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Eine Story aus New York: Williamsburg – Teil 6: Sehen und Gesehen werden

williamsburg-6Der Manhattaner Kunstszene, zumindest aber einigen der dortigen Galeristen, war Williamsburg als Künstlerstandort sehr früh bekannt. Mein Freund S. hatte es z.B. in der Zwischenzeit an die Broadway-Galerie O.K Harris geschafft. Aber die Verantwortlichen dort kamen nie zu ihm sondern er besuchte seinen Galeristen in Manhattan.  Nur dann, wenn es wirklich etwas Neues in seinem Loft anzuschauen gab, kamen Leute aus Manhattan zu ihm.

Einen regeren personellen und informationellen Austausch gab es zwischen Manhattan und Williamsburg erst als es dort auch Galerien gab die sich einen wenn auch kleinen Rang und Namen am Kunstmarkt erobert hatten.  Das gelang ihnen, in dem sie mutiger und innovativer in ihrer Künstler- respektive Kunstauswahl  waren und sich eigene Vertriebswege aufbauten.  So wurde in Williamsburg z.B. die kleinste Galerie der Welt erfunden. Nicht viel größer als eine Telefonzelle und dadurch hochmobil. Das Künstlerpotential  selbst war dagegen vor der Haustür und es nahm von Jahr zu Jahr zu.

Bis die etablierten Kunstzeitschriften allerdings einen Artikel über W-Burg schrieben bzw. schreiben ließen vergingen fast 10 Jahre. Auf ein Titelblatt schaffte es „Young and Wild W-Burg“ erst Anfang des neuen Jahrtausends. Danach erst begann der Stadtteil wirklich zu brummen. Vorher hatte jedoch schon die New Yorker und vor allem die Clubszene Manhattans den Stadtteil entdeckt, und das ungefähr zeitgleich mit der Gastroszene, die sich nicht nur hier einander überlappen.

Auch hier waren es vor allem die jungen  und risikofreudigen Leute die zuerst die Angst vorm imagemäßig immer noch als unsicher geltenden W-Burg auf der anderen Seite des Ost-Flusses  verloren. An den Wochenenden schaute man dann doch mal rüber und später auch unter der Woche und musste entdecken, dass die Gegend um die Beford ziemlich cool war.  Die Gesetze von Sehen und Gesehen werden brachen sich Bahn und je mehr Leute als Besucher nach W-Burg gingen  desto mehr kamen neue Besucher hinzu. Die Eigendynamik des Sceneseeking eben.

W-Burg wurde Kult und nun hatten auch weitere Boutiquen und Restaurants ihre Überlebenschance. Natürlich mussten sie selber noch hipper sein als die die schon da waren. Ein richtiggehender  innenarchitektonischer Wettbewerb begann parallel mit der zunehmenden Mode- und Outfitkonkurrenz der Besucher und der kreativen  Community im Outdoorbereich.  Die Gebäude und der städtebauliche Gesamteindruck waren dagegen, im Verhältnis zu Manhattan, nachwievor bescheiden.

Williamsburg war immer noch stadtästhetisch ein hässliches Entlein, dass man nur auf den zweiten Blick schön  finden konnte. Aber die Immobilienentwickler saßen diesbezüglich schon in der Warteschleife. Sie hatten zwar schon reichlich Grundstücke und Häuser gekauft, aber die Kunden die sie nach der Generalsanierung und den damit erheblich höheren Mieten beziehen sollten fehlten noch.  Die Besucher des Stadtteils  wurden immer mehr, auch die zuwandernden Künstler, aber immer noch kam nicht die kaufkräftige weil gut verdienen obere Mittelschicht, und schon gar nicht die ökonomische Elite der Stadt.

Die für diese Gruppe so attraktive Waterfront war immer noch nicht in Wohngebiet umgewandelt, denn gerade die auch zahlenmäßig stark gewordene Künstlercommunity wehrte sich in den diesbezüglichen öffentlichen Anhörungen besonders heftig, was die restlichen Bewohner dazu bewog es ihnen gleich zu tun. Weniger die Hausbesitzer als die Mieter unter ihnen natürlich. Und zunehmend auch die Stadtteilpolitiker, denn die wurden nun mal gewählt und dazu brauchten sie Mehrheiten und das waren immer noch die Mieter und nicht die Landlords von W-Burg.

