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Juller starb in Auschwitz

Szene aus „Juller“ Foto: Tom Schulze Lizenz: Copyright


Im April hatte „Juller“, das Theaterstück über den jüdischen Nationalspieler Julius Hirsch, in Leipzig Premiere. Nun geht kommt das Theater der Jungen Welt für zwei Gastspiele nach Nordrhein-Westfalen.

Wann genau Julius „Juller“ Hirsch starb, weiß niemand. Das offizielle Todesdatum ist der 8. Mai 1945, der Tag der deutschen Kapitulation, aber vermutlich wurde er direkt nach seiner Ankunft im März 1943 in Auschwitz-Birkenau ermordet. Mit ihm starb einer von zwei jüdischen Nationalspielern, ein vierfacher süddeutscher Meister und zweimaliger deutscher Fußballmeister. Als Fußball dabei war, sich von einem Gekicke auf einer Wiese zu einem Sport mit Taktik, Trainern und Strukturen zu entwickeln, war Hirsch dabei, ein für seine Zeit typischer Stürmer, klein, aggressiv und schnell.

Das Leben von Julius Hirsch haben Jörg Menke-Peitzmeyer und Jürgen Zielinski im April mit dem Stücke “Juller“ auf die Bühne des Theater der Jungen Welt gebracht. Danach, so der Plan, sollte es Gastspiele in zehn bis zwölf Bundesligastädten geben, doch im Oktober stehen erst einmal nur zwei Aufführungen an: Am 11. Oktober wird „Juller“ im Deutschen Fußballmuseum in Dortmund zu sehen sein, am 13. Oktober dann im Musiktheater im Revier, Gelsenkirchen, wo Anfang des Jahres mit „Die Passagierin“ bereits mit Erfolg eine Oper über die Nazizeit inszeniert wurde.

Das Stück zeichnet das Leben Hirschs nach und am Anfang ist es eine Geschichte über die Anfänge des Fußballs. Sein Stammverein, der Karlsruher FV gehörte zu den 86 Gründern des Deutschen Fußballbundes. Bis auf Werder Bremen, Hertha und dem HSV findet sich auf dieser Liste kein aktuelle Bundesligist. Hirschs Karlsruher FV, in der Anfangszeit des Fußballs einer der stärksten Clubs, spielt heute in der Kreisklasse Karlsruhe C.

Hirsch ist ein junger Sportler, konservativ und national. Zum Militär meldet er sich vor dem ersten Weltkrieg freiwillig. In ihm kämpft er an verschiedenen Fronten und wird mit dem Eisernen Kreuz II. Klasse ausgezeichnet.

Nach dem Krieg ist seine große Zeit als Fußballer vorbei und auch der Karlsruher FV kann an seine früheren Erfolge nicht anknüpfen. Hirsch tritt in das Unternehmen seines Vater, die Deutsche Signalflaggenfabrik, ein. Der Uniformhersteller sattelte um auf Sportbekleidung. Hirsch kämpft sich durch die 20er Jahre, heiratet, wird Vater. Er lebt ein Leben wie Millionen anderer Deutscher: Der Krieg hat wohl ein paar Lebenspläne durcheinander gebracht, aber man kommt durch. Erst gut, dann immer schlechter: Das Unternehmen geht bankrott, Hirsch schlägt sich als Vertreter durch, wir müssen uns wie einen der vielen Menschen vorstellen die wir von den Schwarzweißfotos der 20er Jahre kennen: Korrekt gekleidet, auf Status und Ordnung bedacht und gleichzeitig um seine wirtschaftliche Existenz kämpfen. Mit Beginn der Nazizeit wird Hirsch dann gezwungen ein anderes Leben zu leben, als andere Mitglieder seiner Generation. Und auch gilt sein Kampf ab dann nicht mehr der Sicherung der wirtschaftlichen Stellung, sondern seiner blanken Existenz. Die Verwunderung und Verbitterung über den Judenhass, der ihn, den Weltkriegssoldaten, Nationalspieler und Familienvater, trifft, wird in einem Brief deutlich, den er dem Karlsruher FV schreibt, nachdem 1933 alle jüdischen Mitglieder aus den Sportvereinen ausgeschlossen werden:

„Ich lese heute im Sportbericht Stuttgart, dass die großen Vereine,darunter auch der KFV, einen Entschluss gefasst haben, dass die Juden aus den Sportvereinen zu entfernen seien. Leider muss ich nun bewegten Herzens meinem lieben KFV, dem ich seit 1902 angehöre, meinen Austritt anzeigen. Nicht unerwähnt möchte ich aber lassen, dass es in dem heute so gehassten Prügelkinde der deutschen Nation auch anständige Menschen und vielleicht noch viel mehr national denkende und auch durch die Tat bewiesene und durch das Herzblut vergossene deutsche Juden gibt.“

