Bis sich eine Bundesregierung zu Maßnahmen gegen die Türkei durchringen wird, könnten noch Monate vergehen. Nach der Wahl wird sich die Politik lange mit sich selbst beschäftigen.
Um vier Uhr Morgens begann die spanische Polizei das Hotel in Málaga zu umstellen, in dem der Kölner Schriftsteller Dogan Akhanli mit seiner Freundin Urlaub machte. Um kurz nach acht Uhr stürmten die Beamten sein Zimmer und nahmen ihn fest. Interpol lag eine Red Notice der Türkei vor. Darin forderte die Türkei andere Länder auf , Akhanli ausfindig zu machen und festzunehmen. Kein Land muss dem Folge leisten, Spanien tat es trotzdem und das auf Geheiß der Türkei zum zweiten Mal innerhalb weniger Wochen: Erst Anfang August wurde der türkischstämmige Schwede Hamza Yalçın auf Wunsch der Türkei festgenommen. Er soll Mitglied der verbotenen Volksbefreiungspartei-Front der Türkei (THKP-C) sein.
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Seit fünf Jahren gibt es die Antideutsche Aktion Berlin. Ein guter Anlass, sich einmal zu unterhalten. Das Gespräch führten Elke Wittich und Stefan Laurin.
Ruhrbarone: Fünf Jahre Antideutsche Aktion Berlin. Zum Jubiläum habt ihr prompt etwas Unangenehmes erlebt: Euer FB-Account wurde gesperrt.
Antideutsche Aktion Berlin: Ja, letzte Woche hat es uns kalt erwischt. Unser Facebookseite wurde wegen sogenannter „Hassreden“ gesperrt. In einer Meldung wurden wir vage auf einen Verstoß gegen die „Gemeinschaftsstandards“ von Facebook hingewiesen.
Ruhrbarone: Nun seid ihr keine Seite, auf der sogenannte Hassreden zum Alltag gehören. Ihr arbeitet ja eher mit Fragen, Fakten und Humor. Wie sehr ihr Euch selbst und was war der Grund, die Antideutsche Aktion zu gründen?
Vor drei Wochen kam es in Waltrop (Kreis Recklinghausen) zu direkten Konfrontationen zwischen einem Parteienbündnis, angeführt von Grünen und Linken, und einer erstmals im örtlichen Wahlkampf aufgetauchten Abordnung der AfD (wir berichteten). Am Ende der Geschichte zog sich die AfD aus der örtlichen Fußgängerzone zurück, tauchte auch, entgegen der ursprünglichen Ankündigung (und Anmeldung beim Ordnungsamt), am folgenden Samstag nicht wieder auf.
Eine größere Anzahl von Polizisten und Ordnungsamtsmitarbeitern hatten damals bereit gestanden um eine erneute körperliche Auseinandersetzung zu unterbinden. Erst in der Vorwoche kam es dann erneut zu einem Treffen der Kontrahenten vom 02.09. in der örtlichen Fußgängerzone. Es blieb dann jedoch zum Glück bei gegenseitigen verbalen Missgunst-Beteuerungen. Zum Glück. Nicht wenige Beobachter hatten etwas anderes erwartet, nachdem das erste Aufeinandertreffen ja bereits mit einem kurzen Polizeieinsatz zu Ende gegangen war.
Doch während sich die Stimmung in der örtlichen Fußgängerzone beim Wahlkampf weitestgehend auf ein Normalmaß ‚abkühlte‘, nahmen am Rande des Geschehens die ‚Feindseligkeiten‘ zuletzt auffällig zu.
Mehrere Parteien, darunter auch die SPD und die AfD, erstatteten zuletzt Anzeigen bei der Polizei, weil ihnen in größeren Aktionen diverse Wahlplakate gezielt beschädigt wurden, oder gar über Nacht komplett in größerem Stil entfernt wurden. Selbst ein Auto-Anhänger der AfD wurde offenbar massiv mit Farbe beschmiert, was die Partei ebenfalls mit einer Anzeige ahndete.
Nun jedoch, hat sich das Ganze offenbar noch einmal massiv gesteigert. Aktuell beklagt nämlich Waltrops CDU-Bürgermeisterin Nicole Moenikes in diesem Zusammenhang ganz persönliche Bedrohungen.
Mervan Ürkmez, Jürgen Sarkiss, Ingrid Sanne, Clemens Dönicke, Ayana Goldstein – in „Schimmelmanns“ am Theater Oberhausen (Foto: Katrin Ribbe)
Mario Salazar hat das Stück zur Zeit geschrieben. Nur zwei Tage vor der Bundestagswahl, bei der mit der AfD eine Partei rechts der CSU und des demokratischen Spektrums in den Deutschen Bundestag einziehen wird, flutet der junge Berliner Autor die Bühne des Oberhausener Theaters mit einem Panoptikum von Rassisten. Zugleich ist die Uraufführung des Stückes die Eröffnung der Intendanz von Florian Fiedler, der das Haus seit dieser Spielzeit von Peter Carp übernommen hat.