Die wenigsten Künstler und  Galeristen hatten es in der Zwischenzeit zu Hauseigentum gebracht, was für sie natürlich in Anbetracht dessen, was jetzt auf den Stadtteil bald zukommen sollte, das Beste gewesen wäre.  Bei den zunehmend professionell geführten  Restaurants, Clubs und Boutiquen war das jedoch anders. Hier hatten die Betreiber und ihre Berater sehr schnell erkannt, dass es gut ist nicht nur den Betrieb sondern auch seine bauliche Hülle zu besitzen. Es  gab also schon in der golden Ära der Gentrification mehr oder weniger erfolgreiche unter  den Kreativen. Aber sie saßen fast alle noch im gemeinsamen Boot und wollten die Großspekulanten aus Manhattan von ihrem  W-Burg  möglichste fern halten.

Das große politische Streitobjekt war dabei natürlich die immer noch für Industrie und Gewerbe vorgesehene Uferzone und vor allem eine kleine grüne Brache zwischen den dort noch bebauten respektive gewerblich genutzten Flächen. Sie war auf Drängen einer mittlerweile gegründeten Bürgerintiative und den Lokalpolitikern von der Stadt New York nicht neu verpachtet  worden und somit im öffentlichen Besitz. Der mittlerweile auch in ersten Blueprints deutlich gewordene Traum der Immobilienspekulanten war dagegen, auch diese wilde Brache in eine Reihe von Hochhausbauflächen einzuverleiben, die die zukünftige Waterfront südlich und nördlich der Williamsburg Bridge vor allem vertikal gestalten sollten.

Williamsburg waren solche Highriser bislang aber völlig fremd. Nur einzelne  Lagerhäuser und Fabriken waren hier bisher höher als 4 Geschosse, und genau das machte auch den besonderen Village-Charme dieses Viertels aus. Sowohl für die Besucher als auch für die Bewohner. Niemand wollte also die Hochhäuser die zwar einen fantastischen Blick auf Manhattan, aber dafür keine Fernsicht mehr für den Rest der W-Burger booten. Vor allem aber  keine grüne Lunge mehr mit Blick auf Manhattan für alle. Es gab noch einen kleinen weiteren Uferpark, aber der reichte natürlich bei weitem nicht für die in der Zwischenzeit viel zahlreicher  gewordenen Bewohner aus.

Der grüne Park der noch gar keiner  war, wurde zum Identifikationsobjekt und zu einer alternativen Vision für die Zukunft der Waterfront, denn an die Ansiedlung neuer hafenbedürftige Industrien glaubten auch, bis auf die Gewerkschaften, die meisten Alt- und Neubürger des Stadtteils nicht mehr. Eine Unter-Gruppe meiner Studenten hatte viele Jahre vorher, neben den gut 70 Entwürfen der Gesamttruppe in allen Stadtteilen New Yorks, auch genau zu diesem Areal  einen  Plan gefertigt, der dort eben diesen Park vorsah und visionär zu gestalten versuchte. Er war jedoch , obwohl  in öffentlicher Hand,  immer noch eingezäunt. Nur die immer wieder und eigenhändige  und nächtlich vorgenommene systematisch Durchtrennung des Maschendrahtes erlaubte es durch Gestrüpp und Betonreste der ehemaligen Piers an das  Wasser zu kommen.

Dort saßen dann alle friedlich beieinander. Jung und Alt, schräg oder normal, Künstler, Bohemiens und „einfaches“ Volk  auf selbst gemachten Liegen und Sitzgelegenheiten und verbrachte , redend, schweigend, lesend und angelnd den Abend und häufig auch die Nacht. Die städtischen Ordnungskräfte gaben es nach einiger Zeit auf, den Zaun immer wieder zu reparieren. Es fanden die ersten Land-Art Aktionen statt, es wurden feste Sitzplätze in Eigenregie gebaut.

Es war eine wunderbar friedliche Insel und der Blick von dort auf die Skyline faszinierte auch mich über viele Jahre bis heute, denn nur der Park konnte gegen die  Spekulanten durchgesetzt werden und ist mittlerweile  schlicht und doch schön gestaltet, der Treffpunkt aller geblieben. Nur dass es nicht mehr dieselben sind, wie vorher.

Ich wohnte bis vor kurzem  mindestens den ganzen  Mai und September ganz in der Nähe dieses grünen Treffpunktes. Genauer gesagt nur 100 Meter entfernt in einem Loft in einer umgebauten Lastwagengarage. Aber dazu mehr in der nächsten Folge.

Was bisher geschah:
Die Willamsburg Story I…Klack

Die Willamsburg Story II…Klack

Die Willamsburg Story II…Klack

Die Williamsburg Story IV…Klack

Die Williamsburg Story V…Klack

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