Werbung

Köln: Der türkische Bürgerkrieg kommt näher

Die EU hat die Türkei erst kürzlich zum sicheren Drittstaat erklärt, um Geflüchtete in das Land abschieben zu können – dabei steht die Türkei an der Schwelle zum Bürgerkrieg zwischen Erdoğans AKP und den Kurden. Mehr und mehr erreicht der Konflikt auch deutsche Straßen. Gestern trafen unter anderem in Köln beide Parteien aufeinander. Es gab Verletzte und zahlreiche Festnahmen. Die Polizei hatte die Lage nicht immer im Griff.

Foto: Sebastian Weiermann
Foto: Sebastian Weiermann

Auf Seiten der türkischen Nationalisten hatte man mit bis zu 5000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern gerechnet – es kamen höchstens 500. Unter ihnen waren Islamisten und auffällig viele junge Männer, einige mit rechtsradikalen Symbolen der Grauen Wölfe, aber auch das Konterfei Atatürks war zu sehen. Zu viel des Pluralismus war einigen Teilnehmern aber offenbar ein Plakat mit antifaschistischer Aussage – es wurde kurzerhand zerbrochen und entsorgt. Nicht zu sehen waren diesmal die Kutten des noch relativ neuen rechtsradikalen Rockerclubs „Turan“, dessen Mitgliedern vor zwei Wochen in Duisburg randaliert hatten.

Die Polizei verschaffte den Rechten Gehör

An der prokurdischen Gegenkundgebung am Hauptbahnhof nahmen etwa ebenso viele Menschen teil. In den Straßen rund um den Aufmarsch der Türken waren aber dutzende weitere Gegendemonstranten unterwegs, darunter auch einige Antifaschisten ohne Migrationshintergrund. Auf der Turiner Straße kam es zum ersten Zwischenfall, als der Aufzug der patriotischen Türken – viele mit Symbolen der rechtsextremen MHP – die Seitenstraße Unter Krahnenbäumen passieren wollte. Prokurdische Aktivisten griffen die Demo mit Pyrotechnik an und zerrten Müllcontainer auf die Straße. Die Polizei setzte Pfefferspray ein und trieb die Angreifer in die Seitenstraßen. Immer wieder riefen die Nationalisten „Die Märtyrer sterben nie“. Offiziell hatten sie ihren Zug als „Friedensmarsch“ deklariert, aber schon kleinste Gruppen weit entfernter Gegner führten zu aggressiven Ausbrüchen.

Von hier an beruhigte sich die Situation nicht mehr. Aus den Reihen der Erdoğan-Anhänger flogen immer wieder Flaschen auf einzelne Gegendemonstranten am Rande – insbesondere an der Domplatte drohte die Lage vollends zu eskalieren. Hier kam es zu teils brutalen Festnahmen von Gegendemonstranten mit mindestens einer schwerer verletzten Person. Der Aufmarsch der Nationalisten blieb auf seinem Weg zum Roncalliplatz von der Polizei weitgehend unbehelligt, obgleich es schon früh triftige Gründe für eine Auflösung der Versammlung gegeben hätte. Stattdessen unterstützten die Einsatzkräfte die Anmelderin des Aufzugs mit einer polizeieigenen Lautsprecheranlage. Gegen Vorwürfe der Parteilichkeit rechtfertigte sich die Kölner Polizei noch am Abend auf Facebook: Man habe die Technik ausschließlich für „Ordnungsdurchsagen“ zur Verfügung gestellt. Dies deckt sich nicht mit den Beobachtungen von Journalisten vor Ort. Zumindest am Roncalliplatz wurde demnach die Anlage der Polizei gänzlich in die Hände der Nationalisten übergeben und von diesen für eine politische Abschlussrede genutzt.

Auseinandersetzungen bis in den Abend

Beim Abzug der Teilnehmer kam es zu weiteren Konfrontationen am Dom. Immer wieder drohte die Polizei über Lautsprecher den Einsatz des Wasserwerfers und anderer Zwangsmittel an, sollten die türkischen Demonstranten nicht Gewalttätigkeiten einstellen und abziehen. Es dauerte eine Weile bis sich die Situation beruhigt hatte. Noch am späten Abend kam es zu einem Zwischenfall. Auf der Keupstraße soll eine große Gruppe – mutmaßlich Kurden – den Fahrer eines Audi angegriffen und schwer verletzt haben. Grund war möglicherweise ein rechtsradikaler Aufkleber auf dem Wagen. Bereitschaftspolizisten führten im Nachgang zahlreiche Personenkontrollen rund um das kurdische Kulturzentrum nahe der Keupstraße durch.

