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Cpt. Sensible: „Der Brexit wird die Arbeitslosigkeit bei uns verschärfen“

„Politik ist ein schmutziges Geschäft – vor allem für Typen wie Boris Johnson“ – sagt Captain Sensible | Foto: Cpt. Sensible

Die Handels- und Kooperationsabkommen zwischen Brüssel und London verhindert die schwierigsten Komplikationen des britischen EU-Austritts – dazu haben wir Cpt. Sensible befragt. Er ist einer der wichtigsten und wegweisenden Musiker im Punkrock-Genre. Ursprünglich war er Mitglied bei der Band Johnny Moped und wechselte im Jahr 1976 zu The Damned, wo er bis heute (begleitet von einigen Unterbrechungen) spielt. In den 1980er Jahren startete er ein Soloprojekt und sein Hit ›Wot‹ war in allen Teilen von Europa sehr populär und kletterte im Jahr 1982 sogar auf Platz 4 der Deutschen Charts. Den Brexit sieht er kritisch: ››Die Leute sind sich nicht im Klaren gewesen, welche unzähligen Konsequenzen da noch auf uns zu kommen werden.‹‹

Ich komme aus Großbritannien und unser Land war schon immer anders als die anderen. Nehmen wir Maggie Thatcher zum Beispiel. Verdammt, ihre Regierung war schrecklich! Die ganzen blöden Privatisierungen und wie sie das Familiensilber vom britischen Staat verschleudert hat – das war und ist erbärmlich! Vor allem ist mir ihre schreckliche Stimme in Erinnerung geblieben. Ich bin überzeugt, dass Frau Thatcher jedes Wort glaubte, was sie offen aussprach. Bei den nachfolgenden Premier-Ministern war das allerdings nicht mehr so. Eigentlich kriegen wir zu oft machtgeile Karrierepolitiker vor die Nase gesetzt, die nur noch in vorgefertigten Phrasen sprechen und alles dafür tun, nur um in ihre eigene Karriere vorwärts zu treiben.

Zum Beispiel denke ich da an Tony Blair, der nach seinem Vorschlag, die Eisenbahn-Unternehmen zu privatisieren zwar ein „vernünftiges“ Votum erhielt – nur hat uns dieser Lügenbaron dann im nächsten Schritt in einen Krieg mit dem Irak geführt, was Tod und Gemetzel verursachte. Thatcher hingegen hatte das Militär auf die Falklandinseln geschickt, aber das war im Vergleich ein kleineres Dilemma. Irgendwann war Mister Blair zwar weg, aber die Eisenbahnen sind bei uns in ein komplett unverständliches Privatisierungs-Durcheinander geraten. Ich unterstütze eine Organisation namens ›Bring Back British Rail‹, weil wir als Bürger ja den Bahnverkehr durch Fahrkarten und Steuern bezahlen, also können wir sie auch besitzen. Interessierte können sich das gerne mal anschauen.

Die global vernetzten Business-Macher profitieren am meisten

Eine Gesellschaft sollte immer dynamisch aufgestellt sein – aber verläuft das große Ganze auch immer in die richtige Richtung? Die Leute, die bei uns für den Brexit gestimmt haben, sind sich nicht im Klaren gewesen, welche unzähligen Konsequenzen da noch auf uns zu kommen werden. Dazu ist ja nicht nur die Sache von rechten Hardlinern gewesen mit der Europäischen Union zu brechen. Er hat auch viele Anhänger im linken Spektrum. In erster Linie wird der Brexit die Arbeitslosigkeit bei uns verschärfen, vor allem im britischen Norden. Und wer profitiert am meisten? Natürlich die ganzen global vernetzten Business-Macher. Und in ihrem Pool von eifrigen Arbeitern werden sie erstmal die Löhne weiter senken wollen. Wer wird den Armen und Obdachlosen, die dann überall in Großbritannien vor den Ladentüren schlafen, sagen, wie großartig es war, ein Teil der europäischen Union zu sein? Niemand! Es ist zum Knochen-Kotzen!

Politik ist ein schmutziges Geschäft – vor allem für Typen wie Boris Johnson zum Beispiel. Er ist ein unerträglicher Wendehals, ich verschwende meine Zeit nicht mehr mit solchen Idioten. Die politische Klasse hat zu oft unsere Hoffnungen zerstreut. Viel lieber höre ich auf Roger Daltreys heiseren Schrei im Song ›Won’t Get Fooled Again‹, wann immer dieser Unsinn auf den Tisch kommt. Denn Daltreys Band The Who ist mehr mein Metier: die Musik; also Rock’n’Roll mit Haltung! Mir kommt sofort als nächstes ›Waterloo Sunset‹ von The Kinks in den Sinn. Dieser Song fängt einen Moment ein, in dem zwei Welten entlang der Themse kollidierten.

