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Badische Zeitung erteilt Schreibverbot über „Arisierung“

Badische Zeitung: Dieser Artikel war Stein des Anstoßes.
Badische Zeitung: Dieser Artikel war Stein des Anstoßes.

40 Jahre war er Journalist für die Badische Zeitung, bis er Schreibverbot erhielt. Weil er über die unrühmliche Vergangenheit eines ortsansässigen Unternehmens im Nationalsozialismus schrieb. Ein Gastbeitrag von Bernd Serger.

Aufklärerischer Journalismus mit Haltungsfehler oder:

Wie die Chefredaktion der Badischen Zeitung mir nun Schreibverbot erteilte.

Nach mehr als 40 Jahren im Journalismus jetzt das: Die Chefredaktion der „Badischen Zeitung“ hat mir mitgeteilt, dass sie mich als Autor nicht mehr im Blatt haben will. Ich soll’s auch gar nicht mehr versuchen. Schreibverbot also.

Damit endet eine fast 30jährige Mitarbeit in der nach wie vor von mir geliebten Zeitung. Sie begann 1991, als ich die Leitung der Lokalredaktion in meiner Heimatstadt Lahr übernahm. 1997 wurde ich nach Freiburg gerufen, wo ich bis 2002 in schwierigen Zeiten die Stadtredaktion leitete. 2002 wurde ich zum „Heimatchef“ befördert. Damit war ich Leiter aller 20 Lokalredaktionen der Badischen Zeitung und Mitglied der Chefredaktion – bis zum Eintritt in den Ruhestand im Jahr 2011.

Seitdem arbeite ich, pardon: arbeitete ich, als Autor der Badischen Zeitung, schrieb hauptsächlich über historische Themen. Meist betrafen sie mein Forschungsgebiet der letzten Jahre: die Geschichte der jüdischen Kauf- und Warenhäuser in Freiburg und darüber hinaus. Ich habe hierfür in etlichen Städten, speziell zur Geschichte der jüdischen Warenhaus-Kette Knopf, Ausstellungen zusammengestellt, Vorträge gehalten, Führungen gemacht, Nachkommen der Kaufhausfamilie Knopf in aller Welt aufgestöbert und zusammengeführt – und mir ein umfangreiches und wohl einzigartiges Archiv geschaffen.

Firma verschweigt „Arisierung“

Mit diesem Wissen wurde ich stutzig, als ich im Oktober 2017 in der Badischen Zeitung eine Werbe-Beilage fand, mit der die Freiburger Firma Betten-Striebel die „Jubiläums-Wochen“ zu ihrem 80jährigen Bestehen ankündigte. Striebel – das sagte mir etwas. In einem Kasten in dieser Beilage wurde kurz die jüngere Firmengeschichte gestreift – dass die Firma Striebel ihr Unternehmen einzig und allein der „Arisierung“ des jüdischen Kaufhauses Julius Marx zu verdanken hat, war nicht erwähnt. Auch nicht auf der Internet-Seite der Firma. Dort war zu lesen: „Textilkaufmann Franz Striebel hat 1937 die Firma gegründet.“ Auch hier kein Wort zur „Arisierung“ und Übernahme des jüdischen Vorgängers aus derselben Branche.

Heute stellt sich die Frage: Ist so ein bewusstes Verschweigen und Übergehen „relevant“ genug, um darüber einen auch längeren Beitrag in der Zeitung zu veröffentlichen? Meine Antwort ist und bleibt: eindeutig ja.

Der jetzigen Firma Striebel waren 2017 die Vorgänge von 1937 im Kern nachweislich bekannt. Ich wollte jedoch die ganze Geschichte der Verfolgung, Beraubung und Flucht der früheren Besitzer Ernst und Lotte Rothschild aufbereiten, um mit meinen Recherchen auf der sicheren Seite zu sein. Nach zweimonatiger Recherche in den Archiven und Genealogie-Portalen übergab ich im Dezember 2017 der Firma Striebel eine 37seitige Dokumentation der Geschichte des Kaufhauses Julius Marx und der Anfänge von Betten Striebel (siehe Link dazu unten) – verbunden mit ein paar Fragen und der Bitte um ein Gespräch.

