Putin, die Stasi und der mündige Bürger

Vladimir Putin Foto: Kreml Lizenz: CC BY 4.0

Von unserer Gastautorin Anastasia Iosseliani.

Kürzlich wurde bekannt, dass der STASI-Ausweis von keinem geringeren als Wladimir Wladimoriwitsch Putin, dem jetzigen russischen Präsidenten, in einem Dresdner Archiv gefunden wurde. Die Boulevard- und einige seriöse Medien haben sich auf diesen «Scoop» gestürzt und auch Teile der Bevölkerung in vielen zivilisierten Staaten waren schockiert. Mich hat dieser Fund des STASI-Ausweises von Putin weder überrascht noch schockiert, denn Putin war Leiter des FSB, der Nachfolgeorganisation des KGB, bevor er zum Präsidenten von Russland gewählt wurde. Ja, meine Damen und Herren, das russische Wahlvolk wählte vor bald zwanzig Jahren den Leiter der Nachfolgeorganisation des KGB zu seinem Präsidenten. Die Folgen dieser verhängnisvollen Wahl dürften jedem bekannt sein, der gelegentlich Medien konsumiert und nicht unter einem Stein in Usbekistan haust. Aber ich nenne trotzdem gerne ein paar Stichwörter: Chodorkowski, Okkupation der Zchinwali-Region und der Krim, «Pussy-Riot» etc. Dies alles wäre einigermaßen vorhersehbar und verhinderbar gewesen, wenn man so etwas wie bürgerliche Kultur in Russland hätte und mündige Bürger sich bewusst gemacht hätten, zu was es führen würde, wenn man einen Mann zum mächtigsten Politiker macht, von dem nur bekannt ist, dass er in St.Petersburg geboren und aufgewachsen war und dann jahrelang zuerst dem KGB und dann dem FSB gedient hatte, bis er schließlich an der Spitze von eben diesem FSB stand.

Mir geht es nicht darum, irgendwelche Verschwörungstheorien oder Hirngespinste breitzuschlagen und so zu tun, als ob Putin die russisch-sowjetische Version von James Bond gewesen wäre. Bei seiner Statur und seinen lächerlichen Fremdsprachenkenntnissen würde ich eher vermuten, dass er seine Zeit bei der STASI, beim KGB und dem FSB in einer ähnlich armseligen Position verbracht hat wie der fiktive STASI-Agent im deutschen  Film «Das Leben der Anderen».  Trotzdem finde ich persönlich es nicht gut, dass ein öffentliches Amt wie das des Präsidenten mit einem Mann besetzt ist, der vom Prinzip her ein Enigma ist, weil seine Akte immer noch als «streng vertraulich» unter Verschluss gehalten wird. Aber das sieht das russische Wahlvolk offenbar anders, denn die einzigen Proteste, die in den letzten Jahren von breiten Schichten in der russischen Bevölkerung begrüßt und getragen wurden, waren die Proteste gegen die Erhöhung des Rentenalters. Nicht der Augustkrieg gegen Georgien, nicht die Invasion und Okkupation der Ost-Ukraine und der Krim, sondern die Erhöhung des Rentenalters. Eine Tragödie. Fast scheint es, dass es den russischen Bürger nicht sonderlich kümmert, was sein Staat, seine Regierung, macht, so lange sein Wodka auf dem Tisch steht und er zeitig, mit sechzig Jahren, in Rente gehen kann. Dies lässt auf einen absoluten Mangel von politischem Bewusstsein eines mündigen Bürgers schließen.

