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„Tötet die Deutschen“ – Deuten und Deutungshoheit

Graffiti an der Bochumer Christuskirche Foto: Ayla Wessel

„Ist der Satz Tötet die Deutschen, vor kurzem auf die Außenmauer der Christuskirche geschmiert, deutschenfeindlich“, hatten wir gefragt, „ist das Rassismus?“ Von unserem Gastautor Thomas Wessel

Antwort: Offensichtlich ja, aber nicht, weil es so etwas wie eine deutsche Ethnie oder deutsche Rasse gäbe: „Die Deutschen“ sind längst so „multikulturell“, dass man, will man sie erkennen, eben nicht dem Augenschein vertrauen kann, sondern nur dem Pass. Klar, dass es dafür Prügel setzt von rechts. Dass aber, wer immer diese Deutschen in Deutschland töten wolle, genauso multikulturell = deutsch sein muss, dafür setzt es linke Prügel. Weitergedacht wurde hier  –  ein Debattenbericht:

Die Ruhrbarone haben die Diskussion sofort selber geführt, damit, wie Stefan Laurin sagte, „nicht andere sie führen“, nämlich die Rechten. Auch Frank Jansen, Experte beim Tagesspiegel und Wächter-Preisträger, sieht das so:

„Gerade beim Thema deutschfeindlicher Rassismus ist zu befürchten, dass ultrarechten Demagogen, von der NPD bis zum Wochenblatt ‚Junge Freiheit‘, zumindest punktuell die Deutungshoheit überlassen wird, weil die große Mehrheit schweigt.“

In Berlin, wo Jansen seit 20 Jahren schreibt, geht es zurzeit um einen Mordversuch, bei „Tötet die Deutschen“ um einen Mordaufruf. Eine „Vernichtungsfantasie“, wie Arnold Voss [# 62] dies bei den Ruhrbaronen nennt. Aber gerade weil nur Phantasie, nur Schrift, nur Sachbeschädigung, ist das die Chance, die Diskussion zu prägen, bevor es andere tun. Wie lesen wir das, wie sehen wir es. Ist das Kunst?

„Waren das vielleicht HipHopper?“

Hat „J.K.“ [# 9 und #17] auf dem Ruhrbarone-Blog gefragt, eine klasse Frage: „Die Sprache, die Geste muss nun einmal verstanden werden.“ Oder dazu gebracht werden, sie so zu verstehen: Was wäre, wenn das Graffito einen Rahmen erhielte? Wenn man es, so Hartmut Schröter hier auf dieser Seite, zur Kunstaktion erklärte? Was bliebe von einer gerahmten Phantasie?

Es wäre vielleicht kaum mehr als eine verblassende Erinnerung daran, dass es „die“ Deutschen einmal gab und sie so klar erkenntlich waren wie ein Foto, das jemand im Film dem Auftragskiller rüberschiebt. Und vielleicht wäre es dann wie eine Erinnerung an eine andere, die nie verblassen wird, nämlich daran, dass es mal gute Gründe gegeben hat, die Deutschen zu töten, nachdem sie Europa verwüstet und die Juden Europas fast restlos ermordet hatten: „Tötet die Deutschen“ sieht anders aus als eine Lichterkette, mit der man die Opfer der Deutschen erinnert.

Die Gegenwart dagegen sieht aus wie der Abitur-Jahrgang, den wir  –  am Tag vor der Schmiererei  –  zur Abi-Entlassung in der Christuskirche hatten. Die WAZ Bochum hat diesen Hinweis aufgegriffen, um folgenden Titel zu bringen:

„Eine reife Leistung. Türkisches Ehepaar ebnete allen fünf Töchtern den Weg zum Abitur“.

Dass türkische Mädchen Abitur in Bochum machen, ist keine wirklich heiße Meldung, das hat meine Frau vor mehr als zwei Jahrzehnten schon gemacht. Aber für die WAZ-Bochum ist das eher als eine Art Ehrenrettung gemeint, Ehrenrettung für Multikulti. WAZ-Autor Jürgen Stahl:

„Mag sein, dass die Vision noch lange gutmenschelnde Utopie bleibt. Die Ülgers indes zeigen, dass man Träume leben kann.“

Was mich ein wenig irritiert, ist die Vorsicht, die darin klingt (und die ja keineswegs WAZ-typisch ist). Es klingt wie Nichts Böses berichten, sonst … brechen alle Dämme? Das allerdings wäre ziemlich 80er, diese Art Diskussion. Wer das 30 Jahre lang gehabt hat und immer noch Rassist ist, wird es bleiben. Wer das 30 Jahre lang gehabt hat und keine Rassistin mehr ist, ist „Iris“:

