„Zwischen Minderwertigkeitskomplex und Größenwahn?

Knapp einen Monat, bevor das Kulturhauptstadt-Jahr 2010 beginnt, wird am 5. Dezember 2009 auf dem Gelände der Zeche Zollverein in Essen-Stoppenberg das Ruhr Museum eröffnet. 7.000 Exponate warten dann – verteilt auf drei Ebenen – auf die Besucher. 1.000 von ihnen sind Leihgaben aus anderen Museen des Reviers.

Dass das Ruhr Museum das große Heimatmuseum des Ruhrgebiets wird, hört sein Direktor Prof. Dr. Ulrich Borsdorf nicht gerne: „Heimatmuseum klingt mir zu betulich. Wir wollen kein Museum sein, das unkritisch die eigene Heimat feiert, auch wenn das Ruhrgebiet die Heimat des Museums ist. Wir haben uns dafür entschieden, es als Regionalmuseum neuen Typs zu bezeichnen, denn das Ruhr Museum zeigt nicht nur eine große Anzahl an Exponaten, sondern hat auch unter museologischen Gesichtspunkten ein innovatives Konzept.“

Und das geht über das Konzept des Vorgänger-Museums, des ebenfalls vom Historiker Borsdorf geleiteten Essener Ruhrlandmuseums, hinaus, auch wenn es Ähnlichkeiten in den Konzepten gibt: „Wir haben auch im Ruhrlandmuseum versucht, menschliche Kultur-und Naturgeschichte in Bezug zueinander zu setzen. Was dort aber nur in Ansätzen zu erkennen war, werden wir im neuen Haus konsequent umsetzen können.“

Perspektiven Das neue Konzept wurde gemeinsam mit zahlreichen Historikern und Kulturwissenschaftlern auf Konferenzen und Symposien diskutiert und erarbeitet. Borsdorf: „Wir präsentieren die Mythen, Bilder und Phänomene des Ruhrgebiets, die ungeheuren Dimensionen der Erdgeschichte, die lange Geschichte der Industrialisierung ebenso wie deren Folgen und zukünftigen Perspektiven in einem einzigen Museum. Das hat es noch nicht gegeben, aber wenn man die Geschichte des Ruhrgebiets erzählen will, kommt man darum gar nicht herum. Ohne die Kohle, die ihre Ursprünge in der Karbonzeit hatte, hätte es das Ruhrgebiet nie gegeben.“
Trotz der Vielzahl des Exponate wird die Ausstellung Lücken aufweisen: „Es gibt Phasen in der Geschichte des Ruhrgebiets, von denen es außer ein paar Fotos und Zeitungsartikeln wenig gibt, was man zeigen und berühren kann. Der Ruhrkampf oder Phasen in den 20er Jahren, was sehr bedauerlich ist, weil sich erst in dieser Zeit ein Bewusstsein dafür entwickelt hat, dass hier etwas Neues, in seiner Dimension Einzigartiges entstanden ist.“

Gedächtnis
Über drei Ebenen erstreckt sich das Ruhr Museum – und man betritt es in der Gegenwart des Ruhrgebiets: „Die erste Ebene widmet sich dem kommunikativen Gedächtnis der Menschen. Was hier zu sehen ist, kann immer noch von Zeitzeugen erklärt werden.“
Es sind die letzten 90 Jahre, die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg – hier werden Phänomene des Ruhrgebiets gezeigt, die jeder, der hier lebt, gut kennt. Es geht um die Buden des Ruhrgebiets, die vom Verkauf von Klümpchen, Bier und Kippen leben und denen es wohl aufgrund liberalisierter Ladenschluss-Zeiten in letzter Zeit an Käufern mangelt.
Hier finden sich Exponate aus den Arbeitersiedlungen des Reviers, die nach wie vor die Architektur des Ruhrgebiets in weiten Teilen prägen, aber auch Darstellungen der unterschiedlichen geologischen Zonen der Region. Und natürlich die Industrie-Architektur und
die Versuche, sie mit neuen Inhalten zu füllen – Zollverein selbst ist hierfür in seiner Ambivalenz als öffentlich geförderte Kulturstädte ohne ernsthafte privatwirtschaftliche Perspektive natürlich ein gutes Beispiel.