Denn da sind sich die Wähler und Anhänger von Putin und Erdogan ähnlich: Es war von Anfang klar, dass man keinen Wolf im Schafspelz wählt, sondern den Wolf ohne jegliche Verkleidung, und es war auch von Anfang klar, wohin die Reise gehen würde. Aber das war der Anhängerschaft dieser beiden Autokraten egal, so lange andere Personengruppen als Sündenböcke und Fußabtreter hinhalten mussten. Und so ist es notwendig, dass man auch die Bürger von Staaten wie Russland und der Türkei in die Verantwortung nehmen muss, denn Demokratie bedeutet nicht nur am Wahltag ein Couvert in die Wahlurne werfen zu dürfen, sondern auch das Bekenntnis zu einem Rechtsstaat, zu Gewaltentrennung und zur Wahrung von Menschen-, Bürger- und Minderheitenrechten. Mit einer solchen Regierung und einem solchen Wahlvolk wundert es mich nicht, wenn Staaten wie Russland und die Türkei noch für ein paar Jahre Schwellenländer bleiben werden. Denn ohne funktionierenden Rechtsstaat gibt es in den seltensten Fällen wirtschaftlichen Aufschwung, oder irgendeine denkbare Form von Progress. Stattdessen bleibt man im besten Fall in einem Sumpf von Elend stecken oder gibt sich gar völlig dem Regress hin, wie in den oben genannten Staaten zu beobachten ist. In Russland feiert der russisch-orthodoxe Chauvinismus Urstände unter einem Ex-KGB-Apparatschik und in der Türkei wird die laizistische Republik Atatürks von Erdogan, einem Anhänger des Neo-Osmanismus, der mit der Muslimbruderschaft verbandelt ist, zu Grabe getragen. All das getragen von einem, im besten Fall, passiven Wahlvolk. Kurzum: Nicht der in einem Dresdner Archiv gefundene STASI-Ausweis von Putin oder das Gedicht von Ziya Gökalp, dass Erdogan vorgetragen hat, sind die Probleme. Nein, sowohl der Ausweis wie auch das Gedicht symbolisieren viel mehr einen Mangel an Bürgerbewusstsein in Russland und der Türkei. Dieser Mangel ermöglichte es Autokraten wie Putin und Erdogan Macht zu erlangen.

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Werntreu Golmeran
Werntreu Golmeran
5 Jahre zuvor

Soll das ein geschickt verklausulierter Seitenhieb auf Georg Herbert Walker Bush sein? den kürzlich verstorbenen 41. Präsidenten der USA? in den Jahren 1976 und 1977 Director des berüchtigten US-Geheimdienstes CIA?

Nicht nur ein kleiner Hinterzimmer-Beamter, wie Putin in Dresden, sonder der Chef eines Geheimdienstes, der sich nicht hinter dem KGB verstecken muss…

Thomas Weigle
Thomas Weigle
5 Jahre zuvor

#1Der KGB bzw. seine Vorgänger waren für die Bekämpfung der Gegner der sowj./russ. Kommis im In- und Ausland zuständig. Die CIA war ein Ergebnis des geheimdienstlichen Kampfes gegen die Nazis und darf im Inland nicht tätig werden. Schon von daher ist ihre Vermutung eher abwegig.
Es ist auch nicht bekannt, dass Bush senior den verdienten, aber viel zu spät erfolgtenUntergang der russischen Kommis und ihrer Schreckensherrschaft bedauert hat, im Gegensatz zu Putin.

Thomas Weigle
Thomas Weigle
5 Jahre zuvor

Wo aber soll eine bürgerliche Kultur in Russland herkommen? Russland hatte nie ein Bürgertum als wichtigen Bestandteil der Gesellschaft. Nicht unter den weißen Zaren, erst recht nicht unter den roten Zaren und auch nicht unter dem schwarzbraunen Wladimir P.
Russland steht heute aber vor allem für die Unfähigkeit der Kommis gesellschaftliche Denkweisen zu verändern, diese positiv zu beeinflussen. 70 Jahre sind die russ. Kommis und ihre Anhänger in aller Welt auf dem Gleichberechtigungsticket unterwegs gewesen. Die Gleichberechtigung, die neue Rolle der Frauen,die angeblich im Kommirussland herrschte, war ein riesiger Propagandaschwindel. Die Ergebnisse dieses Schwindels lasssen sich im heutigen Russland besichtigen: Bis zu 14000 tote (Ehe)frauen im Jahr, ca 36000 misshandelte Frauen täglich, sowie eine Gesetzgebung und eine Justiz, die nicht willens ist, die russischen Frauen vor gewalttätigen Männern wirksam zu schützen.
70 Jahre Kommunismus haben an der Rollenverteilung zwischen Frauen und Männern in Russland nichts verändert. Das ist wahrhaftig eine bittere Erkenntnis für viele die einmal glaubten, dass die Praxis der sowjetischen Kommis positive Auswirkungen im "Geschlechterkampf" haben könne.

