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Rettet den Blätterwald (4) – Heute: Jungle World

"Rettet den Blätterwald" ist eine lose, aber inhaltlich recht stringente Serie, in der der Autor die Sinnhaftigkeit von Printmedien hinterfragt. So geschehen bisher mit Rolling Stone, SFT und StadtRevue. Dabei hieß es zu Beginn, der Autor würde im Anschluss an den Artikel die Publikation nie mehr kaufen, bis ihn einige Kommentatoren darauf aufmerksam machten, dass ohne eine gewisse Grundsympathie diese Artikel doch gar nicht zustande kommen würden. Hm. Jedenfalls ist nach der fünften Woche Jungle World Kauf am Donnerstag in Folge jetzt mal ebendiese an der Reihe.

Ein Wochenblatt, das inhaltliche Beschäftigung verlangt. Ein Artikel über dieses in einem Medium, das durchaus politisch verschieden ausgerichtete Leserinnen und Leser hat. Und damit ist man schon bei der Entstehungsgeschichte dieses Blattes, das in Abgrenzung zur Junge Welt entstand und heutzutage mehr denn je Position gegen allzu simple eurozentrische oder national orientierte anti-kapitalistische Positionen in Deutschland bezieht. Manche empfinden das als so auf eine deutsche Sonderstellung hin gedacht, dass es als "anti-deutsch" einsortiert wird. Und dieser Begriff flog bei den Ruhrbaronen allzu oft durch die Zeilen in letzter Zeit. Also in’s Blatt.

Editorial, große Karikatur, Inhalt und Briefe links, "Thema" direkt rechts auf Seite 3: Globalisierung und Protektionismus. In "Schuld sind immer die anderen" wird Deutschlands Politik als ein Teil Europas kritisiert, und zwar in Bezug auf z.B. die Senkung von Lohnnebenkosten als Sicherung eines Kostenvorteils für einheimische Unternehmen. Kein Land in Europa mute seinen Bürgern soviel zu wie dieses hier, um in punkto Export und innerhalb Europas vorne zu liegen. Dabei würde bereitwillig in Kauf genommen, gesamt-europäische Konjunkturprogramme zu gefährden, und auch Rettungspakete für Osteuropa.

Rainer Trampert analysiert denn auf den Folgeseiten auch gleich die Renationalisierung der Kapitalströme als globalen Trend und greift gegen Ende recht unbefangen Sahra Wagenknecht ("Es gibt genug Anreiz, wenn einer fünfmal soviel hat wie der andere.") von links an: "Lasst Opel pleite gehen und schüttet die Milliarden an die Kollegen aus. (…) Entweder kämpft man für die Beseitigung des Kapitalismus, um ihn durch ein solidarisches und demokratisches Plansystem zu ersetzen, oder man bleibt Spielball seiner Krisen…" Direkt darunter verkündet Attac denn auch gleich noch einmal, dass man sich nicht über Krisen freut, weil die Teil des sich selbst regulierenden Systems sind. Stimmig alles, aber etwas wenig konkret und recherchiert dies alles. Positionen, na okay.

Erstaunlich passend danach aber auch wieder Artikel über die Genügsamkeit der Deutschen, die einfach immer noch nicht ohne Befehl der Chefetage für ihre Rechte auf die Straße gehen wollen und ein Problem der Linken, dass die Bourgeoisie weniger etatistisch und liberaler als viele der Linken ist. Nach soviel schon fast kampf-protestantischer Selbsthinterfragung ein Auflockerer mit der Vorstellung von Partei-Jungstars im Superwahljahr. Na gut. Der Steinbach-Artikel zitiert zumindest Gesine Schwan ("Ich glaube nicht, dass Frau Steinbach ins Amt kommt.") den neuesten Entwicklungen hinterher – aber wieso sollte man das einem Wochenblatt übler nehmen als einer Tageszeitung? Stimmt, die liest man ja direkt nach dem Aufstehen und hat seit 17 Uhr am Vortag keine Medien mehr benutzt, haha.

Es folgen kleinere Artikel mit beispielhaftem lokalen Inhalt zu Antisemiten, Bürokraten und Arbeitsrecht, dann eine Reportage über Hindu-Nationalisten, die in Indien den Valentinstag und die Emanzipation bekämpfen. Womit man so langsam im Ausland ist, bei den Erwartungen an Obama, Neuem aus Guantánamo, der französischen Linken, spanischer (Nicht-)Migrationspolitik und dem Arbeitsmarkt in Mexico. Rechtzeitig danach wieder bunte Kurznachrichten, bevor die Allianz Junge Freiheit + Vatikan auf historische Kontinuitäten überprüft wird. Und damit ist man bei der Antifa (Dresden, Leipzig, Potsdam – mal nicht Duisburg) und dementsprechenden "Veranstaltungstipps". Auf der Rückseite denn mal wieder eine Abo-Bitte, dafür gibt es aber ja auch noch die Beilage "dschungel". Bisheriger Eindruck: Manches ließe sich auch kürzer sagen, Trampert nervt, Flow und Zusammenhänge passen diesmal sehr gut.

Also der Kulturteil: Warum das Deutsche Historische Museum die Sprache Deutsch nicht einfach nur vom Deutschen aus gedacht präsentieren sollte. Eine Geschichte über Enthüllungsjournalisten, die die Arbeit einer französische Enthüllungsjournalistenzeitung, sagen wir, an die Öffentlichkeit bringen. Eine alternative Biografie über Hildegard Knef, dann eine über die französische Regisseurin Claire Denis. Hier ist man kulturell der taz einfach so weit voraus, dass der Gedanke fast hinfällig ist. Und Werbung von Suhrkamp! Auf zwei der acht farbigen Seiten insgesamt, vorher gab es nur Kleinanzeigen (Preis der Zeitung: Euro 3,20). Dann wieder diverses: Kino, Musik, TV und Buch – immer etwas beliebig bis wie gewollt nebensächlich, dann ein Bericht über eine Dissertation zum Sportbegriff in der Nazizeit und einer über den Unterschied zwischen Extremismus-Begriffen, der Antifaschisten gegen die Denkweise von Extremismusforschung zu impfen sucht. Dies recht lang – wo sonst auch einmal eine Art "persönliche Erzählung" steht – dann vier Comicstrips und Schluss. Im Grunde das beste Wochenblatt des Landes, als Ersatz für die fehlende Sonntagszeitung. Schlimm genug. Ein Skandal, das Printwesen hierzulande!

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Dirk E. Haas
Dirk E. Haas
15 Jahre zuvor

Jens, die Artikelserie nimmt nun doch noch eine schöne Wendung. Da sollte ich vielleicht einfach mal Yea sagen (-:
https://www.blogotheque.net/Yeasayer,3966
(#87.2: 2080, bis ca. 6:00)

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