
Der bundesweit beachtet Prozess (der Spiegel berichtete gleich mehrfach über den Prozess) hat eine neue Wendung genommen. Anwalt Dr. Birkenstock und Anwältin Jordana Wirths, die mehrere ENVIO-Opfer in der Nebenklage vertreten, haben in der Strafsache gegen Dr. Neupert gerade bei der Strafkammer des Landgericht Dortmund einen Antrag wegen Befangenheit des medizinischen Sachverständigen Prof. Dr. Rettenmeier gestellt. Der PCB-Entsorger ENVIO hatte jahrelang seine Arbeiter dem hochgiftigen Gift PCB nach Anklage ausgesetzt. Die Betroffenen verklagten den verantwortlichen Geschäftsführer Dr. Neupert unter anderem wegen gefährlicher Körperverletzung. Alle anderen Nebenklagevertreter haben sich dem Antrag der Kanzlei Birkenstock wegen Besorgnis der Befangenheit angeschlossen – der Antrag hat also das ganze Gewicht der Nebenklage.
Prof. Dr. Kraus, von der renommierten RWTH Aachen, hatte bei sieben ehemaligen ENVIO-Arbeitern so genannte Telomer-Verkürzungen, also Zellveränderungen, festgestellt. Das ist vor allem deswegen interessant, weil eine Studie der University of Iowa 2012 feststellte, dass erhöhte PCB-Werte im Blut zu Telomer-Verkürzungen führen. Dr. Birkenstock kritisiert, dass diese Untersuchungsergebnisse zu den Telomer-Verkürzungen dem Gutachter Rettenmeier nicht vorlagen. Rettenmeier würde etwas bewerten, dass er gar nicht kennt – keine solide Grundlage für ein Gutachten, dass das Schicksal vieler Opfer mitentscheiden wird. Als Thomas Kelm, Vorsitzender der Strafkammer, in seinem Zwischenfazit im August gesagt hatte, dass eine Verurteilung wegen Körperverletzung „aus jetziger Sicht problematisch sei“, waren die Nebenkläger enttäuscht. Kelm war der Ansicht, dass die zahlreichen Krankheitssymptome der über 50 Geschädigten „nicht zweifelsfrei“ auf die erhöhten PCB-Werte zurückzuführen seien. Doch offensichtlich hatte sich der Richter auf einen Gutachter verlassen, der wenig Ahnung von dem hat, worüber er sprach.







