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Warum Verbote der Öffentlichkeit schaden

kulturen
Rauchen, Trinken, Musizieren – alles, was Anstoß erregen könnte, wird eingeschränkt oder verboten. Doch die Öffentlichkeit muss ein Raum für eine offene und freie Begegnung sein. Von unserer Gastautorin Josie Appleton.

Warum verbieten Stadträte nahezu alles, was zur Atmosphäre öffentlicher Plätze beiträgt? Etwa Taubenfüttern, Betteln, Straßenmusik, Übernachten im Freien, Rauchen im Park. Und warum sind diese Verbote oft so beliebt?

Die Zivilgesellschaft wird offenbar als Kampf jeder gegen jeden verstanden. Die Handlung einer Person wird unmittelbar als Einschränkung oder Verletzung der Freiheit einer anderen betrachtet. Diese Haltung findet in Sätzen wie diesen ihren Ausdruck: „Dein Recht zu rauchen verletzt mein Recht auf eine rauchfreie Umgebung.“ Die Freiheit des einen, Straßenmusik zu machen, stört die Ruhe eines anderen. Taubenfüttern bedeutet, dass jemand anderes den Taubenmist abkriegt.

Dieses Modell der Zivilgesellschaft versteht Menschen als Träger miteinander unvereinbarer, gegensätzlicher Interessen. Jede freie Handlung äußert sich demnach schlicht durch ihre negative Wirkung auf eine andere Person. Tatsächlich wird die Handlung heute nur über diese negative Wirkung definiert: Straßenmusik ist gleich Lärmbelästigung, Flyer verteilen oder Taubenfüttern bedeutet Zumüllen, Ballspielen wird zum Ärgernis oder gar Hindernis, und wer um Geld bettelt, schüchtert Passanten ein.

„Jede freie Handlung äußert sich demnach schlicht durch ihre negative Wirkung auf eine andere Person.“

Deshalb werden Aktivitäten, die bisher als harmloser, ja sogar positiver Teil des Stadtlebens verstanden wurden, nun zu „asozialem Verhalten“ erklärt und bekommen sogar einen kriminellen Anstrich. Es wird unvorstellbar, dass irgendjemand das Recht, in der Öffentlichkeit zu trinken oder Tauben zu füttern, verteidigen könnte. „Willst Du mir erzählen, dass es ein Menschenrecht auf asoziales Verhalten gibt?“, lautet dann die Antwort. Oder: „Glaubst Du wirklich, Menschen sollten sich öffentlich betrinken, betteln, auf Parkplätzen die Reifen quietschen lassen, im Park Passanten anpöbeln?“

Öffentlichkeit als Angriff

Aktivitäten werden kriminalisiert, weil sie ausschließlich als Angriff auf andere Menschen angesehen – und in einem gewissen Ausmaß auch erlebt – werden. Die Definition von „Verbrechen“, bisher auf eine erhebliche Verletzung von Person oder Eigentum beschränkt, wird auf nahezu jede öffentliche Handlung ausgeweitet, die andere irgendwie betrifft.

Tatsächlich wird bereits die Anwesenheit bestimmter Personen auf öffentlichen Plätzen als schädlich eingestuft: daher Verbote von „Herumlungern“ und Razzien gegen „Versammlungen“ Jugendlicher. Ein Moderator des BBC Radio London schlug vor, dass, wer auf der Straße trinkt, nicht mehr auf Parkbanken Rast machen dürfen sollte. Stadträte verbieten das Rauchen in Parks, weil „andere, auch Kinder, Rauchverhalten ausgesetzt würden“. Ihr Verbrechen besteht also lediglich darin, andere ihres Anblicks und des Anblicks ihrer Aktivität auszusetzen (die zu etwas Fremdartigen objektiviert und als „Verhalten“ beschrieben wird).

Dieses heutige Modell des Stadtlebens ist nicht dasselbe, das städtische Verordnungen im viktorianischen Zeitalter auslöste. Damals sprach man pedantische Verbote für Musik im Park oder Kartenspielen auf der Straße aus. Diese Verbote waren Teil des Klassenkampfes der Elite gegen das Volk. Die Frage der Freiheit in den neu entstandenen öffentlichen Räumen war fast ausschließlich das Anliegen der Arbeiterklasse. Sie war es, die die rechtlichen Grenzen für öffentliche Demonstrationen bis in den Hyde Park ausweitete und die Straßen mit Flyern, Musikern und Künstlern füllte. Verbote waren durch die Furcht der Elite vor einer Öffentlichkeit motiviert, die gemeinsam handelt – vor der unberechenbaren, rastlosen Energie der Masse.

Heute gilt im Gegensatz dazu die Freiheit in öffentlichen Räumen als verbrauchter, weltfremder Wert, den niemand, der echte Erfahrungen aus dem Stadtleben vorweisen kann, ernsthaft verteidigen könnte. Eine Öffentlichkeit ohne Regulierung gleicht demnach der Hölle selbst: quietschende Reifen auf Parkplätzen, Erbrochenes, Urin, Fixer, Gewalt, Tauben, Ungeziefer, Hunde- und Katzenkot. Eine Kakophonie der Barbarei. Es wird angenommen, dass die Öffentlichkeit nicht in der Lage ist, sich selbst zu kontrollieren. Die freie Zusammenkunft von Menschen kann keine Form von Ordnung oder Respekt erzeugen, keine gegenseitigen Vorteile, kein Vergnügen. Folglich, so glaubt man, kann nur der Staat einen erstrebenswerten öffentlichen Raum etablieren.

