„…was ihr letzten Sommer getan habt“ – Ein Antisemitismus-Kongress als Statement

Mindestens 200 Besucherinnen und Besucher haben am vergangenen Samstag am prominent besetzten “Kongress gegen die jüngsten antisemitischen Ausbrüche” in Essen teilgenommen. Die Veranstaltung war der Höhepunkt der Aktionswochen gegen Antisemitismus in NRW. In der Alten Synagoge, die im Sommer Ziel von antisemitischen Anschlagsplänen war, hörte ein mehrheitlich junges Publikum Referenten wie Bassam Tibi, Stephan Grigat oder Lars Rensmann. Letzterer rekapitulierte auf dem Eröffnungspodium die Ereignisse des Sommers, die, so Rensmann, eine neue Heftigkeit, aber keine neue Art antisemitischer Vorfälle in Europa darstellten. Man könne Kongresse zu Israel im Grunde auf Jahre hinaus planen, bemerkte Tilman Tarach zu Beginn seines Vortrags einige Stunden später – das Thema Israel stehe schließlich leider so zuverlässig auf der Tagesordnung wie sonst kaum eines. 

Daran knüpfte Ahmad Mansour, bis vor kurzem Mitglied der deutschen Islam Konferenz, auf dem Abschlusspodium an, als er auf die Verbreitung von Verschwörungstheorien unter muslimisch sozialisierten Jugendlichen hinwies. Die deutschen Islamverbände kritisierte er für ihre Weigerung, sich mit dem virulenten Antisemitismus im eigenen Milieu ernsthaft auseinanderzusetzen: „Solange wir innerislamisch nicht den Mut haben dieses Problem offen anzusprechen, werden wir Jahr um Jahr auf’s Neue hier sitzen. Seit den Ereignissen des Sommers habe ich nicht das Gefühl, dass Politik und Pädagogik das Thema ausreichend ernst nehmen – es herrscht die Stimmung vor, Antisemitismus sei gleich Muslimfeindlichkeit, man müsse über Hass allgemein reden. Und da sehen sich die Muslime und die Verbände gerne in der Opferrolle und übernehmen keine Verantwortung – aber das müssen wir, da müssen wir Muslime selber nach einer Lösung suchen. Aus so einer Debatte würden wir nur gestärkt hervorgehen. Wir werden unsere Religion dabei nicht verlieren.“

Die düsteren Zukunftsaussichten teilte auch Konstantin Bethscheider, der als Vertreter des prozionistischen Teils der außerparlamentarischen Linken am Abschlusspodium teilnahm. „Letzten Sommer wurde sichtbar, dass es ein Antisemitismusproblem innerhalb muslimischer Communities gibt, dass Antisemitismus eine potentiell gewalttätige bis mörderische Ideologie darstellt, dass die Trennlinie zwischen „Israelkritik“ und einem Antisemitismus der Juden direkt angeht regelrecht zusammenklappt, wenn es hart auf hart kommt und es wurde sichtbar, dass eine deutsche Öffentlichkeit, die permanent die israelfeindliche Hetze in der Süddeutschen, im Focus und anderswo goutiert sicherlich nicht gegen eine Eskalation aufstehen würde. Man hätte es vorher wissen können, aber man wollte es nicht wissen – und ich glaube nicht, dass sich daran etwas geändert hat“, so Bethscheider. Den Mehrheitsislam nannte er „dringend reformbedürftig“, doch statt dessen werde lieber über die Unterscheidbarkeit von Islamismus und Salafismus, fundamentalistischen Muslimen und radikalen Djihadisten lamentiert. „Einig ist man sich darin, dass all das mit dem Islam nichts zu tun habe und verkauft diese Ignoranz dann womöglich noch als antirassistisches Engagement.“ Bethscheider forderte stattdessen eine Islamkritik, die radikal genug ist „nicht sofort mit den Schultern zu zucken, wenn eine Moscheegemeinde dann sagt, sie sei gegen Extremismus. Bis das nicht passiert, wird nicht nur die Antisemitismusbekämpfung prekär bleiben, sondern man wird auch ständig denjenigen in den Rücken fallen, die wirklich um eine ernsthafte Reform des Islam kämpfen“.

