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Offener Brief an Kraft: „Von Rennesse zeigte Verständnis und Zuwendung“

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Das Land wirft von Renesse vor, in einem Schreiben an den Bundestagspräsidenten abfällig über die Arbeit des Sozialgerichts in Zusammenhang mit der Bewilligung von Renten für ehemalige Ghettoarbeiter geäußert zu haben. Unter anderem, so lautet ein Vorwurf, habe von Renesse den Eindruck erweckt, jüdische Ghettoarbeiter hätten in Nordrhein-Westfalen beim Versuch, ihre Ansprüche einzuklagen, kein rechtstaatliches Verfahren bekommen.

Von Renesse kämpfte wie kein anderer deutscher Richter dafür, dass ehemalige Ghettoarbeiter die Rente bekamen, für die sie auch Beiträge gezahlt hatten. Und er entschied nicht einfach nach Aktenlage, sondern ließ Zeugen vor Gericht auftreten und sichtete Beweise. Jan-Robert von Renesse tat schlicht das, was ein guter Richter tun sollte: Er informierte sich umfassend, bevor er ein Urteil fällte.

Und er beließ es nicht bei seiner Arbeit im Gerichtssaal, sondern trug dazu bei, dass sich die Gesetze ändern: Renesse sorgte mit einer Petition dafür, dass der Bundestag 2014 beschloss, ehemaligen Ghettoarbeitern eine rückwirkende Auszahlung der Rente zu ermöglichen. Das Leben Tausender ehemaliger Ghettoarbeiter, zwei Drittel von ihnen leben heute in Israel, wurde dadurch verbessert, auch wenn die Regelung für die allermeisten Betroffenen um viele Jahre zu spät kam.

Doch von Renesse erhielt für seine Arbeit und sein Engagement kein Lob. Im Gegenteil. Sein Dienstherr, das Justizministerium des von Rot-Grün regierten Landes Nordrhein-Westfalen, strengte eine Klage vor dem Richterdienstgericht in Düsseldorf gegen ihn an. Richterdienstgerichte überprüfen dienstrechtliche Vergehen von Richtern und können Strafen verhängen, die bis zur Entfernung aus dem Dienst und der Aberkennung aller Pensionsansprüche gehen. Am 13. September entscheidet das Richterdiensgericht am Landgericht Düsseldorf über seinen Fall, nachdem ein Vergleich gescheitert ist. Mit einem offenen Brief haben sich nun zahlreiche Persönlichkeiten an NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft gewandt:

Wir, die Unterzeichnerinnen und Unterzeichner, sind tief besorgt über das Disziplinarverfahren gegen Jan-Robert von Renesse im Zusammenhang mit seinem Engagement für Holocaust-Überlebende.

In der jüdischen Welt – insbesondere in Israel – genießt Richter von Renesse höchste Anerkennung und Wertschätzung. Zu einer Zeit, als rund 95 Prozent der ZRBG-Antragsteller abgewiesen wurden und beim Sozialgericht Widerspruch einlegten, reiste Richter von Renesse nach Israel, um ehemalige Ghettoarbeiter in persönlichen Gesprächen anzuhören und ihre Schilderungen in die Entscheidungsfindung einfließen zu lassen. Das haben die Holocaust-Überlebenden mit großer Dankbarkeit wahrgenommen.

Für die Überlebenden zählte vor allem, dass ein Vertreter der deutschen Justiz zu ihnen kam und ihnen Respekt und Empathie entgegenbrachte. Herr von Renesse hat bei seinen richterlichen Entscheidungen den historischen Kontext nicht aus den Augen verloren und den Leidensweg der Überlebenden gewürdigt. Er zeigte Verständnis und Zuwendung, wo die Antragsteller nur Bürokratie und Ablehnung erfahren hatten.

Ihre Regierung, sehr geehrte Frau Ministerpräsidentin, ist im Kontext des ZRBG selbst erfolgreich mit einer Initiative im Bundesrat aktiv geworden und hat die Rückwirkung der Rentenzahlungen bis 1997 erreicht.

Nach Jahren der Versäumnisse und des Unverständnisses bei der Durchführung des ZRBG, ist es doch noch gelungen, zu akzeptablen Ergebnissen zu kommen. Dazu hat auch der große Einsatz von Herrn von Renesse beigetragen.

Was die Bundesrepublik Deutschland letztlich in einem vorteilhaften Licht erscheinen lässt, sollte Herrn von Renesse nicht zum Nachteil gereichen. In Anbetracht seiner besonderen Verdienste bitte ich Sie, sich in geeigneter Weise für Herrn von Renesse zu verwenden und Schaden von ihm abzuwenden.

Für Ihr Entgegenkommen sagen die Unterzeichnerinnen und Unterzeichner Ihnen aufrichtigen Dank.

Colette Avital, Centre of Organizations of Holocaust Survivors in Israel
Volker Beck, Deutsch-Israelische Parlamentariergruppe
Deidre Berger, American Jewish Committee
Christoph Heubner, Internationales Auschwitz Komitee
Dr. Oded Horowitz, Landesverband Jüdischer Gemeinden in Nordrhein
Roman Kent, American Gathering of Jewish Holocaust Survivors
Beate und Serge Klarsfeld, Fils et filles de déportés juifs de France
Prof. Dr. Werner Konitzer, Fritz Bauer Institut
Claudia Korenke, Deutsch-Israelische Gesellschaft
Rüdiger Mahlo, Conference on Jewish Material Claims Against Germany
Dr. Jost Rebentisch, Bundesverband Beratung und Information für NS-Verfolgte
Prof. Dr. Julius Schoeps, Moses Mendelssohn Zentrum
Dr. Josef Schuster, Zentralrat der Juden in Deutschland
Stefanie Seltzer, World Federation of Jewish Child Survivors of the Holocaust
Lukas Welz, AMCHA Deutschland

Die Texte sind in ähnlicher Form bereits in der Jüdischen Allgemeinen erschienen

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