Moderne
Die zweite Ebene ist dem kulturellen Gedächtnis vorbehalten: „Hier sehen wir die Geschichte des Ruhrgebiets vor dem Ersten Weltkrieg – und vor allem aus der Zeit vor der Industrialisierung.
Die Besucher erfahren, wie das Ruhrgebiet aussah, bevor es das Ruhrgebiet wurde: Die ersten Siedlungsspuren in der Region, die öde Sumpflandschaft des Emschertals, in dem die Wildpferde weideten, sind hier ebenso Thema wie die spannende Geschichte des Ruhrgebiets im Mittelalter
mit seinen Fehden, Klöstern und dem Aufstieg erster Städte zu bedeutenden Zentren.
Auf der dritten Ebene wird dann die Geschichte des modernen Ruhrgebiets gezeigt, sein Aufstieg zum wichtigsten industriellen Zentrum Europas, seine Rolle während der Kriege und auch die Geschichte der Arbeitskämpfe gegen den Niedergang seiner
Industrien. „Wir werden hier Bezüge zwischen den Geschehnissen herstellen. Die Bombenangriffe auf das Ruhrgebiet stehen in direkter Verbindung zu seiner Rolle als Rüstungszentrum, und die Opfer das Naziregimes sind die direkte Folge der vielen begeisterten Nazis, die es auch im Ruhrgebiet gab,“ erklärt Ulrich Borsdorf das Konzept.

Zukunft
Aber damit wird die Ausstellung nicht aufhören. „Wir wollen einen Blick in die Zukunft
des Ruhrgebiets werfen, und weil wir als Historiker keine Zukunftsforscher sind, werden wir uns den Themen widmen, die heute schon in die Zukunft verweisen,“ kündigt Borsdorf an. Ein Beispiel dafür wird der Emscher Landschaftspark sein.
Auch wenn das Projekt erst im kommenden Jahrzehnt fertig wird, und mit etwas Pech vielleicht sogar noch später, verändern die Arbeiten an ihm schon heute das Gesicht des Ruhrgebiets.
Abwasserkanäle verschwinden in Röhren, neue Klärwerke werden gebaut und in Dortmund ist die Emscher schon wieder fast so etwas wie ein richtiger Fluss.
Als stadtnahes Gewässer, so der Plan der Emscher-Genossenschaft, wird sie zwar nie wieder ein unregulierter Fluss werden, dafür aber sauberes Wasser führen und an ihren Ufern eine hohe Wohn- und Freizeitqualität bieten.

Mythen
„Und dann sind da noch die Mythen des Ruhrgebiets. Ihnen haben wir den Flur gewidmet“, erklärt Borsdorf und weiß: „Mythen gibt es hier viele.“ Der Krupp-Mythos, der heute noch in der Person von Berthold Beitz und der Krupp-Stiftung weiterlebt und immer weniger mit den real existierenden Krupps zu tun hat. Oder der Mythos der harten Arbeit, der das Selbstverständnis des Reviers und seiner Menschen über alle Klassenschranken geprägt hat. Der schöne
Satz „Ein Junge aus dem Revier muss hart arbeiten und hart trinken können“ wäre so in Frankfurt, München oder Stuttgart undenkbar.
Bei uns trifft er immer noch auf Zustimmung. Und das hat mit einem anderen Mythos zu tun, der im Ruhrgebiet präsent ist: Der Männlichkeit. Aus diesen Mythen, zu denen auch der Fußball im Ruhrgebiet und Begriffe wie Feuer, Kohle Solidarität und Heimat gehören, setzt sich das Selbstbewusstsein der Menschen im Ruhrgebiet zusammen – und wie immer bleiben diese Mythen prägend, auch wenn ihre Ursprünge von Jahr zu Jahr weiter in der Vergangenheit
versinken.

Strukturwandel
Borsdorf: „Nicht alle dieser Mythen sind alt. Einer ist wirkungsmächtig und neu: der Mythos des Strukturwandels.“ Dabei, so verkündet das Konzept des Ruhr Museums von Ende 2005, „changiert die Botschaft in einer seltsamen, aber vielleicht für die Mentalität des Ruhrgebietes typischen Ambivalenz zwischen Minderwertigkeitskomplex und Größenwahn: Dem Wunsch nach `endlich so wie überall` und dem Vergleich mit anderen Metropolregionen wie Berlin oder Paris folgt in stereotypischer Regelmäßigkeit die eingeübte Meldung von Rekordzahlen und Superlativen: die dichteste Museumslandschaft Deutschlands, die größte Hochschulregion in Europa und das attraktivste Kulturangebot überhaupt.“
Hier – wie bei anderen Themen auch – zeigt das geplante Ruhr Museum Chancen für eine Selbstreflexion des Ruhrgebiets auf, denn natürlich wird das neue Heimatmuseum selbst auch jenen Mythos des Strukturwandels verkörpern, zum Ausdruck bringen und verstärken, dem es seine eigene Entstehung verdankt.

