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Wann ist ein Nazi ein Nazi?

Wenn doch nur nicht alles so verdammt kompliziert wäre. Und wenn doch einfach jeder genau sagen würde, was er denkt. Wenn denn überhaupt jeder wüsste, was er denkt. Meine widersprüchlichen Eigenschaften, gleichzeitig an das Böse in der Menschheit und an das Gute im Menschen zu glauben, machen es nicht besser.
Wer ist ein Nazi, wer könnte einer werden und wer unterstützt sie aus Versehen? Bitte erwarten Sie von diesem Text keine Antworten, ich bin froh, wenn ich erst mal die Fragen sortiert kriege.
Die schlechte Nachricht: Die AfD könnte drittstärkste Kraft im nächsten Bundestag werden. Die gute Nachricht: Sehr viele Menschen stehen dagegen auf. Die schlechte Nachricht: Menschen, die eine immerhin nicht verbotene Partei wählen wollen, werden als Nazis beschimpft. Die gute Nachricht: Man wehrt den Anfängen. Die schlechte Nachricht: Leute fühlen sich als rechts-radikal hingestellt, wenn sie bloß rechts-konservative Meinungen äußern. Die gute Nachricht: Es herrscht eine Sensibilität für faschistische Tendenzen.


Es gab eine goldene Zeit (War sie wirklich so golden? Das wird zu klären sein …), in der niemand in die rechte Ecke gestellt werden wollte. Eine Zeit, in der sich alle einig waren, dass es unser höchstes Ziel sein muss, nie wieder eine Nazi-Herrschaft zuzulassen. In dieser Zeit äußerte man sich sehr vorsichtig, wenn man etwas sagen wollte, was auf der politischen Achse in Richtung des Faschismus ging, auch wenn es noch sehr weit diesseits davon lag. Pegidafd’ler würden sagen: Es gab Sprechverbote. Grünlinksversiffte würden sagen: Das Gedenken an und die Abwehr vom Faschismus waren ein gemeinsamer Wert. Da niemand ein Nazi sein wollte, aber viele trotzdem fremdenfeindliche Ressentiments – oder freundlicher formuliert: patriotische Prioritäten – hatten, drückte man sich zurückhaltend und mitunter klausuliert aus. Jedenfalls in der Öffentlichkeit. Das führte allerdings dazu, dass Leute mit antifaschistischer Sensibilität besonders wachsam nach versteckten Botschaften suchten. Es wurde also ein gewisses Spiel daraus, die rechte Gesinnung hinter den demokratisch verpackten Aussagen zu entlarven.

Aber wem tat man damit recht und wem unrecht? Was gäbe ich darum, das zu wissen. Wenn ein Wahrheitsserum verteilt würde, was würden Höcke, Gauland, v. Storch dann sagen? Es gibt ja drei Möglichkeiten: 1. Sie meinen genau das, was sie sagen, nicht mehr und nicht weniger. 2. Sie sind eigentlich weniger nazi-affin, als ihre Aussagen glauben machen, wollen bloß den Euro abschaffen und „Deutschland first“ etablieren, provozieren aber aus taktischen Gründen. 3. Sie sind eigentlich noch viel nazi-hafter und würden, wenn sie frei sprechen könnten, eine Diktatur nach Hitlers Vorbild fordern.
Das ist ja das Verwirrende: Dass überhaupt niemand, außer vielleicht ein paar völlig Irren, eine Diktatur nach Hitlers Vorbild fordert. Und selbst die fordern vermutlich nicht die Vergasung von millionen Menschen. Man kann sich nicht vorstellen, dass irgendjemand so etwas will. Da sind wir bei meinem Problem, dass ich an das Gute im Menschen glaube. Ich kann mich nicht in jemanden hineinversetzen, der so etwas will, ich kann nicht glauben, dass jemand so etwas ernsthaft wünscht. Aber die Tatsachen beweisen, dass es passiert ist und dass es immer wieder passiert. Und es das Schlechte in der Menschheit gibt.

