
Charlie Kirk wurde ermordet und die Reaktionen sind erstaunlich laut. Ist die Empörung ernst oder nur Teamgeist im Gewand des Anstands?
Ich wünsche Menschen kein Leid und blicke mit Misstrauen auf Häme über den Tod anderer Menschen. Als Menschen, vor allem Linke, Queen Elizabeth im Tod verspotteten, habe ich das kritisiert. Als Donald Trump an Corona erkrankt ist, habe ich ihm und seiner Frau gute Besserung gewünscht, weil ich keinem Menschen auf der Welt einen elendigen Erstickungstod wünsche – auch wenn mich das ein paar linke Freunde gekostet hat. Da spielte es für mich auch gar keine Rolle, dass ich nur in sehr wenigen Dingen mit Donald Trump übereinstimme, nicht viel von ihm halte und er selbst sich über Hillary Clinton lustig machte, als sie eine Lungenentzündung hatte. Ich richte mein Verhalten ja schließlich nicht nach Donald Trumps Vorbild aus.
In einer Pro-und-Contra-Debatte mit meinem Mit-Ruhrbaron Robin Patzwaldt schrieb ich einmal: „Mitleid ist keine begrenzte Ressource“.
Das ist auch nach wie vor meine Meinung. Mir sind Leute wie Donald Trump Jr., der sich über Paul Pelosi, den Mann von Nancy Pelosi lustig machte, als der von einem rechten Gewalttäter, der in das gemeinsame Haus der Eheleute eingebrochen war, mit einem Hammer niedergeschlagen wurde, genauso fundamental fremd, wie die Millionen shitpostenden Linken, die sich über die Ermordung des Versicherungschefs Brian Thompson lustig machten. Ich finde nichts lustig daran, dass Thompsons Söhne keinen Vater mehr haben und es ist äußerst gefährlich auch für die politische Kultur der wichtigsten Demokratie der Welt, dass ein rechter Gewalttäter ins Haus einer der wichtigsten Politikerinnen der USA eindringt und ihren Mann – einen wehrlosen, nackten 82-Jährigen – mit einem Hammer niederschlägt.
Wie tickt ein Mensch, der jubelt, nachdem er die Ermordung eines Menschen live miterlebt hat?
Auch der gestern ermordete Charlie Kirk ist einer dieser Menschen, mit denen ich in sehr vielen Dingen nicht übereinstimme. Sowohl in Bezug auf die inhaltlichen Positionen als auch in Bezug auf Stil und Methode. Trotzdem habe ich keine Genugtuung empfunden, als ich die Videos des Attentats auf ihn gesehen habe. Trotzdem tun mir seine Witwe und sein Sohn leid. Ich kann mich schwer hineinversetzen, in diesen Mann im Publikum, der schon wenige Sekunden nach dem Schuss auf Kirk in ekstatischen Jubel ausbrach.
Wie tickt ein Mensch, der es schafft, feixend zu jubilieren, nachdem er gerade gesehen hat, wie ein Mensch – möge er ihn auch noch so sehr hassen – von einer Kugel getroffen buchstäblich in Blutfontänen zu Boden geht, während der Rest der Menge sich noch panisch zu Boden duckt? Ich weiß es nicht, aber ich würde auf jeden Fall mit so jemandem kein Bier trinken wollen und würde wahrscheinlich sogar die Straßenseite wechseln, wenn ich ihm nachts begegnen würde.
Das Attentat hat mich allerdings nicht überrascht, ist es doch nur das letzte in einer ganzen Reihe von politischen Gewalttaten, die in den USA zunehmend zur Tagesordnung zu gehören scheinen.
Was mich allerdings überrascht hat, war die breitflächige und durchaus nicht berichterstattende, sondern kommentierende und wertende journalistische Rezeption hier in Deutschland.
Verzerrte Aufmerksamkeit
Im Nahostkonflikt erlebt man es sehr häufig, dass sich Leute, die sich sonst einen Scheiß für Menschenrechte interessieren, die sich nie darum geschert oder dazu geäußert haben, was mit den Millionen muslimischen Uiguren in China passiert, die noch nie ein Wort über den Genozid an den muslimischen Rohingya in Myanmar verloren haben, die zur jahrelangen Bombardierung syrischer Krankenhäuser durch Russland nichts zu sagen wussten, und für die auch die blutigen Massaker im Sudan und der äthiopische Bürgerkrieg, der immerhin – trotz Ukraine Krieg – die blutigste militärische Auseinandersetzung des 21. Jahrhunderts war, waren für sie nicht der Rede wert.
Im Nahostkonflikt sind sie allerdings schnell bereit von Genoziden und Kriegsverbrechen zu sprechen und obwohl die Opferzahlen weit, weit unter denen der anderen von mir genannten Ereignisse liegen, hört man darüber auch in den Medien fast nichts.