Fotos: Bilddatenbank Zollverein

Ruhrpilot

Das Naivigationssystem für das Ruhrgebiet

Opel: Gipfel gescheitert…Spiegel

Karstadt: Mitarbeiter demonstrieren in Berlin…Bild

WAZ: Cash statt Krone…Zoom

Ruhr2010: Küppersmühle Spatenstich…Der Westen

Unis: Studenten wollen streiken…Ruhr Nachrichten

Zukunft: Überholte Zukünfte…Kuerperpunk

Kunst: Das schönste Museum der Welt…Freie Presse

Europawahl: Casi für die Piraten…2.0

Prügelattacke: Weitere Verhaftungen in Dortmund…Ruhr Nachrichten

OB-Wahl: Dortmunder Kandidaten bei Verdi…Der Westen

WestLB: Sparkassen mit Sorgen…Der Westen

MTB: Die Breitreifengang…Spiegel

 

 

?Wir sind Profis im Wandel?

Der Bochumer Historiker Klaus Tenfelde, Professor für Sozialgeschichte und soziale Bewegungen an der Ruhr-Universität Bochum und zugleich Leiter des Instituts für soziale Bewegungen arbeitet an einer Geschichte des Ruhrgebiets. In diesem Jahr hofft er das Werk abzuschließen.

Foto: Klaus Tenfelde

Die Geschichte des Ruhrgebiets begann in Kalkriese. Dort, im Osnabrücker Land, fand im September des Jahres 9 nach der damals von niemand beachteten Geburt Christi die Schlacht zwischen einem Heer aus verschiedenen germanischen Stämmen und drei römischen Legionen statt. Die Gegenspieler: Arminius, ein Cheruskerhäuptling, der Jahrhunderte später zu Hermann dem Cherusker verklärt werden sollte, und der römische Senator Publius Quinctilius Varus. Die Schlacht endete mit einer verheerenden Niederlage der Römer. Und die hatte Konsequenzen: Die Großmacht gab ihre östlich des Rheins gelegenen Stellungen wie Haltern an der Lippe auf. Der Rhein wurde für Jahrhunderte zu einem Grenzfluss.

Geschichtswerk
Mit der Errichtung dieser römischen Grenze begann die Geschichte des Ruhrgebiets, auch wenn sich die Region damals nicht von anderen Landstrichen unter germanischer Herrschaft unterschied. „In dem Text Über Ursprung und Leben der Germanen von Tacitus finden wir die erste schriftliche Erwähnung der Region, die später einmal das Ruhrgebiet werden sollte“, erklärt Professor Dr. Klaus Tenfelde. „Und mit schriftlichen Dokumenten beginnt die Geschichte, alles davor ist Archäologie.“

Tenfelde ist Professor für Sozialgeschichte an der Ruhr-Universität Bochum und Direktor des Instituts für soziale Bewegungen. Im kommenden Jahr wird er sein Buch über die Geschichte des Ruhrgebiets veröffentlichen. Zwölf Kapitel auf 600 Seiten wird das Werk umfassen. Zusätzlich gibt Tenfelde das Historische Lesebuch Ruhrgebiet heraus mit einem Umfang von 18 Kapiteln und 900 Seiten in zwei Bänden. Noch nie wurde die Geschichte des Ruhrgebiets in ihrer Gänze so umfassend wissenschaftlich über alle Epochen hinweg beschrieben. Beide Werke sind nicht nur von regionalhistorischem Interesse – dafür ist die Bedeutung des Ruhrgebiets für die deutsche Geschichte zu groß. Was im Ruhrgebiet geschah, hatte spätestens seit der Mitte des vorletzten Jahrhunderts mindestens deutschland- und oft europaweite Bedeutung.

