Kosmischer Läufer – Krautrock für Deutschland?

2013 begann Unknown Capability Records mit der Veröffentlichung der „verschollenen“ Werke von Kosmischer Läufer. Die Story: Ein Dresdner namens Martin Zeichnete produzierte im Auftrag – und unter strenger Bewachung – des olympischen Programms der DDR geheime Musik zur Ertüchtigung der Athleten. Kommenden Mittwoch erleben die drei Platten ihr bereits drittes Reissue. Die moderne Neuerzählung über Krautrock verkauft sich bestens.

Aus heutiger Sicht ist das Bild einer Freien Deutschen Sportlerjugend, die ihre pseudosozialistischen Bahnen zwischen zwei Joints zu den repetitiven Klängen des Krautrock absolviert, eine schöne Geschichte. Die Vorstellung, die schrullige DDR-Sportindustrie könnte zur Verwirklichung ihrer nationalistischen Ziele kosmisches Musikdoping betrieben haben, ist aber eben doch zu abwegig. Statt den „Rhythmen des Yeah-Yeah-Yeah“ setzten Ullbricht, Stoph und Honecker auf anabol-androgene Substanzen, unter denen die Betroffenen noch heute leiden.

Dass der Gag vom Kosmischen Läufer, der in Wahrheit wohl eher ein schottisches Produzenten-Duo ist, dieser Tage dennoch so gut funktioniert und von manch einem womöglich geglaubt wird, liegt auch an der Vereinnahmung des Krautrock gegen die wahren Intentionen seiner Urheber. Eine Vereinnahmung, gegen die sich kürzlich Wolfgang Seidel in seinem lesenswerten Büchlein „Wir müssen hier raus! – Krautrock, Free Beat, Reeducation“ wandte. Darin verteidigt er den Krautrock – beziehungsweise das, was mit diesem Marketingbegriffs gemeint ist – gegen die Deutung, Projekt eines deutschen Pop im Gegensatz zu dem der „Besatzer“ gewesen zu sein.

Im Gegenteil kamen die meisten Gruppen aus jener Welle von Beatles-Coverbands, die eine erste Emanzipation vom deutschen Schlager gewesen war. Bands wie Faust wollten experimentieren und ihrem Land und ihren Eltern dabei möglichst fremd werden. Die Kosmische Musik sollte eine revolutionäre sein. Auch deshalb hat es Can, Neu! oder Verwandtes im Dienste eines deutschen Staats natürlich nie gegeben. Aber auch ohne den nationalistischen Kontext, in dem der Kosmische Läufer stattfindet, geht die Idee von Krautrock als Soundtrack zur sportlichen Selbstoptimierung doch in eine recht verstörende Richtung (Ralf Hütter und seine Anwälte können in der Ecke gerne unter sich bleiben).

Davon abgesehen sind Kosmischer Läufer Vol 1 bis 3 übrigens kitschige Alben, die sich extrem nah an ihren Vorbildern bewegen. Sie sind verrückter Auswuchs eines Revivals, das ansonsten auch Spannendes zu bieten hat. Zu Gehör gebracht wird hier aber bloß Kraftwerk und vor allem Hallogallo in den verschiedensten Variationen, aber ohne jegliche Neuinterpratation oder zumindest dem Versuch, eigenes einzubringen. Klar, die Improvisationsfreude der damaligen Protagonisten in einem Tonstudio der DDR-Staatssicherheit, das wäre dann wohl doch zu unglaubwürdig.

Kontakt für Reviews auf Ruhrbarone: felix.moeser[at]ruhrbarone.de

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