„Betten Striebel“ wollte Gerichtsverhandlung untersagen

Ich bekam keine Antwort. Das auf mein Drängen schließlich zustande gekommene Telefongespräch mit Hans Hamer, dem jetzigen Inhaber der Firma Betten Striebel, endete damit, dass er mir strikt untersagte, die Inhalte zu verwerten. Mehrere weitere, zuletzt dringliche Bitten um ein Gespräch und eine Stellungnahme blieben ohne Antwort – und so erschien am 21. Juli 2018 im Wochenend-Magazin der Badischen Zeitung mein Beitrag unter der Überschrift „Jubiläum aus dem Nichts – Das Freiburger Bettenhaus Striebel feiert sein 80-jähriges Bestehen – ohne die jüdische Vorgeschichte der Firma“ (siehe Link dazu unten).

In dem Beitrag stand, dass die jetzige Inhaberfamilie, die erst in den 80er Jahren in die Firma eingetreten ist, mit der „Arisierung“ des Kaufhauses Julius Marx nichts zu tun hat. Umso merkwürdiger sei das Verhalten der Firma. „Man kann auch darüber diskutieren“, so schrieb ich weiter, „auf welche Weise man nach 80 Jahren mit dem Thema „Arisierung“ und entsprechenden Firmenjubiläen umgeht. Nur: Diese Vorgeschichte völlig zu verschweigen, aber mit großem Aufwand das Jubiläum zu feiern, das ist nicht zu akzeptieren. Schon gar nicht in der heutigen Zeit.“

Badische Zeitung unterdrückt die Berichterstattung

BZ-Chefredakteur Thomas Fricker sah und sieht das ganz anders: Er sorgte umgehend dafür, dass die Online-Version dieses Beitrags gesperrt wurde und so nicht mehr auffindbar ist. Dies, um „weiteren Schaden von der Firma abzuwenden“, bei der er schnell um gut Wetter bemüht war. Seine gesammelten Vorwürfe: Ich hätte das „Ansehen unbescholtener Bürger verletzt“ und unzulässig versucht, die Firma Striebel „zur Erinnerungsarbeit zu zwingen“. Dies übrigens durchaus mit Folgen: Die Internetseite der Firma Striebel ist inzwischen überarbeitet – und nun völlig ohne Firmengeschichte.

Den Autoren der Leserbriefe zu meinem Artikel, die nicht erscheinen durften, schrieb Fricker, mein Beitrag habe „journalistische Mängel“. Einem verhinderten Leserbriefschreiber gab Fricker zu verstehen, dass es das gute Recht der jetzigen Betreiberfamilie der Firma Striebel sei, wenn sie „mit der Entstehungsgeschichte der Firma Striebel nichts zu tun haben will“.

Da sachlich, also an den Fakten in meinem Beitrag, nichts zu beanstanden war, mussten die Mängel woanders liegen. Seit kurzem weiß ich, was die Chefredaktion der Badischen Zeitung damit meint. Holger Knöferl, stellvertretender Chefredakteur (und mein Nachfolger als „Heimatchef“ der BZ) schrieb mir vor Tagen: Mein „Beitrag zur Arisierung eines Freiburger Handelsunternehmens im Dritten Reich und dem Umgang der heutigen Inhaber mit der Unternehmensgeschichte bis in die heutige Zeit, den wir im Juli 2018 in der Gesamtausgabe der Badischen Zeitung veröffentlicht haben, entsprach unter journalistischen Kriterien wie

– Umfang der Recherche,

– Relevanz

– Wahl des Themenzugangs oder

– Trennung von Meinung und Nachricht

nicht unseren Anforderungen“.

Angesichts meiner äußerst intensiven Recherche zur Geschichte des Kaufhauses Julius Marx und den Anfängen von Betten Striebel (Ergebnis war ja die 37seitige Dokumentation) habe ich Herrn Knöferl gefragt, ob ich nun „zu viel oder zu wenig recherchiert“ habe. Antwort: keine.