Grenzland
Davon war das Ruhrgebiet in seinen Anfängen allerdings weit entfernt. Erst einmal war es Grenzland – und die wichtigen Entwicklungen geschahen auf der anderen Seite. Mit dem Toleranzedikt von Nikomedia, das die Christenverfolgung im römischen Reich beendete, begann sich westlich des Rheins ab 311 die Christianisierung zu beschleunigen.
Trier und Köln waren schon Bistümer, Mainz wurde es kurz darauf. Doch mit dem Ende des weströmischen Reiches zu Beginn des fünften Jahrhunderts endete in Germanien die Christianisierung – zumindest vorübergehend.
Erst im achten Jahrhundert wurde auch östlich des Rheins und damit auch im Ruhrgebiet mit militärischer Unterstützung des Frankenkönigs Karls des Großen massiv missioniert.
Um 800 gründete Liudger in Werden das erste Kloster der Region. Kurz darauf folgte die Gründung des Bistums Münster.
Unter dem Schutz der Franken weitete sich das Christentum aus. Tenfelde: „Die heutige Trennung Nordrhein-Westfalens in die beiden Landschaftsverbände Rheinland
und Westfalen geht auf die Antike zurück, auch wenn die heutigen Grenzen den damaligen
nicht ganz entsprechen.
Das Rheinland ist das ehemalige römische Herrschaftsgebiet, das heutige Westfalen der Raum, in dem die germanischen Stämme herrschten, über die wir noch immer kaum etwas wissen, weil sie keine Texte hinterlassen haben und weil die Römer sich nur wenig Mühe gaben, sie differenziert
zu betrachten. Für sie waren das alles nur Barbaren.“

Stadtlandschaft
Im Heberegister des Klosters Werden werden erstmals Ruhrgebietsstädte wie Throtmanni (Dortmund), Altenbochum und Hernes (Herne) erwähnt.
Doch die Mönche des Klosters, deren zum Teil auch weltliche Macht bis ins 19. Jahrhundert andauerte, waren nicht die einzige Macht im späteren Ruhrgebiet, das damals, so Tenfelde, begann eine Stadtlandschaft zu werden. Aus den kleinstädtischen Strukturen ragte schon früh Dortmund heraus. Dortmund war Freie Reichsstadt, und die Verfassung, die sich seine Bürger im Hochmittelalter gaben, war Vorbild für etliche andere Städte. Die große Zeit Dortmunds endete erst mit dem 30-jährigen Krieg: „Von diesen Zerstörungen hat sich die Stadt bis zur Industrialisierung nicht mehr erholt. 80 Prozent der Einwohner starben, die Stadt wurde mehrmals verwüstet“, erklärt Tenfelde.
Auch nach dem 30-jährigen Krieg hörten die Feldzüge nicht auf, aber Geschichte fand woanders statt. Zwar war das Ruhrgebiet eine relativ besiedelte Region mit zahlreichen kleineren Städten, aber mit der Bedeutung süddeutscher Stadtregionen konnte man nicht mithalten. Daran änderte auch der Abbau von Kohle nichts, der schon für das 13. Jahrhundert nachgewiesen werden kann. Kohle wurde nur in geringen Mengen gefördert und war als Brennstoff auch längst noch nicht begehrt. So probierten die Kölner Bäcker zwar in der frühen Neuzeit Kohle zur Befeuerung ihrer Backöfen aus, setzten dann aber wegen der Geruchsbelästigung oft wieder auf Holzkohle.

Kohleförderung
„Die Kohleförderung im Mittelalter dürfen wir uns nicht so vorstellen wie in der Zeit der Industrialisierung. Es wurden nur geringe Mengen Kohle benötigt und entsprechend wenig wurde vor allem im Tagebau und in sehr kleinen Stollen abgebaut. Es fehlten die Abnehmer für die Steinkohle.
Das änderte sich mit zwei Erfindungen, die wie ein Katalysator für die Industrialisierung waren und eng zusammenhingen: Die Dampfmaschine und die Eisenbahn. „Die Eisenbahn führte zu einer großen Nachfrage-Steigerung an Stahl für Schienen. Das sorgte wiederum für eine Steigerung der Kohleproduktion, denn Kohle brauchte man für die industrielle Stahlproduktion.
Und auch die Züge benötigten Kohle. Im Vergleich mit England kam die Industrialisierung
in Deutschland mit erheblicher Verzögerung in Gang, doch sie sorgte dafür, dass das Ruhrgebiet entstand, das wir heute kennen.“ Noch Anfang des 19 Jahrhunderts wohnten im heutigen Ruhrgebiet kaum mehr als 200.000 Menschen. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war ihre Zahl auf mehr als vier Millionen gestiegen. In den alten Kernstädten des Ruhrgebiets waren die Veränderungen anfangs kaum zu spüren.
Tenfelde: „Die neuen, großen Industriegebiete entstanden nicht innerhalb der mittelalterlichen Stadtmauern von Dortmund, Essen oder Duisburg, sondern vor deren Stadttoren: In Hörde, Altendorf, Stahlhausen oder Marxloh entstanden die ersten großen Stahlwerke und Zechen.
Kleine Orte wie Gladbeck wuchsen von Dörfern mit wenigen hundert zu Städten mit 80.000 Einwohnern heran.