Ich bin 40 Jahre alt. Die meisten meiner Lehrer und die meisten Eltern meiner Freunde (von denen die meisten wiederum Lehrer waren) waren 68er. Kann es sein, dass meine Generation derartig für den antifaschistischen Abwehrkampf geschult wurde, dass wir ein drohendes Nazi-Regime sehen, sobald jemand „Deutschland“ sagt? Kämpfen wir gegen Windmühlen? Von relativierender Seite hört man immer, in anderen europäischen Ländern seien rechtspopulistische Parteien doch normal. Jetzt komme das hier eben auch. Darf man das normal finden? Man hört immer wieder, dass 10-20% der Bevölkerung sowieso ein rechts-extremes Weltbild hätten. Vielleicht ist die AfD nur geschickter darin, diese Stimmen auf sich zu vereinen als ihre Vorgänger. Vielleicht sind die Idioten jetzt in einem Sammelbecken vereint, wo sie herumpöbeln können, und der Rest kann darüber lächeln und in Ruhe Politik machen. Vielleicht sollte man sie einfach ignorieren.

Aber was ist dann mit „wehret den Anfängen“? Muss man nicht befürchten, dass eine solche Gesinnung eine Eigendynamik entwickelt, die die Gesellschaft immer mehr ins Autoritäre treibt? Sieht man nicht in Amerika, in Ungarn, in Polen, beinahe in Frankreich, dass Rechtspopulisten auch weit mehr als 20% bekommen können? Und zeigt sich bei der AfD nicht schon die Dynamik, die die Grenzen des Sagbaren immer weiter nach rechts verschiebt?
Nehmen wir jemanden, der eigentlich „nur“ sehr rechts ist, in der Hinsicht, dass er Ausländer oder Schwule benachteiligen will, dass er die Rechte von Minderheiten schlechter gestellt wissen will als die von Normaldeutschen. Jemanden, der aber kein Nazi ist, in der Hinsicht, dass er die Errichtung einer Diktatur und die Tötung von Millionen fordert. Ich kann verstehen, dass dieser jemand sich ärgert, immerzu „Nazi“ genannt zu werden. Man muss anerkennen, dass viele AfD-Sympathisanten darauf verweisen, sich in ihrer Meinungsäußerung eingeschränkt zu fühlen. Das scheint ein ernstes Problem zu sein.
Ein Sprechverbot gibt es aber offenkundig nicht. Und wenn man Scheiße von sich gibt, muss man eben damit rechnen, darauf hingewiesen zu werden. Es würde ja vielmehr der Forderung nach einem Sprechverbot gleichkommen, wenn die grün-linke Fraktion sich nicht mehr über rechte Äußerungen empören dürfte.
Die ganze Sprechverbots-Debatte ist also gewissermaßen scheinheilig. Dennoch bewegt es mich, wenn Leute sagen, dass sie sich bevormundet fühlen und daher gerade aus Protest zur AfD strömen. Es stört mich, wenn die „Nazi-Keule“ stumpf wird, weil jeder als Nazi bezeichnet wird, der gegen Flüchtlinge wettert. Wir müssen irgendwie wieder lernen, Menschen mit Ressentiments gegen Ausländer oder Muslime angemessen zu kritisieren, ohne diese Ressentiments gleich mit den schlimmsten Verbrechen der Menschheitsgeschichte gleichzusetzen. Denn zu kritisieren sind sie natürlich weiterhin!

