Ärztemangel: Wie mit einem Promille am OP-Tisch

Krankenhäuser in NRW können gefährliche Orte sein. Foto: Bilderbox

Der Besuch eines Krankenhauses ist in NRW kann gefährlich werden. Über 90 Prozent der Kliniken im Land halten sich nicht an das Arbeitszeitgesetz für Ärzte. Die stehen häufig übermüdet am OP-Tisch. Ein Risiko für Patienten und Ärzte.

Ulrich M. ist Gynäkologe. Er arbeitet als Oberarzt in einem Krankenhaus im südlichen Ruhrgebiet. Und das tut er häufiger, als ihm und seinen Patienten gut tut: „Vom Zeitaufkommen  her habe ich eigentlich zwei Jobs. Zusammen mit meinen Diensten arbeite ich 60 bis 70 Stunden die Woche.“ Und das oft deutlich mehr als 12 Stunden hintereinander. M. ist keine Ausnahme. Im Sommer kontrollierten die Arbeitsschutzbehörden des Landes  40 Krankenhäuser – jedes zehnte in NRW. Das Ergebnis kam durch eine kleine Anfrage des FDP-Landtagsabgeordneten Dr. Stefan Romberg heraus: In 37 der überprüften Kliniken kam es zum teil zu massiven Verstößen gegen die Arbeitszeitgesetz:  In 22 Krankenhäusern arbeiteten der Ärzte mehr als 10 Stunden am Stück. In 15 Krankenhäusern sogar länger als 24 Stunden hintereinander. Dazu kamen  noch Verstöße bei den Ruhezeiten und verweigerte Ruhetage. 101 Verstöße in 37 Krankenhäusern wurden so gezählt.

Für Dr. Stefan Romberg, selbst Neurologe, liegen die Gründe auf der Hand: „Die Kontrollen sind zu lax und die Konsequenzen bei Verstößen nicht hart genug. Es kann doch nicht sein, dass ein LKW-Fahrer und seine Spedition bei Verstößen gegen die Lenkzeiten härter bestraft werden als ein Krankenhaus, dass seine Ärzte bis zum Umfallen schuften lässt.“ Das sieht auch die Landesregierung so. Auf eine Anfrage der Welt am Sonntag erklärt das Arbeitsministerium künftig Krankenhäuser stärker kontrollieren zu wollen. Im Moment fehle allerdings das Personal: „ Seit der Verwaltungsstrukturreform 2007, die vom damaligen FDP-Innenminister Wolf umgesetzt wurde, sind ca. 20 Prozent der Fachleute in der Arbeitsschutzverwaltung abgebaut worden. Dies bleibt natürlich nicht ohne Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit der Arbeitsschutzverwaltung.“

Die Überlastung ist längst der Normalfall geworden. Fast drei Viertel aller Befragten Klinikärzte haben in einer Befragten gegenüber der Ärztekammer Westfalen-Lippe haben eingeräumt, häufig gegen das Arbeitszeitgesetz zu verstoßen und länger zu arbeiten oder arbeiten zu müssen als zulässig.

Zum Nachteil nicht nur der Ärzte, die durch den Druck und die Belastung in ihrem Beruf ein hohes gesundheitliches Risiko eingehen. Auch für den Patienten ist der übermüdete Arzt eine Gefahr: Nach 24 Stunden ohne Schlaf ist er in seiner Leistungsfähigkeit so eingeschränkt, wie mit einem Promille Alkohol im Blut.

Aber Romberg hat noch einen weiteren Grund für die Probleme in den Krankenhäusern ausgemacht: „Es gibt zu wenige Ärzte. Und das wird sich so bald auch nicht ändern. Das Problem wird in Zukunft größer werden.“

Das bestätigt auch der Marburger Bund, in dem sich viele Klinikärzte zusammengeschlossen haben. 6.000 Ärzte fehlen schon heute in Deutschland – allein in NRW sind es weit über 1000. Und weil in den 90er Jahren die Zahl der Studienplätze von 12.000 auf 8.000 gesenkt wurde, ist von den Hochschule kaum Entlastung zu erwarten: „Damals“, sagt Michael Helmkamp  Sprecher des Marburger-Bundes in NRW, „gingen alle von einer Ärzteschwemme aus. Das war ein Fehler. Heute haben wir einen Ärztemangel. Und der wird schlimmer werden. In den kommenden fünf Jahren werden 71.000 Ärzte in den Ruhestand gehen. Nur 40.000 Ärzte  rücken nach.“ Und das auch nur in der Theorie: Viele Mediziner wollen nach dem Studium nicht in einem Krankenhaus oder einer Praxis arbeiten. Heute gehen 40 Prozent der Absolventen nach dem Studium zu Unternehmensberatungen oder in die Pharmaforschung.

