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„Herr Professor, Sie sind ja teurer als der Jauch!“

Hanna Arendt

Was ein Montagsauto ist, wusste ich schon lange. Ein Freund fuhr mal so ein Ding, also wenn es denn mal fuhr. Seit gestern weiß ich  auch, was ein Montagsökonom ist. Er schreibt zum Wochenbeginn einen Artikel für die Wirtschaftsseite der WAZ und funktioniert nach (besser: unterliegt) den Prinzipien des Montagsautos. Jedenfalls, wenn dieser Montagsprofessor sich wohlfeil einreiht in den Club der ARD/ZDF-Basher, der derzeit ihren Verlegern zwar Freudentränen in die Augen treibt, auch wenn sie ansonsten im Tarifstreit hart bleiben. Wolfram F. Richter, Professor für Öffentliche Finanzen an der TU Dortmund, nahm sich gestern in der WAZ den ARD-Neutalker Günter Jauch vor. Er hält ihm sein vermeintlich gigantisches Einkommen vor. Das liest sich zunächst gut, kippt aber schnell ins Abstruse, wenn Richter Jauchs „Honorar“ mit dem Einkommen des Commerzbank-Chefs Martin Blessing vergleicht. Sagen wir mal so: Es gab mal einen zur Farblosigkeit neigenden SPD-Kanzlerkandidaten, der konnte in der von ihm empfundenen Hektik eines Fernsehinterviews  brutto und netto nicht so recht auseinanderhalten und wurde dafür ausgiebig verspottet.

In seinem Beitrag schreibt Professor Dr. Wolfram F. Richter:

„Für seinen Teilzeitjob soll Günther Jauch von der ARD pro Minute 4487 Euro bekommen… Erstaunlich ist, dass die Bürger solche Honorare mittragen.“

Wenn man ganz genau liest, stellt man fest, dass Günther Jauch die Frage „Wer wird Millionär?“ nicht im Wochentakt mit einem strahlenden „Ich!“ beantworten kann. Denn, das habe ich dem Professor aus Dortmund schon am Telefon gesagt, 4487 Euro sollen die Produktionskosten pro Minute betragen. Produktionskosten. Da ist dann alles drin. Also diese Kameraleute, ein Regisseur, ein Studio mit einer Kulisse aus vielleicht etwas dickerer Pappe als in der untergegangenen Neun-Live-Ratehölle, Redakteure, Schnittchen für die Gäste und so. Da ist dem Ökonomen irgendwas durcheinander gegangen. Mal für Anfänger: Wenn Ihnen ein Architekt für 200 000 Ocken ein Häuschen hinsetzt, dann kann der das auch nicht alles im Learjet auf die Cayman Islands bringen. Der muss leider ein paar Steine bezahlen, ein Dach, Kloschüsseln und sowas.

Günther Jauch kriegt auch nicht jede Minute eines langen Arbeitstages 4487 Euro hinterher geworfen. Das geht mir ähnlich, auf Landesliganiveau. Als Kabarettist kriege ich manchmal ein paar hundert Euro für einen eigens geschriebenen viertelstündigen Auftritt auf einem Kongress. Nur die Meister des mediokren Witzes rufen dann und wann mal: „Deinen Stundenlohn hätte ich gern!“ Woraufhin ich gerne antworte: „Ich auch!“.

Vollends wirr wird es, wenn der Dortmunder Ökonom Jauchs vermeintliches Einkommen mit den Stundensätzen des armen Bankchefs Martin Blessing („200 Euro“) und dem Tariflohn der Kanzlerin („nicht einmal .. die Hälfte“) vergleicht. Da stehen also in Prof. Wolfram F. Richters Logik 269 220 Euro (60 Minuten à 4487 €) einem Almosen von weniger als hundert Euro gegenüber. Man könnte ahnen, dass da etwas nicht stimmt. Man könnte aber auch mal mit diesen Maßstäben das Einkommen eines guten alten C4-Professors umrechnen. Der dürfte so auf etwa 7000 Euro im Monat kommen. Was tut er dafür? Er erfüllt sein Lehrdeputat, tritt neun Stunden die Woche öffentlich auf, Schulstunden wohlgemerkt, also 6,75 Zeitstunden. In den Semesterferien tut er nix. Er arbeitet also nur in sieben von zwölf Monaten und kommt dadurch auf mehr als 400 Euro pro Stunde. Er kassiert, sagenhaft, mehr als vier Mal so viel wie die Bundeskanzlerin und hat dabei doch nur einen Bruchteil der Zuschauer, auf die Günther Jauch auch bei der allerschlechtesten Sendung setzen kann. Nebenher: Beim Sonntagstalk der ARD zahlt jeder Zuschauer etwa 0,1 Cent die Minute, die nebenher konsumierten Chips dürften teurer sein. Der Minutenpreis einer durchschnittlichen Ökonomievorlesung, Masterstudiengang, dürfte pro Student etwa 70-mal so teuer sein.