Unterm Strich – und verglichen mit dem Gewaltpotenzial auf beiden Seiten – blieb es heute bei kleinen Zwischenfällen. Für jeden Demonstranten stand mindestens ein Polizist bereit, dennoch kam es zu diversen Schlägereien und Ausschreitungen. Wären auch nur halb so viele türkische Faschisten und Nationalisten aufmarschiert wie angekündigt, wäre der Polizei die Lage wohl entglitten. Es bleibt zu hoffen dass diese Mobilisierungsschwäche anhält, doch schlimmstenfalls waren die Scharmützel in Köln und anderen Städten nur der Auftakt zu noch massiveren Konflikten. Zuletzt eskalierte die Situation in der Türkei vor über 20 Jahren in vergleichbarem Ausmaße – damals kam es in Deutschland zu Straßenschlachten und sogar zu Selbstverbrennungen kurdischer Aktivisten.

Dir gefällt vielleicht auch:

Abonnieren
Benachrichtige mich bei
10 Comments
Oldest
Newest
Inline Feedbacks
View all comments
GenderIst
GenderIst
8 Jahre zuvor

"Auf Seiten der türkischen Nationalisten hatte man mit bis zu 5000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern gerechnet – es kamen höchstens 500. Unter ihnen waren Islamisten …"

Muss es nicht heißen:

Auf Seiten der türkischen Nationalistinnen und Nationalisten hatte man mit bis zu 5000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern gerechnet – es kamen höchstens 500. Unter ihnen waren Islamistinnen und Islamisten …

Alreech
Alreech
8 Jahre zuvor

Irgendwie finde ich keine Information darüber wie viele Festnahmen es gab.
Leider steht zu befürchten das auch hier der Staat nicht mit der ganzen Härte des Rechtsstaats durchgreift:
Untersuchungshaft bis zum Prozeßbeginn damit die Verdächtigen nicht untertauchen können
Haft ohne Bewährung
anschließende Abschiebung in die Türkei wenn es sich um türkische Staatsbürger handelt

Für eventuelle kurdische Gewalttäter die man nicht in die Türkei abschieben kann könnte die BRD ja ein Abkommen mit der Kurdischen Autonomieregion im Nordirak schließen. Die freuen sich sicherlich wenn sie weitere Patrioten bekommen die bereit sind für die kurdische Sache zu kämpfen.

Helmut Junge
Helmut Junge
8 Jahre zuvor

Ich glaube auch, daß der türkische Bürgerkrieg, der ja zwischen Türken und Kurden innerhalb der Türkei tatsächlich stattfindet, was hierzulande meist ignoriert wird, auch nach hierzulande übertragen wird. Dann werden wieder Alle ganz überrascht sein, wie immer, wenn etwas "völlig unerwartet" kommt. Insofern ist es gut, daß es diesen Artikel von gibt.

Henry
Henry
8 Jahre zuvor

Das ist doch alles nichts neues und wurde bereits vor 25 Jahren in Kreuzberg zelebriert.

GenerNonsense
GenerNonsense
8 Jahre zuvor

@GenderIst: Nein, muss es nicht.

Helmut Junge
Helmut Junge
8 Jahre zuvor

@Henry, das war ähnlich, aber nicht gleich, weil der Krieg gegen die PKK sich damals auf einige Gebiete der Türkei und dem Norden des Irak beschränkt hat. Damals waren die syrischen Kurden nicht betroffen, und nirgends waren Kurden außer der PKK bewaffnet. Das alles kann diesmal ganz anders weitergehen, denn Krieg ist an etlichen Grenzen innerhalb uns außerhalb der Türkei.
Wer weiß das schon, wie das eskalieren wird.

Lemurian
Lemurian
8 Jahre zuvor

Da fallen mir mind. drei Bücher von Udo Ulfkotte zum Thema ein…allen voran das Buch "Der Krieg in unseren Städten" aus dem Jahr 2003. Damals und heute auch als Rassist und Verschwörungstheoretiker beschimpft – und jetzt aktueller denn je…

trackback

[…] Köln: Der türkische Bürgerkrieg kommt näher “Die EU hat die Türkei erst kürzlich zum sicheren Drittstaat erklärt, um Geflüchtete in das Land abschieben zu können – dabei steht die Türkei an der Schwelle zum Bürgerkrieg zwischen Erdoğans AKP und den Kurden. Mehr und mehr erreicht der Konflikt auch deutsche Straßen. Gestern trafen unter anderem in Köln beide Parteien aufeinander. Es gab Verletzte und zahlreiche Festnahmen. Die Polizei hatte die Lage nicht immer im Griff…” Beitrag von Felix Christians bei den Ruhrbaronen vom 11. April 2016 […]

Orci
Orci
8 Jahre zuvor

"Der Krieg in unseren Städten" handelt aber nicht von den Konflikten zweier Ethnien – ganz besonders nicht von Türken und Kurden, die beide nicht eben christlich geprägt sind – sondern von einem angeblichen Krieg von Mulimen gegen Christen in deutschen Städten.

Lemurian
Lemurian
8 Jahre zuvor

@Orci

Das ist nun wirklich egal welche Parteien am Krieg beteiligt…um mal ein aus einem bekannten PC Spiel zu zitieren:

"Krieg.

Krieg bleibt immer gleich…."

Werbung