Der Beruf des Arztes ist nicht mehr attraktiv genug. Zwar liegt das Einkommen noch immer über dem Schnitt anderer akademischer Berufe, aber der Preis, den die Ärzte dafür zahlen, ist hoch. Der Beruf lässt sich schwer mit dem Familienleben vereinbaren: Viele Überstunden gehören zum Alltag. Die finden häufig in der Nacht und am Wochenende statt und sind oft schlechter bezahlt als der normale Dienst.

Vor allem viele Absolventinnen, über die Hälfte der Medizinstudierenden  sind weiblich, und wollen nicht nur für ihren Beruf leben.

Auch der demographische Wandel wird keine Entlastung bringen. Zwar wird in den kommenden Jahrzehnten die Bevölkerung immer kleiner werden. Aber sie wird auch älter. Mehrfacherkrankungen und altersbedingte Krankheiten wie Demenz und Diabetes werden allerdings zunehmen. Es wird volle in den Krankenhäusern und Praxen.

„Der Arztberuf muss wieder attraktiver werden“, fordert Stefan Romberg. Er selbst arbeitet auf einer Viertelstelle als Neurologe in einem Krankenhaus. Eine Ausnahme. „Wir müssen viel mehr Teilzeitstellen für Ärzte in den Krankenhäusern anbieten.“

Nach Angaben des Gesundheitsministeriums ist die Zahl der Teilzeit in den vergangenen zehn Jahren stark angestiegen. Sie hat sich zwischen 1999 und 2009 von 1.537 auf 5.301 mehr als verdreifacht. Teilzeitbeschäftigt waren demnach 2009 15,8 Prozent der Ärztinnen und Ärzte im Krankenhaus. Zum Vergleich:  1999 waren es nur 5,4 Prozent. Im Ländervergleich liegt NRW damit leicht über dem Durchschnitt. Im Ministerium glaubt man dass eine Steigerung der Teilzeitstellen um weitere zwei oder drei zusätzliche Prozentpunkte möglich ist.

Der Marburger Bund fordert daher auch die Entlastung der Ärzte von Verwaltungsaufgaben. Die sollen sich wieder mehr um die Patienten kümmern können. Im Moment ist das nicht der Fall. Ein Arzt verbringt zur Zeit drei bis fünf Stunden am Tag mit dem Ausfüllen von Formularen und dem Schreiben von Berichten. Zeit, die er nicht für seine Patienten arbeiten kann.

Das Problem der fehlenden Klinikärzte ist in NRW ungleich verteilt. In attraktiven Städten wie Köln, Düsseldorf oder Bonn haben die Krankenhäuser noch keine Probleme Ärzte zu finden – auch wenn sie bei immer geringeren Bewerberzahlen kaum noch auswählen können, wer künftig ihre Patienten behandeln soll.

Im Sauerland, Ost-Westfalen und dem nördlichen Ruhrgebiet ist die Lage schon heute schwieriger. Hier ist das kulturelle Angebot klein, hier gibt es  wenig Restaurants und Einkaufsmöglichkeiten – wer kann, meidet solche Regionen.

Das macht sich schon heute in zahlreichen Praxen bemerkbar. Vor allem auf dem Land finden sich immer seltener Ärzte, die eine Praxis übernehmen wollen.

Krankenhäuser fangen zumindest einen kurzfristigen Mangel durch Honorarärzte auf. Die sind Freiberufler, werden von speziellen Agenturen vertreten und bekommen bis zum Dreifachen des Honorars eines normalen Klinikarztes. Freies Wohnen oder auch mal ein Fahrrad obendrauf sind keine Seltenheit. Und den Normalen Mangel fangen die Kliniken mit Überstunden und Diensten auf – auch gegen das Gesetz.