Einander unvereinbar gegenüberstehende Menschen können ihre Konflikte nicht selbst lösen – sobald einer etwas tut, schadet es dem anderen und umgekehrt. Also wird der offizielle Schlichter eingeschaltet, um Handlungsspielräume einzuschränken, um, wie etwa der Stadtrat von Oxford zu sagen, dass das Stadtzentrum kein Ort für dafür ist, irgendetwas zu tun. Oder aber, falls Menschen unbedingt etwas tun müssen, dann in diskreten Zonen, wo verschiedene Aktivitäten ausgeführt werden können, ohne auf andere zu treffen oder Anstoß zu erregen. In Parks gibt es einen Spielplatz für Kinder (keine Hunde, keine Raucher), eine Gassigehen-Wiese (keine Kinder), eine Zone fürs Ballspielen (keine Hunde), ein Feld (keine Bälle, kein Trinken, keine Hunde). In einem Park wurde sogar eine Parkbank zur Bank für Betrunkene erklärt. Die Öffentlichkeit wird aufgeschnitten und in die verschiedenen Interessen aufgeteilt, die sie ausmachen.

Öffentlichkeit als Bereicherung

Es mag so aussehen, als ob Konflikte in der Zivilgesellschaft staatliche Intervention notwendig machen. Doch der Schein trügt, denn tatsächlich ist eher das Gegenteil der Fall: staatliche Intervention und Regulierung schaffen Konflikte innerhalb der Zivilgesellschaft. Es ist die Regulierung und Zuweisung der öffentlichen Plätze, die Allgegenwart eines Dritten, des Schiedsrichters, die Individuen polarisiert und zu unversöhnlichen Parteien macht. Weil es eine Hotline für asoziales Verhalten gibt, bitten Nachbarn nicht mehr darum, die Musik leiser zu stellen: sie kommunizieren nicht direkt, sondern über offizielle Kanäle, wodurch kleine Unstimmigkeiten zu allumfassenden Konflikten werden.

Tatsächlich hängt die öffentliche Atmosphäre zu einem großen Teil von der Regulierungsfreiheit ab. In den 1960er-Jahren beschrieb die amerikanische Stadtplanerin Jane Jacobs das komplexe Netzwerk urbaner Interaktion: die Art und Weise wie Menschen, während sie ihren Privatangelegenheiten nachgehen, aufeinander Rücksicht nehmen und zu einem besseren Leben auch der anderen beitragen 1. Kunden am Limonadenstand haben ein Auge auf spielende Kinder, der Besitzer des Lebensmittelladens passt auf Schlüssel und Pakete anderer auf.

Jacobs bemerkt, dass ein ärmliches Viertel – mit seinen Marktständen, Süßwarenläden und Bars, mit Bürgersteigen voller spielender Kinder und bummelnder, sich unterhaltender Erwachsener – das Modell lebendigen, respektvollen Umgangs darstellt. Im Gegensatz dazu waren in der neuen Wohnsiedlung nebenan – inklusive Versammlungsräumen und Kulturzentren – Kinder damit beschäftigt, mit Hydranten durch Fenster von Privathäusern zu spritzen.

Es waren die fabrizierten, staatlich geplanten Nachbarschaften, die Schauplatz der Barbarei wurden – nicht die spontanen Mehrzweck-Bürgersteige, wo Fremde schnell einschritten, um einen Streit zwischen Kindern zu schlichten.

Dasselbe wäre heute der Fall – nur, dass die Öffentlichkeit in einem solchen Ausmaß kontrolliert und reguliert wird, urbane Interaktion so sehr von der Vermittlung bürokratischer Organe abhängt, dass Beziehungen kaum ausgehandelt werden und sich kaum auf unabhängiger Basis entwickeln können. Dies passiert nicht mehr alltäglich, sondern ist ein seltener Anblick, den man ab und zu bestaunen kann. Wir werden alle gelegentlich Zeuge solcher Momente und finden sie auf YouTube verewigt: Videos von einem Betrunkenen aus Liverpool, dessen einbeiniger Tanz von einer Menschenmenge imitiert wird, oder ein Junge, der einem Straßenmusiker das Mikrofon klaut, um ein Solo zu singen. Hier sehen wir Straßenkünstler und Betrunkene, Kinder und Erwachsene nicht, wie sie einander verfeindet gegenüberstehen, sondern wie sie einander bereichern. Solche unerwarteten Einflüsse und Inspirationen gehören genauso in die Öffentlichkeit wie Konflikte und Meinungsverschiedenheiten.

In Wahrheit zerstören „Verordnungen zum Schutz öffentlicher Plätze“ die Öffentlichkeit, statt sie zu schützen. Sie beruhen auf dem Gedanken, dass die Zivilgesellschaft ein Kampf aller Individuen gegeneinander ist. Ihre Durchsetzung ist der Anfang genau dieses Schreckensszenarios.

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awmrkl
awmrkl
7 Jahre zuvor

Ein schöner und bedenkenswerter Artikel zum Thema, Danke!
Und entspricht zu weiten Teilen meiner Meinung.

Nansy
Nansy
7 Jahre zuvor

Ein weiterer Grund für die "Säuberung" des öffentlichen Raumes von allem Störendem kann auch die zunehmende Wahrnehmung sein, dass Straßen und Plätze eigentlich nur noch dem Handel dienen sollen – und da stören alle andersartigen Verhaltensweisen…

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