
Ab 60 ist man im richtigen Porsche-Alter, und so schritt ich jüngst zur Tat. Solange man noch mittels Bein-und Bauchmuskulatur und jedenfalls ohne peinliche Arm-Verrenkungen unfallfrei aus der Sportkarre rein- und rauskommt, kann man eine solche Anschaffung wagen. Nach einem halben Jahr kann ich sagen, dass ich im Leben schon schlechtere automobile Entscheidungen getroffen habe, aber das nur am Rande. Denn was ich eigentlich sagen will: Seit ich der Stuttgarter Bruderschaft beigetreten bin, weiß ich, wie man sich als Opfer fühlt. Und nein, nicht ich mache andere zu Opfern im Straßenverkehr, ich werde selbst eines. Mit meinen Allerweltsautos früher war das so gut wie nie der Fall.
Zunächst gilt es nach nun rund 10.000 Kilometern mit einem Vorurteil aufzuräumen: Die meisten Fahrer eines 911er oder Boxster (bei den Porsche-SUVs sieht es zugegeben anders aus) sind alles, aber keine Raser. Selbst bei den neueren hochtourigen Sportwagen-Exemplaren jenseits von 400 Pferden gibt es ziemlich viele, die über weite Strecken auf der rechten, maximal mittleren Spur vor sich hinzockeln. Bloß kein Stress! Den oft älteren Herren und den ebenso auffallend jüngeren Damen genügt vielleicht das Gefühl, dass sie anders könnten, wenn sie denn wollten. Nicht ohne Grund habe ich mal gelesen, als anständiger Drogenhändler oder Zuhälter machst du dich in einem Porsche markenmäßig lächerlich, Lambo oder Ferrari sind da die automobilen Leitwährungen. Das gilt überwiegend anscheinend auch für Raser.
Wo war ich… ach ja, Stichwort Opfer. Ich mit meinem Boxster der ersten Generation, wenn auch ausgestattet mit der größeren von seinerzeit ganzen zwei Motor-Varianten, stehe mit mickrigen 260 PS eh schon ziemlich weit hinten in der Autobahn-Fresskette. Mancher Golf könnte mich lässig stehenlassen, zu schweigen von jenen großvolumigen Vertreter-Audis oder -BMWs mit ihren bösartigen Front-Visagen. Viele dieser Schnäuzer-Typen am Steuer wissen um meinen zarten Motor und kleben sich zentimeternah an mein adrettes Hinterteil, wenn ich doch mal zum Überholen angesetzt habe und in ihr Revier, nämlich die linke Spur, eingedrungen bin.
Nun ist Verdrängung ein Schicksal, das auch Polo und Co. ereilt, wenn sie sich nach Links wagen. Ein Porsche, zumal ein eher kleiner, scheint bei dieser Spezies aber noch mal besondere Aggressionen zu wecken. „Hey, jetzt hast du dir so ein Ding gekauft, jetzt zeig doch mal, was du drauf hast…“ ist so der unausgesprochene Subtext, wenn ich im Rückspiegel das ungeduldige Augenrollen und blasierte Grinsen sehe. Auf solche Aufforderungen zum Tanz lasse ich mich grundsätzlich nicht ein, selbst wenn ich nicht befürchten müsste, haushoch zu verlieren. Aber auch.
Ähnlich unangenehm wie die Vertreter-Kombis sind auf der Autobahn übrigens die Handwerker-Kleinlaster, die bergab und bei Vollgas – und sie sind immer auf Vollgas – durchaus beachtliche Geschwindigkeiten knapp diesseits der 200 km/h erreichen können. Von Sprinter und Co fühle ich mich also auch unsittlich bedrängt, ich gebe aber zu, ich bringe dafür mehr Verständnis auf. Für Handwerker und andere Kleingewerbler habe ich prinzipiell ein großes Herz, gehören sie doch zu den wenigen in Deutschland, die noch im klassischen Sinne arbeiten.
Sie halten den Laden mit Ach und Krach am Laufen und haben daher immer Zeitnot. Von verbeamteten Grünen, die sich in die Planungs- und Bauämter reingerobbt haben, werden sie dafür mit einer völlig bescheuerten Verkehrspolitik bestraft. In Städten verknappt man ihnen die Parkplätze und verpollert trickreich kurze Wege, und auf der Autobahn quält man sie mit Baustellen, auf denen kein Mensch arbeitet. Da muss man ja verrückt werden.
Gar kein Verständnis brachte ich jüngst für den mittelalten Radfahrer vom Typ grüner Stammwähler auf, der sich mit seinem bärenstarken E-Bike an mein Heck heftete. Ihn nervte, dass ich mich auf der berühmten Rüttenscheider Straße in Essen – für nicht Ortskundige: das ist eine sehr umstrittene Fahrradstraße – an die vorgeschriebenen 30 km/h hielt. Von einem Porsche-Fahrer wird sowas weder erwartet noch gewünscht, jedenfalls dann nicht, wenn man es als Radfahrer eilig hat.
Als der gute Mann eine Chance zum Überholen sah, schoss er mit kraftvollem Antritt nebst Maximalschub und geschätzt 45 km/h an mir vorbei, garniert mit einem beherzten „Idiot“.
Ich muss gestehen, ich war perplex, was mir selten passiert. Auch hier hatte ich das Gefühl: Bei einem Smart oder Renault Twingo wäre er vielleicht gnädiger gewesen. Erschwerend kam zur Marke hinzu, dass er mich wohl erkannt hatte. Denn ob mit oder ohne Porsche, die grünen Junker in Essen mögen mich einfach nicht. Nicht mal bei Tempo 30.

Man fährt ein Zweisitzer-Auto mit ca. 100 PS mehr als der durchschnittliche Neuwagen (die aber durchschnittlich eben für mehr Passagiere und Gepäck konzipiert sind) und fühlt sich „ziemlich weit hinten in der Autobahn-Fresskette“?
Man wähnt sich in einem Opferdasein, das es verlohnt, ganze Artikel gewidmet zu bekommen, bloß weil Rüpel im Autobahnverkehr genauso rüpelhaft sind wie gegenüber anderen auch (was sich im tiefliegenden Sportwagen aber vielleicht bedrohlicher anfühlen mag)?
Man hält es für angemessen, daraus, dass es auch rüpelhafte Radfahrer gibt, eine Attacke gegen Wähler:innen einer missliebigen Partei abzuleiten?
Man sage mir bitte, dass das hier Satire ist.
Alternativ ist das hier natürlich ein guter Referenzpunkt zur Beurteilung anderer Artikel des Autors bezüglich Fähigkeit zur Selbstdistanzierung und Realitätsnähe.