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Corona und Wirtschaftskrise – Ein gesellschaftlich heißer Herbst


Von unserem Gastautor Dirk Specht

Die Pandemie-Kurven im zentraleuropäischen Bereich reagieren nahezu im Gleichschritt und das wohl kaum zufällig mit dem Experiment des Massentourismus. Vom Timing her besonders schlecht, da nun in vielen Bundesländern Schul- und Arbeitsleben wieder beginnen werden. In Spanien steigt nun auch die testpositive Quote (An der Färbung der Kurve zu erkennen), auch das ist kein gutes Signal.

Ich sehe in diesen ersten Trends der Pandemie keine Wiederholung der Entwicklung aus März/April. Wir haben heute eine geringere Dunkelziffer und sind insgesamt gesellschaftlich sowie organisatorisch weiter. Nicht da, wo wir sein könnten und auch sollten, aber es ist nicht März. Weder sind die Zahlen so hoch, noch sind wir so unvorbereitet.

Trotzdem stehen die jetzt zu öffnenden Schulen und auch so manche Betriebe, die Urlaubs-Rückkehrer zu erwarten haben, vor großen Herausforderungen. Ein mir bekannter Unternehmer, der nicht genannt werden will, hat auf eigene Kosten seine komplette Belegschaft nach der Urlaubsrückkehr testen lassen – mit exzellenter Kooperation seitens des örtlichen Gesundheits- und Landratsamts. Von knapp tausend Mitarbeitern waren sieben infiziert. Im Unterschied zu den vielen Ignoranten auch in dem Umfeld, die von „nur“ sieben Personen, zudem (bisher) keiner krank etc. sprachen, weiß dieser Unternehmer: Diese sieben hätten seinen kompletten Betrieb lahm legen können und schlimmstenfalls kausal Todesfälle in der Belegschaft oder deren nahem Umfeld bedeuten können. Mit etwas Verantwortung und Weitsicht kann man das nicht einfach so laufen lassen. Wir sehen aber an diesem und vielen anderen Beispielen, dass wir nicht mehr hilflos sind, dass auch Unternehmer verstehen, wie man „Wirtschaft“ schützt und dass lokale Behörden gute Arbeit leisten können.

Das macht auch für den Herbst Mut, wenn wir wieder deutlich mehr Menschenansammlungen in geschlossenen Räumen haben. Die leider bereits jetzt gezüchtete Basis an Infektionen wird uns dann vor weit größere Aufgaben stellen, als in den verbleibenden ein bis zwei wärmeren Monaten. Zusammen mit der leider unvermeidlichen Insolvenzwelle und dem tatsächlichen spürbaren Beginn (!) der Wirtschaftskrise wird das auch gesellschaftlich ein heißer Herbst werden.

Dennoch: Ich denke, dass die Mehrheit seitens der Epidemie das schlimmste verhindern kann. Eine faire Lastenverteilung ist das aber mitnichten. Die Mehrheit ist in unserem reichen Land nicht nur willens, sondern überwiegend auch in der Lage, sich zu schützen. Nicht im Einzelfall, das ist eine der vielen Ungerechtigkeiten in der Sache, niemand kann sich vollkommen schützen. Aber der mathematische Blick auf die Epidemie ist für mich nach nun einigen Monaten Zahlenstudium recht eindeutig: Für geschätzt 2/3 der Gesellschaft lassen sich die Infektionswahrscheinlichkeiten qua eigenen Verhaltens und der entsprechenden sozialen/wirtschaftlichen Möglichkeiten so weit reduzieren, dass dies epidemiologisch ein großer Faktor wird – beispielsweise im Unterschied zu Ländern wie Indien oder auch Problemvierteln in New York. Es ist vermutlich auch ein Punkt, der unsere Situation mit der Zeit der Spanischen Grippe unterscheidet.

Daher rechne ich auch für den Herbst/Winter nicht mit einer Katastrophe in Deutschland. Es gibt keinen Grund zur Panik, für niemanden. Wir werden keine 100.000 Opfer sehen und auch nicht die 50 bis 75.000, die es in einigen anderen, zu spät reagierenden Ländern vergleichbarer Bevölkerungsgröße gegeben hat bzw. bis zum Jahresende geben wird. Das wird die Mehrheit hier verhindern – mit oder ohne Staat. Ob wir ohne einen zeitweisen Kollaps der Krankenhäuser durch den Winter kommen, ist für mich die Linie, vor der wir stehen. Auch das ist keineswegs akzeptabel, denn das müsste nicht sein und es erzeugt im Gesundheitssystem Stress, Leid sowie Kollateralschäden für Personal und Patienten. Denn diese Bilder von hart kämpfenden und bitter sterbenden Menschen aus den Intensivstationen werden wir wohl erneut nicht verhindern können. Winken wir dann wieder von den Balkonen und schicken Urlaubskärtchen von Partys im Sonnenuntergang?

Panikmache ist also fehl am Platze, habe ich hier ohnehin nur in den Augen von Angsthasen oder Ignoranten betrieben. Gut finden kann ich das nicht, denn das bedeutet: Eine große Minderheit macht sich einen schlanken Fuß, schränkt damit die Freiheit aller unnötig ein, behauptet gar das Gegenteil, was besonders wütend macht und erzeugt Schäden sowie Opfer, die vermeidbar sind. Unverantwortliche Politiker entfesseln durch wohlfeile und unwissenschaftliche Normalitätspostulate diese Spaltung, statt zu erkennen, dass sie damit genau den Teil der Gesellschaft, den es an gebotene Rücksichtnahme und Zusammenhalt zu erinnern gilt, in die falsche Richtung treiben.

Was wir in Berlin gesehen haben, ist vermutlich nur die Spitze des Eisbergs eines Teils unserer Gesellschaft, die sich recht wenig um die Epidemie und ihre Folgen kümmert. Wie groß dieser Teil ist, wird wohl niemals feststellbar sein. Ich vermute, dass sich in einer Grauzone sehr viele bewegen, die erst dann reagieren, wenn sie die Epidemie durch stärker steigende Zahlen spüren. Auch deren Reaktion wird dann zur Eindämmung helfen, auch das ist gar nicht gut, denn zu spätes Handeln erzeugt ebenfalls unnötige Opfer und Schäden.

Was wir durch dieses Verhalten insgesamt nicht los werden, ist diese gesellschaftliche Spaltung, denn die Mehrheit wird der Minderheit quasi den Beweis schuldig bleiben, dass sie es war, die den Preis zu zahlen hatte und die das schlimmste verhindert hat. Eine spannende gesellschaftliche Aufräumarbeit, die uns bevorsteht. Seitens der Politik erwarte ich dabei keine gute Wirkung, die hat sich angewöhnt, Spaltungen zu nutzen und nicht zu beheben.
Genau deshalb gilt meine eigentliche Sorge der Frage, wie wir gesellschaftlich/politisch mit der anstehenden Wirtschaftskrise zurechtkommen. Die wird ohne Rücksichtnahme und Zusammenhalt nämlich ebenfalls tiefer und länger, als sie sein muss. Sie wird uns länger beschäftigen als Covid-19.

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