausstellung sind popmusikalischen Stilrichtungen wie Punk, Heavy Metal, Techno und Hip Hop und ihrer Entwicklung im Pott gewidmet. Das Kapitel Musik-Industrie-Gebiet beschäftigt sich mit der Produktion und Vermarktung, Kommerzialisierung und  Merchandising werden ebenfalls thematisiert. Dem Produzenten und Vorstandsvorsitzenden des Bundesverbandes Musikindustrie e.V. Professor Dieter Gorny, dessen rühmliche Rolle für das Ruhrgebiet als einer der vier künstlerischen Direktoren der RUHR 2010 – Kulturhauptstadt Europas unter anderem darin bestand, sich vehement für die Ausrichtung der Loveparade 2010 in Duisburg zu engagieren, wird mit einem schön gerahmten Foto angemessen gehuldigt, was auch deswegen richtig ist, da Herr Professor Gorny sich als Geschäftsführer des  als Instituts der RUHR 2010 gegründeten European Centre for Creative Economy (ECCE) weiterhin, europaweit und mit ungebrochenem Elan für die Kreativwirtschaft engagiert.

Ruhr-Pop wird als Erfolgsrezept beschrieben, dafür stehen Extrabreit (Hagen), Nena (Hagen) und natürlich Herbert Gränemeyer (Bochum). Leider ist das jüngste und  dunkelste Kapitel den Ausstellungsmachern nur ein lächerlicher Nebensatz wert: Die Katastrophe bei der Loveparade 2010 in Duisburg, bei der am 24. Juli 2010 im Eingangsbereich zum Veranstaltungsgelände 21 Menschen im Gedränge ums Leben kamen und über 500 verletzt wurden, passt genau so wenig in das Ausstellungskonzept von Ruhr-Pop als Erfolgsrezept, wie die Tatsache, dass das Unglück bis heute juristisch noch nicht aufgearbeitet worden ist und die dafür Verantwortlichen immer noch frei herumlaufen. Diese Leerstelle – beispielsweise mit einem Raum der Stille oder Ähnlichem – angemessen zu füllen, wäre eine Frage von Anstand und Respekt gegenüber den Angehörigen und Opfern der Katastrophe gewesen, dass sie Leerstelle bleibt, ist peinlich und erbärmlich!

Die vitrinistische Szenografie eines musikalischen Themas

Die Ausstellungsmacher behaupten im Katalog zur Ausstellung, dass ihnen schnell klar wurde, „dass eine Ausstellung über Rock und Pop im Ruhrgebiet keinesfalls verwechselt werden darf mit dem Erlebnis eines echten Livekonzerts. (…) Dennoch fanden wir, dass es die Musik selber sein muss, die eine maßgebliche Rolle bei der Inszenierung spielen sollte. So war schnell klar, dass das zentrale Mittel zur emotionalen Aufladung der Ausstellung das Musikhören selbst sein muss, also das unmittelbare Erleben der Rock- und Pop-Musik aus dem Pott.“ (S.20).

 

Alles so schön bunt hier - Die Szenografie der Ausstellung Rock & Pop im Pott
Alles so schön bunt hier – Die Szenografie der Ausstellung Rock & Pop im Pott

Leider fällt dieser kluge Satz nur im Zusammenhang mit dem Soundraum und scheinbar sollte er auch nur für diesen gelten, denn ansonsten fällt die Ausstellung – abgesehen von Soundraum und interaktivem Tanzkeller – extrem vitrinenlastig aus. Die Ausstellungsmacher stellen sämtliche verfügbaren Gegenstände zum Thema in Vitrinen aus und hätte der Bayernkönig Ludwig II ein Faible für Rock und Pop im Pott gehabt, dann könnte man sich diese Ausstellung etwas umlackiert auch auf Neuschwanstein vorstellen. Die in Primärfarben angelegte, raumgreifende Bodengrafik zitiert die Pop Art und soll die Großtypografie und das Kistensperrholz als Grundmaterial aller Einbauten als Reminiszenzen an temporäre und improvisierte Bauten miteinander verbinden, wie Hannes Bierkämper im Katalog zum Gestaltungskonzept schreibt.

Alles so schön artig hier: Plakate in Kiefernvitrine in der Ausstellung Rock und Pop im Pott
Alles so schön artig hier: Plakate in Kiefernvitrine in der Ausstellung Rock und Pop im Pott

Nur leider bleiben die Einbauten trotz dem Sperrholz doch Einbauten und die Vitrinen bleiben Vitrinen, in denen die Lederjacken der Rockrampensäue eingesperrt wirken und den letzten Rest ihrer explosiven Energie, die sie einstmals auf der Bühne mittrugen, längst ausgehaucht haben. Immerhin geben die Medieneinheiten die Möglichkeit, Filmdoku- und Musikausschnitte anzusehen, dafür hätte man sich beim soundlastigen Thema allerdings für den Stereo-Effekt richtige Kopfhörer gewünscht.

