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Nachhaltig? Öde!

„Lesen sie diese Sonderbeilage!": Alnatura rettet die Welt. Foto: flickr/steffenz (CC BY 2.0)

Auf unserer WG-Toilette mache ich eine Entdeckung: Zwischen Jubiläums-Bildzeitung und Taz-Ausgaben vom Vorjahr liegt die Alnatura-Sonderbeilage „Nachhaltig leben“. Nicht, dass es mich persönlich schon mal in den Bio-Supermarkt verschlagen hätte, aber ab und zu wird einer meiner Mitbewohner schwach und kauft dort ein. Seltsame Sachen stehen dann manchmal auf dem Küchentisch.

Wie auch immer: Da das stille Örtchen bekanntlich stark dazu animiert, sich durchzulesen, was gerade griffbereit ist (Shampoo-Flaschen, Packungsbeilagen, Zahnpastatuben) schlage ich das Heft auf. Ich habe das Wort „nachhaltig“ noch nie so oft hintereinander gelesen, wie in dieser Publikation. Das „Gastvorwort“ kommt von dem Generalsekretär eines „Nachhaltigkeitsrates der Bundesregierung“, von dem ich bis dahin nicht wusste, dass er existiert. „Lesen sie diese Sonderbeilage! Kümmern Sie sich um die Nachhaltigkeit wie um sich selbst!“, schließt er sein Nachhaltigkeits-Plädoyer. Na gut – Aber wie?

Nachhilfe in „nachhaltig“ leben gibt mir dankenswerterweise eine Susanne S. Im Rahmen eines Gewinnspiels in dem Heft schildert die „Single-Frau aus Berlin“ für Alnatura chronologisch, wie ein „nachhaltiges Wochenende“ bei ihr aussieht. Sie beginnt:

11:00 Uhr Sehr lange ausschlafen, mindestens 10 Stunden. Vorteil: Im Schlaf ruiniert man am wenigsten seine CO2-Bilanz. Weder isst und trinkt man das Falsche, noch verbraucht der Körper viel Energie.

Wer schläft, sündigt nicht – Klingt logisch, und ausschlafen tu‘ ich auch gerne.

11:30 Uhr Ausgeschlafen und wohlgelaunt beginne ich den Tag erst mal mit ein paar gymnastischen Übungen – ohne sinnlose Gerätschaften, die bei ihrer Produktion eine Menge CO2 produziert haben und irgendwann entsorgt werden müssen.

Sport? Damit habe ich zwar nix am Hut, aber das kann man sicherlich – klimaneutral – einfach weglassen. Und weiterschlafen.

12:30 Uhr Seelisch und körperlich fit begegne ich nun meiner Umwelt freundlich gesinnt. Der Umgang mit seinen Mitmenschen, die soziale Kompetenz, gehört schließlich auch zu einem ganzheitlich nachhaltigen Lebenskonzept. Mit dem Fahrrad mache ich mich auf zum Wochenmarkt. Müttern mit ihren multifunktionalen Kinderwagen lauere ich an Gefahrenstellen und Treppen hilfsbereit auf. Berlin-Touristen, die am Wochenende in Horden schlendernd die Fahrradwege blockieren, frage ich mehrsprachig und mit einem strahlenden Lächeln, ob ich bitte vorbeidürfte.

Komisch, wenn  ich in Berlin bin, wirken eingeborene Radfahrer nicht ganz so zuvorkommend.

13:00 Uhr Auf dem Wochenmarkt angekommen, kaufe ich ausschließlich saisonales Gemüse und Obst vom Bio-Bauern aus der Region – zum Glück ist Juni und ich muss mich nicht wie im Dezember von Wurzelgemüse und Kohl ernähren. Der halben Papaya aus Übersee widerstehe ich dieses Mal willensstark, ebenso dem köstlichen Roastbeef der Bio-Fleischerei.