Der konservative und nationale Hirsch kann, wie viele anderen Juden, nicht vorstellen, was auf die Juden zukommt. Er versucht nicht zu fliehen, bleibt in Deutschland, ja, kehrt 1938 sogar von einem Verwandtenbesuch in Frankreich zurück. Seine Frau und er lassen sich 1942 scheiden, um die Kinder vor Verfolgung zu schützen. Damit ist Hirsch allerdings auch nicht mehr Teil einer „privilegierten Mischehe“, die viele Juden bis kurz vor Kriegsende vor dem sicheren Tod schützte. Hirsch wird zu Zwangsarbeit herangezogen und am 1. März 1943 nach Ausschwitz deportiert, wo sich seine Spur verliert. Sein letztes Lebenszeichen stammt aus Dortmund. In einer dort abgestempelten Postkarte schreibt er: „Meine Lieben. Bin gut gelandet, es geht gut. Komme nach Oberschlesien, noch in Deutschland. Herzliche Grüße und Küsse euer Juller“.

 

Juller kam im April mit Unterstützung der DFB-Kulturstiftung auf die Bühne des Theater der Jungen Welt in Leipzig. Die Schirmherrschaft übernahm Claudia Roth (Grüne), die Vizepräsidentin des Bundestages. Die Kritiken fielen gemischt aus. Die taz bemängelt: „Jedoch hat die Inszenierung einige Schwächen, Fußball wird auch als Kulisse und attraktiver Eyecatcher für Jugendliche missbraucht. Und es irritiert, dass die sportliche Leistung von Julius Hirsch die Funktion bekommt, gerade über dieses Opfer des Holocaust zu erzählen, während viele andere namenlos bleiben. Was die Fußball- und Theaterfans in „Juller“ vorrangig lernen: Saufen gehört dazu. Egal, ob am Spielfeldrand, in der Kabine oder im Krieg.“ Positiver die Leipziger Volkszeitung: „Doch der Abend findet bald seinen Rhythmus und spielt sich weitgehend chronologisch und gut verständlich vor der Kulisse einer stilisierten Fußballtribüne durch das Leben Jullers. Geschickt aufgebrochen erstens durch die mitspielende Musikerin Laura Hempel, die gefühlvoll und anspielungsreich zwischen jüdischen Liedern und deutschen Heile-Welt-Schlagern der Zeit wechselt. Zweitens durch wiederkehrende Blenden in den Himmel. Dort steht der einstige Wunder-Sturm des KFV zusammen: Hirsch, Gottfried Fuchs (Sven Reese) und Fritz Förderer (Martin Klemm). Hirsch und Fuchs, die einzigen Juden, die je für die Nationalmannschaft spielten. Fuchs gelang die Flucht. Hirsch blieb. Jetzt reden sie über alte Zeiten mit großen Brillen und Greisenstimmen.“

 

Der DFB erinnert nicht nur mit der Förderung von „Juller“ an Julius Hirsch. Seit 2005 wird jährlich der Julius-Hirsch-Preis vergeben. Ausgezeichnet werden nach DFB-Angaben Personen, Initiativen und Vereine, die sich als Aktive auf dem Fußballplatz, als Fans im Stadion, im Verein und in der Gesellschaft beispielhaft und unübersehbar für die Unverletzbarkeit der Würde des Menschen und gegen Antisemitismus und Rassismus, für Verständigung und gegen Ausgrenzung von Menschen, für die Vielfalt aller Menschen und gegen Diskriminierung und Fremdenfeindlichkeit einsetzen.“ Schön, das neben der Ultragruppe Schickeria des FC Bayern München, die seit Jahren an das Lebenswerk Kurt Landauers, des jüdischen Spielers und Präsidenten des Verein erinnert, auch die Schalker Faninitiative in diesem Jahr ausgezeichnet wurde, wenngleich auch nicht für den größten Verdienst der Schalker-Fans gegen Rechts in den vergangenen Jahren: 2015 hielten Schalke Ultras um die „Hugos“ Dortmunder Neonazis davon an, wie geplant a, 1. Mai von Essen ins benachbarte Gelsenkirchen zu marschieren.

Sie hatte ihre Vorfreude, vorwiegend Dortmunder Nazis auf Gelsenkirchener Stadtgebiet stellen zu können so deutlich Ausdruck verliehen, dass diese es wenige hundert Meter vor der Stadtgrenze vorzogen, umzudrehen.

Der Artikel erschien in einer ähnlichen Version bereits in der Jungle World

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