Der Montagsökonom Richter bringt mich am Telefon in Rage. Er entschuldigt sich mit den wenigen Zeichen, die ihm die WAZ zur Verfügung stellt. Dafür entschädigt die ihn mit einer kreuzblöden, beinahe bildfähigen Überschrift:

„Sex, Lügen, Prozesse – was ist los bei ARD und ZDF?“

Das ist billig, aber den Umständen geschuldet Die deutschen Zeitungsverleger haben Stress, „weil  sie die Gewinne derzeit nicht mehr mit dem Lastwagen, sondern nur noch mit der Schubkarre vom Hof karren“, wie es neulich ein Gewerkschafter bei einer Streikversammlung schön formulierte. Den Untergang der freien Presse verantwortet, wenn man den Beiträgen der freien Presse glauben darf, allein eine Tagesschau-App, was auch immer das ist. Irgendwas mit Medien, pardon… Appleprodukten wohl. Größeren Stress dürften Zeitungsverleger eher haben, weil der smarte Steve Jobs sich an den App-Umsätzen der Verlage in einer Größenordnung beteiligt, wie sie sonst nur Zuhälter auf dem Straßenstrich kennen.

Ironie der Geschichte: Wie kaum eine andere Branche setzten Zeitungen und Zeitschriften schon in den 70-er Jahren auf Computertechnik, weil sich damit eine Menge Personal einsparen ließ und dadurch die Lastwagen endlich mit Anhänger vom Hof fahren konnten. Dummerweise hat sich die einst von den Verlagen forcierte Informationstechnologie so entwickelt, dass nicht nur die Herstellung von Nachrichten immer billiger geworden ist, sondern auch deren Konsum. Aber es ist so schön einfach, ständig aufs Internet zu glotzen und von Montagsökonomen ARD und ZDF dissen zu lassen.

Die Krise der Regional- und Lokalzeitungen ist älter. Ende der 80-er Jahre besuchte ich schon eine wissenschaftliche Tagung des Grimme-Institutes, in der es um das „Ende der Lokalzeitung“ ging. Es gab einige simple Vorschläge, da ging es um Personalisierung der Beiträge, um ein lockeres Layout, um eine Öffnung zu den Lesern. Mal ganz konkret darum, dass die Durchwahlnummer des Lokalredakteurs im Blatt erscheinen sollte, dass bei Kommentaren Fotos des Kommentators stehen sollten, dass es Pro-und-Contra-Kommentare zu einem Thema geben sollte. Zum einen wurde mein Artikel zur Tagung über Nacht aus dem Blatt gekippt. Zum anderen mochte man die Vorschläge nicht. Durchwahl? – Da kann mich ja jeder Trottel stören. Foto? – Da labert mich samstags jeder beim Einkaufen in der Stadt an. Pro und Contra? – Da ist der Leser überfordert. Die WAZ brauchte dann rund 15 Jahre, um diese Ideen zu verarbeiten. Die komplexe ARD  schafft es immerhin in knapp einem Fünftel der Zeit, Günther Jauch zu verpflichten.

Öffentlich-Rechtlicher Rundfunk ist eine wunderbare Veranstaltung, auch wenn die Beteiligten sich alle Mühe geben, ihn in Grund und Boden zu regulieren und zu kontrollieren. Selbst wenn viele die Rundfunkgebühren an Unterhaltungszahlungen für die Exfrau erinnert, die man lange schon nicht mehr gesehen hat, bleiben Richters „Zwangsabgaben“ ein Kampfbegriff. Die ARD ist eben kein Staatsfernsehen, auch wenn man das beim Bayerischen Rundfunk nicht immer gleich merkt. Das hat historische Gründe, und aktuelle Bedeutung, die man erkennt, wenn man bei Staatssendern mal an die RAI und Berlusconi denkt und bei Privatsendern mal an RTL2 und den täglichen Dreck, der da produziert wird.

Natürlich sind Talkshows teuer. Um das zu verstehen, muss man aber nicht nur von Ökonomie, sondern auch vom Fernsehen ein bisschen verstehen. Was Prof. Wolfram F. Richter in seinem Beitrag zumindest nicht zu erkennen gibt.
„Die Produktionskosten für eine Sendeminute von ARD und ZDF liegen im Durchschnitt bei 1000 Euro“,

schreibt er. Das mag so richtig sein. Eine Minute Tatort kostet zunächst etwa 13 000 Euro. Dann wird der Krimi mehrfach in der ARD und unendlich oft in den Dritten wiederholt, das senkt die Kosten. Jetzt hat nicht jede Talkshow so einen Ewigkeitswert wie das legendäre Gespräch zwischen Hannah Arendt und Günter Gaus aus dem Jahr 1964.