Köstliches Roastbeef? Entschuldigung Klima, aber da kann ich nicht widerstehen. Und auf Wurzeln und Kohl im Dezember habe ich auch keine Lust. Was ist eigentlich mit Bananen? Die sind so ziemlich das einzige Obst, das ich esse. Gehen die nicht mehr, weil sie aus Übersee stammen?

18:00 Uhr Den Herd werfe ich dieses Wochenende nicht an, Kochen für mich alleine verbraucht zu viel Strom, ich verputze das Obst und das Gemüse einfach im rohen Zustand. Auch lecker, zumal wenn man so hungrig von seinen vielen guten Taten ist.

Ich will auch gute Taten vollbringen! Aber dafür dann, statt köstlichem Roastbeef und migrierter Papaya, Rohkost knabbern? Plötzlich fällt mir dieser Song von den Toten Hosen ein: „Ich will nicht ins Paradies, wenn der Weg dorthin so schwierig ist…“. Außerdem braucht man, finde ich, eine stabile Grundlage für die samstägliche Tour durch die Technoclubs.

Am Abend gehe ich in ein Konzert – ohne elektronische Verstärkung. Keine Musik aus der Dose, ein Konzert, dessen Klänge nur von Menschen mit Instrumenten erzeugt werden.

Wie jetzt? Ein läppisches Akustik-Konzert und Schluss? Keine After-Hour auf dem Dubstep-Floor? Ich habe ja wirklich nichts gegen das Klima, aber dass Feierngehen die Welt zerstört, darauf wäre ich nie gekommen.

0:45 Uhr Mit bestem Gewissen gehe ich ins Bett. Ich freue mich schon auf meinen sonntäglichen Lesemarathon auf dem Balkon. Aber vorher: schlafen, schlafen, schlafen …

Das war ein verdammt kurzer Abend. Mir dämmert langsam, dass dieses ganze Nachhaltigkeitszeug nichts für mich ist. Das Leben als Guttäter mit bestem Gewissen strahlt eine Ödnis auf mich aus, die Ihresgleichen sucht. Ich mache eine Kosten-Nutzen-Rechnung auf und frage mich, wie groß die Verlängerung der Galgenfrist wäre, die ich der Erde durch die Entspaßung meines Lebens verschaffen könnte. Auch die Reise ins „Wanderparadies Werfenweng“, mit dem das Gewinnspiel im Alnatura-Heft droht, kann mich nicht korrumpieren. Ich muss mich damit abfinden: Ich bin nicht nachhaltig.

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Nansy
Nansy
11 Jahre zuvor

Welch ein trauriges Dasein diese Susanne S doch fristet. Wenn man sich Tag und Nacht nur noch fragt, welche Belastung für die Umwelt das eigene Dasein darstellt, dann ist man wohl früher oder später stark Selbstmordgefährdet.

Stefan Laurin
Admin
11 Jahre zuvor

Wunderbar – vielen Dank für den Artikel 🙂

TuxDerPinguin
TuxDerPinguin
11 Jahre zuvor

Schon ein Hardcore-Leserbrief… also Schlafen mit CO2-Minimierung zu begründen…
außerdem… wenn man wach ist, kann man mehr Bäume pflanzen als im Schlaf 😀

aber ist gut, dass sie sich Gedanken macht. Und wenn sie damit glücklich ist, wunderbar.
Zu den rhetorischen Fragen im Artikel:
ich denke nicht, dass man sowas pauschal beantworten sollte. Also z.B. ob man Übersee-Früchte allen verbieten sollte.
Jeder muss für sich individuell überlegen, wie leicht einem sowas fällt. Gibt ja zig Einsparmöglichkeiten.