Das Gerede von freier Liebe, Drogen und Verrücktheiten…

Der 1960er Jahre Vibe in grooviger Anmutung trifft hier auf die Innenstadt-Typen von der Carnaby Street, die mit Bowler-Hüten, Aktentaschen und dem albernern Gehstil von John Cleese über die Straße schlenderten. All das Gerede von freier Liebe, Drogen und Verrücktheiten, war so ansteckend wie ein Virus. Es muss sie die Klasse der Wohlhabenden in Versuchung geführt haben, ihre Anzüge abzulegen und sich die Haare lang wachsen zu lassen. Hmm, aber wen soll ich auswählen? Jeder dieser goldenen 1960er-Jahre-Hits von den Small Faces, The Kinks, Yardbirds, Move, Tremelos oder Donovan klingt ist doch einfach umwerfend und ein echter Hauptgewinn. Wenn ich heute Musik höre, hängt das sehr von meiner jeweiligen Stimmung ab. Ich habe vor kurzem eine Woche damit verbracht, verschiedene Versionen von Rachmaninovs zweitem Klavierkonzert zu hören. Es ist melancholisch, na klar. Aber voller unschlagbarer Melodien.

Was mir wichtig ist: Ich möchte nicht verbittert klingen, dafür ist das Leben viel zu kurz. Ihr könnt sicher sein, dass ich mit Promo-Auftritten und anderen Dingen das Beste aus meiner kurzen, aber imposanten Zeit als Popstar in ganz Europa gemacht habe. In Frankreich habe ich mit meinem Song ›Wot‹ die Hitlisten angeführt: ich war auf Platz 1 in den Charts. Das bedeutete für mich unter anderem durch Paris mit einer schicken Limousine durch die Stadt kutschiert zu werden. Ein cooles Gefühl! Das nächste Mal, als ich wieder Frankreich besuchte, verkaufte sich meine nachfolgende Single-Auskopplung nicht so gut. Und ›peng‹: die Limousine war weg. Nun ja, das ist der Lauf der Dinge. Das ich gerne mit der Eisenbahn verreise, habe ich ja bereits erwähnt.

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Paul Müller
Paul Müller
3 Jahre zuvor

Wie gut, dass Captain Sensible seinen Idealen treu geblieben ist – und sich nicht zu einem dreifach verdrehten Hirni wie Johnny Rotten entwickelt hat, der zuletzt mit "Vote for Trump" T-Shirts in der Öffentlichkeit aufgetreten ist.

ccarlton
ccarlton
3 Jahre zuvor

Ein Punkrocker von anno dazumal als Experte für die wirtschaftlichen Folgen des Brexit. Wie wenig er von der Materie versteht, zeigt schon die Aussage zum Pool von eifrigen Arbeitern mit dem globale vernetzte Business Macher die Löhne weiter senken wollen. Genau das war die Situation, die die EU geschaffen hat. Durch die Freiheit in jedem anderen EU Land zu arbeiten, konnten Arbeitnehmer aus Niedriglohnländern problemlos in Hochlohnländern arbeiten. Dort wurde so das Angebot an Arbeitskraft vergrößert, was Lohnerhöhungen dämpfte.

Manfred Michel
Manfred Michel
3 Jahre zuvor

Die Deindustrialisierungs- Welle hat es auch bei uns gegeben. Als im Ruhrgebiet Kohle und Stahl kaputt gemacht worden sind. Die Sozialdemokraten haben zusammen mit DGB- Gewerkschaften die massenhafte Vernichtung von Arbeitsplätzen abgewickelt und damit das Ruhrgebiet zum Armenhaus der Nation gemacht. Und militärisch haben wir und auch nicht Ruhm bekleckert, als deutsche Flugzeuge im Jugoslawien- Krieg, Zivilisten bombardiert haben. Ich denke mal, dass die Lockdowns auch wirtschaftliche Auswirkungen haben und die Arbeitlosigkeit vergrößern werden. Weche Folgen der Brexit hat wird sich zeigen. Ich bin der Meinung, dass sich die EU zu sehr in die Angelegenheiten der Staaten einmischt was auch manchmal verfassungsrechtlich bedenklich ist. Es gibt Leute, die schon Parallelen zur Moskauer Zentralregierung sehen. Als Polemik kann man das, glaube ich, so stehen lassen. Ich würde mir jedenfalls ein anderes Europa wünschen. Ob der Brexit die richtige Antwort darauf ist weiß ich nicht. Aber andere Möglichkeiten kann ich da auch nicht erkennen. Und das Volk hat darüber demokratisch abgestimmt und das sollte man respektieren.

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