Ich habe mich oft gefragt, warum Nazis eigentlich den Holocaust leugnen. Eigentlich müssten sie doch sagen: „Klar gab es das und das war auch gut so.“ Zwar kann man sich keinen gesunden Menschen vorstellen, der so etwas sagen würde, aber man kann sich eben auch keinen gesunden Menschen vorstellen, der ein Nazi sein will. Eine interessante Erklärung las ich jetzt in Zusammenhang mit Gauland: Die Relativierung der NS-Zeit (egal ob über die Holocaust-Leugnung oder subtiler über die Wehrmachtsverehrung) diene der Abschaffung der Erinnerungskultur, als einem Bollwerk gegen neuen Faschismus. Erst muss das Gedenken fort, dann erst kann man wieder Faschismus installieren.
Was mich an dieser Erklärung stört, ist das strategische Element, das sie voraussetzt. Ich kann nicht glauben, dass eine so perfide Planung hinter solchen Äußerungen steckt. Wahlkampftaktik, PR-wirksamke Provokation: sicher. Aber dass Herr Gauland heimlich plant, eine Nazi-Diktatur zu errichten, traue ich ihm nicht zu.
Trotzdem fürchte ich, eine solche Diktatur könnte wieder entstehen, wenn man diesen Tendenzen nichts entgegensetzt. Nach meinem Verständnis kann ein System wie das Dritte Reich nur durch eine entfesselte Gruppendynamik entstehen, nicht weil ein einzelner (oder eine Gruppe) geschickt taktiert. Was zwischen 33 und 45 in Deutschland passiert ist, ist nach wie vor ungeheuerlich und unerklärlich.
Und weil es so ungeheuerlich ist, sitzt bei „uns“ eine tiefe Angst davor, die Büchse der Pandora erneut zu öffnen. Ich dachte immer, das wäre gut so. Jetzt höre ich, die Pegidisten und AfDler würden erst dadurch nach rechts getrieben, dass man sie als rechts hinstellt. Für mich klingt das irgendwie unlogisch. Aber ich will es ernst nehmen, ich bemühe mich darum. Bitte, liebe AfD-Wähler, erklärt mir, was ihr tun wollt, um neuen Faschismus zu verhindern. Als Masse macht ihr mir Angst. Ich sehe das Böse in der Menschheit und fürchte, dass ihr es verkörpert. Aber als Einzelne betrachtet kann ich nicht glauben, dass ihr das wollt. Keiner von euch kann das wollen.

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Walter Stach
Walter Stach
6 Jahre zuvor

Robert von Cube:
Ich stimme Ihnen in der Analyse und in der Problematisierung per Fragestellung grundsätzlich zu.

Anmerkungen:
1.
Äußerungen des Führungspersonales der AFD -Gauland, Höcke pp.- und Passagen im Wahlprogramm verbieten es m.E., diese Partei als eine rechtskonservative Nationalpartei einzustufen, verankert im Wertesystem freiheitlich -pluralistischer Gesellschaften und beruhend auf dem Fundament einer freiheitlich – demokratischen Verfassung, so wie es nach meiner Wahrnehmung in der Gründungsphase der AFD unter Lucke zu sein schien.

Die AFD ist nach Partei- und Wahlprogramm, vor allem aber nach den Äußerungen ihres derzeitigen Führungspersonales eine völkisch-rassistische-nationalistische Gesinnungsgenossenschaft mit eindeutig faschistoidem Gedankengut.

Paßt in Erinnerung an eine von gleichen Geiste geprägte Gesinnungsgemeinschaft auf die AFD bezogen die Bezeichnung "Nazi-Partei", für zumindest Teile ihres Führungspersonales die Bezeichung Nazis, für ihre Anhänger, für Teile ihrer Anhängerschaft die Charakterisierung als "Nazi-Gefolgschaft"? Ich halte eine solche "Bewertung", eine solche politische "Einstufung" zumindest für problematisch, nicht der AFD wegen, sondern weil damit das verbrecherisches System des Hitler-Nazi Regimes verharmlost würde. Nachvollziehen kann ich eine solche Bewertung/Einstufung allerdings, und zwar deshalb, weil damit a) am besten begrifflich gegen die Tendenz der Verharmlosung dieser völkisch-rassistischen-nationalistischen Bewegung mit ihrem faschistoidem Gedankengut vorgegangen werden kann und b.) zugleich in Erinnerung an Hitler-Nazi deutlich gemacht wird, wohin solche Bewegungen führen und wie sie -bzw. das von ihnen dominierte Land ihr Ende /sein Ende finden können.

