Werbung

Es steht Europa und Deutschland frei, den Abstieg und die Armut zu wählen

Venedig Bild: Giovanni Antonio Canal Lizenz: Gemeinfrei


Viele Gesellschaften sind in den vergangenen Jahrtausenden auf- und abgestiegen. Nun haben sich Europa und Deutschland auf einen Weg des Niedergangs begeben.  

Mit seinen Büchern „Das Mittelmeer“ und „Das unendliche Meer“ hat der britische Historiker David Abulafia zwei der wichtigsten Werke zur Wirtschaftsgeschichte vorgelegt, die in den vergangenen Jahren erschienen sind. Abulafia ist zugleich ein großer Erzähler und ein beeindruckender Historiker, der faktenreich und spannend die Geschichte der Seefahrt beschreibt und damit zugleich eine Historie des Seehandels vorlegt. Der Leser begleitet ihn auf einer Reise durch die Jahrtausende und wird Zeuge des Auf- und Abstiegs von Städten, Reichen und Staaten: Phönizier und Kreter werden in der Bronzezeit zu mächtigen Handelsnationen. Ägypten ist die unangefochtene Großmacht dieser Zeit. Reich und militärisch so stark, dass es selbst den Angriff der Seevölker halbwegs übersteht. Dann übernehmen die griechischen Stadtstaaten die Macht im östlichen Mittelmeer, bis sie von Rom abgelöst werden. Das Osmanische Reich entwickelt sich zu einer Seemacht. Venedig und Genua werden zu mächtigen Handelsstädten und über die Jahrtausende ist Alexandria ein bedeutendes kulturelles und wirtschaftliches Zentrum des Mittelmeers. Auch wenn Abulafiads Buch 960 Seiten lang ist, verläuft die Geschichte vom Auf- und Abstieg der Staaten wie im Zeitraffer. Jedem der es liest wird die Vergänglichkeit von Wohlstand und Macht bewusst.

Oft waren es Kriege, die über das Schicksal von Städten, Reichen oder Kontinenten entschieden: Ohne den Sieg der Griechen in der Schlacht von Plataiai 479 v. Chr. hätten die Perser wahrscheinlich große Teile Europa erobert. Die Pest und die wirtschaftlichen Folgen vieler Kriege schwächten Persien und Byzanz und sehr, dass sie den arabischen Heeren in der Spätantike wenig entgegenzusetzen hatten, und niemand kann sagen, wie sich der zweite Weltkrieg entwickelt hätte, wenn sich Churchill nicht gegen Halifax durchgesetzt hätte.

Doch meistens sind es andere Gründe, die dazu führten, dass Städte, Staaten oder Reiche an Bedeutung verloren oder untergingen, denn auch für militärischen Erfolg oder Misserfolg sind Faktoren wie wirtschaftliche Stärke und technologische Überlegenheit letztendlich entscheidend. Europas Aufstieg in den vergangenen 500 Jahren wäre undenkbar ohne technologische Fortschritte in der Landwirtschaft, dem Schiffbau und der Waffentechnik. Portugal konnte nur zur Seemacht werden, weil es durch Wissenschaft im Bereich der Navigation weltweit führend war. Und es stieg ab, als es die Juden und Muslime vertrieb und zu einem fundamentalistischen katholischen Staat wurde, der wie sein großer Nachbar Spanien Forschung verdammte und auf den Glauben setzte. Venedig verpasste entscheidende Fortschritte im Schiffbau und lähmte sich selbst durch Überregulierung: Die mächtigen Zünfte waren ein Grund für seinen Bedeutungsverlust. In China, einem der beeindruckendsten Reiche der Menschheitsgeschichte, war es die Verachtung der mächtigen Beamten für Handel und Technik, die dazu führte, dass das Land den europäischen Eroberern nichts entgegenzusetzen hatte. Schifffahrt und der Seehandel wurden im 14. Jahrhundert sogar verboten.

Indien, über Jahrhunderte hinweg das globale Zentrum der Textilindustrie, verarmte unter der Mogulherrschaft und verlor den technischen Anschluss. Die islamische Welt hörte ab dem 10. Jahrhundert auf, neue Technologien zu entwickeln. Was man, wie moderne Artillerie, benötigte, wurde bei Europäern gekauft. Die Kanonen, die 1453 Konstantinopels Mauern zerstörten, baute Urban, ein vom Balkan stammender Christ. Erfindungen wie die der Druckmaschine stand man aus religiösen Gründen ablehnend gegenüber.