Einmaligkeit bedeutet Exklusivität. Exklusivität ist teuer. Ich weiß nicht, ob Ökonomen das irgendwann im Studium lernen. Im Fernsehgeschäft ist das bekannt.

Wenn ich so recht überlege, ich habe auch eine Zeitlang Fernsehen gemacht, Glossen bei einem politischen Magazin aus Köln. Bei den Minutenpreisen habe ich in der Jauch-Liga gespielt, auch nicht inflationsbereinigt. Aber den Minutenpreis von Anne Will dürften wir manchmal geknackt haben. Reich geworden bin ich dabei nicht. Wahrscheinlich habe ich zu wenig Ahnung von angewandter Ökonomie.

 

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mutterseelenalleinerziehend

Ich will dieses Haus, das der Architekt mir für 200.000 baut. Wo finde ich den Architekten?

plaque sniffken
plaque sniffken
12 Jahre zuvor

kaysh – yeahhh…

lebowski
12 Jahre zuvor

Hier mal ein kleiner Tipp für Lokal- und Regionalzeitungen: Eine gewisse Konsistenz und Kohärenz in der Berichterstattung kann gar nicht schaden.

Beispiel: Auf der Seite „Aus aller Welt“ schreibt irgendein Journalist, dass der Staat über seine Verhältnisse lebt und gefälligst sparen solle. Man könne nicht jeden finanziell beglücken. Auf derselben Seite im Layout 6 cm weiter rechts schreibt ein anderer Journalist im Kommentar, dass der Staat, um eine marode Branche zu retten, mal richtig Geld in die Hand nehmen soll.
Aussagen, die sich gegenseitig ausschließen. Aber egal, jeder hat so seine Textbausteine, die sich schnell zu einer „fundierten“ Meinung zusammenbauen lassen. Das Ganze auf einer Zeitungsseite.

Martin Böttger
Martin Böttger
12 Jahre zuvor

Hallo Steiger,
Dein eigens geschriebener viertelstündiger Beitrag auf dem Kongreß am Samstag in Oberhausen war jedsenfalls sein Geld – ich habe mich erkundigt – wert! 😉

Stefan Laurin
Admin
12 Jahre zuvor
Reply to  lebowski

@lebowski: Das finde ich sehr gut. Eine moderne Zeitung lebt von den unterschiedlichsten Autoren und lädt ihre Leser zum diskutieren und nachdenken ein. Sie muss keine kohärente Linie haben, die sie vertritt.

lebowski
12 Jahre zuvor

@Stefan Laurin
Klaro. Da wird schon mal ein Abgeordneter der Linken auf der Bild-Titelseite an den Pranger gestellt, weil er Wohnungen an Prostituierte vermietet hatte und etwas weiter unten grinst uns dann das Tittenmädchen von Seite 1 an. Das passt.

Abnick Grabotki
Abnick Grabotki
12 Jahre zuvor

@1.: Das Haus steht bezugfertig in Essen-Karnap. Neubau !

Stefan Laurin
Admin
12 Jahre zuvor
Reply to  lebowski

@lebowski: Was hat das eine mit dem anderen zu tun?

Jan
Jan
12 Jahre zuvor

Ich glaube, früher war alles unheimlich geordnet: Print auf der einen Seiten, Radio und TV auf der anderen Seite (eigentlich eine weitere Unterteilung wert, aber organisatorisch oft genug verbunden). Und die beiden kamen sich so gut wie nie in die Quere. Die verlagslastigen Anfangsjahre von SAT.1 haben keine sonderlichen Spuren hinterlassen, ebensowenig die Zeiten, in denen der WAZ-Gruppe ein kleines Stück RTL gehörte.
Die Grenzüberschreiter waren aber in der Regel immer die aus dem Print-Lager: sie haben sich als Drittanbieter-Zwangsprogramme bei den Privatsendern eingenistet und diverse Male das Druckerzeugnis in Bewegtbilder umgewandelt. Ich persönlich mag Spiegel TV Magazin (bis auf den seichten Kram nach der Werbung), aber ich weiß auch, dass RTL hierfür weitaus mehr bezahlen muss, als die Sendung kostet, weil der Preis nicht frei verhandelbar ist. Printmedien wissen ebenso, wie sie sich mit Zwangsgebühren finanzieren! Der ehemalige SAT.1-Chef Schawinski hat das mal vorzüglich beschrieben.

