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Elektra im Schauspielhaus Dortmund: IS, Pegida und Revolte

Henker/Bauer: Frank Genser Elektra: Caroline Hanke Chor: Bettina Lieder, Merle Wasmuth Pylades: Carlos Lobo Orest: Peer Oscar Musinowski Klytaimnestra: Friederike Tiefenbacher Live-Band: Geoffrey Burton, Larry Mullins alias Toby Dammit, Paul Wallfisch Elektra (als Kind): Alice Simon Orest (als Kind): Leonhardt Walkenhorst
Elektra, Foto: ©Edi Szekely

Regisseur Paolo Magelli und Dramaturg Alexander Kerlin haben sich in der Inszenierung von „Elektra“ nach Euripides viel vorgenommen. Zu viel. Das Stück bietet ausreichend Stoff, um es in die moderne Zeit zu übertragen. Das über 2400 Jahre alte Stück ist immer noch relevant, in den vergangenen Jahrtausenden haben sich die grundlegenden Fragen des menschlichen Seins nur wenig verändert: Macht, Loyalität und Rache sind heute genauso aktuell wie damals.

Alles dreht sich um einen Königsmord, der an Agamemnon begangen wurde. Sein Sohn Orest kehrt nach seiner Flucht vor den Mördern nach Hause zurück, um den Tod seines Vaters zu rächen. Auch Elektra, die Tochter des erschlagenen Königs, will sich mit der Mordtat ihrer Mutter nicht abfinden. So ist voller Hass gegen ihre Mutter und jetzige Königin, die sich die Macht mit dem neuen König, ihrem Liebhaber, teilt. Regisseur Magnelli sieht in der Figur der Elektra das „Symbol der politischen Unzufriedenheit, die personifizierte, reine Revolte“.

Mit dieser Interpretation wird das Stück in die Jetzt-Zeit geholt. Regisseur Paolo Magelli, Intendant des Teatro Metastasio Stabile della Toscana, doch möchte keine soziologische Analyse auf die Bühne bringen, sondern: „Diese politische Klaustrophobie, die ich persönlich erlebe, kann ich nicht ertragen und muss daher versuchen (…) sie zu verarbeiten.“

Dramaturg Alexander Kerlin hält sich an die ursprüngliche Geschichte, krempelt sie aber gleichzeitig radikal um. Ein guter und interessanter Plan. Kerlin schrieb das über 200 Seiten starke Stück nicht nur umfassend um, sondern aktualisierte es bis zum letzten Probentag mit den sich überstürzenden aktuellen Ereignissen. In die Tragödie wurde work in progress der Mordanschlag auf Charlie Hebdot, die rechtspopulistische Pegida-Bewegung, die ansteigenden Flüchtlingszahlen, die IS-Morde in Syrien und im Irak und – ganz allgemein – die „ideologische Verwirrung“ angesichts uneindeutiger politischer Verhältnisse verarbeitet. Ein bisschen Kapitalismuskritik musste auch sein. Überraschend war schon eher das Zitieren von Bundespräsident Joachim Gaucks Statement: „Euer Hass ist unser Ansporn“.

Hinrichtungen als bildstarke Motive?

Dem Stück Elektra mangelt es nicht an bildstarken Symbolen. Gleich zu Anfang wird einem der Protagonisten ein Schwert an den Hals gelegt, später soll Elektra, auf die Knie gezwungen, geköpft werden. In Zeiten, in denen im Internet Videos von Enthauptungen von Journalisten, Christen und anderen Feindes des IS kursieren, haben solche Bilder eine unglaubliche Wucht – diesen Bildern wird die Szene nicht gerecht.

Die Frage zur „Kunst des Tötens“ und wie man einen Menschen am effektivsten umbringt, beantwortet der mordende Bauer und Henker (Frank Genser) mit dem Satz: “Erst ein glatter Schnitt, tief, durch Haut und Fleisch in einem Zug. Den Knochen erledigt die Axt.“ Doch erfasst diese Szene noch nicht einmal im Ansatz die tiefe Erschütterung, die die Menschen weltweit angesichts der Greueltaten islamistischer Fanatiker erfasst hat. Auch das rote Blumenmeer auf der Bühne wirkt etwas sehr symbolträchtig und erinnert – ein weiterer Ausflug in die Geschichte der Revolutionen – an die Nelkenrevolution, die 1974 die jahrzehntelange faschistische Diktatur in Portugal beendete.