Werntreu Golmeran
Werntreu Golmeran
5 Jahre zuvor

Ja, Herr Weigle, erschreckende Zahlen was die häusliche Gewalt in Russland betrifft. Ich bezweifle aber, dass mit strengeren Gesetzen, die häusliche Gewalt verbieten, die Zahl drastisch zurück gehen würde. Ich glaube das ist eher da ist eher das allgemeine soziale Klima für verantwortlich und der extreme Drogenkonsum in Russland. Wenn ich es richtig in Erinnerung habe, standen mehr als 70 Prozent der Taten mit übermäßigen Alkoholmissbrauch in Zusammenhang. Wenn man die sonst hier bei den Ruhrbaronen vorherrschende "liberale" Auffassung des "Legalize-It" vertritt , wird man gegen die häusliche Gewalt in Russland wenig ausrichten können. Mit Kommunismus hat das eher wenig zu tun. Ich würde auch gerne mal wissen, ob die Zahlen vor 1986 auch so hoch waren oder ob sie Folge der radikalliberalen Wirtschaftsreformen unter Tanzbär Jelzin waren, welche nachweislich die soziokulturellen Verhältnisse in Russland grundlegend verändert haben, mit extremer sozialer Ungleichheit, erhöhter Arbeitslosigkeit, Altersarmut etc. pp. Diese Folgen könnten vielleicht auch mitverantwortlich für die extreme schlechte Lage für viele Frauen in Russland sein. Aber das ist vielleicht zu differenziert und nicht mehr unter Ihren "Kommis-Hammer" zu subsumieren.

Thomas Weigle
Thomas Weigle
5 Jahre zuvor

Fakt ist, dass die Kommis sich als Förderer und Erhaltung der Gleichberechtigung gesehen haben und dass nach 70 Jahren nix davon zu spüren ist. Auch in Sachen Weltfrieden haben die Kommis sich doch immer als Weltfriedenslager gesehen und propagiert. Da hätte man doch annehmen können, dass man nach 70 Jahren friedlich auseinandergeht und sich einen guten Weg wünscht. Das war aber vielfach nicht der Fall, ganz im Gegenteil.
Ähnlich verhält es sich in Sachen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit. Da hätte man doch annehmen können, dass das ständige Propagieren von Internationalismus und antirassistischem Kampf gewisse Spuren hinterlassen hat. Das Gegenteil ist der Fall. Und auch das hat mit dem von den Kommis und ihrer 5.Kolonne hierzulande verleumdeten Boris Jelzin wenig bis nix zu tun. Er hat sich den Kommis im Sommer 91 in den Weg gestellt. Deshalb die ständig Hetzreden dieser Leute gegen ihn.
Und Fakt ist auch, dass die Kommis den Alkoholmissbrauch in 70 Jahren nicht wirklich bekämpft haben. im Gegenteil, in der DDR bspw hat es an vielem gemangelt, an Bier und Getränken wie dem "blauen Würger" nie, höchstens anMarken wie Radeberger oder Wernesgrüner, die Devisen bringen mussten.

Thomas Weigle
Thomas Weigle
5 Jahre zuvor

Noch eine kleine Anmerkun zum russischen Alkoholismus. Der einzige KP-Grande, der sich an den Alkoholkonsum der Russen wagte, war Gorbi. Der Ausgang ist bekannt, Gorbi steckte eine vernichtende Niederlage ein, etwa so wie eine zweistellige Niederlage im Fußball, bspw wie die Knappen bei BMG im Jänner 67: 0:11.

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