Im Juli hatten an einer israelfeindlichen Kundgebung der Linkspartei in Essen, in deren Anschluss es zu antisemitischen Ausschreitungen kam, tausende Muslime teilgenommen. Katharina König, die für die Linkspartei im Thüringer Landtag sitzt, kritisierte den Antisemitismus in ihrer Partei auf dem scharf. Vor allem den Landesverbänden in den alten Bundesländer und Teilen der Bundestagsfraktion attestierte sie als Teilnehmerin des Abschlusspodiums eine völlig fehlende Bereitschaft zur kritischen Auseinandersetzung mit der Realität in den palästinensischen Gebieten: „Das geht so weit, das linke Grundprinzipien in Frage gestellt werden. Spätestens in dem Moment, da man die terroristische Politik der Hamas nicht mehr kritisiert, nicht mehr kritisiert das im Gazastreifen homosexuelle Menschen gelyncht und hingerichtet werden.“ Ihre rote Linie für einen Parteiaustritt sei zu 90 Prozent erreicht, so König.

Inwieweit der Essener Kongress Erkenntnisgewinn und inhaltliche Relevanz für einen Diskurs zu bieten hatte, ist schwer zu sagen (von Lokalpresse und -Politik wurde er jedenfalls ignoriert). Sein Stattfinden ist im Jahr 2014 aber schon Statement und Erfolg an sich, zumal an diesem symbolträchtigen Ort. Wo im Sommer mehrmals der Mob aufmarschierte, wo gar die Alte Synagoge in Schutt und Asche gelegt werden sollte (wie es Innenminister Ralf Jäger dem Innenausschuss des Landtages berichtete), fanden in diesem Herbst nicht nur handreicherische Sonntagsreden zum Gedenken an tote Juden statt, sondern auch dieser Kongress, der in offensiver und stellenweise konfrontativer Weise die Ressentiments gegen lebende Juden thematisierte – denn die haben ungebrochen Hochkonjunktur.

Der Autor war an der Organisation des Kongresses beteiligt. Foto: Pitt Wenninger.

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Helmut Junge
Helmut Junge
9 Jahre zuvor

Schön, wie Artikel die Positionen der verschiedenen Vortragenden herausgearbeitet sind.
Dennoch bleibt ein Puzzle das vom Leser glücklicherweise selbst zusammengesetzt werden kann.
Wir müssen leider erleben, daß der Antisemitismus, der bei den verschiedenen Akteuren, die sich im letzten Sommer zusammengefunden haben, um unter dem Deckmantel, sich gegen die Politik Israels zu richten, wieder einmal, wie zu Zeiten des Naziterrors, die Alte Synagoge in Essen zu stürmen, sehr verschiedene Wurzeln hat, die allerdings auch tief in die Religion des Islam UND ABER AUCH in der Ideologie bestimmter Gruppierungen der Linkspartei hineinreichen. Das ist im Sommer mit dem platten judenfeindlichen Rassismus der Rechten zusammengekommen, und stellt in dieser Mischung durchaus eine gefährliche neue Qualität dar.
Während es in der moslemischen Gemeinde in Deutschland bisher nur wenige kleine Ansätze gibt, diese antisemitischen Ressentiments zu analysieren und auch zu bekämpfen, da sind sie sie wohl ebenso unbeweglich wie die Rechte, gibt es aber in der Linkspartei Stimmen, die solche Entwicklungen in ihrer eigenen Partei entsetzen. Leider kann ich dazu nicht sagen „immerhin, das ist doch schon was“, weil mir dieser Erkenntnisstand bei weitem nicht ausreicht. Und auf das Denken der rechten Antisemiten bezogen, die offenbar diesmal nicht mal Kernthema des Kongreßes waren, deren Antisemitismus immer schon offene Judenfeindlichkeit war, habe ich in all den Jahrzehnten mangels Beispielen ihres Haßobjektes mit der Logik keine Erklärungen gefunden. Da bleibt eigentlich ähnlich wie bei anderen Verschwörungstheorien nur die Verachtung und die gesellschaftliche Ächtung.
Aber was ist mit den Moslems? Immerhin (jetzt kommt doch dieses Wort „immerhin“) gibt es einzelne Moslems, die das Problem ihrer eigenen religiös bedingten Traditionen erkennen und tiefer angelegte Reformen fordern. Und da denke ich, weil das Schweigen der großen muslimischen Gemeinde zu den aus Haß geborenen und vom Haß angetriebenen, aber religiös begründeten Terroraktivitäten tausender Mitglieder ihrer Community ihrem und dem Ansehen ihrer Religion mehr schadet als allen Anderen, werden diese oben genannten wenigen Mahner auch Zustimmung in ihren Reihen bekommen. Zumindest sagt das die Logik. Nur weiß ich nicht, was Logik im Zusammenhang mit religiösen Fanatismus ausrichten (anrichten) kann.