Statt der klaren Grenze, die für das eine Lager immer undurchdringlich war, und für die das andere Lager immer eine gewisse Reisefreiheit besaß, ist nun das Internet aufgekommen – und das ist überraschenderweise sehr textlastig! Und wieder überschreitet das Print-Lager die alte Grenze: Nachrichtenportale mit Print-Wurzeln veröffentlichen massenweise Videos, um nicht als öde Textwüste zu gelten. Und da erwartet man von Fernsehsendern, dass sie auf Text verzichten? Dass sie darauf verzichten, ein von Gerichten bereits als unbedenklich eingestuftes Angebot wie tagesschau.de, in bedienbarerer Form als App vorzulegen? Zusätzlicher Content steckt dahinter nicht.
Und natürlich ist ein solches Angebot gebührenfinanziert. Eine Werbefinanzierung würde die Mitbewerber nicht gerade begeistern! Und wer soll eine gebührenpflichtige App bezahlen, wenn tagesschau.de dieselben Inhalte kostenlos bietet.
Nur weil bild.de iPhones aussperrt, muss doch nicht jedes andere Medium diesem unfreundlichen Beispiel folgen.

Wer hier gegen die Tagesschau klagt, hat in der Regel selber kein ordentliches Erlöskonzept fürs Internet. Eine Bestseller-App der WAZ ist mir zumindest nicht bekannt.

Und zum Thema Jauch: natürlich wurde hier ein prestigeträchtiger Name eingekauft. Die Vorgängerinnen waren journalistische Eigengewächse der ARD. Jauch kann Sport, kann unpolitisches Magazin, seit 10 Jahren kann er auch Quiz – was seine Sonntagabendaufgabe angeht, ist er ein Überraschungspaket. Unterm Strich bleibt die Frage: ist die Sendung mehr wert als die recht unschön verjagte Vorgängerin, an der nichts auszusetzen war?
Ich kann das jetzt noch nicht beantworten, aber die Messlatte liegt 41% höher, denn umsoviel teurer ist künftig die Sendeminute! Wiederholbarer als Anne Will wird Jauch vermutlich nicht sein.

Richard
Richard
12 Jahre zuvor

Dem Autor ist offenbar entgangen, dass Professoren nicht nur Lehren und Lehre nicht nur die Zeit der physischen Anwesenheit im Veranstaltungsraum umfasst.

Kpm
Kpm
12 Jahre zuvor

Vielen Dank für diesen tollen Artikel. Hat riesig Spaß gemacht, ihn zu lesen.
Was Ökonomen offensichtlich bereits sehr früh lernen, ist der Refrain von „Wes Brot ich eß ….“
Ziemlich widerlich von beiden, vom Sänger und vom Brötchengeber.

Jan
Jan
12 Jahre zuvor

@10
Der Autor hat die Fehler in der Milchmädchenrechnung von Prof. Richter hinreichend beschrieben, da ist es durchaus legitim, dieselbe Milchmädchenrechnung einmal auf Richter anzuwenden, um die Absurdität aufzuzeigen.

trackback
12 Jahre zuvor

Links anne Ruhr (13.07.2011)…

Duisburg (Loveparade 2010): Stadtrat beschließt jährlichen Loveparade-Gedenktag (DerWesten) – Datteln/Waltrop: Unterlagen zum Kraftwerk liegen im Rathaus aus (Waltroper Zeitung) – Oberhausen: Ist Oberhausen eine Provinzstadt oder…

David Schraven
Admin
12 Jahre zuvor

@ Lebowski

vielleicht haben Sie oben im Text gelesen, dass sowas wie pro und contra Kommentare schon Ende der 80Jahrw gefordert wurden.

Sie sind der lebende Beweis, dass Leser offenbar nicht mit Meinungsvielfalt innerhalb einer Zeitung klarkommen. Alles muss einheitlich sein, wie Sie schreiben. Kohähernt und Konsistent.

Wenn Sie die Prawda wollen. Kaufen Sie Neues Deutschland.

lebowski
12 Jahre zuvor

@David Schraven
Sehr überzeugend, Meinungsvielfalt zu predigen, aber bei abweichenden Meinungen direkt persönlich zu werden.

„Sie sind der lebende Beweis, dass Leser offenbar nicht mit Meinungsvielfalt innerhalb einer Zeitung klarkommen.“

Also erstens kennen Sie mich nicht und zweitens ist das, was Sie generös als Meinungsvielfalt innerhalb einer Zeitung bezeichnen nichts anderes als das planlose Zusammenstöpseln von Textbausteinen, das dann zu widersprüchlichen Aussagen führt. Es ist die gleiche „Meinungsvielfalt“, die es in den Talkshows gibt.

Übrigens: Die Zeitung „Neues Deutschland“ ist nicht mehr das Zentralorgan der SED, sondern ein ganz normales Blatt, das sich auf dem Markt behaupten muss.

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