Die Aufarbeitung der Enteignung jüdischen Besitzes ist relevant

Zur Frage der „Relevanz“ dieses Stücks jüdischer Geschichte habe ich hier schon Stellung genommen. Ein Anliegen meines Textes war ja auch, das Ansehen anderer „unbescholtener Bürger“ – und das waren Ernst und Lotte Rothschild, die nur durch ihre Flucht in die USA dem Holocaust entkamen – zu ehren und ihnen ihren Namen zurück zu geben.

Der Vorwurf „Wahl des Themenzugangs“ lässt mich ratlos. Wenn damit die Frage gemeint sein soll, warum mein Text im Wochenend-Magazin der BZ und damit in der ganzen Auflage der BZ erschien, so kann ich dazu nur sagen: Das war nicht meine Entscheidung.

Die „Trennung von Meinung und Nachricht“ zu fordern, ist journalistisch old school, aber sicher ein diskussionswürdiger Einwand gegen meinen Beitrag – und das habe ich von Anfang an auch eingeräumt. Nur: Das Magazin der Badischen Zeitung ist ein Hort der Subjektivität, da gibt es so gut wie keinen Text, der nicht wertet und bewertet. Und das habe ich getan. Eine reine Kommentar-Spalte hat das Magazin übrigens nicht. Man könnte hier also allenfalls von einem „Haltungsfehler“ meinerseits sprechen.

Nach der Sperrung meines Beitrags auf BZ-Online hatte ich auch bei den Verlegern der Badische Zeitung dagegen protestiert. Was daraufhin kam, war ein Gesprächsangebot des etwas unter Druck geratenen Chefredakteurs, der mit mir aber nicht über das Aufheben der Online-Sperre reden wollte, sondern nur über seine Beweggründe dafür. Die waren mir schon zur Genüge bekannt, und so verzichtete ich auf das Gespräch.

Badische Zeitung fühlt sich ungerecht behandelt

Nach langem, vergeblichen Warten auf ein Einsehen des Verlags habe ich im Oktober 2018 schließlich meinen so umstrittenen Beitrag auf Facebook veröffentlicht – in einem eigenen Layout und mit einem Kommentar zu den Hintergründen. Dabei hätte ich, so Knöferl, mit Unterstellungen „branchenweit in ganz Deutschland eine Kampagne“ gegen den Badischen Verlag geführt und Chefredakteur Thomas Fricker verunglimpft.

Meine Sicht ist: Ich habe mich entschieden gewehrt gegen das Verschwindenlassen meines Textes auf BZ-Online – und damit gegen ein Vorgehen, das ich nach wie vor als völlig überzogen empfinde. Und nun wehre ich mich wieder.

Schreibverbot

Dass ich als Folge dieser Kontroverse nun ein völliges Schreibverbot in der Badischen Zeitung habe, erfuhr ich auf Umwegen: Ich bot der Freiburger Stadtredaktion vor Wochen einen Beitrag zu den Verbindungen des jüdischen Kaufhauskönigs Max Emden mit Freiburg an – dies anlässlich der Aufführung des Dokumentarfilms „Auch Leben ist eine Kunst“ über Emden, der frisch in die Kinos kam (siehe Link weiter unten). Das Angebot wurde gerne akzeptiert, ein Erscheinungsdatum festgelegt – bis wenige Stunden später die Abmachung mit großem Bedauern gecancelt wurde: der Chefredakteur wolle mich nicht mehr im Blatt sehen.

Und wieder habe ich dagegen bei den Verlegern der BZ protestiert und um Rücknahme dieses Verbots gebeten: „Sie werden verstehen, dass ich über diesen Schritt schockiert bin. Und Sie werden vielleicht auch verstehen, dass ich mir dies nicht gefallen lassen kann. Umso weniger, als es mit diesem Verdikt für mich angesichts der Monopolstellung des Badischen Verlags kaum mehr möglich ist, in Freiburg journalistisch etwas zu meinem Forschungs-Komplex zu veröffentlichen.“ Ich habe dem Verlag Gelegenheit gegeben, das Verbot „stillschweigend zurückzunehmen“. Das geschah nicht. Stattdessen kam die Mail von Herrn Knöferl und die Botschaft: Schreibverbot, da es keine Vertrauensbasis mehr gebe.