2.
Ich stehe der AFD nicht nur, aber eben auch deshalb radikal ablehnend gegenüber, weil ich – anders als Sie, Robert von Cube, nicht nur als 6./7 Jähriger das Ende des II.Weltkrieges erlebt habe, sondern
da ich einerseits in den 195o er Jahren das Glück hatte , Persönlichkeiten kennen zu können, die selbst KZ-Insassen oder in der Migration waren -z.B. in den USA-, die mir also sozusagen "Auge in Auge" die Verbrechen der Nazis vermitteln konnten und die mich davon überzeugt haben, daß es "Gleiches", daß es "Vergleichbares", daß es "Ähnliches" nie mehr in Deutschland geben darf -und "man" sich in diesem Sinne in Gesellschaft und Staat zu engagieren hat , voller Überzeugung von der Wertigkeit einer freiheitlich-pluralistischen Gesellschaft und voller Überzeugung von dem, was zum Kernbestand der neuen Verfassung -dem GG-gehört
und
weil ich anderseits tagtäglich mit Menschen zu tun hatte, die "trotz allem" das Nazi-Regime nicht nur verteidigten, sondern dem Regime -"im kleinen Kreise, oftmals angetrunken"- nachtrauerten.

So zu einem "politischen Menschen " geworden, habe ich zwar seit 1945 immer wieder feststellen müssen, daß es auch in Deutschland so wie in der gesamten sog. westlichen Welt trotz der Schrecken der Nazi-Herrschaft (und des faschistischen Mussolini- Regime in Italien und des Franco-Regime in Spanien) in der Bevölkerung Zustimmung gab für "Bewegungen/Parteien/Einzelpersonen", die völkisches-rassistische-nationalistisches -faschistisches Gedankengut vertraten -bei permanent/latent bis zu 2o % der Menschen in Deutschland?

Mit der AFD hat sich nunmehr eine Partei etabliert, die offen und die sehr aggressiv für dieses Gedankengut wirbt, die dafür offen und aggressiv in der Bevölkerung Zustimmung, aber auch in intellektuellen Kreisen "ideologische " Begleitschutz erfährt, u.a. im Feuilleton rechts-konservativer Medien , begleitet von erklärenden und rechtfertigenden Argumenten auch in diversen Sendungen der sog . öffentlich-rechtlicher Medien. Ein politischer Zustand, den ich bis vor kurzem für undenkbar gehalten habe, vor allem im Bewußtsein des verbrecherischen Hitler-Nazi-Regimes.

Als radikaler Gegner all derjenigen, die völkisch-rassistisches-nationalistisches und zum Teil faschistoides Gedankengut vertreten, verbreiten und die dafür werben, kann ich a.)kurzfristig nur noch hoffen, daß die AFD nicht "nennenswert" die 1o% Marke überschreiten wird (12 %-?) -mein Wunsch, das sie unter der 10 % Marke bleiben wird-scheint sich nicht zu erfüllen und b.) mittel-bzw. langfristig darauf setzen, daß die Mehrheitsgesellschaft dieser " neuen deutschen Bewegung" nicht folgt. Solange ich dazu noch körperlich-geistig in der Lage bin, bleibe ich solidarisch allem im Widerstand gegen diese Bewegung engagierten Menschen aktiv verbunden.

PS
Wenn die AFD am Wahlsonntagabend mit 12 % die 1o % Marke überwunden haben sollte, wird mich das schon sehr besorgen. Ich werde mich dieser Besorgnis allerdings auch mit Gelassenheit stellen können, wenn ich am Wahlsonntagabend zugleich registrieren darf, daß sich rd. 90 % (88 %) der deutschen Wähler mit ihrem Votum für eine andere Partei gegen die rechtsradikale Bewegung AFD positioniert haben. Ein gutes Fundament für die zukünftige Auseinandersetzung mit der AFD.
Ich würde mir wünschen, wenn Letzteres die Schlagzeilen in den deutschen Medien nach der Wahl ausmacht , was mit Sicherheit nicht der Fall sein wird. Im Gegenteil. So wie im Wahlkampf praktiziert,werden die Medien mehrheitlich ihrerseits alles tun, "einen großen Erfolg" der AFD zu propagieren und damit weiterhin dieser rechtsradikalen Bewegung übermäßigen Beifall, übermäßige Aufmerksamkeit verschaffen, was den Widerstand gegen sie erschwert.