„Wenn die Deutschen getötet werden sollen in Deutschland , dann Frage ich mich, warum leben Ausländer in unserem Land. Wenn es Ihn nicht gefällt sollen Sie wieder in ihren sogenannten Heimatland zurück kehren. Warum wollt Ihr in unserem Land leben und hasst uns Deutschen??? Wenn es so ist müßt Ihr wieder gehen. Nicht nur von Vater Staat Geld beziehen auch mal ein „bißchen Anpassem“. Ich bin der Meinung in unserer Politik läuft alles seid Jahren daneben. „Hallo Politiker, Hallo nicht Deutsche, wacht langsam auf oder liegt Ihr im Dauerschlaf??? Deutschland gehört den Deutschen und den Imigranten. Wir müssen uns alle anpassen.“

Das ist ein Ton, der ist neu. Klingt nur wie rechtsaußen, wird aber mittendrin gespielt. Deutschland gehört den Deutschen und den Immigranten, es klingt wie eine Neue Selbstverständlichkeit. Und wenn man „Iris“ im Ohr hat, die vermutlich von BILD herüber gekommen ist, hört sich auch BILD ein wenig anders an. Das ist die Zeitung  –  vier Zeilen Exkurs  –  die in den 90ern beides getan hat, sie hat eine „Asylantenflut“ herbeigeschrieben und eine rotgrüne Regierung ins Amt. Ohne BILD hätten wir Zehntausenden, die um ihr Leben rennen, keinen Zufluchtsort versperrt, ohne BILD hätten wir heute kein ordentliches Staatsbürgerschaftsrecht. Haben wir aber, seitdem heißt „Tötet die Deutschen“ auch „Tötet die Deutsch-Türken“:

„Er ist mit einer Deutsch-Türkin verheiratet, steht einer ‚Kirche der Kulturen‘ vor, das Gotteshaus ist Teil des ‚Platz des europäischen Versprechens‘. Der Dank für Pfarrer Thomas Wessel (46)? Die Parole „Tötet die Deutschen“ an seiner Kirche …

Tötet die deutschtürkischen, die multikulturellen, die europäischen Deutschen: dass dieses Land „bunt“ ist, setzt BILD voraus. Und setzt so die Rechten ins Unrecht. Deren Schablone sieht so aus: hier „die Deutschen“ und dort „die Migranten“, und eben diese simple Denke wird hier unterlaufen. Der Reinheitswahn  –  er ist das eigentlich rassistische Motiv  –  läuft ins Leere: Wer wird denn nun vom wem gehasst beim „Deutschen-Hass“?

Auch ZAMAN, große oder gar größte türkischsprachige Zeitung in diesem Land, hat berichtet, und zwar als Aufmacher online und Seite 2 im Print. Tenor: Das Thema müsse in die Medien, man verurteile den

„irkci slogani  –  rassistischen Slogan“

und von welcher Seite auch immer dies komme, es sei  –  und das ist ein im Türkischen äußerst abfälliges Urteil 

„Siddetle kiniyoruz   –  große Schande“.

Mustafa Küllü, Hodscha der DiTiB-Moschee nebenan, habe dies aufs Schärfste verurteilt und gesagt, es hätte auch an seiner Moschee stehen können, es sei absolut inakzeptabel. In solchen Situationen, habe der türkische Leseclub Ruhr gefordert, müsse die Gesellschaft zusammen stehen und

„sich gemeinsam bewegen“.

So klingt Neue Selbstverständlichkeit auf Türkisch. Und selbstverständlich lässt sich so auch die Frage diskutieren, die wir eigentlich gestellt hatten, nämlich wer von den bunt gewürfelten Deutschen sich aufgefordert fühlen mag, dem Aufruf zu folgen. Ihr multikulturelles Bewusstsein jedenfalls schützt nicht davor, Vernichtungsphantasien freizusetzen.

Thomas Wessel ist Pfarrer der Christuskirche in Bochum

Hinweis: Es gilt weiterhin: Wer unter diesem Artikel sein fremdenfeindliches Mütchen kühlen will: Es lohnt den Aufwand nicht. Wie immer löschen wir rigoros alle rechtsextremen und fremdenfeindlichen Kommentare unabhängig vom nationalen oder kulturellen Hintergrund. Und wir diskutieren auch nicht über unseren Umgang mit Kommentaren. ruhrbarone.de

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Werner Jurga
12 Jahre zuvor

„nämlich daran, dass es mal gute Gründe gegeben hat, die Deutschen zu töten, NACHDEM sie Europa verwüstet und die Juden Europas fast restlos ermordet hatten“ –
Wieso „nachdem“? Zur Strafe?

