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Rolling Stone

Bei Umfragewerten von 20 Prozent sollte Steinmeier nicht mehr von der Kanzlerschaft träumen, sondern auf die  Fortsetzung der Großen  Koalition setzen. 

Wir erinnern uns: 2002 blies sich der Vorsitzende einer kleinen Partei zum Kanzlerkandidaten auf, brauste mit einem Van durch die Lande und gewährte uns einen Blick unter die Ledersohlen seiner handgenähten Schuhe. Sein Name: Guido Westerwelle. Der Klamauk sorgte damals wegen der Dreistigkeit des Auftritt für viel Aufmerksamkeit, vor allem, weil Westerwelle es ernst zu meinen schien: Er wollte sogar als dritter Mann beim TV-Duell gegen Stoiber und Schröder antreten, was auch sprachlich zu Problemen geführt hätte.

Westerwelle leitete seinen Anspruch auf das Kanzleramt von einem PR-Trick ab: Dem von Möllemann ausgegebenen Wahlziel von 18 Prozent. Selbst wenn das erreicht worden wäre, die FDP landetet schließlich nach den schmierigen antisemitischen Ausfällen von Möllemann bei schlappen 7,4 Prozent, Westerwelle wäre nie Kanzler geworden.

Heute tourt wieder ein Mann durch Deutschland, dessen Chancen von einem Meteoriten erschlagen zu werden höher sind, als Kanzler zu werden. Sein Name ist Frank Walter Steinmeier, und er ist der Kanzlerkandidat der SPD. Die liegt nach neuesten Umfragen bei nur 20 Prozent und ist damit nah an den von Westerwelle einst eindringlich beschworenen 18 Prozent. Die einzige, zumindest theoretische, Machtperspektive wäre für ihn ein rot-rot-grünes Bündnis, das er aus guten Gründen ablehnt: Die populistische Linkspartei ist zwar immer gut für ein paar knallige Forderungen, aber selbst den eigenen Anhängern dieser ihren Namen immer mal wieder ändernden Partei wird es bei dem Gedanken einer Regierungsbeteiligung eher schwurbelig.

Auch eine Ampel-Koalition ist unwahrscheinlich. Koalitionen im Bund werden traditionell in den Ländern trainiert – bevorzugt in größeren Ländern wie NRW, Hessen oder Niedersachsen und nicht in den Stadtstaaten. Dort, bei vergleichsweise harmlosen Themen, können die Parteien und ihre Anhänger Vertrauen untereinander aufbauen. Im Umfeld dieser Koalitionen entstehen auch die informellen Kontakte, die eine Koalition in der Krise vor dem Auseinanderbrechen bewahren. Eine Ampel-Koalition wäre für alle Beteiligten ein Wagnis, das sie kaum am Ausgang einer Wirtschaftskrise eingehen werden, denn die nächste Regierung wird nur geringe Gestaltungsspielräume haben und sehr schnell mit der Sanierung des maroden Haushaltes beginnen müssen. Gemeinsames Sparen ist aber nun einmal deutlich schwieriger als gemeinsames Ausgeben, denn auch die durch eine neue Konstellation irritierte eigene Klientel lässt sich durch Geschenke eher beruhigen als durch Belastungen.

Steinmeiers einzige reale Machtoption ist die Fortsetzung der großen Koalition, und für die sollte er werben – ohne den Bohei mit der Kanzlerkandidatur, den sowieso niemand allzu ernst nimmt. Steinmeier sollte seine Partei als das soziale Gewissen der großen Koalition ins Spiel bringen und auf sozialdemokratische Erfolge verweisen wie die verlängerte Kurzarbeit, die bislang Millionen Menschen vor der Arbeitslosigkeit bewahrt hat. Auch wenn die realen Unterschiede in der Politik wegen der geringen Gestaltungsspielräume gering sein dürften – als Schreckgespenst taugt eine CDU/FDP-Regierung für Teile der Wählerschaft von Grünen, Linkspartei und SPD allemal. Vielen von ihnen dürfte die Fortführung der großen Koalition in Krisenzeiten noch als die beste Option erscheinen – und es ist für Steinmeier günstiger, in die Koalitionsverhandlungen mit der Union als der Sieger der Wahl einzutreten, der die Union zur großen Koalition gezwungen hat, denn als Bettvorleger, der einst als Tiger gesprungen ist.

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Christoph Schurian
14 Jahre zuvor

mich langweilt die spd-bashe, die hier immer wieder gerne befeuert wurde von „erkenntnissen“ des seit jahren von seiner ex-partei tief enttäuschten forsa-chefs. jetzt sollen die sozis nicht mal mehr einen kanzlerkandidaten ins rennen schicken, weil die umfragen im keller sind! tsts. als würden umfragen/ umfrager wahlen entscheiden (was aber leider wahrscheinlicher wird, je öfter man die demoskopen zitiert). natürlich ist die fortsetzung der großen koalition ein mögliches, langweiliges ende dieses wahlkampfes. und natürlich wird steinmeier die koalition in den nächsten wochen nicht zerschlagen, dazu ist er viel zu sehr parteirechter. aber jetzt als wahlkampfziel auszugeben, juniorpartner in berlin bleiben zu wollen, das würde das projekt 18 (wie ich finde ein etwas überstrapazierter witz) wirklich wahrscheinlicher machen. ich frage mich, was die spd-konkurrenz anzubieten hat, außer ihrend verblüffend guten werten in umfragen?