Zuwanderung
An den Sozialstrukturen änderte sich jedoch zuerst wenig: „Die alten Eliten behielten lange Zeit das Ruder in der Hand. Zwar änderten sich innerhalb sehr kurzer Zeit die Lebensumstände, aber als Ansässige profitierten sie von der Industrialisierung.
Wer Grund und Boden besaß, konnte sehr schnell reich werden. Zum einen stiegen die Grundstückspreise, zum anderen erweiterte sich der Markt für die Händler und Handwerker. Politisch konnten sie ihre Macht durch das preußische Drei-Klassen-Wahlrecht erhalten. Die meisten Zugewanderten durften nicht wählen – erst ab etwa 1900 verdiente ein Arbeiter so viel, dass er steuerpflichtig und damit auch wahlberechtigt wurde.“
Mit der Industrialisierung begann sich das Ruhrgebiet von seiner Umgebung zu unterscheiden, es entstand ein Ballungsraum mit Millionen von Menschen, die begannen, ein neues Kapitel in der Geschichte der Region zu schreiben. Die alten Bezüge Westfalen und Rheinland fingen an, ihre Bedeutung zu verlieren. Etwas Neues war dabei, zu entstehen. Doch die Zuwanderung in das Ruhrgebiet verlief nicht linear: Boomphasen wurden von Krisen wie der Rezession von 1874 abgelöst. Und längst nicht alle, die kamen, blieben: Millionen arbeiteten für eine kurze Zeit im Revier und verließen es wieder. Eine Familie zu gründen, war nicht einfach: In Essen kamen um 1860 auf 100 Männer im heiratsfähigen Alter kaum 60 Frauen.

Rationalisierung
Besonders hoch war die Fluktuation unter den Polen. 450.000 von ihnen lebten zum Ende des Ersten Weltkriegs 1918 im Ruhrgebiet.
Sie kamen aus dem preußischen Teil Polens, das als Staat erst 1919 wieder gegründet wurde. „Die Polen hatten nach dem Versailler Vertrag drei Möglichkeiten: Sie konnten im Ruhrgebiet bleiben, sich in Europa einen neuen Wohnort suchen oder nach Polen zurückkehren.“ Sie entschieden sich zu gleichen Teilen für die verschiedenen Optionen.
In den 20er Jahren wuchs das Ruhrgebiet weiter – und wurde immer wieder von Krisen wie dem Ruhrkampf 1920 und der Ruhrbesetzung 1923 erschüttert.
Als sich Deutschland Mitte der 20er Jahre dem Weltmarkt öffnete, begann eine erste Entlassungswelle im Bergbau. Um wettbewerbsfähig zu bleiben, schlossen die Bergbau-Unternehmen nicht nur zahlreiche kleinere Zechen, sie rationalisierten auch massiv in den großen Bergwerken. Am ständigen Anwachsen der Bevölkerung änderte das jedoch nichts.

Benachteiligung
Unter den Nazis litt das Ruhrgebiet stark. Die Strukturen der Arbeiterbewegung, egal ob sozialdemokratisch, kommunistisch, anarchistisch oder katholisch, wurden brutal zerschlagen. Tausende von Oppositionellen starben in den Konzentrationslagern.
Im Krieg war das Ruhrgebiet als eines der wichtigsten Zentren der Rüstungsindustrie Ziel der alliierten Bomberverbände. Wie alle deutschen Ballungsgebiete wurde es zum größten Teil zerstört.
Nach dem Krieg konnte die Industrie jedoch schnell wieder aufgebaut werden. Der wirtschaftliche Wiederaufstieg des Ruhrgebiets begann – bis in den 50er Jahren die Krise des Bergbaus begann.
„Die war zwar ein großer Einschnitt, aber bis in die 80er Jahre hinein war die Arbeitslosigkeit im Ruhrgebiet kaum höher als im Bundesdurchschnitt und die Produktivität des Ruhrgebiets sogar überdurchschnittlich.
Erst seit der Wiedervereinigung geht es mit der Region bergab.“ Das ist kein Zufall, sagt Tenfelde, denn auch die öffentlichen Investitionen fließen seitdem verstärkt in den Osten und nicht ins Ruhrgebiet: „Wir haben eine strukturelle Benachteiligung, das muss sich ändern, um einen Kurswechsel im Ruhrgebiet zu erreichen.“