Und wenn Susanne S mit ihren Entscheidungen prima leben kann,ist es doch schön. Ich bin z.B. Vegetarier und fühle nicht so, dass ich auf irgendwas dadurch verzichten müsste. Fällt mir aber auch leicht, weil ich noch kochen kann und nicht auf Currywurst aus der Mikrowelle angewiesen bin 😀

ich habe aber die starke Vermutung, dass dieser Leserbrief von Susanne S etwas „geschönt“ wurde, um auch veröffentlicht zu werden. Wer schon mit CO2 beim Schlafen argumentiert, müsste dies auch beim Sport und konsequenterweise darauf verzichten wie der Autor des Artikels, ein Vorbild in dieser Sache.

tic tic boom
tic tic boom
11 Jahre zuvor

wie wäret denn mit ner Bewusstseinsschaffung und nem Kompromiss so weit es die persönliche Grenze der Einschränkung nicht überschreitet? würd heissen, Kompromiss anstatt „entweder…oder“.
jeder, was er kann und wozu er bereit ist. nich mehr, aber auch nich weniger.
tri tra trulla la

Hans-Peter Bier-Geyer
Hans-Peter Bier-Geyer
11 Jahre zuvor

Grandios – danke für den Artikel. Darauf erstmal ne Kippe!

Nansy
Nansy
11 Jahre zuvor

@TuxDerPinguin:

Nee, nee, da ist nichts „geschönt“ – das ist Realsatire ! 😉
Siehe: https://www.alnatura.de/de/downloads/
unter „Sonderbeilage Nachhaltig Leben“
Das Leben schreibt die besten Geschichten…

Ulrike
Ulrike
11 Jahre zuvor

Ihr solltet euren Ironiesensor einschalten und der Autorin zu ihrem subversiven Text beglückwünschen.

„frage ich mehrsprachig und mit einem strahlenden Lächeln“,

„Müttern mit ihren multifunktionalen Kinderwagen lauere ich“,

Auch lecker, zumal wenn man so hungrig von seinen vielen guten Taten ist.“

„widerstehe ich dieses Mal willensstark„.

usw.

TS
TS
11 Jahre zuvor

Naja, Ödnis geht sowohl von der Alnatura-Beilage, als auch von diesem Artikel aus. Wahrscheinlich waren beide Texte nicht sonderlich ernst gemeint.

Jedenfalls sollte man mit Unwissenheit niemals hausieren gehen. Selbst dann, wenn es nur den Nachhaltigkeitsrat betrifft.

rtq
rtq
11 Jahre zuvor

Susanne S. aus B. sollte dringend mal über Selbstentleibung nachdenken. Würde ihre CO2-Bilanz enorm verbessern und wäre obendrein total nachhaltig.

Superökologe
Superökologe
11 Jahre zuvor

na, so vorbildlich ist die Susanne wiederum auch nicht. Das läßt sich noch verbessern:
1. Touristen lächelt man nicht an. Man hält ihnen eine Moralpredigt, und erklärt ihnen wie verwerflich es ist, zahlreiche CO2-Emissionen verursachend in der Welt herumzugondeln, wo man doch genauso gut zu Hause bleiben könnte.
2. Bis 11 Uhr schlafen und um Mitternacht noch wach sein ?!? Wem das Klima lieb ist, der steht mit Sonnenaufgang auf und geht auch mit der Sonne unter. So spart man Lichtenergie und rettet die Welt.

wilfried s. bienek
11 Jahre zuvor

Muss gleich den Kollegen anrufen, der mit mir alle Wälder ausrotten will, weil die nachts CO2 abgeben, die Schweine! Überdies habe ich beschlossen, nichts mehr zu essen. Das Leichengift von Leuten, die kein Fleisch essen, soll viel gesünder für das Grundwasser sein. Andererseits: Vegetarismus ist auch keine Alternative. Pflanzenesser vernichten das Leben von Pflanzen und die gibts schon länger als uns. Einäschern? Da klimpert mein Amalgam in der Urne und vergiftet die Welt in alle Ewigkeit. Am besten nur noch einatmen. Los, macht mit! In ausgeatmeter Luft ist einfach zu viel CO2. So, noch eben einen Luft-Zug – köstlich! Nun, in meinem Nachruf – aber das kann ich nicht mehr ausführen, mir bleibt die Luft weg, der Atem stockt, das Herz bricht – verklappt mich bitte nachhaltig. Tschüüüüüüss!