Rock und Pop im Pott ist eine durchaus interessante und abwechslungsreiche Ausstellung, in der die verschiedenen Facetten der Vielfalt der zeitgenössischen Populärmusik im Ruhrgebiet in ihrer geschichtlichen Entwicklung seit den 50er Jahren bis heute vitrinistisch sehr anschaulich gezeigt werden. Dem musikalischen Thema wäre jedoch eine Ausstellung adäquat gewesen, deren Konzeption die Audiovisualität des Themas ins Zentrum der Inszenierung gestellt hätte, wie es leider nur beim großartigen Soundraum und dem interaktiven Tanzkeller umgesetzt wurde. Wie man Musik in einem Museum wirklich sinnlich erfahrbar macht, wie man mit Klangkorridoren und medialen Installationen Sound erlebbar macht, Klangkunst hör- und fühlbar macht, hätten die Ausstellungsmacher im nahegelegenen  rock’n’popmuseum lernen können, dass seit 2004 in Gronau die Kulturgeschichte der Populärmusik im 20. Jahrhundert medientechnologiebasiert erzählt. So verschenkt die Ausstellung Rock und Pop im Pott jedoch ihr Potential und bleibt über weite Strecken eine museal und leicht abgestaubt wirkende Ansammlung von klug kommentierten Devotionalien. Dass in der Ausstellung die Loveparade-Katastrophe in Duisburg 2010 unter den Teppich gekehrt wird, gibt der Ausstellung ein Geschmäckle, dass es sich bei der Ausstellung in Wahrheit um eine sich selbst feiernde Werbeveranstaltung der hiesigen Musikindustrie zur Vermarktung des Popstandorts Pott handelt.. In dem Falle wäre die Ausstellung allerdings passender  im Dortmunder U aufgehoben gewesen, denn da ist schließlich der Herr Professor Gorny mit der ECCE zuhause.

Rock und Pop im Pott. Sonderausstellung im Ruhrmuseum.
Ort: Ruhr Museum. UNESCO Welterbe Zollverein, Areal A (Schacht VII), Kohlenwäsche (A14), Gelsenkirchener Straße 181, 45309 Essen
Öffnungszeiten: Täglich 10-18 Uhr, am 24., 25. und 31.12. geschlossen
Eintrittspreise: Nur Sonderausstellung: 7 € (erm.: 4 €), Gruppen 4 €, Kinder und Jugendliche bis 17 Jahren sowie Schüler und Studierendengruppen im Rahmen einer gebuchten Führung frei
Dauer: 05.05.2016 – 28.02.2017
Information: www.ruhrmuseum.de

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Martin Kaysh
7 Jahre zuvor

Oh Mann, schicke einen, der von nichts eine Ahnung hat, in diese Ausstellung. Der Bericht stimmt so ziemlich in jedem Satz nicht. Er ist Quatsch. Die Loveparade etwa historisieren zu wollen, wo sie noch nicht mal juristisch aufgebearbeitet ist, stellt Ansprüche an ein Geschichtsmuseum, die allenfalls Potentaten so verlangen würden.

Dieter Gorny auf Ruhr2010 und ECCE reduzieren zu wollen, wenn es um Ruhrrock geht, stimmt ja drei- bis vierfach nicht. Dieter Gorny war ja viel früher bezahlter Förderer der Szene, als Chef des Rockbüros NRW. Da versuchte man institutionalisiert nachzuholen, was die Berliner dem Revier voraus hatten. Immerhin tingelten zu der Zeit senatsgeförderte Kapellen wie die Rainbirds auch durch Revierclubs, die Live Station und die Zeche Carl etwa. Muss man nicht wissen. Auch nbicht, dass die Popkomm, zwar in Köln beheimatet, aber doch von Ruhrmenschen installiert wurde. Was übrigens auch für den ewta gleichalten Jugendsender 1Live gilt. Für Viva, den gleichspartigen Fernsehsender s.o.

Man muss auch nicht wissen oder verstehen, welch Bedeutung die Essener Songtage hatten, was Beatles-, Zappa und Stonesgigs bedeuteten. Man kann auch drüber hinwegsehen, dass selbst der Starclub ohne Potteinfluss nicht existiert hätte.

Man kann auch mitschreibend durch die Schau schlendern und nicht wahrhaben wollen, dass der Rockpalast enorm bedeutsame war für das Aufgreifen der Rockresistenz durch Quasi-Staatskultur.