Wandel
Die Veränderungen seien nicht das größte Problem: „Wir sind den Wandel von Strukturen
gewohnt wie keine zweite Region. Wir können damit umgehen.“ An seinen Problemen, so Tenfelde, sei das Ruhrgebiet zum Teil selbst schuld: „Lange Zeit war es politisch nicht gewollt, dass Wohneigentum entsteht. Der Mieter war das Ideal. So hat das Ruhrgebiet über viele Jahrzehnte die Aufsteiger aus dem Facharbeiter-Milieu, die es gebraucht hätte, an sein Umland verloren.“
Aber im Alter, da ist sich Tenfelde sicher, werden sie zurückkommen: „Der nächste Wandel, der auf das Ruhrgebiet wartet, ist der demografische Wandel. Hier haben wir eine Vorreiterfunktion innerhalb der traditionellen Industrieländer. Wir sollten das nicht als Katastrophe sehen, die auf
uns zukommt, sondern als eine Chance, die wir ergreifen müssen. Aber wir werden das schaffen. Im Wandel sind wir Profis.“

Ruhrpilot

Das Navigationssystem für das Ruhrgebiet

Opel: Regierunsgberater zerpflücken Opel-Konzepte…Spiegel

Opel II: Chinesen wollen alle Jobs erhalten…Stern

Karstadt: Gleiches Recht auf unser Geld für alle…Der Westen

Ruhrgebiet: Revier hofft auf Imagewechsel…FAZ

SPD: Genossen bedienen sich bei Blogger…Gelsenkirchen Blog

Sauerland: PFT verboten?…Zoom

Begeisterung: Die verkannte Schönheit des Ruhrgebiets…Bunte

Schulden: Bochum übt Schulterschluß mit Diegel…Ruhr Nachrichten

Medizin: Patientenkarte vor dem Aus?…Der Westen

Ruhr2010: Kunst-Schau auf der Emscher Insel…Halterner Zeitung

Hertie: Der letzte Sommer…Hometown Glory

Internetsperren: Warum sie Mist sind…Prospero

Kommunalwahl: Zwei Punkte für Wolf…Pottblog

Einwohner: Kreis Kleve will Generation 55plus…RP Online

Nachdenkseiten: Gesprächskreis in Dortmund…Zoom

GEMA: Computer sind Gebührenpflichtig…Ruhr Nachrichten

Wissenschaft: Supercomputer in Jülich…FAZ

Christiania: Aus nach 37 Jahren…taz

Nordhessen-Spezial: Rotenburg kommt ins Kino…Stern

 

 

Werbung
Werbung


„Hier in Opel“

Oskar Lafontaine war heute in Bochum. Er hat die Lösung für die Krise. Aber nicht viele wollten sie hören.

14.00 Uhr Ich bin in der Innenstadt angekommen. Gleich werde ich Oskar Lafontaine reden hören. Das bedarf einer professionellen Vorbereitung: Ich esse beim neuen Rösti-Grill einen großen Schaschlik. Die Soße: Tiefrot. Der Sozialismus scheint in Bochum auf einem guten Weg zu sein.

14.20 Uhr Es hat kurz, aber heftig geregnet. Bevor es losgeht ist es schwülwarm in der Bochumer Innenstadt. Auf dem Dr.-Ruer-Platz haben sich gut 80 Leute versammelt. Dort wird ER sprechen. Gleich. Jetzt noch nicht. Ich setze mich in das Café gegenüber von Starbucks, dessen Namen ich mir nicht merken kann, und höre mir den ersten Redner an: Irgendein Ire, der gegen den Vertrag von Lissabon ist, weil er die Demokratie gefährdet, für die Irland 800 Jahre gekämpft hat. Außerdem sei es dann auch vorbei mit der militärischen Neutralität Irlands. Das wäre natürlich ein Unglück, hat sich doch schon Adolf Hitler während des zweiten Weltkriegs über die Neutralität der Iren gefreut, als diese ihm den Kampf gegen die britische Marine erleichterte.

