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Kronen, Kiffen, Kommunisten – Der 1.Mai in Recklinghausen

Abacus - Timecruiser Foto: Jan Wessels / Abacus Theater / Fools.nl

Scheinbar beherrscht die Londoner Hochzeit dieses Jahr den 1.Mai auf dem Hügel der Recklinghäuser Ruhrfestspiele. Kinder, aber auch viele Erwachsene laufen mit Pappkronen herum, die es früher gab, wenn du Kindergeburtstag bei MC Donald´s gefeiert hast. 80 000 Leute sollen heute bei der Eröffnung der Ruhrfestspiele sein. So steht es am nächsten Tag in der Zeitung.

Der Redner redet. Er hat vielleicht 200 Zuhörer. Jedenfalls  stehen etwa 200 Menschen um ihn herum. Manch einer redet mit dem Nachbarn, einige halten Fahnen. Die DKP gibt es auch noch. Ihre Fahne ziert Rosa Luxemburg, nehme ich an. Sahra Wagenknecht wird es wohl kaum sein, auch wenn die immer gern so aussieht wie Rosa und den Eindruck erweckt, als rechne sie fest damit, schon morgen als Leiche im Landwehrkanal zu treiben oder zumindest im Rhein-Herne-Kanal.

Dazu gesellt sich „Die Linke“. Sie zieht einen Bollerwagen hinter sich her. Das ist die gelungene Synthese aus Arbeiterkampftag und Maiwanderung ins Grüne. Auf dem Bollerwagen liegen denn auch leere Bierbüchsen, mit Pappe umwickelt und diesem Atomstrahlenzeichen bedruckt. Unter den Bierbüchsen begraben liegt ein Plastikskelett. Ach so, Die Linke ist auch gegen Atomkraft. Wir sind ja nicht 1986 und in der DDR. Da erklärte mir ein armer FDJ-Funktionär, dass die sozialistischen Atomkraftwerke sicher sein, systembedingt. Sie befänden sich schließlich in Volkseigentum, und im Gegensatz zum Kapitalismus bringe der Sozialismus sein Volk nicht um. Ein halbes Jahr nach Tschernobyl klang das etwas merkwürdig.

Dicht daneben sieht man ein Riesentransparent, auf dem noch mal groß steht, dass der „Atomausstieg jetzt“ kommen müsse. Das ist gut. Nicht jeder versteht schließlich die subtile Bollerwageninszenierung mit den Bierdosen und dem Leichnam. Der Transparenthalter, ein pensionierter Polizist, legt aber Wert darauf, zu einer anderen  Organisation zu gehören. Mein Fehler, ich hatte den alten WASG-Aktivisten automatisch der Linken zugerechnet. Aber auf seinem Transparent steht ja in der Ecke klein „attac“. Den Bollerwagen bewacht hingegen ein ehemaliger DKP-Mann, der schon zu meiner Schulzeit die Bezirksschülervertretung agitieren und unterwandern wollte. Wobei er hauptsächlich genervt hat.

Abseits steht die MLPD mit einem modernen sichelförmigen Segel, wie es Telefonanbieter gerne vor ihre Läden stellen. Dazu ein offensichtlich neues Transparent: „Für Arbeit, Frieden, Freiheit, Rettung der Umwelt – ECHTEN SOZIALISMUS“. Bei der MLPD ist man offensichtlich zu Geld gekommen für neues Agitations-und Propagandamaterial.

Vielleicht sagt all diesen Neo-Ökologen mal jemand, dass sie es auch mit diesen raffinierten Parolen voraussichtlich nicht schaffen werden, grünengleich an den verdatterten Sozis vorbeizuziehen. Mir fehlt dazu die Kraft. Ich fürchte immer, die wollen dann mit mir diskutieren.

Der Redner redet immer noch. Er heißt Jürgen Czech und ist Regionalleiter der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt, zuständig etwa für den Bezirk Westfalen Mitte-Süd. Die Rede klingt dann auch sehr nach dem mir bisher unbekannten Landstrich Westfalen Mitte-Süd.