otto
otto
11 Jahre zuvor

das nachhaltigste wäre doch sich einfach lebendig begraben zu lassen (der prozess des selbstmordes könnte ja sonst ein wenig co2 erzeugen wenn man nach luft ringt) – anders als beim verbrennen, elektrifizieren oder erschiessen verbraucht man auch keinen wertvollen sauerstoff oder strom, verschmutzt die umwelt nicht (das nach dem tod entstehende leichengift ausgenommen – vielleicht also doch eher lebendig von tieren fressen lassen?) und erzeugt auch bestimmt kein co2 mehr.
PS: wenn ich sowas lese kriege ich lust für jedes milligrämmchen co2 dass diese frau spart ein paar bäumchen zu fällen.

trackback

[…] Dass das Silvester-Geballer manchen Leuten auf den Senkel geht, ist ja hinreichend bekannt. Dazu gehören etwa Rentner, die sich an den Krieg erinnert fühlen, Eltern, die Angst um ihre Kinder haben oder 18jährige, die sich für zualtfürdenscheiß halten. Nun gibt es aber noch eine andere Gruppe, das stets zur Stelle ist, wenn Spaß droht: „Umweltschützer“. […]

Murmel
Murmel
11 Jahre zuvor

Omg, ich bin nur per Zufall auf diese Seite gestoßen.
Bis vor kurzem war ich so naiv und habe geglaubt, dass meine Mitmenschen sich in irgendeiner Weise – überspitzt ausgedrückt – für die Zukunft des Planeten interessieren und einsetzen wollen.
Nun wird hier allen ernstes einer Frau, die _niemandem_ etwas getan hat (und zumal alles andere als unglücklich wirkt, dass erweckt wohl bei dem einen oder anderen großen Neid) und deren einzige „Sünde“ darin besteht, dass sie sich für ihre Umwelt einsetzt, der Tod gewünscht.
Da muss man schon ein enorm schlechtes Gewissen haben, wenn man Briefe von „Gutmenschen“ (was für ein Wort! warum ist „Gutes tun“ dermaßen negativ besetzt?) so sehr verunglimpft, um mit dem eigenen asozialen Verhalten klar zu kommen.

Der Kommentar bezieht sich weniger auf den Artikel, der für mich schlicht als das Potrait eines Menschen herkommt, der seine eigene Fehlbarkeit versucht zu verteidigen (und jeder Mensch ist fehlbar), sondern auf die Kommentare, die vor Abartigkeit und Ignoranz nur so triefen.

Osteoporose
Osteoporose
11 Jahre zuvor

Ja, liebe Murmel, da stimme ich Dir zu. Es gibt in dieser Generation viele Menschen, die sich gerne auf Kosten anderer profilieren, gerade unter den sogenannten Journalisten. Mitte-Rechts gefällt sich darin, gemeinschaftlich Menschen zu verhöhnen, die nicht nach dem Lebensmotto „Nach mir die Sintflut!“ unterwegs sind. Schön, dass Du hier Deine Meinung äußerst. Den meisten Menschen ist diese Fähigkeit in der heutigen Zeit abhanden gekommen. Es könnte der Karriere schaden und den eigenen Wohlstand gefährden…

A bis A
A bis A
11 Jahre zuvor

Ich finde es klasse, dass sich immer mehr Menschen Gedanken über Nachhaltigkeit und eine Lebensführung machen, die nicht nur um sich selbst kreist.

Und dass es belächelnde bis respektlose Reaktionen auf so ein Verhalten gibt, ist denjenigen bewusst, denke ich.

Hä? Wieso ist „Guttäter“ eine abwertende Bezeichnung? Versteh ich nicht.

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