Wahrscheinlich ist die Ausstellung eben zu nachdenklich und fragt zu raffiniert nach, was etwa der Verlust staatlicher Kontrolle über die Körperlichkeit eben auch politisch bedeutet. Einem Ignoranten entgeht der nicht rückholbare Aufstand gegen Sitzordnungen und Tanzverbote. Eben noch tanzt man fast selbstverliebt in einem dieser so großartig clubbig erscheinenden Nebenräume, schon kann man das reflektiert bekommen in den Ausschnitten vom Bill-Haley-Konzert, in denen Schupos vergeblich die alte (Sitz-)Ordnung aufrecht erhalten wollen. Tanzwut und Geilheit, schon im Werther auftaktig ein bedeutendes Thema. Der Rezensent hingegen offenbart nur sein eigenes Defizit. Die alte Angst, Kontrollverlust.

Nein, die neue Schau im Ruhrmuseum bringt alles zusammen: Die Entstehungsgeschichte von Rockpopproduktion und -rezeption im Industriezeitalter, das Weiterleben nach dessen Ende, das Raue und immer Erste für einen jeden Heranwachsenden seiner Zeit, das natürlich Vitrinisierte.

Und was der im herzen gehörlose Musikkritiker vergisst oder schlicht unterschlägt: Historische, nostalgische oder lebendmuseale Konzerte gehören unbedingt zum Konzept der Ausstellung. Auch wenn es geradezu widerwärtig war, wie Festredner aus Kassen, Rathäusern und Verbänden zur Eröffnung sich ranschmissen ans Rockige und Poppige – das kennen wir, seitdem Guttenberg im AC/DC-Shirt rumrannte und Kauder Queen für Parteitagsmusikdeko missbrauchte (ein Lob der Kanzlerin in Sachen Hosen) – man hat dort den ausgewanderten Heimatmusiker Stefan Stoppok lange nicht so gut erlebt wie auf Zeche Zollverein. Und da ssind wir auch schon wieder im Spannungsfeld. Stoppoks Erstlings-Banjo (war es ein Banjo?) steht da auch hinter Glas, mit einem Versicherungswert von 10 000 Euro.

Ansosnten empfehle ich den Besuch von sog. Hard Rock Cafés. Da gibt es ein paar Lederjacken, eher willkürlich in den raum gedröhnte Rockklänge und der Konsum bewusstseinsverändernder Getränke entschuldigt alles Gelulle, wenn man aus dem Laden raus kommt. Das Ding in Köln ist dann auch buchbar für Firmenevents.

Wollte ich hier weiter schreiben, müsste ich auf Aufzeichnungen zurück greifen, die ich nicht habe.
Aber etwas besseres als Gronau bietet Essen allemale. Vielleicht ist dem Schlenderer und Ruhrbaron auch schlicht entgangen, welch dingliches Konzept das Ruhrmuseum schon immer hatte und welch populärmusealen Anspruch.

Rock und Pop im Pott. Sonderausstellung im Ruhrmuseum. Das wird die erfolgreichste Sonderschau seit der Eröffnung werden, aus guten Gründen.
It´s Only Rock`N`Roll, (But I LIke it.)

Klaus Lohmann
Klaus Lohmann
7 Jahre zuvor

Also ich hab nun eine musikalische Vergangenheit (nicht ausschließlich) im Ruhrgebiet vom Ende der Siebziger bis Mitte der Neunziger mit div. Bands – mal absolut Garage, mal Plattenvertrag – hinter mir. Und diese Zeit ist mir nicht in Gänze vollkommen (Suff-/Drogen-)schleierfrei in Erinnerung.

Was ich aber mit absoluter Sicherheit behaupten kann, ist, dass weder ich noch meine Bandmitglieder noch alle anderen uns über bis zu sechs Ecken bekannte Musiker, Produzenten und Verleger jemals behauptet hatten, wir wären irgendwie eine "Ruhrgebietsband" (und schon gar nicht irgendwas mit dem bescheuerten "Pott") oder unsere Musik hätte "Ruhrgebietswurzeln". Dieser heute fördergeld-befeierte Lokalbezug war damals so weit weg und surreal wie der Jupiter oder Bowies linke Hirnhälfte.

Detlev Winkler
Detlev Winkler
7 Jahre zuvor

Vieleicht ist es für den unbefangenen Betrachter ja gerade interessant, mal jemanden über eine Ausstellung zu berichten zu lassen, der nicht vorher alles und alle vermeintlichen Hintergründe sowie Insiderwissen schon genau und am allerbesten kennt, sondern erstmal seinen Eindruck wiedergibt.
Dürfte ja die Perspektive der meisten Betrachter sein, die die Austellung hoffentlich ansehen.

Stefan Laurin
Admin
7 Jahre zuvor
Reply to  Detlev Winkler

@Detlev Winkler: Wir sind froh mit Daniel jemanden zu haben, der mit Hintergrundwissen eine solche Ausstellung besucht.

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