Czech ist locker mit einem Bekenntnis in sein Maireferat eingestiegen. Er habe schon als Jugendlicher davon geträumt, einmal 1.Mai-Redner bei den Ruhrfestspielen zu sein. Aber das passiert oft mit Träumen, die in Erfüllung gehen. Joachim Gauck sagte mal über die Wende: „Wir träumten vom Paradies und wachten auf in Nordrhein-Westfalen.“

Nach dem Applaus bei der Begrüßung des Landrats (SPD) und des Bürgermeisters (CDU) dämmert das Publikum weg in Westfalen Mitte-Süd. Der Vortrag klingt, als habe sich Czech ausgiebig aus den Rede-Bausteinen des DGB bedient. Jedes Jahr muss sich ein bedauernswerter Referent in der Gewerkschaftszentrale  hinsetzen und für unsichere Redner das nichtssagende Maimotto in seitenlange Textbausteine umsetzen, Phrasen, die du in beliebiger Länge, Geschwindigkeit, Dynamik und Reihenfolge vortragen kannst.

Czech wählt die beliebige Variante und gibt es denen da oben so richtig, mit eigenen Spitzen. Philipp Rösler wird zum Harry Potter der FDP, Ursula von der Leyen zur Mutter Teresa und muss sich aus der Ferne sagen lassen: „Die hat sie doch nicht mehr alle.“ Die Bundesregierung habe nicht viel auf die Reihe gebracht und Deutschland sei dabei, ein Entwicklungsland zu werden. Das Ganze sei eine Riesensauerei und er „werde auch nicht aufhören, das eine Riesensauerei zu nennen.“ Im Übrigen sei die Lieblingsserie seiner Frau „Um Himmels Willen“. Den Zusammenhang mit den Sauereien bekomme ich nicht mit. Denn in diesem Moment betritt ein bärtiger Mittzwanziger den „Gewerkschaftstreff“ und trinkt dabei offensichtlich Alkoholisches aus einem Kuhhorn. Ein schwarzes T-Shirt spannt über seinem zum Glück prächtigen Bauch. So kann man den Spruch faltenfrei lesen: „Wotans Erbe –Unser Auftrag“. Damit wäre die Riege der Verwirrten jetzt komplett. Die erhoffte Belebung bleibt aus. Wotans Erbe wartet brav das Ende der Rede ab, um dem Moderator der Veranstaltung sein Weltrettungskonzept ins Ohr zu brüllen: Man solle sich an die alten Wikinger halten. Die hätten schon alles im Griff gehabt.

Dann ist erst mal Schluss im Gewerkschaftstreff. Früher gab es noch eine Tombola. Teilnehmen durfte jeder, der eine Mai-Nelke erworben hatte. Zu gewinnen gab es Elektroschrott, den ein Gewerkschaftssekretär schnell noch im Real erworben hatte. Ich durfte diesen Event einmal moderieren, weil es für die gute Sache war und der DGB nie Geld hat, für eine mickrige Gage. Auch so ein Nordrhein-Westfalentraum, allerdings hatte ich auch gar nicht erst mit dem Paradies gerechnet. Am Bühnenrand drängelte ein Personalrat und attac-Aktivist, breitete eine lange Liste mit den Losnummern der abwesenden Kollegen aus und freute sich übermäßig über einen schon damals historischen Watson-Walkman, der mit Sicherheit nicht zu deutschen Mindestlöhnen zusammengeschraubt war. Damit war das Thema attac für mich erst einmal erledigt. Als im nächsten Jahr Manfred Breuckmann meinen Job übernahm, für etwa die zehnfache Gage, war mein Maitraum damit auch erledigt, endgültig.

