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#regrettingmotherhood – Das Recht auf eine verspätete Emanzipation

Postkarte von www.gutrath.com
Postkarte von www.gutrath.com

Liebende Mütter, die sich vorstellen könnten, etwas ganz anderes zu sein? Mitte 2015 wurde ihnen durch die israelische Soziologin Orna Donath eine Stimme verliehen. Mit ihrer Studie stellte sie die diversen Schicksale von Betroffenen erstmals einem breiterem Publikum vor. Wie nicht anders zu erwarten, loggte sich daraufhin alles, was am traditonellem Familien- und Gesellschaftsbild festhält, bei Twitter ein und schimpfte diese Frauen Barbaren. Und laut Edo Reents in der Frankfurter Allgemeinen hätte die Debatte um die ihre Mutterschaft bereuenden Mütter durch das im Februar erschienene Buch Regretting Motherhood gar nicht erst wiederbelebt werden sollen. Zum Jugendamt müsse man eigentlich gehen, ob dieses fatalen Egoismus. Denn Frauen, die sich in ihrem späteren Leben mit ihrer einst frei gewählten Mutterrolle nicht mehr bedingungslos wohl fühlen, hält er für fehlgeleitet, »herzlos« und »brutal«. Dies stellt vielleicht insofern eine Besonderheit da, als er sich dabei auf Adorno beruft.

Wir leben grundsätzlich in einer herrlich-pluralistischen Gesellschaft, in welcher nicht nur viele unterschiedliche Lebensentwürfe möglich sind, sondern jede*r auch permanent die Möglichkeit hat, sich über andere als den eigenen zu informieren. Zugleich ist es auszeichnend für unsere Gesellschaft, dass es (in verschiedensten Lebensbereichen) noch sehr jungen Individuen abverlangt wird, Entscheidungen zu treffen, die derart endgültig sind, dass sie in ihrer Ausgereiftheit erst für viel ältere Personen echte Konsequenzen haben werden. Moderne Menschen haben sich mit diesen Tatsachen längst abgefunden. Moderne Menschen wissen nicht nur, dass Frauen einen höheren Daseinszweck als die Fortpflanzung für sich entdecken können, sondern auch, dass ein vielfältiger Lebenslauf für diverse Interessen stehen kann und nicht für eine umtriebige Persönlichkeit stehen muss. Sich umzuorientieren, seine Meinung zu ändern und Jugendsünden oder auch Mittzwanziger-Sünden zu benennen als das was sie sind – all dies bedeutet Fortschritt. Wir verabschieden uns in diesem Jahrtausend von einem sehr großen Teil lästiger Verbindlichkeiten; wir dürfen uns hin und wieder neu erfinden.

Freilich ist es einfacher, seiner Einsicht auch Taten folgen zu lassen, wenn man erst im fünften Semester Informatik bemerkt, dass einem Mathematik nicht liegt, als wenn man das Leben seines dreijährigen Kindes gegen ein eigenes, erfüllenderes eintauschen wollte. Aus genau diesem Grund besteht für die bereuende Mutter mehr Redebedarf. Auf der anderen Seite könnte das Brechen ihres Schweigens einen wichtigen Beitrag zu der Entscheidungsfindung von kommenden Generationen junger Frauen darstellen, was offenkundig vielen Menschen Angst bereitet. Eine Angst, die die Evolution in den Tiefen unseres Unbewussten vergraben hat; die primitive Angst vor dem Aussterben.

»Wir sehen gerade einen weiteren Versuch, an unhintergehbaren Lebenstatsachen herumzudeuten«, glaubt Reents.