Europas Aufstieg ist eng verknüpft mit der seit dem Mittelalter zunehmenden Freiheit der Wissenschaft, dem Zurückdrängen von Religion und Aberglaube, dem Wettbewerb zwischen seinen Staaten und den immer größeren Freiheiten seiner Händler und Produzenten. Nirgendwo auf der Welt gab es damals bessere Wissenschaftler als in Europa. Und was sie erforschten, wurde nicht nur immer breiter diskutiert, sondern auch immer schneller in neue Verfahren und Maschinen umgesetzt.

Sklaverei und die Brutalität der europäischen Heere machten nicht den entscheidenden Unterschied. Sklaverei war in verschiedenen Formen weltweit üblich und auch die Truppen andere Staaten und Reiche waren grausam und rücksichtslos.

Mittlerweile haben Europa und vor allem Deutschland den Erfolgspfad verlassen. Selbst kleine militärische Konflikte können ohne Hilfe der USA nicht entschieden werden. Für die USA ist Europa eher eine Bürde als ein Bündnispartner, auf den man im Konfliktfall zählen kann.

Sicher, die Kirchen sind leer und die Säkularisierung ist weit fortgeschritten. Aber mit dem Ökologismus und der postmodernen Ideologie sind Europa und vor allem Deutschland dabei, sich ebenso neuen und eng miteinander verknüpften Religionen zu unterwerfen, wie es die Portugiesen zu Beginn der Neuzeit mit dem fundamentalistischen Katholizismus taten. Der mit Inbrunst vorgetragene Glaubenssatz, dass der Mensch sein Geschlecht wechseln könne, ist dabei, die Erkenntnisse der Biologie zu verdrängen. Gentechnik, Kernkraft und Künstliche Intelligenz werden verteufelt und zum Teil verboten. Und die an den Universitäten und Instituten gewonnenen Erkenntnisse können, wenn überhaupt, nur langsam und zögerlich in der Praxis umgesetzt werden. Der Wunsch, in Wohlstand zu leben, wird verteufelt. Die Kleriker der Postwachstumsökonomie preisen Armut und Verzicht und gewinnen damit bei Menschen Zuspruch, die keine Vorstellung mehr davon haben, was Armut und Verzicht im Alltag bedeuten.

Der Fortschritt findet mittlerweile nicht mehr in Europa statt. Keine andere Region der Welt folgt ihm auf seinen Weg. Bei der Zahl der Patente können seine Staaten längst nicht mehr mit China und den USA mithalten. Unternehmen lagern Forschung und Produktion aus: Die Gentechnikabteilungen von Bayer und BASF sind in den USA, am in Deutschland entwickelten Dual Fluid Reaktor wird in Kanada gearbeitet und im IT-Bereich spielt Europa, wo der Computer erfunden wurde, schon lange keine große Rolle mehr.

Anstatt einer leistungsfähigen Landwirtschaft, die dazu beitragen kann, bald neun Milliarden Menschen zu ernähren, was nichts anderes als eine verdammte Pflicht Europas ist, will man zum Feinkosthersteller der Welt werden. Die Europäische Union träumt davon, weltweit Technologien zu regulieren. Das war im Jahr 2000 noch anders: Die damals beschlossene Lissabon-Strategie wollte Europa zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensgestützten Wirtschaftsraum der Welt machen. Nun will man nur noch zum globalen TÜV werden.

Es steht Europa und auch Deutschland frei, den Abstieg und die Armut zu wählen. Wenn seine Bürger es so wollen, wird dieser Wunsch in Erfüllung gehen. Es wäre nur nicht dumm, sich klarzumachen, was es bedeutet, wenn er Wirklichkeit wird: Armut ist nicht malerisch, sie bedeutet für viele Menschen den Tod. Freiheit und Demokratie sind eng mit dem Wohlstand verbunden, er befriedet Gesellschaften, mildert Verteilungskämpfe und schafft Sicherheit. Er schützt die Schwachen, denn in armen Gesellschaften gilt das Recht des Stärkeren. Und ganz nebenbei wird es in einem armen Europa nicht nur keine guten Krankenhäuser mehr geben: Auch die Zahl der Lehrstühle für Postwachstumsökonomie und Gender Studies wird kleiner werden. Ja, auch die Armut hat ihre guten Seiten.