RobinS
RobinS
6 Jahre zuvor

Es gibt in der AFS – auch in der Führungsspitze-Nazis.

Es gibt auch unter den einfachen Mitgliedern und unter den WählerInnen der AFD Nazis.

Nazis wünschen sich- wie beispielsweise die Partei Die Rechte-das NS-Regime zurück.

In der AFD finden sich vielmehr und (noch) mehrheitlich diejenigen wieder , die sich gerne als "besorgte BürgerInnen" sehen und darüberhinaus Wert auf das hohe Gut der Meinungsfreiheit , das sie durch die "Lügenpresse" des Systems bedroht sehen,legen,

Man muss ja wohl noch sagen dürfen, dass man
AusländerInnen – der stramme Nazi sagt: Frendvölkische- nicht mag,weil diese ja dies und jenes Verwerfliche tun würden.

Der Nazi, sei es der in der AFD oder der bei der Rechten organisierte- spricht in Erweiterung der besorgten sog, "Überfremdungsängste" oder -der etwas fortgeschrittenene Phobiker von Islamisierung – gleich von "Bevölkerungsaustausch".

Eine NS-Rhetorik, die immer unverblümter auch vom Führungspersonal der AFD übernommen wird,

Im Ergebnis ist die AFD durchsetzt von Nazis und nationalsozialistischen ideologischen Phragmenten,

Dies mag für die Beurteilung,ob diese Partei vom Verfassungsschutz zu beobachten ist, von rechtlicher Bedeutung sein,

Dass aber blanker Rassismus und Chauvinismus in der AFD eine neue Plattform gefunden haben und für sich genommen somit ein zentrales Wesensmerkmal dieser Partei sind, reicht für die politische Beurteilung und daraus folgender Bewertung – nämlich "indiskutabel" – aus,

Wenn dann aber beispielsweise SpiegelOnline Gauland trotz dessen immer offener auftretenden NS-Rhetorik immer noch als " nationalkonservativ" zu verharmlost,kommt dies schon einem Ritterschlag für ihn gleich und macht fassungslos

Die AFD ist von Nazis durchsetzt und vertritt rassistische und chauvinistische Ideologien . Sie vergiftet professionell und " medial mit Hochglanz" das Klima in diesem Land und stellt damit eine sehr ernste Gefahr für unsere Demokratie und in der Folge für Europa dar.

Dabei kommen ihr vergleichbare Bewegungen in anderen europäischen Ländern entgegen, auch wenn die AFD aufgrund der deutschen Vergangenheit und des Schoßes, "der ist fruchtbar noch" eine besonders gefährliche Note enthält ( Gerade während ich das schreibe läuft direkt nach dem heutejournal und vor dem auslandsjournal der Werbespot der Rechten im Fernsehen,ich könnte kotzen,unglaublich)

" Was zwischen 33 und 45 in Deutschland passiert ist, ist nach wie vor ungeheuerlich und unerklärlich."