Im Gegensatz zu den 200 Kundgebungsteilnehmern wollen die übrigen etwa 79 800 Besucher von Gewerkschaftsparolen am 1. Mai nichts wissen. Sie wollen Schlange stehen, Bier kaufen oder mitgeschlepptes Bier trinken. Sie freuen sich auf ein Kulturprogramm „umsonst und draußen“, das sich schon lange reduziert hat auf ein paar Walk Acts und Bands aus der Region, die nicht so viel kosten. Früher konnte man hier mit Bernd Begemann feiern, sich bei Hans-A-Plast standesgemäß im Schlamm  suhlen, Kim Frank mit Bierdosen bewerfen oder bei Alpha Boy School mit dem großartigen Karsten Riedel feiern, sich bei den Fantastischen Vier von der Menge durch die Gegend schieben lassen. Heute spielt eine Teenie-Band aus der Nachbarstadt, über die ich nichts Schlechtes sagen kann, weil der Vater des Sängers am Mischpult und die begeisterte Mutter vor der Bühne alte Bekannte von mir sind. „Die Bandbreite“ erspare ich mir, obwohl Ruhrbaron Stefan Laurin noch kurzfristig auf skandalträchtige Texte der Duisburger Hip-Hop-Formation hinweist. Eine kleine Gruppe soll den Duisburgern aber Stinkefinger und Transparente entgegen gehalten haben, und es soll weder attac noch die Umweltgruppe der MLPD gewesen sein.

Ein Plakat der Drogenberatung hat mich zum Stand der Sozialarbeiter gelockt. „Mein Kind kifft –was  tun?“, werde ich gefragt und weiß keine Antwort. Fragen, ob das Zeug gut ist, darum betteln, dass ich was abbekomme? Der Berater bleibt leider unkonkret. Neben ihm steht ein weiteres Plakat. „Wer nutz wie oft, die sozialen Netzwerke?“, heißt es dort wörtlich. Das trifft mich als Nebenerwerbsblogger hart. Der Sozialarbeiter redet mich fast auf den Weg in die Abhängigkeit, redet von stoffunabhängiger Sucht. Dann schaltet er um auf Cybermobbing, Datenklau und kommt mir mit dem Internet, das nie vergisst. Gefahr drohe ständig im Netz, gerade für junge Menschen. Da bin ich froh, dass meine Tochter im Gegensatz zu mir Facebook total blöd findet. Ja, sage ich dem Berufsanfänger, die Gefährlichkeit sozialer Netzwerke habe sich doch gerade erst in Tunesien und Ägypten gezeigt. Gleich kriege ich ein schlechtes Gewissen. Auch Drogenberater müssen sehen, wo sie bleiben. Da drohen nicht nur polnische Billigpädagogen, vor denen die Gewerkschaft warnt, Arbeitnehmerfreizügigkeit und so. Spätestens, wenn der Cannabisbesitz legalisiert wird, dürften viele Streetworker aus der Drogenbranche auf der Straße stehen. Ich schaue mich um. Die Zielgruppe säuft sich heute auf dem Hügel tausendfach gezielt in die Beratungsresistenz. Ich flüchte und stolpere fast über eine komplett fettleibige Familie. Die etwa siebenjährige Tochter grient glücklich ob der XL-Pommestüte in ihren Händen, doppelt Majo. Ich werde sie nicht an die Drogenberatung ausliefern, nicht heute, heute ist Feiertag.

Immer mehr Kronenträger begegnen mir. Ich finde die Quelle des Pappgeschmeides. Noch ein Bollerwagen. Er gehört der Initiative Bedingungsloses Grundeinkommen Recklinghausen. Auch sie hat ein Transparent gespannt. „Wenn jeder sein eigener König ist, muss niemand der König des anderen sein“. Ich bin verwirrt. „Wenn jeder König ist, wer ist dann Untertan?“, frage ich. Der Aktivist grinst, antworten tut er nicht. Die Aktivistin neben ihm steckt weiter Pappkronen zusammen, diese Dinger vom Mc Donald´s-Kindergeburtstag. Ich habe schon immer gedacht: Eltern, die ihrem Nachwuchs so eine Party antun, sollte auf der Stelle das Sorgerecht entzogen werden. Aber hier auf der Wiese sind die Kronen umsonst, die Leute stehen Schlange. Am Abend des Tages der Arbeit werden alle viel papierenes Geschmeide auf dem Haupt tragen. Jetzt hilft nur noch König Alkohol.