Doch es muss der bereuenden Mutter nicht erst gewahr gemacht werden, dass es sich um eine endgültige Entscheidung handelte, deren Konsequenzen ihr (in den meisten Fällen wenigstens) 18 Jahre von morgens bis abends Sorge, Freude und Arbeit bereiten werden. Die Unhintergehbarkeit dieser potentiell sehr frustrierenden Lebenstatsachen wird durch sie nicht Abrede gestellt, ganz im Gegenteil: Sie ist Teil des Problems. Die von Orna Donath befragten Mütter und die, die sich nachträglich in der Debatte als Bereuende outeten, sprachen in der Regel auch ausschließlich von Reue; sahen entsprechend ihre Eigenverantwortung ein und haben ihre Kinder nicht zur Adoption freigegeben. Die wenigsten Entscheidungen, die ein Mensch trifft, sind jedoch von der unmittelbaren Umgebung unabhängig, sind frei in dem Sinne, dass gesellschaftlicher Druck in die ein oder andere Richtung nicht eine ganz entscheidende Rolle dabei spielen würde. Etwa der patriarchal-kategorische Imperativ, als Frau Kinder verdammt noch eins kriegen und lieben wollen zu müssen, hat sich gewiss in den letzten Jahrzehnten etwas gelegt und damit der Selbstbestimmung Raum geschaffen, doch spielt er in vielen Familien und Dörfern noch eine größere Rolle, als es erstrebenswert wäre. »Kinder sind wichtiger als Autonomie« Nicht zuletzt anhand der Tatsache, dass für die Pille Danach bis vor kaum mehr als einem Jahr noch Rezeptpflicht bestand und dass die Abschaffung derselben durchaus umstritten war, ist die Verbreitung dieses Dogmas belegbar. Erschwerend hinzu kommt bei diesem gesellschaftlichen Zwang, dass aus medizinischen und damit berechtigten Gründen vor Schwangerschaften in „zu hohem Alter“ gewarnt wird. Die Ansage, man würde früher oder später bereuen, sich dagegen entschieden zu haben, ist darum bei diesem Thema wohl inflationärer gebräuchlich als in der gemeinen Outbound-Abteilung eines jeden Callcenters.

Doch all dieser Druck ist Reents nicht Erklärung genug. „Man zitiert so gerne Adorno, bei manchen Leuten sei es schon eine Unverschämtheit, wenn sie „ich“ sagten – das war aber schon von Adorno eine inhumane Unverschämtheit -, und findet nichts dabei, wenn Mütter jetzt nur noch „ich, ich, ich“ sagen“, empört er sich. Darüber hat er wohl vergessen, dass man dem kinderlosen Adorno zwar nicht nachsagt, dass er sich besonders gut Fehler einzugestehen vermochte, er als „einzig legitimen Grund“ für die Vermehrung jedoch „die Freude am eigenen Leben“ angab.

Etwas unter der Prämisse lieben, dass es auch wirklich existiert

Wer also ein Umdenken von Müttern, unabhängig davon, wann es stattfindet und unter welchen Umständen einstig die Schwangerschaft eintrat, kritisiert, spricht der Emanzipation, wenn sie verspätet eintritt, ihr Existenzrecht ab – und damit der Emanzipation an sich. Die gesellschaftliche Entwicklung dahingehend, dass viele Frauen keine Mütter mehr sein wollen, wird geduldet, da alles andere sich nicht mehr schickt; die persönliche Entwicklung einer solchen dafür umso mehr an den Pranger gestellt.

In der Regel bezieht sich diese Empörung dahingehend konkret auf das gewollte Missverständnis, dass sich die Einsicht, mehr mit seinem Leben hätte angefangen haben können, vermeintlich nicht mit der faktisch ziemlich primitiven Aufgabe, eine liebende Mutter zu sein, in Einklang bringen lässt; Ganz so, als wäre der Homo Erectus dazu noch nicht in der Lage gewesen, ergo geradezu so, als müsse der Homo Sapiens, der weise Mensch auch noch dankbar dafür sein, dass bei all den Alternativangeboten, die es in puncto Lebensgestaltung gibt, der Arterhalt weiterhin mit dem (Auf)opfern von 18 Jahren, optimistisch gesprochen daher gut einem Fünftel, des eigenen Lebens einhergeht, sowie einer dem vorausgehenden neunmonatigen, ungemütlichen Schwangerschaft.

