AGR am Kanthaken. Millionenrisiko für Ruhrstädte

 

Seit Jahren recherchiere ich im Umfeld der Abfallgesellschaft Ruhrgebiet (AGR). Das ist diese Müllfirma im Besitz des Regionalverbandes Ruhr. In den vergangenen Monaten ist mir aufgefallen, dass viele Risiken in den Wirtschaftsberichten der AGR nicht auftauschen. Zudem musste ich lernen, dass der Chef des Regionalverbandes Ruhr (RVR), Heinz-Dieter Klink, bewusst nicht die Öffentlichkeit über wichtige Gerichtsentscheidungen informiert, die in der Konsequenz  den Regionalverband und die Städte im Ruhrgebiet hunderte Millionen Euro kosten können.

Als die Verbandsversammlung des Regionalverbandes Ruhr (RVR) in der vergangenen Woche die Jahresabschlüsse der Tochtergesellschaften zur Kenntnis nahm, geschah dies im Stillen und ohne Diskussion. Dabei liefert zumindest die Abfallgesellschaft Ruhrgebiet (AGR) genügend Sprengstoff für eine spannende Kontroverse.

Mir liegen die Berichte der Wirtschaftsprüfer über die AGR vor. Darüber hinaus konnten ich Dokumente aus dem Umfeld der AGR sichten, die den Abgeordneten im RVR nicht vorlagen. Das Gesamtbild macht einen verheerenden Eindruck.

Doch der Reihe nach: Ein Blick in den Konzernabschluss der AGR verdeutlicht die Gefahren. Demnach ist der Konzern mit 67 Millionen Euro bilanziell überschuldet. Dazu muss man wissen, dass nur dieser Abschluss einen Überblick über die wirtschaftliche Gesamtlage der AGR bietet. Im Abschluss der Kerngesellschaft AGR GmbH warnen die Fachleute von PricewaterhouseCoopers bereits davor, dass es für die AGR schwierig sei, Geld von Banken zu bekommen.

Und weiter mahnen sie: "Wir weisen darauf hin, dass sich die Liquiditätslage nach den Planungen der Gesellschaft in den zukünftigen Jahren deutlich verschlechtern wird." Erstaunlicherweise ist diese Warnung vor dem finanziellen Engpass nicht in den Vorlagen für die Politiker des RVR zu finden.

Die Wirtschaftsprüfer erklären weiter, die Rettung der AGR hänge entscheidend vom Erfolg der neuen Müllverbrennungsanlage RZR II in Herten ab. Eine Art Glücksspiel: Läuft RZR II, könnte die AGR gerettet werden. Läuft RZR II nicht, geht die Firma unter. Dabei ist die Luft zum Atmen für das RZR II jetzt schon dünn. Die Verträge für angelieferten Müll liegen derzeit bei rund 125 Euro je Tonne. Im Markt sind allerdings rund 80 Euro üblich. Jeder Lieferant könnte also nur mit Verlusten seinen Verpflichtungen nachkommen.

Es steht zu befürchten, dass private Firmen lieber Pleite gehen, als Millionen von Euro zu "verbrennen". Nur ein Beispiel möchte ich hier nennen: Im vergangenen Dezember erklärte der Lieferant SSM Pfalz aus diesem Grund seine Zahlungsunfähigkeit. Die AGR meldete daraufhin beim Insolvenzverwalter der SSM einen Vertragsschaden von rund 125 Millionen Euro an. Von diesem Schaden ist aber nichts im Wirtschaftsbericht der AGR zu finden.

Damit nicht genug. Die Deponien bringen ein noch größeres Risiko für die AGR und ihren Eigner, den RVR. Und zwar hat das Verwaltungsgericht Düsseldorf bereits im Mai unter den Aktenzeichen 17 K 419/07 und 17 K 564/07 geurteilt, dass die AGR nicht Inhaberin der Planfeststellungsbeschlüsse für eine Reihe von Müllkippen ist. In den Urteilen heißt es, nur der RVR sei für die Kippen verantwortlich. Sie sind aber noch nicht rechtskräftig.

Sollten sich die Urteile aber bestätigen, könnte das weitreichende Folgen haben. Die AGR könnte gezwungen werden, die Millionen aus den Deponierückstellungen auf den RVR zu übertragen. Insgesamt sind laut Wirtschaftsprüfer für diese Aufgabe 325,6 Millionen Euro notwendig. Das Finanzkonstrukt der AGR würde damit zusammenbrechen. Es gibt nur eine Einschränkung: Noch ist unklar, ob die AGR-Rücklagen auf den RVR übertragen werden könnten, ohne dass ein Schaden für die AGR entstünde.

Der RVR wollte sich nicht zu den Urteilen äußern, obwohl den Ruhrkommunen ein katastrophales Risiko droht. Auch in seinen Berichten an die Politiker im RVR informierte RVR-Chef Heinz-Dieter Klink offenbar nicht über die Gefahr.

Unterdessen kommen die Einschläge für die AGR näher. Mir liegt ein gerichtlicher Pfändungsbeschluss gegen die hundertprozentige AGR-Tochter AVK (Aufbereitung und Verwertung von Kunststoffen) aus Trier vor. In dem Beschluss wird die Firma verpflichtet, 741 362,94 Euro an die Firma Eu-Rec Plast zu zahlen.

Der Pfändungsbeschluss wurde der AGR als Drittschuldner zugestellt. Das bedeutet: sollte die AGR ihrer Tochter Geld schulden, müsste sie das Bare an die Eu-Rec überweisen. Der gerichtliche Beschluss wurde der AGR Anfang August per Gerichtsvollzieher zugestellt. Daraufhin erklärte die AGR-Tochter über ihren Geschäftsführer Frank Zisowski am 22. August ihre Zahlungsunfähigkeit mit der Bitte, laufende "Zwangsvollstreckungsmaßnahmen" einzustellen. Davon unbeeindruckt werden weitere Pfändungsbeschlüsse vorbereitet.

Doch damit ist das letzte Wort nicht gesprochen. Seit 2001 ist das operative Geschäft der AVK eingestellt. Die Firma sollte nach einem Beschluss der AGR Ende 2003 "liquidiert" werden. Doch erst jetzt erklärte der Geschäftsführer die Zahlungsunfähigkeit. Nun droht ein Verfahren wegen Insolvenzverschleppung. Die AGR wollte sich zu den Problemen ihrer Tochter AVK nicht äußern.

Ich recherchiere weiter. Und möchte mich an dieser Stelle bei den vielen Hinweisgebern bedanken. Sollte jemand weitere Tipps haben, freue ich mich über eine kurze Nachricht unter david.schraven@ruhrbarone.de

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