Wiederum habe ich einige Wochen abgewartet, ob sich da in der Badischen Zeitung vielleicht doch noch so etwas wie Einsicht einstellt. Aber nichts dergleichen.

Nun denn also erneut: die Öffentlichkeit. Klar: Damit wird es für mich noch schwieriger werden, aber ich werde weiterhin historisch arbeiten, zur jüdischen Geschichte, aber auch zu anderen Themen – und ich werde die Ergebnisse veröffentlichen. Wie und wo wird man sehen. Danke für Ihr Interesse!

Quellen und Hintergründe:

– Hier meine umfangreiche Dokumentation zur Geschichte des jüdischen Kaufhauses Julius Marx und der „Arisierung“ durch die Firma Striebel sowie der Auseinandersetzung um die Wiedergutmachung nach dem Krieg: LINK

– Hier mein inkriminierter Text, wie er am 21. Juli 2018 im Wochenend-„Magazin“ der „Badischen Zeitung“ erschienen ist – und kurz drauf von BZ-Chefredakteur Thomas Fricker im Online-Auftritt für die Badische Zeitung gesperrt wurde. Ich habe deshalb Text und Abbildungen in einem eigenen Layout aufbereitet: LINK

– Dies ist der Text über den jüdischen Kaufhauskönig Max Emden und seine Verbindungen zu Freiburg, den die Freiburger Stadtredaktion gern veröffentlicht hätte, aber nicht durfte. Grund: Schreibverbot für den Autor. Hier: LINK

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Jörg-R. Prang
Jörg-R. Prang
4 Jahre zuvor

Ich kann die Entrüstung des Herrn Serger sehr gut nachvollziehen. Ich habe selbst als Autor von Leserbriefen und kleinen Glossen die Erfahrung machen müssen, dass durch (vermeintliche) Intervention von außen die Veröffentlichung verhindert wurde. Für mich kam dies einer Form von Zensur gleich. Insofern kann ich die Auffassung des Herrn Serger teilen, dass er für sich ein Schreibverbot konstatiert.

Thommy
Thommy
4 Jahre zuvor

Sie haben offensichtlich gründlichst recherchiert. Die Badische Zeitung zeigt deutlich und exemplarisch, wie deutsche Vergabgenheitsbewältigung in der Praxis aussieht.

Ihnen viel Glück und Erfolg bei Ihrer bedeutenden Forschungs-und journalistischen Tätigkeit

Klaus Hör
Klaus Hör
4 Jahre zuvor

Als Kunde der BZ habe ich die Redaktion zu einer Stellungnahme aufgefordert. Besonders auf die Antwort des Herrn Knöferl (bis 17. Juni im Urlaub) bin ich gespannt, da ich ihn auch in einer anderen Angelegenheit mit einer recht unqualifizierten Reaktion erleben musste, als er sich trotz mehrfacher Aufforderung ohne eine inhaltliche Begründung hinter einen Lokalredakteur stellte. Auch der rechtsdriftende Chefredakteur scheint wohl nicht erste Sahne zu sein.

Ich hoffe, dass möglichst viele von dem Monopolblatt BZ eine Erklärung verlangen!
Klaus Hör
Titisee-Neustadt

Meisenkaiser
Meisenkaiser
4 Jahre zuvor

„Darstellung und Kommentar grob vermischt“ sagt der Chefredakteur, ich dachte das sei in den letzten Jahren gang und gäbe in der Branche. Schön, dass es noch Chefredakteure gibt, die derlei nicht dulden!

Emma Boes
Emma Boes
4 Jahre zuvor

BZ halt zusammen.
Vertragt euch.
Das Leben ist kurz.
Kein Journalist darf einem anderen das Schreiben verbieten – was glaubt ihr, wer sich da alles freuen würde.
Tut denen den Gefallen nicht und tretet wenigstens nach außen gemeinsam souverän auf. 🙁

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