Auch Reents »Argumentation« ist, grob zusammengefasst, etwa die, dass die Ambivalenz (er setzt das Wort in gefühlte Anführungszeichen) zwischen der Ablehnung des Mutterdaseins und der Liebe zu den eigenen Kindern nicht im Bereich des für ihn Vorstellbaren liegt. Zitat:

»Eine Frau, die ein Kind bekommen hat, ist Mutter. Die vielbeschworene, ja fast wie eine Errungenschaft behandelte „Reue“ bezieht sich auf etwas, das nicht mehr rückgängig zu machen ist. „Lass es wegmachen“ – so etwas hilft hier nicht weiter. Insofern könnten die Mütter statt zum Psychiater auch zu einem Philosophen mit Schwerpunkt Logik gehen, der ihnen die Sache begreiflich macht.«

Folglich ist Edo Reents außerstande, eine Entscheidung anders zu bewerten, als einen Teilaspekt der Konsequenzen. Dies ist ein häufiges Muster, wie immer allen voran, im deutschsprachigen Ableger der Debatte: Es muss hier Klarheit darüber herrschen, wie ein Mensch sich positioniert, eine dialektische Abwägung von verschiedenen Tiefen und Aspekten ist derweil nicht erwünscht. Meinungen sind wichtiger als Kritik und Aussagen, die auf den ersten Blick Widersprüche in sich zu beinhalten scheinen, machen Angst. Bewusstsein? Aber nein, das geht ja nur mit Verantwortung einher. Und obgleich Reents es sich anmaßt, auch mit der »Komplexität der Mutterschaft« zu argumentieren, hält er es noch für Logik, dass man es lieben muss, und zwar immer, verantwortlich zu sein für einen Menschen, den man liebt.

Darf ich Wünsche haben, die mir keiner erfüllen kann?

Unlogisch hingegen erscheint ihm: »Meine Entscheidung verursachte die Existenz einer Person, die ich nun liebe. Hätte ich mich anders entschieden, wüsste ich heute nicht, was ich an ihr vermissen sollte.« Es ist jedoch im geringsten nichts Unlogisches daran, dass der Mensch nur mit den Informationen arbeitet, die ihm zur Verfügung stehen. Es ist nicht unlogisch, dass einige Problematiken im Leben eines Menschen tatsächlich eine gewisse Komplexität mit sich bringen. So ist es etwa nicht unlogisch, Flüchtlinge bedingungslos aufnehmen zu wollen, sich aber zu wünschen, dass man künftig im Nahen Osten eingreift, bevor wieder Menschen in die Flucht getrieben werden. Es ist nicht unlogisch, Schokolade gut zu finden und Gewichtszunahme schlecht. Es ist vollkommen in Ordnung, sich Dinge – auch rückwirkend – zu wünschen, die aller Wahrscheinlichkeit nach außerhalb des Machbaren liegen. Es fällt einem nur noch Nietzsche dazu ein, wenn man als zum Differenzieren befähigter Mensch diesem kleingeistigen, fantasielosen Logik-Begriff in der Debatte begegnen muss:

»Ein Deutscher, der sich erdreisten wollte, zu behaupten,“zwei Seelen wohnen, ach!, in meiner Brust“ würde sich an der Wahrheit arg vergreifen, richtiger, hinter der Wahrheit um viele Seelen zurückbleiben.«

Til Mette: "promoviert."
Til Mette: „promoviert.“

Obwohl einige von den Müttern getätigten Aussagen womöglich schockierend oder schwer nachvollziehbar sind, bleibt es viel zu einfach zu postulieren: »Tja, hätten sie es sich eben vorher besser überlegt.« Es geht eben nicht um die Wahl eines falschen Studiengangs, ein Tribal-Tattoo am Rücken, oder sonst irgendeine Lappalie, die sich mit geringen Aufwand wieder korrigieren lässt oder die man auch einfach vergessen kann. Besonders dann, wenn man seine Kinder liebt und sich in das Muttersein gezwungenermaßen, aber hingebungsvoll hineinhängt, bezieht sich die Reue auf eine Beeinträchtigung, die man von morgens bis abends erfährt und zwar über viele Jahre, in welchen man stattdessen ein eigenes Leben beginnen könnte. Mag es für sie auch zu spät sein, an ihrer Entscheidung noch etwas zu ändern – für Menschen wie Edo Reents ist es nie zu spät, um etwas Respekt vor Frauen oder vor Menschen die sich in ihrem Leben weiterentwickeln zu erlernen. Mercedes Nabert

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