14.30 Uhr Meistens sind Vorgruppen ja langweilig. Das ist auch heute so. Jürgen Klute, Sozialpfarrer aus Herne ist sicherer Europakandidat der Linkspartei, Sevim Dagdelen hat ihr Wahlkreisbüro in Bochum und ist für die Linkspartei im Bundestag und dann ist da noch Sabine Wils. Sie ist nach Lothar Bisky die Nummer zwei der Europawahlliste der Linkspartei und die taz beschreibt die ehemalige DKPlerin als blasse Gewerkschafterin. Stimmt.

Klute, Dagdelen und Wils erklären, warum sie gegen den Lissabon-Vertrag sind: Der würde die sozialen Standards in Europa absenken und zur Militarisierung Europas führen. Das wollen sie nicht. Sie wollen ein demokratisches, soziales und friedliches Europa.

Und während ich gelangweilt an meinem Kaffee nippe kommen fünf junge Menschen daher und beginnen Flugblätter zu verteilen: „Oskar Lafontaine: Nationalist, Rassist und Anti-Europäer“ ist die Überschrift und erinnert daran, das Lafontaine auch für die Aushöhlung des Asylrechts Anfang der 90er war. Das Flugblatt erinnert an seinen Fremdarbeiter-Ausspruch und zitiert lobende Worte von NPD-Größen über Lafontaine. Im Übrigen fordern sie eine emanzipatorische Linke. Freunde werden die sich hier sicher nicht machen.

14.45 Uhr ER betritt  die Bühne. Es gibt schlappen Applaus. Ein Bodyguard stellt sich an den Rand und sein Schild in die Ecke. ER hat sich gut gehalten, Chapeau! Lafontaine habe ich in den 90ern einmal auf einer Juso-Veranstaltung auf Zollverein erlebt, lange her, damals wirkte sogar Andrea Nahles noch wie eine unter 40jährige. Lafontaine hat die Jusos von den Stühlen geholt. Ein fantastischer Redner, der die Menschen mitreißen konnte. Ein Popstar – zumindest für Leute, die bei den Jusos waren.

Genau deswegen bin ich jetzt auch hier: Ich habe Strauß, Kohl, Merkel, Fischer und Schröder gehört und erwarte jetzt irgendetwas zwischen Strauß – ein Halbwahnsinniger, der so schrie, dass man auch als damals eingefleischter Straußgegner sekündlich fürchtete, der Mann würde von einem Herzinfarkt dahingerafft – und Schröder, einem gefühlsbetonten und ironischen Redner, der schnell und präzise auf Zwischenrufer einging und mitreißen konnte.
Lafontaine enttäuscht mich. Die Rede ist schlapp  – gerade am Anfang: Vor gut zehn Jahren hat der Mann vor Tausenden gesprochen, hat große Plätze gefüllt und zumindest stramme Sozialdemokraten begeistert. Aber damals war er auch der Vorsitzende der damals größten Partei des Landes, der SPD.

Die Wirklichkeit heute ist trüber: Gut 150, vielleicht 200 Zuschauer sind mittlerweile auf dem Platz, und ein wenig wirkt Lafontaine wie Rex Gildo, der am Ende seiner Karriere fast nur noch auf Baumarkteröffnungen sang. Der Baumarkt von Lafontaine ist ein viertelvoller Dr.-Ruer-Platz in Bochum Mitte.

Kaum betritt er die Bühne beginnen die Kids, die eben noch die Flugblätter verteilt haben, ein Transparent hochzuhalten: „Oskar Lafontaine: Nationalist, Rassist und Anti-Europäer“. Sollte es sich bei diesen jungen Menschen um Antideutsche handeln? Zumindest bekommen sie sofort Ärger: Ebenfalls junge Menschen mit roten T-Shirts und Ordner-Armbinden, die sich womöglich für eine politische Karriere als Unterbezirkskassenwart der Linkspartei empfehlen wollen, drängen sie energisch an den Rand der Kundgebung. Oskar Lafontaine interessiert das alles nicht. Er hat mit seiner Rede begonnen.

14.55 Uhr Gleich drei Gruppen von Feinden hat Lafontaine ausgemacht, und er wird während seiner ganzen Rede immer wieder auf sie zurückkommen: Die Politiker der Hartz IV-Parteien SPD, Grüne, CDU, CSU und FDP, die Spenden von Banken und Versicherungen bekommen und deshalb den Banken und nicht den Rentnern das Geld in den Rachen werfen, die Medien, die nie korrekt über die Linkspartei und ihre Vorschläge berichten, weil die Verleger gegen ein gerechtes Erbrecht und die Chefredakteure gegen höhere Steuern sind und natürlich das Kapital, das brutal seinen Vorteil sucht, mit Dumpinglöhnen seine Profite steigern will und in der selbst verursachten Krise auch noch beim Staat abkassiert.

