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Experimente in einer toten Stadt – heute beginnen die 62. Internationalen Kurzfilmtage

Foto: Kurzfilmtage / Daniel Gasenzer
Foto: Kurzfilmtage / Daniel Gasenzer

Das Oberhausener Kurzfilmfestival startet zum 62. Mal. Es findet in einem Viertel statt, in dem die Hälfte aller Kinder aus Hartz 4-Familien stammt. Genau der richtige Ort für kritische Kunst. Aber die Besucher des Festivals wirken in Oberhausen wie Außerirdische – eine Interaktion mit der gescheiterten Stadt gibt es kaum.

In Oberhausen, laut New York Times das deutsche Detroit, liegt eine trübe Stimmung über allem. Die hoffnungslose Situation sieht der Besucher vielen Einwohnern auf den ersten Blick an, wenn er den Hauptbahnhof in Richtung Kino verlässt. Die Verwaltungszentrale des Festivals liegt auf der anderen Seite der Innenstadt – der besseren Seite. „Die Villa“, wie das Gebäude völlig zu Recht genannt wird, eines der schönsten Häuser der Stadt, thront wie eine exterritoriale Trutzburg im Grünen. Oberhausen ist Deutschlands einzige Großstadt ohne Hochschule. Abgesehen vom Festival gibt es keine nennenswerten kulturellen Ereignisse. Mit dem riesigen Einkaufszentrum Centro haben die Filmtage gemein, dass nur ein Bruchteil der Besucher aus der Stadt selbst kommt. 

Festivalleiter Lars Henrik Gass. Foto: Kurzfilmtage / Daniel Gasenzer
Festivalleiter Lars Henrik Gass. Foto: Kurzfilmtage / Daniel Gasenzer

Das Festival war immer auch ein politisches Ereignis. Einst – damals noch als Westdeutsche Kurzfilmtage – wurden insbesondere Filme aus dem Ostblock gezeigt, die diesseits der Grenze sonst eher verpönt waren. Von Glanz und Bedeutung des Oberhausen Manifest („Papas Kino ist tot“) lebt das Festival noch heute. Zu dieser Zeit waren die Kurzfilmtage auch ein Forum für – oft wüst geführte – Auseinandersetzungen, für Debatte und Diskurs. In schlechter Erinnerung bleibt hingegen die öffentlichkeitswirksame Aktion der Festivalleitung von 2003, als einseitig nur den Vertretern der westlichen Alliierten im Irakkrieg ein Hausverbot erteilt wurde.

550 Filme aus 55 Ländern

Themen und Blöcke sind für die Besucher die einzige Chance, sich im Dickicht aus 550 Filmen sinnvolle eigene Schwerpunkte zu setzen. Zum Glück ist das Festival in dieser Hinsicht stets spannend strukturiert. In diesem Jahr lenken die Kuratoren unseren Blick nach Südamerika: Das Themenprogramm „El pueblo“ – das Volk – setzt sich mit Alltäglichkeiten und Zukunftsfragen des Kontinents und seiner Bewohner gleichermaßen auseinander, stellt darüber hinaus die Frage, was und wer eigentlich „das Volk“ sei. Es schlägt so auch eine Brücke zu Auseinandersetzungen, die uns zur Zeit in Deutschland beschäftigen.

Ein weiterer Höhepunkt des Festivals sind die Profil-Programme: Werkschauen ausgewählter Künstler; in diesem Jahr aus China, Deutschland, Israel, Norwegen und Österreich. Darunter ist die erste Retrospektive des filmischen Werks der israelischen Dichterin Raquel Chalfi, die in ihren Filmen Poesie und Kino verwebt und das Unbewusste, Mythen und Legenden erkundet. Zum Programm gehört auch eine Lesung Chalfis.

Das Festival zeigt jedes Jahr aufs Neue: Der Kurzfilm kann alles, und seit er aus dem Kino und Fernsehen weitgehend verdrängt ist, traut er sich erst Recht alles. Er ist eine kraftvolle Spielwiese, ein Experimentierfeld – etwas also, das auch die tote Stadt sein könnte, in der sein wichtigstes Forum stattfindet.

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MrO.
MrO.
7 Jahre zuvor

"In der Oberhausener Innenstadt finden Sie ein breites Einkaufsangebot für den kurzfristigen und langfristigen Bedarf in jedem Preissegment. Urige Kneipen und moderne Cafés bieten die typische Atmosphäre des Ruhrgebiets. Theater, Kleinkunsttempel, Museum und Kino stehen für eine breite – über die Stadtgrenzen hinaus bedeutende – Kulturszene. In nur fünf Geh-Minuten erreichen Sie die Innenstadt vom Hauptbahnhof oder dem Kongreßzentrum Luise-Albertz Halle." (Quelle: http://www.oberhausencity.de/, Betreiber: CityO.-Management)

Und um den vielen internationalen Besucherinnen und Besuchern die breite und bedeutende Kulturszene der Stadt so richtig nahe zu bringen, veranstaltet das CityO.-Management zeitgleich zu den Internationalen Kurzfilmtagen das alljährliche "Winzerfest", eine der üblichen Sauf- und Fressveranstaltungen unter freiem Himmel, um die man als halbwegs feinfühliger Mensch nur einen kilometerweiten Bogen machen kann. Im vergangenen Jahr "beglückte" man die internationalen Gäste mit einem "Flohmarkt" samt Sauf- und Fressständen auf der Markstraße.

Auch eine Methode die Internationalen Kurzfilmtage im öffentlichen Raum der Stadt zu isolieren und so eine mögliche politische Relevanz von vornherein zu verhindern, könnte man meinen, wenn man als Oberhausener nicht wüsste, dass es den hierfür Verantwortlichen an Intelligenz für derartig komplexe Überlegungen mangelt. Man hält dort Sauf- und Fressveranstaltungen a la "Winzerfest" tatsächlich für "Kultur". Was einem nur bleibt ist sich angesichts all dessen fremdzuschämen. Und die Notlüge, dass man aus Essen oder Bochum kommt, wenn man mit den Besucherinnen und Besuchern der Kurzfilmtage ins Gespräch kommt.

Pommeskind
Pommeskind
7 Jahre zuvor

Einerseits ja. Andererseits sind Menschen, die in Städten wie Bottrop, Castrop-Rauxel, Duisburg, Essen, Gelsenkirchen, Gladbeck oder Herne leben froh über die in Oberhausen ebenfalls vorhandenen politisch/(sub-)kulturell /alternativen Möglichkeiten wie bspw. dem wirklich unzweifelhaft renommierten Theater, und auch Läden wie dem Altenberg, dem Druckluft, dem K14, dem Kunstdings im alten Wasserturm des Bahnhofs usw. Zumindest werden diese Angebote von Leuten aus diesen Städten und auch Herrn Möser himself regelmäßig heimgesucht 😉

Ansonsten ist Oberhausen selbstverständlich auf ganz vielen Ebenen ein schrecklich-schöner Ort zum Leben und arbeiten und feiern. Ruhrgebiet halt.

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