Helmut Junge
Helmut Junge
12 Jahre zuvor

@Werner Jurga,
Werner, Deinen Kommentar (1) verstehe ich überhaupt nicht!
Ich habe ihn dreimal gewendet und gedreht.
Wenn Du also mit dem Wort „nachdem“ Probleme hast, muß ich, der nur „vorher“ „während“ und „nachher“ kennt, und wir doch wissen, dass „während“ nicht möglich war, Dich fragen:
Sag mal, bist Du in dem Fall mehr für eine Prophylaxe?

Ayla Wessel
Ayla Wessel
12 Jahre zuvor

Lieber Herr Laurin,

jetzt, wo es raus ist, dass ich Abitur gemacht habe, kann ich ja auch gleich noch mal zeigen, dass türk Mädchen nicht nur lernen können, sondern, was sie gelernt haben, auch behalten. Meinen Namen z.B. erkenne ich heute noch mühelos wieder – oder eben nicht. 😉

Stefan Laurin
Admin
12 Jahre zuvor
Reply to  Ayla Wessel

@Ayla Wessel: Jetzt ist er hoffentlich korrekt. 🙂 Als halber Kreter tue ich mich ja sehr schwer mit diesen neuen Namen aus der Provinz bei Konstantinopel und Smirna 🙂

Ayla Wessel
Ayla Wessel
12 Jahre zuvor

#4: Toleranz? Da hilft nur üben (gilt auch für Fehlertoleranz) 🙂

schuri
schuri
12 Jahre zuvor

Mich erinnert das an ein Grafito auf Mallorca Mitte der 90er im sehr deutschtouristischen Peguera: „Ausländer raus!“ stand da und ich habe sehr gelacht, ob der sich einstellenden Realitäts- und Sprachdifusion.

Teo
Teo
12 Jahre zuvor

Welche Deutschen hier gemeint sind, frage ich mich auch. Etwa die reinen Deutschen mit einem „ski“ am Ende ihres Nachnamens? Die reinen Deutschen mit Vorfahren aus Italien und Frankreich? Die Goten, Germanen oder Sachsen? Die reinen Deutschen, deren Ur-Ur-Ur-[…]-Ur-Ur-Ahnen aus Afrika über die Alpen geklettert sind? Die reinen Deutschen, die vielleicht nichtmal gänzlich Homo sapiens sind, sondern in denen zumindest auch ein bisschen Homo neanderthalensis steckt?

Um es mit Serdar Somuncu zu sagen: „Da durfte jeder mal reinstecken.“

Der rechte Reinheitswahn ist nicht nur historisch willkürlich, sondern auch biologisch Unsinn. Man muss sich nur reinrassige Hunde und ihre zahlreichen Erbkrankheiten ansehen.

Also wo ist die Definitionsmasse, die „Deutsche“ hier umfasst?

An dieser Stelle schlägt man dann zwei Fliegen mit einer Klappe: Die Rechten werden durch eine nicht vorhandene Reinheit argumentativ zerlegt und diejenigen, die finden „Tötet die Deutschen“ können offenbar auch nicht genau wissen, wer und was jetzt alles getötet werden muss.

Was allerdings auffällt: Wer sagt, dass diese Schmiererei von Türken stammt? Es gibt ja offenbar keine Unterschrift unter diesem Werk. Wenn sich türkische Tageszeitungen und Lesezirkel nun vermehrt dazu äussern, ist das nicht eine Art Schuldeingeständnis? Vielleicht sitzen irgendwo ein paar orthodoxe Russen und haben ganz viel schwarze Sprühfarbe an den Fingern.

Werner Jurga
12 Jahre zuvor

@ Helmut Junge (#2): Es gibt nie gute Gründe zu töten. Vom Tötungsverbot kann allenfalls in einer Notwehrsituation abgesehen werden – in diesem Kontext also „während“.

Glücksbärchen
Glücksbärchen
12 Jahre zuvor

Ich fasse es nicht: Anstatt den angeblich so schlimmen Spruch längst von seinen Kirchenmauern entfernt zu haben, posiert der Herr Pfarrer stattdessen lieber zwei Wochen (!) nach der Beschmierung der Kirche noch für die Bildzeitung vor dem Schriftzug – und zitiert anschließend noch stolz den Bild-Artikel, der übrigens schon in der Überschrift völlig unbelegte Vorurteile und Mutmaßungen als Fakten darstellt: „Tatmotiv: Deutschen-Hass!“

Sonnt sich da etwa wer in der medialen Aufmerksamkeit, die er mit der Unterstellung von „Deutschenfeindlichkeit“ und „Rassismus“ erwartbar wie unverantwortlich provoziert hat? Auch scheint es für ihn kein Problem darzustellen, dass die Bild scheinbar genau weiß, wer schuld ist: Warum sonst sollte sie den armen Pfarrer in diesem Artikel ausgerechnet mit den Worten zitieren: „Manche Migranten neigen dazu, sich in die Opferrolle zurückzuziehen“?