Ungeheuerlich ja, doch unerklärlich?
Da tun Sie den Politik-,Geschichts – und Sozialwissenschaften und den Soziologen Unrecht,

jörg tornow
jörg tornow
6 Jahre zuvor

auch vor '33 hat der faschismus klein angefangen. größer wurde er, als das kapital merkte, daß eine solche diktatur die knebelung der gewerkschaften ermöglichen könnte. damit war die möglichkeit da, durch grenzenlose ausbeutung den profit zu steigern. und weil die deutschen kapitalisten viel zu wenig vom weltmarktkuchen naschen durften, mußte der neu ufgeteilt werden. also – krieg, weil die kapitalisten der anderen länder nicht freiwillig hergaben, was deutschen rechtmäßig zustand – nach deren meinung. die hysterie der heutigen zeit ist mit der der damaligen durchaus vergleichbar.
ungeheuerlich ist, was das deutsche volk mit sich hat machen lassen und daß es sich aktiv beteiligt hat.
unerklärlich – da ist wohl jemand “ausgerutscht“' – es ist erklärbar und auch gar nicht so kompliziert, wenn die richtige frage gestellt wird: “wem nutzt es“
(an allem ist zu zweifeln, auch an mir)

Helmut Junge
Helmut Junge
6 Jahre zuvor

Robert von Cube, schön daß du diese Fragen stellst, denn jetzt verstehe ich, wo so junge Leute wie du einer bist Schwierigkeiten haben, die Vergangenheit, die ich z.B. persönlich erlebt habe, zu verstehen.
Denn man glaubt ja, daß alle Menschen immer den gleichen Wissensstand haben, weil es Literatur zu jedem Thema in Hülle und Fülle gibt. Dabei vergessen wir oft, daß selbst Erlebtes viel stärker prägt, als angelesenes Wissen. Als ich junger Erwachsener war, habe ich mir die Zirkel meines Umgangs weitgehend selber ausgesucht. Aber vorher, während meiner Kindheit und meiner Jugendzeit war das nicht so. Und da habe ich tatsächlich den einen oder anderen echten Nazi reden hören. Das war in den fünfziger und den sechsziger Jahren. Die Reaktion darauf war, daß man sich schüttelt und das Gespräch abbrach und sich meist ohne weiteres Nachdenken anderen Themen zu wandte. Das haben Viele so gehalten. Nazis waren kein wirkliches Thema, obwohl es sie häufig gab. Nur gab es wichtigeres als die überalterte Spezies. Und der Umgang untereinander war etwa so. etwa 1967 habe ich einen direkten Vorgesetzten als Nazi bezeichnet, worauf der mich einen Kommunisten nannte, und damit war die Sache ausgeglichen. Das war ok. Keine dienstrechtlichen Probleme. Als dann die NPD stärker wurde, haben wir sie bekämpft und sie scheiterte bei der BT-Wahl 1969. Danach hatte ich sie gewissermaßen als erledigt betrachtet. Und Nazi-Sprüche wurden seltener, bzw. ich ignorierte sie. Ja, ich nahm sie überhaupt nicht mehr wahr, obwohl es sie immer noch gab. Und wenn ich mit allen Nachbarn, die gelegentlich Sachen sagten, die nach Maßstäben de heutigen Sowis rassistisch sind, Krieg geführt hätte, wäre ich vermutlich ein einsamer Mensch.
Nun zu dir und deiner Zeit. Die sieht anders aus und du beschreibst es auch.
Und diese Entwicklung werde ich nicht über deinen Kopf analysieren. Du bist ein intelligenter Mensch und wirst selber drauf kommen, was sich geändert hat. Aber wenn du mich fragst, kriegst du auch dazu meine Meinung zum nachlesen geliefert. Nur ein einzelner Hinweis. Als Peter Sloterdyck seinen Menschenpark schrieb, dachte ich, eh, jetzt interessieren sich sogar mit 20 Jahren Verspätung die Sowis für das Thema, daß in den Naturwissenschaften seit 2 Jahrzehnten auf den Nägeln brennt. Aber innerhalb Sloterdycks Branche lief die Diskussion komplett anders ab, als ich dachte. Sloterdyck hatte das Wort "Selektion" benutzt. Ein Standardbegriff sowohl in der Biologie, als auch in der Landwirtschaft. Das Wort galt aber offensichtlich in den sozialwissenschaften als Tabu.
Habermas oder einer einer seiner Anhänger schrieb damals in seiner Kritik zu Sloterdycks Wwrk: "Wenn ich das Wort Selektion lese, sehe ich die Rampe von Ausschwitz."
Ich war damals fassungslos, weil ich damals kapiert habe, wie weit die Sowis sich von genau der Wirklichkeit der technisch naturwissenschaftlichen Welt entfernt haben. Die haben tatsächlich eine kleine Welt außerhalb meinens persönlichen Alltagslebens konstruiert.

