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Premiere in Dortmund: Geächtet

Geächtet am Schauspiel Dortmund (Foto: Birgit Hupfeld)
Geächtet am Schauspiel Dortmund (Foto: Birgit Hupfeld)

„Geächtet“ von Ayad Akhtar ist ein Erfolgsstück. 2012 in Chicago uraufgeführt, mit dem Pulitzer Preis ausgezeichnet und dieses Jahr auch in Deutschland auf etlichen Spielplänen zu finden. Es ist ein klassisches Beispiel des gehobenen Boulevards, des „Well-made-play“. Das Setting ist bestens bekannt: Zwei Ehepaare des gehobenen Intellektuellenmilieus treffen sich zum Abendessen in einem schicken New Yorker Appartement. Etwas zuviel Alkohol und die zivilisierte Fassade bröckelt. Darunter kommen die sorgsam unterdrückten Konflikte zu Tage, seien sie nun persönlicher, beruflicher, weltanschaulicher, politischer oder sozialer Natur. Blaupause für diese Stücke ist Edward Albees „Wer hat Angst vor Virginia Woolf“, Jasmin Reza baut seit Jahren ihren weltweiten Erfolg auf diese Konstruktion. 

Pulitzer Preis hin oder her, Akhtars Stück ist kein allzugroßer Wurf. Viel zu offensichtlich ist hier die dramaturgische Konstruktion. Der Erfolg des Stückes ist nur über die Themen, die verhandelt werden, erklärbar. Da ist „Geächtet“ das Stück unserer Tage. Der pakistanische Anwalt, der sich als Inder ausgibt, um seinen muslimischen Hintergrund zu verschleiern und so seine Karrierechancen in New York nicht zu gefährden. Seine amerikanische Frau, die Künstlerin ist und sich in ihren Werken mit der Bildsprache des Islam auseinandersetzt. Auf der anderen Seite der jüdische Kurator, der ihr den nötigen Karrieresprung verschaffen kann, und seine schwarze Frau, die aus dem Ghetto kommt und nun mit dem Anwalt in der gleichen Kanzlei arbeitet und seine Konkurrentin um die Teilhaberschaft ist. Alles kein Problem, solange nicht zu viel Alkohol getrunken wird und die berufliche Konkurrenz sowie ein Seitensprung dazu kommen. Dann ist die multikulturelle Einigkeit plötzlich dahin und es wird mit ethnischen Konflikten um sich geschmissen.
Kay Voges inszeniert das Stück in der Ausweichspielstätte Megastore auf einer enorm breiten Spielfläche. Und er begeht nicht den Fehler, ihm ein naturalistisches Setting zu verpassen. Stattdessen schafft er einen Kunstraum, in dem die klappernde Dramaturgie weniger stört und das manchmal Thesenhafte des Stücks eine neue Qualität bekommt. Bühnenbildner Michael Sieberock-Serafimowitsch stellt dazu nur eine Wand hinter die Spielfläche, die in ihrem fleckigen Schwarz-Weiß und den schemenhaft erkennbaren Flaggen Israels, Amerikas, der afrikanischen Union und Pakistans an die „Flags“ von Jasper Johns erinnert. Mario Simon projiziert auf diesen nationalen Screen immer wieder die farbigen Versionen der Flaggen und spielt so eindrucksvoll mit der Überlagerung von nationalen und ethnischen Zugehörigkeiten.
Mona Ulrich ebnet in ihren Kostümen gezielt alle Anflüge einer ethnischen Zuordnung ein. Alle Personen haben weiße Haare, weiße Haut und rote Augen. Albinos, die durch einen Gendefekt ihrer Pigmentierung beraubt sind. Die Herkunft der Personen ist nicht sichtbar, ethnische Zugehörigkeit ist somit nicht mehr angeboren, sondern erlernt. Die Albinos in Dortmund hätten es eigentlich sehr leicht, sich über religiöse und ethnische Unterschiede hinwegzusetzen, doch sie tun es nicht. Ihre Unterschiede sind nicht in den Gencode eingeschrieben, sondern in ihre Psychologie. Damit umgeht die Inszenierung nicht nur die vieldiskutierte ethnisch korrekte Besetzung des postmigrantischen Theaters, sondern verleiht dem Stück eine gehörige Portion mehr Tiefe. Die Frage nach der Konstruktion ethnischer und religiöser Identität tritt in den Vordergrund.
Als Konstruktion stellt Kay Voges zunächst die soziale Rolle in den Fokus. So lange Friede-Freude-Eierkuchen herrscht, pflegen alle Personen des Stückes eine dadaistisch anmutende soziale Pose. Das überdrehte, manierierte Spiel von Carlos Lobo, Bettina Lieder, Frank Genser, Merle Wasmuth und als Gast Merlin Sandmeyer erinnert in der ersten Hälfte des Abends an die Arbeiten von Herbert Fritsch. Alles ist Pose, die in Perfektion und bis zum Exzess durchexerziert wird. Da wackeln die Frauen sexy bis zum Hüftschaden, der Kurator gibt sich exaltiert und tuntig, bis seine Hand wie ferngesteuert auf den nächstgelegenen weiblichen Busen wandert, und der Anwalt stapft viril durch die Szene. Unterlegt mit einem herrlich debilen NDW-Pling-Plong von Tommy Finke.
Erst als beim Abendessen alle sozialen Posen fallen, bricht unter dieser manierierten Fassade die echte Persönlichkeit hervor und das schmutzige Wühlen in sorgsam verborgenen Ressentiments wird zur wahren Identität. Das ist die bittere These dieser Inszenierung, die das Ensemble spielerisch großartig umsetzt. Dass der glaubhafte und nahtlose Wechsel vom manierierten Anfang in eine echte Psychologie gelingt, ist die große Leistung des Ensembles.

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Martin Kaysh
8 Jahre zuvor

Honke, danke für die Einstimmung. Nicht nur debiles Pling-Plong macht mich mal wieder neugierig auf dieses Stück in dieser scheußlichen Lagerhalle.

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