Abhilfe wird nach der übereinstimmenden Meinung von Stefan Romberg und dem Marburger Bund nur ein Bündel an Maßnahmen bringen: Neben mehr Teilzeitstellen und einer Entbürokratisierung der ärztlichen Arbeit müssen auch wieder mehr Studienplätze geschaffen werden. Ärztefunktionäre fordern schon seit langem einen neuen Studienstandort für Ärzte im ostwestfälischen Bielefeld. Ohne teuren Uni-Klink-Neubau sollen die Medizinstudenten ihre Praxis in verschiedensten Krankenhäusern sammeln, wie es in Bochum schon der Fall ist. Das dortige Uniklinikum besteht aus der Kooperation mehrer Krankenhäuser. Aber ob und wann die Pläne für einen neuen Medizinstudienort Wirklichkeit werden, steht in den Sternen.

Vielleicht hilft ja ein anderer Vorschlag Rombachs, den Mangel an Klinikärzten in Zukunft zu verringern. Der Liberale wünscht sich, dass sich die Universitäten bei der Auswahl der Medizinstudenten künftig weniger stark am Notendurchschnitt orientieren. Das Verfahren würde die Frauen bevorzugen, die im Durchschnitt bessere Abiturnoten als die Männer hätten – aber auch kein so großes Interesse, später in einem Krankenhaus zu arbeiten.

Der Artikel erschien in ähnlicher Form in der Welt am Sonntag

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Eva
Eva
13 Jahre zuvor

Mehr Studienplätze sind nicht zu bezahlen und werden das Problem auch nicht lösen. Ein Medizinstudium kostet ca. 100 000 Euro; mehr Plätze sind in diesen finanziell knappen Zeiten daher kaum zu realisieren. Das Hauptproblem ist, dass ein großer Teil der Absolventen nach dem Studium nicht in Deutschland und/oder nicht klinisch arbeitet. Das heißt, wir bilden viele Ärzte aus, die anschließend ins Ausland oder in die lukrative Pharmaindustrie entschwinden. Dem Ärztemangel kann daher nur auf anderen Wegen entgegen gewirkt werden: Bereits im Studium könnten Anreize geschaffen werden, später tatsächlich als Arzt tätig zu werden. Wer sich zum Beispiel verpflichtet, eine Landarztpraxis zu übernehmen, könnte bevorzugt zugelassen werden und einen Nachlass bei den Studiengebühren erhalten, der zurückzuzahlen ist, wenn die Verpflichtung dann doch nicht eingehalten wird. Und die Arbeitsbedingungen vor allem der Assistenzärzte in Kliniken müssen dringend verbessert werden, damit sich nicht weiterhin viele dafür entscheiden, diesen Teil der Ausbildung unter besseren Bedingungen in England oder den skandinavischen Ländern zu machen.

Winnie Schäfer
Winnie Schäfer
13 Jahre zuvor

Das ist doch ziemlich einfach. Gesundheit kostet, und Krankenhäuser kosten einen ziemlichen Brocken. Wir müssen einfach entscheiden, was wir wollen, und entsprechende Finanzierung möglich machen. Zur Zeit läuft das Kostensparen auf dem Rücken der Beschäftigten, und nicht nur auf dem Rücken der Ärzte. Da wird Leistung hochgefahren, Personalbestand runtergefahren. Krankenhäuser kriegen Pauschalen für Bauinstanthaltungen, die hinten und vorne nicht reichen – also müssen andere Töpfchen angezwackt werden, dann ratet doch mal, welche. Rund um die Uhr bereit, auch nachts um drei Ohrläppchenzucken zu versorgen kostet halt…

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Dirk Westermann
Dirk Westermann
13 Jahre zuvor