Helmut Junge
Helmut Junge
6 Jahre zuvor

, vermutlich geht es um den einzigen Hinweis zuletzt, der dir nicht verständlich ist.
Da fehlt noch ein Schlußgedanke.
Wenn wir uns heute wundern und beklagen, daß niemand vorhergesehen hat, was da mit Pegida und AFD aufgetaucht ist, Wahlprognosen nicht mehr treffsicher sind, liegt das nach meinem Verständnis daran, daß die Berufsgruppe, die uns das erklären sollte, sich nicht mit dieser, der AFD zugeneigten Bevölkerungsschicht abgegeben hat. Das sind die Gesellschaftswissenschaftler in ihrer Gänze. Schlimmer noch: in deren Welt drangen offenbar auch keine Informationen aus anderen Wissenschaftsbereichen, den Produktionsstätten und allem was den lebendigen Alltag betrifft ein.
Die Art und Weise, wie die Sloterdyck-Diskussion abgelaufen ist, zeigt das aus meiner Sicht ganz deutlich. Inhaltlich wäre genug dazu zu sagen gewesen, wurde aber nicht. Stattdessen ging es in der damaligen Debatte um Wörter. Heute ist diese inhaltsleere Diskursmethode in diesen Kreisen zum Standard geworden. Damals war sie für mich neu. So kann man aber mit den Leuten in den Arbeitermileu-vororten nicht sprechen. Das gibt unvertändliche Blicke und Ärger. Und weil das so nicht klappt, geht uns allen die wichtige Information verloren, wie die Menschen ticken. Das war auch beim Trumpwahlkampf so. Niemand hatte eine Ahnung, wie groß sein Anhang ist.
Und das Sloterdyck-Beispiel war für mich das erste Aha-Erlebnis. Darum hatte ich es gebracht.
Die Gesellschaftswissenschaften beschäftigen sich nicht mit der Gesellschaft, sondern nur mit ihren Seminarteilnehmern. Darum mußt du, lieber Robert hier selber solche Artikel schreiben. Leider kannst du nicht auf qualifizierte Literatur aus dem Wissenschaftssegment finden, der dafür hoch bezahlt wird, aber nicht liefert.

thomas weigle
thomas weigle
6 Jahre zuvor

#3 "weil die…zu wenig vom Weltmarkt naschen durften." Ist damit die Zeit vor 33 gemeint oder die Jahre bis zum mit der freundlichen Mithilfe der SU losgetretenen Raubkrieges gemeint? Die umfangreichsten Wirtschaftsbeziehungen mit einer Nation, mit der man sich aktuell nicht im Kriege befand, fanden von 39- Juni41 mit dem großen Arbeiter und Bauernparadies UdSSR statt.
Die Freudenschreie in den Kapitalzentralen hielten sich nach der Machtübergabe an Adolf Nazi dort durchaus zunächst in Grenzen, bspw. bei der Einführung bezahlten Urlaubes.
Die strenge Autarkiepolitik der Nazis sorgte in den exportorientierten Industriezentralen ebenfalls nicht für Begeisterung. Selbst die Rüstungsindustrie konnte auf Grund der Autarkiemaßnahmen erst auf vollen Touren laufen, als die Nichtangriffs-und Freundschaftspakte mit der kommunistischen SU im August und September 39 geschlossen wurden, denn selbst die feindliche Übernahme Österreichs und der CSR befriedigte den Rohstoffhunger dieser Industrien nur zum Teil
Hinzu kommt, dass auch Industrielle wie Bosch bspw. durchaus keine Freunde der Nazis waren.
Blickt man genauer hin, kann von DEM KAPITAL als homogener Block keinesfalls die Rede sein, auch wenn uns die kommunistischen Märchenerzähler damit früher in den Ohren lagen. Manche tun es bis heute.