 

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Jürgen Kruse
Jürgen Kruse
12 Jahre zuvor

Nach einer Untersuchung in 2011 des Dresdner Institust für Medien… wird die gesteuerte Berichterstattung über die Parteien in Deutschlkand sehr deutlich.
Die Linke kommt so gut wie nicht vor. Es sei denn bei Gelegenheiten zur Diffamierung und Negativberichterstattung! Bevorzugt werden neben CDU/CSU vor allem die FDP und die Grünen!
Quelle:
Dresdner Institut für Medien, Bildung und Beratung (DIMBB)

Eisenberger Straße 9

01127 Dresden

Funk: 0172/3432581

Fax: 0351/26717759

e-mail: hilker@dimbb.de

Internet: http://www.dimbb.de

Die Häme in diesen Beiträgen hier auf der einseitigen Internet-Seite gegen Linke und vor allem die Partei Die Linke ist schon ekelhaft billig!
Heraus kommt dabei eine absurde Mischung aus Kapitalismusbefürwortung, neoliberaler Ideologie und Rechtfertigung jeglichen Sozialabbaus bei gleichzeitiger
Verteufelung von Aspekten der Solidarität, Nächstenliebe und Gerechtigkeit.

Stefan Laurin
Admin
12 Jahre zuvor
Reply to  Jürgen Kruse

: Wir verteufeln hier überhaupt keine Linken. Das kannst Du in vielen Artikel nachlesen. Wir kritisieren nur autoritäre Gruppen – auch wenn es linke autoritäre Gruppen sind. Und wo wir “ Solidarität, Nächstenliebe und Gerechtigkeit“ verteufeln ist mir schleierhaft.

Jan
Jan
12 Jahre zuvor

Der Dresdner Wissenschaftler ohne Festnetznummer ist übrigens laut Biographie ehem. Linker MdL aus Sachsen. Ein bisschen neutraler könnte es ja schon zugehen.
Aber natürlich ist es in der Bundespolitik schwierig, über eine Partei zu berichten, von der man sich schwer vorstellen kann, dass sie es mal an den Kabinettstisch schaffen könnte … da ist die Debatte um einen grünen Kanzlerkandidaten schon aufregender.

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Barbara Underberg
Barbara Underberg
12 Jahre zuvor

Etwas weniger vertrocknete Humorlosigkeit würde manche Linke ja noch attraktiver machen. Mal ganz bierernst: Martin, Kompliment, mehr davon. Beneidenswerte Beobachtungsgabe, macht Spaß zu lesen.

Jan
Jan
12 Jahre zuvor

Insgesamt braucht aber die Maifeiertags-Freakshow von Martin Kaysh auch nicht zwangsläufig parteipolitische Ausgewogenheit. Ohne die unterschiedliche Parteizugehörigkeit von Landrat und BM hätten es ja nicht einmal die beiden Volksparteien in die Aufzählung geschafft.
Absolut grandios waren natürlich auf Internet umgeschulten Suchtberater 2.0, dessen zehn auswendig gelernte Sätze leider nicht zu den Fragen passten. Wieviel Prozent des deutschen Traffics macht Cybermobbing eigentlich aus!? 😉
Sollte man nicht fairerweise das Medium Telefon ausschließlich danach beurteilen, wieviele Stalker ihre Ex-Freundinnen morgens um vier mit einem fernmündlichen Heiratantrag überraschen?
Übertragungsmedien sollten grundsätzlich nur nach ihren missbräuchlichsten Verwendungen moralisch eingestuft werden – und da schneidet das Internet besser ab: die Nazis hatten nur Telefon!

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