Möglicherweise sollte Thomas Wessel den Beruf wechseln. Vielleicht suchen RTL oder Sat.1 ja noch einen Mann aus dem echten Leben als Hauptdarsteller für irgend so eine Scripted-Reality-Show, jetzt wo Richterin Barbara Salesch hingeschmissen hat…

Ayla Wessel
Ayla Wessel
12 Jahre zuvor

@9:

Sie gucken aber viel fern, Glücksbärchen.

Und wenn Sie jetzt noch mal BILD guckten, würde Ihnen auffallen, dass da noch wer „posiert“.

Arnold Voß
Arnold Voß
12 Jahre zuvor

@ Glücksbärchen

Habe ich das jetzt richtig verstanden, Glücksbärchen? Sie halten den Spruch „Tötet die Deutschen“ für deutschenfreundlich?

Mir
Mir
12 Jahre zuvor

Hier wird krampfhaft versucht Öffentlichkeit für etwas zu schaffen was auf unklarer Grundlage basiert. Es werden Spekulationen geführt. Der Zweck heiligt nicht immer die Mittel.

Eine Diskussionsführung der Eheleute in der Gemeinde und auf lokaler Ebene zum Beispiel mit dem Nachbargebetshaus zu beschränken finde ich vernünftig, bis klar ist was überhaupt Sache ist.

DH
DH
12 Jahre zuvor

Ich lese da: „Tötet die Deutschen ist doof.“

@Ayla Wessel: Ihrem Foto nach zu urteilen, ist die Wand Ihres Kirchengebäudes auch in der Vergangenheit bereits für Graffiti genutzt worden. Was stand denn dort so, in den letzten Jahren?

Ayla Wessel
Ayla Wessel
12 Jahre zuvor

@ 13: Vorher stand da, nur mit Kreide, „Deutschland ist doof“, davon ist noch „ist doof“ übrig geblieben. Kann man dialektisch sehen. Links davon steht, was überall steht, „ACAB“, also „All Cops Are …“

der lachende Vagabund
der lachende Vagabund
12 Jahre zuvor

Ist doch alles ganz kalter Kaffee:

Wo Faschisten und Multis das Land regieren,
wo Leben und Umwelt keinen intressieren.
Wo alle Menschen ihr Ich verlieren,
da kann eigentlich nur noch eines passieren.

4x:Deutschland muss sterben,
damit wir leben können.

Schwarz ist der Himmel, rot ist die Erde,
gold sind die Hände der Bonzenschweine.
Doch der Bundesadler stürzt bald ab,
denn Deutschland wir tragen dich zu Grab.

Wo Faschisten und Multis das Land regieren,
wo Leben und Umwelt keinen intressieren.
Wo alle Menschen ihr Ich verlieren,
da kann eigentlich nur noch eines passieren.

4x:Deutschland muss sterben,
damit wir leben können.

……….

4x:Deutschland muss sterben,
damit wir leben können.

Wo Raketen und Panzer den Frieden „sichern“,
AKW’s und Computer das Leben „verbessern“.
Bewaffnete Roboter überall,
doch Deutschland wir bringen dich zu Fall.

4x:Deutschland muss sterben,
damit wir leben können.
4x:Deutschland verrecke,
damit wir leben können.

(Slime)

siehe auch:

– yankees raus (auch Slime)
– California über alles (Dead Kennedys)

Thomas Wessel
Admin
12 Jahre zuvor

@ 1 + 2 : Dass die Talion – „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ – eine Forderung des „alttestamentarischen Rachegottes“ sei usw, ist unter den antisemitischen Stereotypen das wohl gängigste. Die Vermutung liegt nahe, das liege daran, dass Juden – und natürlich Israel – eben das unterstellt wird, was gerade nicht stattgefunden hat: Es wurden keine 6 Mio Deutsche in der Nordsee ertränkt, das erst wäre gleich um gleich gewesen. Ans Äquivalenzprinzip aber glauben alle und daran, dass es sich nicht mal so eben außer Kraft setzen lässt. „Tötet die Deutschen“ hat diese unterschwellige Kraft.

Bert
Bert
12 Jahre zuvor

„Deutschland muss sterben, damit wir leben können.“

Wenn es einem in Deutschland nicht gefällt, kann man jederzeit auswandern.

Die DDR-Bürger hätten sich damals gefreut…also warum quält man sich hier so ?

Helmut Junge
Helmut Junge
12 Jahre zuvor

@der lachende Vagabund,

Ihr Kommentar 15 ist sehr merkwürdig. Finden Sie nicht auch?

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