Thomas Robert Rausch
Thomas Robert Rausch
6 Jahre zuvor

Im Sumpf der Pseudodemokratie und glorifizierter Vergangenheit
Was an der AfD viele fasziniert und wesentlich von der FDP unterscheidet, das ist die Tendenz zum starken Staat. Zwar wollen sie den Staat entschlacken, was gleichbedeutend ist mit : Steuerhindernisse und Beschränkungen für die Wirtschaft abbauen,aber den alten Hierarchien und Strukturen von Staat, Kirche und Militär wieder den alten Rang einräumen und so festzurren, das sie als traditionelle Kontrollorgane wieder Respekt und für Standesbewusstsein sorgen.
Wenn es nicht so lächerlich wäre, könnte der Beobachter gut und gerne von einer Renaissance des Adels und seiner Privilegien ausgehen.
Viele Menschen die unsichere Zeiten vor sich sehen, sehnen sich nach einem starken Staat der alles regelt und wieder übersichtlich macht.
Die Regierung Merkel befördert das alles noch. Den Demokratie lebt nur von finanziell unabhängigen wissenden Menschen. Insofern kollidiert Demokratie mit dem Kapitalismus,denn demokratische Rechte enden am Werkstor der Profite. Wer Demokratie will, der muss erkennen, das Demokratie im Kapitalismus nur unter Kapitalisten funktioniert. Folglich müssen die Menschen in den Stand versetzt werden, finanziell unabhängig und frei und wissend zu sein. Das Eine bedingt das Andere! Ein bedingungsloses Grundeinkommen würde diesen Schritt hin zur wirklichen Demokratie und einer auf Synergieeffekten basierenden Wirtschaft, weg von Ausbeutung, sehr befördern.

Das politische Establishment wünscht das nicht, da die neoliberale Wirtschaft primär auf Ausbeutung beruht. So sind die Angebote der Parteien: Die AfD will den starken ordnenden Staat, der die Probleme dem nationalen Pathos unterordnet (wer sich nicht ausbeuten lässt ist entweder ein Ausländer oder kein guter Deutscher), eine CDU die mit der Markt konformen Demokratie die demokratischen Rechte dem Markt unterordnet und somit die Demokratie gewissermaßen abschafft,
ein Linke die auch von Oben strikte aber "gerechte Strukturen" schaffen will, eine SPD die von Allem ein bisschen will aber eben auch keine selbständigen freien Bürger, und eine FDP die überhaupt keinen Staat will und der Wirtschaft möglichst noch die gesamten Steuereinnahmen überlassen möchte.
Was wir mit den etablierten Parteien erleben und mit der AfD den Gipfel erreicht,das ist eine Intensivierung der ökonomischen Diktatur. Ob die nun ein Freiheitsmäntelchen bedeckt, oder das Deutschnationale, ein Linkes versehen mit viel Gutmenschen die vor allem die Aufgabe haben die eigenen Linken Klientele im Sprachlosigkeit zu ersticken, bleibt sich am Ende gleich.

In diesem Kontext wird vom Establishment so ziemlich alles Bemüht, vom Gender Wahn bis über den Deutschen Kulturwahn, dem Weltkriegshelden über Lisas Entführung bis hin zum bösen Linken der dem Bürger sein Häuschen rauben will, alles findet sich im Repertoire des Systems um ja die Macht und Eigentumsstrukturen eines dahin siechenden Systems im Angesicht der technischen Revolution zu erhalten.
Nur wirkliche Demokratie durch wirtschaftliche Unabhängigkeit für die breite Masse der Bürger, wirkliche Mitentscheidung abseits alle vier Jahre mal ein Kreuzchen machen zu dürfen, das bekommt der Bürger nicht!

Deshalb ist es eigentlich egal was die Menschen wählen.

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