11-11 oder: Wie ich meinem Opa begegnete

11-11, Bandai Namco, youtube screenshot

Meinen Großvater väterlicherseits kenne ich nur aus Erzählungen. Er starb 1946, 15 Jahre vor meiner Geburt, an einer postoperativen Blutvergiftung. Es gibt eine Geschichte über ihn, die mein Vater mir einmal erzählt hat, und ich weiß nicht, ob sie wahr ist. Aber ich wünsche es, und für mich ist sie deshalb wahr, denn es ist eine der besten Geschichten, die ich je gehört habe, und sie handelt vom Krieg. Von unserem Gastautor Wolgang Walk.

Mein Vater stand im Januar 1945 auf einem Kasernenhof in Dänemark, 17-jährig, und hatte gerade seine Ausbildung zum Reserveoffiziersanwärter absolviert. Die gesamte Kompanie, wurde ihr verkündet, sollte am nächsten Tag ins eingeschlossene Breslau geflogen werden. Mein Vater stand da im Winterwind und wusste: Sein Leben war vorbei. 17 Jahre – und dann das sinnlose Ende. Und dann wurde er ins Büro des Kompaniechefs gerufen.

Ob er der Sohn von Wilhelm Walk sei. Aus dem Hünfeldischen. Ja, antwortete mein Vater. „Dann bleibst du hier als Ausbilder“, verkündete der Hauptmann. „Dein Vater hat mir vor Verdun das Leben gerettet. Ich werde seinen Sohn nicht in den Tod schicken.“

Keinen seiner Mitrekruten sah mein Vater je wieder.

Im Frühjahr 2017 fuhr ich mit dem Auto von Karlsruhe, wo ich wohne, Richtung Atlantikküste in die Gegend von Nantes. Dort traf ich mich mit den Spieleentwicklern von Digixart und den Künstlern von Aardman (Wallace & Gromit), um über ein Spieleprojekt zu sprechen, das eine Geschichte im ersten Weltkrieg erzählen sollte. Eine Geschichte, die die Menschen in einer Zeit der Entmenschlichung kenntlich machen sollte. Eine Geschichte über den Versuch zu leben mitten im Krieg.

Es war nicht das erste Mal, dass ich an Verdun vorbei fuhr. Aber auf dem Rückweg wurde mir zum ersten Mal klar, dass es hier irgendwo gewesen sein musste, wo mein Großvater, der es irgendwie geschafft hatte, ein vierjähriges Frontsoldatendasein zu überleben, diesen mir unbekannten späteren Hauptmann rettete – was meinem damals noch ungeborenen Vater 30 Jahre später das noch junge Leben rettete und weswegen ich jetzt überhaupt auf dem Weg sein konnte, diesem Spiel bei seiner Entstehung zu helfen. Es gibt diese Momente von unerklärlicher, überwältigender Wucht, in denen ein tiefer Sinn aufscheint, als hätte die Welt doch ein Ziel; einen Sinn, und sei es ein eingebildeter. Denn es ist definitiv in diesen Momenten ein heilsamer, tröstender.

Das Spiel ist letzte Woche erschienen, pünktlich zum 100. Jahrestag des Endes des ersten Weltkriegs. Es heißt „11 – 11: Memories Retold“ und schlägt gerade ziemliche Wellen in der Presse, die erstaunt darüber scheint, dass Spiele mehr können als laut und brutal zu sein, dass sie Anti-Kriegsspiele sein können.

Ich glaube nicht an ein Leben nach dem Tod, Opa. Aber du hast es verdient. Du stehst in den Credits.

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