Die titelgebenden Schimmelmanns sind eine großbürgerliche Familie in deren Mitte wortwörtlich Mutter Rosi thront.
Das Ruhrgebiet erlebt harte Zeiten. ThyssenKrupp-Arbeiter demonstrieren in Bochum, AfD-Wahlkämpfer plastern die Gegend mit Plakaten voll. Wohnungen werden in Dortmund geräumt: Die letzte Ausgabe des Familienpodcasts „Wir und Heute“ vor der Bundestagswahl. Martin und David wetten auf den Ausgang – und sitzen mitten in einer Baustelle.
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Dogan Akhanli Foto: Raimond Spekking Lizenz: CC BY-SA 4.0
Am 19. August wurde Dogan Akhanli auf Betreiben der Türkei und mithilfe von Interpol von der spanischen Polizei festgenommen; der deutsch-türkische Schriftsteller sitzt noch immer in Madrid fest.
Wie jetzt bekannt wurde, hatte Interpol Ankara gegenüber der Zentrale in Lyon erklärt, Akhanli sei nicht nur ein Mörder, sondern auch ein Vergewaltiger, bewaffnet und hochgefährlich. Diese abstrusen Behauptungen hatten Interpol anscheinend ausgereicht, eine politische Verfolgung von Dogan Akhanli gar nicht erst in Betracht zu ziehen und die Zuarbeit für die türkischen Behörden satzungsgemäß zu verweigern.
Angesichts der öffentlichen Kritik unsicher geworden fragte die Zentrale der Organisation, viel zu spät, in Ankara an, ob es denn irgendwelche Beweise für die gegen Akhanli erhobenen Vorwürfe gebe. Von dieser Anfrage hat der Verteidigung von Dogan Akhanli gerade erfahren. Ob oder was Ankara geantwortet hat, ist bislang nicht bekannt.
Die Verteidigung stellt angesichts dieses ungeheuerlichen Vorgangs fest:
„Seit Neuestem soll Dogan Akhanli nun also auch noch ein Vergewaltiger sein. Von diesem Vorwurf haben weder der Beschuldigte selbst noch seine Verteidiger jemals gehört. Den Vorwurf in die Welt zu setzen, ohne überhaupt ein Ermittlungsverfahren eingeleitet, geschweige denn eine Anklage erhoben zu haben, entlarvt das Auslieferungsbegehren der Türkei endgültig als Versuch, einen missliebigen Oppositionellen mundtot zu machen. So wird politische Gesinnungsjustiz betrieben. War schon der Mordvorwurf der Türkei gegen Dogan Akhanli absurd und endete 2010 selbst vor einem Istanbuler Gericht mit einem kompletten Freispruch, so ist der Vorwurf einer Vergewaltigung noch absurder. Er ist nicht nur falsch und verleumderisch, er ist absichtsvoll nachgeschoben. So viel kriminelle Energie die türkischen Verfolger auch einsetzen: sie desavouieren sich nur selbst“, bewertete Rechtsanwalt Ilias Uyar den Vorgang.
Ob die abstrusen Vorwürfe aus Ankara Eingang in den Rechtsstreit über das Ausreiseverbot für Akhanli oder gar das eigentlich Auslieferungsverfahren gefunden haben, ist unklar. Fest steht allerdings, dass das zuständige spanische Gericht das Ausreiseverbot für Akhanli entgegen den Forderungen der Verteidigung vor zwei Tagen zurückzunehmen sich geweigert hat.
Die Verteidiger von Dogan Akhanli wiederholen angesichts des nicht mehr berechenbaren Verfolgungswahns der türkischen Behörden ihre Forderungen: „Die Türkei kriminalisiert unseren Mandanten aus politischen Motiven. Es geht ihr nicht um Strafverfolgung, vielmehr will die Türkei unseren Mandanten wegen seiner Kritik an der aktuellen Politik und Menschenrechtslage in der Türkei sowie an der Leugnung des Völkermords an den Armeniern einschüchtern und mundtot machen. Es ist offenkundig, dass unser Mandant in der Türkei kein faires Verfahren erwarten kann. Wir fordern von der spanischen Regierung, dass sie das Auslieferungsgesuch der Türkei umgehend abweist.“, erklärt Akhanlis Rechtsanwalt Ilias Uyar.
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