Der Nahostkonflikt ist aber omnipräsent und dieses seltsame Missverhältnis äußert sich natürlich auch in der Tatsache, dass Israel in den vergangenen zehn Jahren zwei Mal so oft von der UN-Generalversammlung verurteilt wurde, wie alle anderen Nationen der Welt zusammengenommen.
Ohne irgendeine Wertung über den Nahostkonflikt vorzunehmen, kann man da eine gewisse Verzerrung der Aufmerksamkeit erkennen. Zumindest mir drängt die Frage sich auf: Geht es also manchen Leuten, die sich über Israel so selektiv empören, vielleicht gar nicht um Menschenrechte, Kriegsverbrechen und menschliches Leid, sondern um etwas ganz anderes?
Ich wundere mich über diese Verzerrungen der Aufmerksamkeit oft sehr und frage mich, wie genau sie eigentlich entstehen.
Ich habe auch vereinzelt mal bei Kollegen nachgefragt, warum gerade dieses politische Attentat für sie so einen großen Nachrichtenwert hat, aber bisher keine Antwort bekommen.
Politische Morde sind in den USA fast schon an der Tagesordnung
In den vergangenen zwei Tagen wurden von deutschen Journalisten/Aktivisten aus dem MAGA-affinen Spektrum sehr viele Postings in den sozialen Medien abgegeben und auch in ihren Publikationen etliche Kommentare veröffentlicht, in denen aus dem Anlass von Kirks Ermordung gewarnt wird vor politischer Gewalt, in denen höhnische Reaktionen von Linken und „Woken“ kritisiert werden und in denen die Bedeutung der Meinungsfreiheit und des Gewaltverzichts im demokratischen Miteinander hingewiesen wird.
Das sind alles wichtige und hohe Güter bzw. Entwicklungen, gegen die man etwas unternehmen muss. Genauso wie Menschenrechte ein hohes Gut sind und Kriegsverbrechen etwas sind, gegen das man etwas unternehmen muss.
Tatsächlich gab es in den letzten Jahren einige Fälle von politischer Gewalt in den USA. Man muss auch gar nicht so weit zurückgehen.
Am 14. Juni, vor nicht einmal drei Monaten, wurden die der demokratischen Partei angehörige Sprecherin des Repräsentantenhauses von Minnesota Melissa Hortman, ihr Mann Mark und ihr Hund Gilbert von einem rechten Attentäter erschossen, der in ihr Haus eingedrungen war. Sie hatten zwei Kinder. Der Attentäter hatte vorher bereits den demokratischen State Senator John Hoffman und seine Frau Yvette angeschossen, die beide überlebten. Auch die demokratische State Senatorin Ann Rest versuchte er anzugreifen, wurde aber von Polizei vor Ihrem zu Hause abgeschreckt. Er hatte eine Liste mit weiteren Zielen – über ein Dutzend prominente Politiker der demokratischen Partei. Auch bei diesem Attentat auf Hortman, gab es viele Fälle und durchaus auch prominente Fälle, in denen rechte Politiker und Kommentatoren sich durch ihre Äußerungen äußerst schäbig gegenüber den Opfern und ihren Angehörigen verhielten.
Ein erstaunliches Schweigen
Ich habe bei ein paar der MAGA-affinen Journalisten/Aktivisten mal nachgeschaut, was sie denn so in den sozialen Medien über diese politischen Morde in den USA geschrieben haben.
In der Regel: Nichts.
Das hat mich ehrlich erstaunt.
Die größeren Blätter einen oder zwei Berichte, die kleineren gar nichts. Auf jeden Fall keine 4-5 Kommentare in 24 Stunden.
Warum war Melissa Hortman kein Anlass für ein brennendes Plädoyer gegen den Gewaltverzicht im demokratischen Miteinander?
Wäre dieses Plädoyer nicht so viel mächtiger, wenn man es bei jemandem machte, dessen Meinung man nicht teilt? Wenn man sich dafür vielleicht sogar mit den eigenen Leuten anlegen müsste? Hätte das nicht viel mehr Gewicht?
Würde das nicht die viel stärkere Botschaft setzen dafür, wie ernst es einem ist mit Meinungsfreiheit?
Wäre das Einschreiten gegen Spott und Häme und gegen das schäbige Verhalten gegenüber Hortmans trauernden Kindern, nicht um so viel wahrhaftiger gewesen, wenn man es den Leuten aus der eigenen politischen Richtung nicht hätte durchgehen lassen?
Vielleicht.
Auch in diesem Fall stehe ich voller Unterstützung für das vorgebliche Anliegen, doch irritiert vor der Selektivität der Aufmerksamkeit.
Und auch in diesem Fall, drängt sich mir ganz unfreiwillig die Frage auf: Geht es manchen Leuten, die sich nun zu Wort melden, vielleicht gar nicht um Meinungsfreiheit, Anstand gegenüber Gewaltopfern und ihren Angehörigen und die Verurteilung politischer Gewalt, sondern vielleicht um etwas ganz anderes?