Dir gefällt vielleicht auch:

Abonnieren
Benachrichtige mich bei
4 Comments
Oldest
Newest
Inline Feedbacks
View all comments
Psychologe
Psychologe
10 Monate zuvor

So langsam brauchen wir aber auch mal ein neues Erklärungsmodell als immer nur „Ökologismus und Postmoderne“.
Die postmodernen Versatzstücke scheinen mir nicht mehr ganz so heiß diskutiert zu werden, wie es vor 2-3 Jahren noch der Fall war. Das Thema scheint sich doch deutlich seinem Zenit zu nähern. Einen Marsch durch die Institutionen kann ich da nicht erkennen. Über „Gender Studies“ wird sicherlich 10 mal so viel gesprochen wie studiert. Die ach so heiligen MINT-Fächer haben einen deutlichen Zulauf, seit Anfang der 2000er fast verdoppelt. OK, man müsste die Bologna-Reform mal raus rechnen, aber auf jeden Fall ist es entgegen aller Unkenrufe nicht so, als würde das keiner mehr studieren und alle würden sich nur noch postmodernem Quatsch widmen. Und der gewählte Bundeskanzler dieser Republik bezeichnet die Klima-Klebereien als „völlig bekloppt“.

Tatsache ist aber auch: Ein „weiter so“ wird es auch in Bezug auf die Klimaproblematik einfach nicht mehr geben können. Richtig ist zwar auch, dass wir in Deutschland nicht mal 2% des CO2 emittieren. Trotzdem können wir nicht die Hände in den Schoß legen. Und mein Vertrauen in den freien Markt ist da auch in den letzten Jahren massiv erschüttert worden, wenn ich mir all das Greenwashing ansehe und, damit eingeschlossen, die Tatsache, dass viele Autohersteller SUV-Panzer einfach als E-Variante herausbringen. Es zeigt, dass diese nichts verstanden haben. Über die Styroporverpackungs- und Achtzylinder-Wüste USA, in welcher das Weihwasserbecken „beheizter Pool“ heißt, erst gar nicht zu reden.

Im Übrigen gehört zur Vervollständigung des Bildes auch das: China wiederum ist wahrlich nicht frei von Problemen. Auch diese Gesellschaft hat ein erhebliches demographisches Problem, hat außer Absichtserklärungen im Hier und Jetzt keine überzeugende Antwort auf die Klima-Problematik. Der wirtschaftliche Erfolg wird auf dem Rücken von Wanderarbeitern, unterdrückten Volksgruppen und durch sonstige massive Menschenrechtsverletzungen, Korruption und der Einschränkung der Presse- und Meinungsfreiheit erkauft. Und da wäre über Taiwan noch nicht mal gesprochen.
Also China hat ganz schön viele Elefanten im Raum stehen und von daher würde ich nicht einfach immer und immer wieder wie ein aufgeregtes Huhn die üblichen Keywords nachgackern. Wo ist denn die eigene optimistische Vision geblieben, das Besinnen auf die eigenen Qualitäten? Hint: Europa ist nicht groß geworden, in dem man verdrießlich in der Ecke gesessen, und die Postmoderne beweint hat.

berthold@grabe-web.de
berthold@grabe-web.de
10 Monate zuvor

Nun eine zutreffende Beschreibung der aktuellen gesellschaftlichen Entwicklung.
Anzumerken ist, das auch der Raubbau mit Ressourcen und folgende regionale Klimaveränderungen zu den Parametern gehören, die in der Historie auf und Abstieg begleitet haben.
Was heute aber viele verleitet zu übersehen, das die Welt komplexer ist und Ökonomie, und liberale Wissenschaften auch für die Ökologie letztlich die entscheidenden Erfolgsgrundlagen sind.
Von wokeness können nur staatliche Kostgänger leben, die ihren Lebensunterhalt nicht produktiv verdienen
Die Beispiele Portugal und Spanien zeigen, das Einseitigkeit Den Erfolg vernichten und wenn man die Folgen für deren Kolonialreiche betrachtet, hat es sogar eine globale Katastrophe erzeugt unter deren ehemalige Kolonien bis heute leiden.

Psychologe
Psychologe
10 Monate zuvor

@ Stefan Laurin: Was Sie hier zeichnen ist ein klar kulturpessimistisches Bild. Die Dekadenz des heutigen Europas. Dabei nutzen Sie insgesamt eine sehr unterkomplexe Ordnung, um sich die Situation zu erklären. Europa ist nicht nur „Woke“, sondern genau so Rechtspopulismus. Und das schon länger.
Im Übrigen noch etwas zur KI: Diese können Sie nicht gemeint haben, als Sie von teilweisen Verboten sprachen. Die politische Haltung in Deutschland scheint ja diesbezüglich eindeutig zu sein.
Richtig und wichtig finde ich aber auch, dass wir gegenüber der KI nicht dieselben bräsigen Fehler machen wie einst, als das Internet durch fehlende Regulierung noch ein Selbstbedienungsladen für private Datensammler war. Mir fallen zudem nicht besonders viele Gründe ein, warum man sich in die Abhängigkeit seltener closed-source-Insellösungen einiger Big Player begeben sollte.

Werbung