Ich kann dieses gejammer nicht mehr hören. Es gibt weder einen Ärztemangel noch einen vernünftigen Grund warum Krankenhausärzte massiv Überstunden schieben.
Kann mir jemand erklären, warum Deutschland 820 Betten für 100.000 Einwohner, Dänemark aber nur 357 braucht? Warum kommen 100.000 Japaner mit 197 Ärzten aus während deutsche Jammerlappen 356 brauchen? Dabei haben die Japanerinnen eine Lebenserwartung von 84 Jahren während die deutsche Oma mit 81 Jahren aufhört, Pillen zu schlucken.
(Quelle Eurostat, http://www.s-cool.org)

Helmut Junge
13 Jahre zuvor

@Dirk Westermann,
eigentlich ist der Autor dieses Textes genau derjenige, der den Satz
„Ich kann dieses gejammer nicht mehr hören“
am häufigsten gesagt hat. Da hab doch jetzt für einen Moment Autor und Kommentator verwechselt!
Krankenhausärzte haben aber wirklich einen Scheiß-Job.
Das ändert sich, wenn Sie im Krankenhaus hierarchisch aufsteigen, oder selbständig werden.
Spannend ist, daß in unserer Zeit Ärzte gewerkschaftlich organisiert sind, und sogar Streiken. Das war früher anders. Die streiken nicht gegen die Patienten, oder die Krankenkassen, sondern gegen die Interessen der Chefärzte, gegen die
Halbgötter in Weiß.
Ist aber nur meine oberflächliche Sicht. Kann alles falsch sein, wie ich das sehe. Es ist nicht mein Thema.
Warum es in Deutschland so viele Jammerlappen gibt?
Das ist ein sehr spannendes Thema!
Warum sind so viele Deutsche Jammerlappen?
Sind sie das? Ist es nicht so, daß es in Deutschland besonders niedrige Fehlzeiten gibt? Wenn ja, dann wuchert manche Krankheit aus, und dann wird es teuer?
Wissen Sie es?
Ich weiß es nicht.

Dirk Westermann
Dirk Westermann
13 Jahre zuvor

@Helmut Junge
Ich bestreite ja gar nicht, das die Belastung für Krankenhausärzte hoch ist, das erklärt aber nicht, warum Dänemark weniger als die Hälfte der Betten pro Einwohner braucht als Deutschland.
Man könnte die Zahl der Betten halbieren, die Zahl der Ärzte aber nur um 30% senken und alle Probleme währen gelöst.

Helmut Junge
13 Jahre zuvor

@Dirk Westermann,
Da müßten andere viel mehr darüber wissen, als ich.
Vielleicht meldet sich ja noch jemand.
Sonst kommt das Thema sicher noch mal wieder.

Eva
Eva
13 Jahre zuvor

@ Dirk & Helmut: Für den Bereich der psychischen Störungen kann ich dazu was sagen (bei anderen Krankheiten kenne ich mich nicht so aus). Im ambulanten Bereich gibt es hier eine drastische Unterversorgung; die Wartezeiten bei niedergelassenen Psychotherapeuten liegen bei mindestens einem halben Jahr. Stationäre Plätze gibt es hingegen vergleichsweise viele. Daher dürfte es öfter passieren, dass psychisch Kranke stationär untergebracht werden (um ihnen überhaupt etwas anbieten zu können), obwohl eine ambulante Therapie vielleicht gereicht hätte. Das ist natürlich die deutlich teurere Lösung, aber mit dem Rechnen hapert es ja scheinbar bei vielen Verantwortlichen im Gesundheitswesen. Wenn es in anderen Bereichen des Gesundheitssystems ebenso aussieht (was ich, wie gesagt, allerdings nicht beurteilen kann), dann haben (und brauchen) wir in Deutschland so viele Betten, weil die Leute nicht ambulant betreut werden können.

Paul Lanon
Paul Lanon
13 Jahre zuvor

Immer wieder schön, wenn ein Land zum Vergleich herangezogen wird, das so groß ist wie Bremen und Sachsen zusammen. Juhu. Dann hätten wir sicher auch kein Problem.

Dirk Westermann
Dirk Westermann
13 Jahre zuvor

@Paul Lanon
Es geht um die Zahl der Krankenhausbetten pro Einwohner. In wiefern die absolute Einwohnerzahl eines Staates dabei relevant sein sollte, ist mir ein Rätsel.

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