leoluca
leoluca
9 Jahre zuvor

Vielen Dank für den Bericht über einen Kongress, der nur auf den ersten Blick einen lediglich aktuellen Anlass hat.

Der Antisemitismus ist in Deutschlands kollektivem Gedächtnis immer noch so fest verankert, dass man eine Wiederbelebung stets fürchten muss. Jetzt ist sie also wieder mal da und sie beschränkt sich auch diesmal keineswegs auf ein paar Randgruppen, sondern reicht bis in die Mitte der Gesellschaft.

Dass die Linkspartei, die sich eigentlich in der Tradition des Antifaschismus sieht, davon ebenfalls nicht frei ist, finde ich nicht überraschend. Sie schleppt die ganze alte Chose des linken Antisemitismus mit sich herum, den man aus manchen 68er- oder sogen. antiimperialistischen Strömungen genauso kennt wie aus den traditionellen sozialistischen Parteien.

Thomas Weigle
Thomas Weigle
9 Jahre zuvor

@ Leoluca Der damals junge israelische Journalist Amos Elonhat in den 60ern beide deutsche Staaten bereist und erkundet. In seinem „In einem heimgesuchten Land“, 1966 erschienen, stellt er in der DDR fest, dass die offizielle Politik in Israel einen „Vorposten des Imperialismus“ sieht. Otto Normalsozialist aber Israel gut findet, weil er selber gerne in einem „Vorposten des Imperialismus“ leben möchte. Angesichts des beschriebenen tristen Lebens in der DDR verliert auch ein „Vorposten des Imperialismus“ für den von der sozialistischen Tristesse gebeutelten DDR-Bürger seinen Schrecken. Diese Tristesse ist wiederum für einen Ingenieur aus Smolensk der absolute Fortschritt, den der junge Israeli in Thüringen trifft. Alles ist relativ…
Elon beschreibt aber auch den verordneten und gelehrten Antifaschismus in der DDR als formelhaft und inhaltsleer. Dass die DDR in Auschwitz einen „Opferpavillion“ wie die wirklichen Opfernationen hatte, zeigt überdeutlich den verqueren Antifaschismusbegriff der DDR. Na ja, Österreich sieht sich ja auch als Opfer des Faschismus…

Hansi Hirsch
Hansi Hirsch
9 Jahre zuvor

Was mir im Artikel fehlt ist eine Kritik am meiner Meinung nach einzigen Schwachpunkt, eines ansonsten völlig gelungenen Kongresses. Ich spreche vom Vortrag von Professor Bassam Tibi. Anstatt über Antisemitismus zu reden mündete dessen Vortrag in einer tatsächlich sachlich falschen Verharmlosung des Islamismus bis hin zur Scharia. Krude Behauptungen wie etwa, es gäbe einen friedlichen und einen gewalttätigen Islamismus (wozu dann noch die Unterscheidung von Islam zu Islamismus?) bis hin zu einer Verharmlosung der Scharia welche lediglich als „moralische Handlungsanleitung“ verkauft wurde sowie einer Romantisierung des „Arabischen Frühlings“ in Ägypten, an welchem angeblich keine Islamisten beteiligt waren (diese Aussage wurde dann zum Glück noch auf Nachfrage in der Diskussion relativiert). Auch die Muslimbruderschaft wurde als viel friedlicher und harmloser verniedlicht als sie eigentlich ist. Es fehlte lediglich nur noch, dass er in ekelhafter „antirassistischer“ Manier angefangen hätte über „Islamophobie“ zu schwadronieren.

Aber wie gesagt, dass war meiner Ansicht nach auch die einzige richtige Schwachstelle eines ansonsten super gelungenen Kongresses. Bitte mehr davon :).

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