J. S.
J. S.
14 Jahre zuvor

Hahaha, und natürlich darf auch eine Zote gegen die Linkspartei nicht fehlen. Sauber gemacht.
Ja, die Linkspartei besteht nur aus Populisten und alles, was sie zu sagen hat, ist Populismus. Und die anderen Parteien sind ja rein gar nicht populistisch.

Ein Lafontaine hat ja nur Monate zuvor die Krise vorhergesehen, aber da wurde er nur belächelt (und als Populist beschimpft), während der Herr Steinbrück von Schuldenabbau geredet hat. LOL.

Und die Forderungen der Linkspartei sind ja so populistisch, dass auch SPD und Grüne manche Forderungen übernommen haben.

Die Forderungen sind keineswegs abwegig. Und von Bezahlung will ich nichts mehr hören, denn für Banken waren über 400 Mrd. Euro möglich.

Aber Rot-rot-grün wird sowieso nicht möglich sein, weil die Linke nicht mit solchen Verrätern koalieren will. Nicht umgekehrt, wie hier immer kolportiert wird.

ralf schwartz
14 Jahre zuvor

Welcher Wahlkampf? Und welches Ende soll die Wahl bringen außer daß die SPD Angela anfleht, nochmal eine Legislatur mit ihr lethargisieren zu dürfen?

Es gibt keinen Ausweg und daher auch kein gutes Ende. Einzig sinnvoll ist dieserzeit, wieviele Jahre wir das Ende noch vor uns selbst verheimlichen können, denn wir sind längst jenseits dessen!

Burkard Schulte-Vogelheim
Burkard Schulte-Vogelheim
14 Jahre zuvor

Einer „Zote gegen die Linkspartei“ bedarf es nicht, zu oft verhalten sich „linke“ Sektierer dort zutiefst unanständig. Allerdings, da ist man gerecht, nicht unanständiger als das, was sich in Weikers- und Seeheim ‚rumtreibt. Und erst Recht nicht unanständiger, als mancher Unions-Ministerpräsident und geschätzte FDP-Partner. So wie mancher Schmutz in deutschen Gehirnen festsitzt, so ist er auch gerecht auf die einzelnen Parteien verteilt.

Benötigt wird eine starke Opposition gegen die Fortführung von Schröders „Geistig moralischer Wende“. Und weil die SPD dazu auf Jahre nicht in der Lage sein wird wird dazu die LINKE gebraucht. Auch wenn damit einige Schmutzfüße in den BT ziehen.

Michael Kolb
Michael Kolb
14 Jahre zuvor

Man kann zur SPD ja nun stehen wie man will…

Ich bin jedenfalls dem link aus einem anderen Artikel gefolgt und habe das „Programm“ mal angelesen, die gruselige Schrifttype macht es einfach schwer, es wirklich zu lesen, ’schulligung. Die Sozialdemokraten sind an einem Punkt angekommen, an dem sie sagen können was sie wollen, sie bekommen dafür auf’s Maul! Frank Walter wacht morgens auf, sieht aus dem Fenster, die Sonne scheint, ruft seinen Tippdenker an, diesen Wetterbericht doch bitte zu twittern. Sobald geschehen tippen sich alle die Finger wund, daß es bei ihnen aber regnet und Steinmeier eh nur utopischen Unfug erzählt. Selbst bei Umfragewerten von 20% ist die SPD immer noch, zumindest in der Theorie, eine der beiden Volksparteien und als solche hat sie, IMHO, den großen Wurf zu wagen, auch mal Utopien an die Wand zu werfen. Also: so what?

Man kann sicherlich darüber streiten, ob all die, die gerade bei der ARGE gemeldet sind, sich eignen, in Pflegeberufen zu arbeiten oder ob sie kreativ genug sind, um in diesem Feld ihr Brot zu finden, grundsätzlich ändert es aber nix an der Vision.

Auch sehe ich das Potential der SPD nicht in einer großen Koalition (wie ich es, leider, mal getan habe). Mir persönlich wäre eine SPD in der Opposition lieber. Sie könnte, glaubwürdiger als die LINKE, das aufzeigen, was gerade schief läuft, darüber wieder mehr Profil und auch wieder Stimmen gewinnen.

juli
juli
14 Jahre zuvor

Genau so schaut es aus für die SPD. Kluge Analyse von Herrn Laurin.

Das Pfeifen im Walde as its best des Kanzlerkandidaten im großen SZ.Sportinterview:

https://www.sueddeutsche.de/,tt2m1/sport/980/483427/text/

Vorgeschmack gefällig? Bitte sehr, Fußball-Metaphern werden übrigens nicht nur in diesem Gespräch von der SPD geradezu inflationär bemüht.

SZ: Herr Steinmeier, was ist wahrscheinlicher: Dass Ihr Lieblingsverein Schalke 04 mit dem neuen Trainer Felix Magath die deutsche Fußball-Meisterschaft gewinnt oder Sie Bundeskanzler werden?

Frank-Walter Steinmeier: Warten Sie mal ab. Schalke hat 34 Spieltage Zeit, ich noch gut 50 Tage bis zur Bundestagswahl. Für uns beide ist alles drin. Fußball und Politik sind immer für Überraschungen gut. Abgerechnet wird immer erst nach dem Schlusspfiff. Ich jedenfalls setze auf Sieg – für mich und für Schalke.

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[…] Samstag, 8. August 2009 |  Autor: zoom Steinmeier: rolling stone … ruhrbarone […]

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