Elektra: Caroline Hanke Klytaimnestra: Friederike Tiefenbacher, Foto:
Elektra mit Caroline Hanke, Klytaimnestra: Friederike Tiefenbacher, Foto: ©Edi Szekely

Die Hauptdarstellerinnen, Friederike Tiefenbach als machtbesessene Mutter Klytaimnestra und Caroline Hanke als Tochter Elektra zeigen ihre Spielkunst. Der Hass aufeinander ist groß und unerbittlich. Hofft doch Elektra, dass ihr Bruder Orest bald an ihre Seite kommt, um „endlich zu rächen den entsetzlichen Mord“. Mutter Klytaimnestra bezeichnet ihren Ehemann als „alten Faschisten, das Aas!“ Der Mord an ihm wird verteidigt. Doch später entpuppt sich das schwierige Mutter-Tochter Verhältnis als Teenagerproblem „Du hast mich nie verstanden…“ Beschimpfungen mit Sumpfhuhn, Systemschleuder und Kotzkanone folgen, Eltern pubertierender Kinder kennen das. Das nimmt dem vorhergegangenen Drama die Kraft, denn in diesem Moment rücken einem die Gefühle und Konflikte der Figuren sehr fern.

Das „Pegida“-Volk: Neunmalkuge Lebensweisheiten

Das weibliche Duo (Bettina Lieder und Merle Wasmuth) kommentiert als Chor im Look zwischen BDM-Mädel und 50er Jahre Petticoat ein bisschen geschwätzig und immer neunmalklug das Geschehen. Sie verkörpern durch stetes Verkünden von Allgemeinplätzen und Alltagsweisheiten die Haltung des „Kleinbürgertums“. Das Volk, das am Ende statt großer neuer politischer Entwürfe lieber den eigenen Vorteil sucht, enttäuscht durch Untätigkeit und Positionslosigkeit. Das naseweise Pärchen nervt, ist aber gerade deswegen unentbehrlich.

Elektra mit Merle Wasmuth, Bettina Lieder, Caroline Hanke, Foto: ©Edi Szekely
Elektra mit Merle Wasmuth, Bettina Lieder, Caroline Hanke, Foto: ©Edi Szekely

Wenigstens Elektra hat große Pläne und möchte die Macht in den richtigen Händen sehen. Blind vor Wut erwürgt sie ihre Mutter und hofft, dass nun endlich der legitime Thronfolger und ihr Hoffnungsträger Bruder Orest (Peer Oscar Musinowski) die Dinge in die Hand nimmt. Der will die Verantwortung übernehmen ruft laut: „Ich bin der König!“ – doch retten kann er das Land nicht. Er verfällt in geistige Umnachtung und wird irre.

In gewohnter musikalischer Qualität auf höchstem Niveau begleitet Paul Wallfisch, der für Dortmund ein unschätzbar große musikalische Bereicherung ist, mit dem IggyPop-Schlagzeuger Larry Mullins und dem Gitarristen Geoffrey Burton das Stück. Die Musik wurde von Wallfisch eigens für die die Dortmunder Elektra komponiert – eine Komposition aus Strauss-Versatzstücken, Noise-Jazz, großartigen Percussion-Einlagen, Walzerelementen und wunderbar lauten Punk-Klangteppichen. Wenn daraus eine Schallplatte entstehen sollte, hätte sich die Inszenierung  allein dafür schon gelohnt.

„Es gibt keinen Krieg, der einen nichts angeht“

An dem Abend fällt an entscheidender Stelle der Satz: „Es gibt keinen Krieg, der einen nichts angeht“. In einer globalen Welt und aus Sicht eines humanistischen Weltbildes stimmt das ohne Zweifel. Gesellschaftskritik an Bewegungen wie Pegida, die Reflexion über die Reaktionen auf Charlie Hebdot und natürlich auch Krieg auf die Bühne zu bringen, ist nicht nur legitim, sondern auch wichtig.

Henker und Bauer Pylades (Carlos Lobo) im schwarzen Wehrmachts-Offiziersmantel rennt mit einer Axt in der Hand über die Bühne und ruft: „Was ist der Plan?“ Fast möchte man zurückrufen: Ja genau, was ist der Plan? Das Stück ist überfrachtet und am Ende bleibt man angesichts der Fülle von Ereignissen, Anspielungen und Fragestellungen, die sich in 80 Minuten nicht behandeln lassen, irritiert und mit Input überschwemmt zurück.

Dennoch: Das Aufzeigen des nur fragmentarischen Wahrnehmens des globalen politischen Geschehens, das sich Überstürzen der weltweiten politischen Ereignisse, die sich im medialen Rauschen gegenseitig überlagern und die stete Herausforderung eines jeden, sich den neuen Umständen täglich neu stellen zu müssen – all das ist dem Stück gelungen.

Auch ist Kerlins große Stärke unbestritten, aktuelle Bezüge in seine Stücke einzubinden. Doch im Fall von Elektra wäre eine scharfe Analyse nur eines der vielschichtigen politischen Phänomene, die uns in diesen Tagen beschäftigen, wesentlich spannender gewesen. Hier hätte man sich festbeissen und in einen wirklich tiefgreifenden Dialog mit dem Publikum einsteigen können. Die Zuschauer klatschten kurz und verhalten.

Nächste Vorstellung ist am 28. Februar 2014, 19:30 Uhr
Karten gibt es hier:  oder per Mail: ticketinfo@theaterdo.de

 

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