Alles ist bei Lafontaine klar: Mit einer Börsensteuer von einem Prozent könnte der Staat 70 Milliarden einnehmen, mit einer Vermögenssteuer wie in England üblich, gar 90 Milliarden. Karstadt ist ein Opfer der Finanzkrise, das keine Kredite bekommt, weil die Banken im Moment keine vergeben und Guttenberg soll nicht mehr von Opel-Insolvenz reden. „Hier in Opel braucht man jetzt Solidarität.“ Er lacht und verbessert sich: Bochum, nicht Opel. Guttenberg sei ohnehin überfordert – ein Zustand, der Lafontaine in seiner Zeit als Regierungsmitglied gänzlich unbekannt war.

Dann kommt er in Fahrt und sein Kopf  bekommt Farbe: Die Linke will ein anderes Wirtschaftssystem. "Das ist unsere Lösung für die Krise." Die Gewinne der Betriebe gehören den Arbeitern, die würden sie auch nicht verzocken. Staatsgelder, die an Unternehmen vergeben werden, sollten den Mitarbeitern als Anteilsscheine ausgegeben werden – die würden schon darauf aufpassen, dass keiner Schindluder mit dem Geld der Steuerzahler treibt. Und natürlich: „Aber über solche Vorschläge berichten die Medien ja nie.“

Man möchte fragen, ob die proletarischen Anteilsscheine auch handelbar sein sollen und warum der Schaeffler-Betriebsrat die abenteuerliche Conti-Übernahme befürwortete, aber das geht natürlich nicht.

Lafontaine ist auch gegen den Krieg – überall und egal gegen wen. „Man hätte den Menschen in Afghanistan das Geld für Schulen und Lebensmittel geben sollen, das für ihre Bombardierung ausgegeben wurde.“ Ein Satz, den auch Mullah Omar sofort unterschreiben würde.

Am Ende versichert Oskar Lafontaine Martin Budich wegen seines Tortenprozesess seine Solidarität und die Antideutschen rufen „Feuer und Flamme für diesen Staat“.

15.30 Uhr Dann hat Oskar fertig.

Sevim Dagdelen geht darauf erneut ans Mikrofon, bedankt sich bei Lafontaine und beschuldigt die Antideutschen Grüne zu sein, was diese weit von sich weisen. Sie bekommt Applaus. Einer Hartz-Partei trauen sie hier sogar zu, für Deutschland nur Feuer und Flamme übrig zu haben. Dass sie gegen Lafontaine demonstrieren sei feige, sagt Dagdelen, und als Kind einer Gastarbeiterfamilie sei sie stolz in der Linkspartei zu sein. Was man halt so sagt, wenn man ein Bundestagsmandat hat.
Dann ist es vorbei.

2. Twitterfestival

Nach dem ersten Twitterfestival kommt nun das zweite Twitterfestival im Unperfekthaus

Es findet am 25. Jun an 18.00 Uhr statt. In der Pressemitteilung stehen die Gründe für die Fortsetzung: Nicht ganz 140 Tage nach dem wundervollen ersten Twitterfestival im Februar gibt es jetzt Nummer 2. Yeah! Manche von euch haben mich immer wieder angestupst und gefragt, wann es denn wieder soweit ist. Ein gutes Zeichen. Denn das bedeutet ja nichts Anderes, als dass ihr eine schöne Zeit hattet.
Am 25. Juni ist es soweit! Da werden Avatarbildchen und Nicks wieder Menschen aus Fleisch und Blut zugeordnet, Sympathien neu sortiert und unbekannte Seelen entdeckt.
Um Leben in die Bude zu bekommen, twittert und retweetet bitte fleissig, und erzählt jedem, der es wissen will, vom Twitterfestival Ruhrgebiet. Euch sind damit viele Karmapunkte gewiss. Versprochen. Ich freue mich auf ein weiteres entspanntes Twitterfestival :)" Mehr unter Twitterfestival.de. (Und auf die versprochenen Karmapunkte verzichte ich freiwillig 🙂 )

Piraten brauchen Unterschriften

Um an der Bundestagswahl im Herbst teilnehmen zu können braucht die Piraten-Partei in NRW noch Unterstützer.

2000 Unterstützungsunterschriften benötigt die Piraten-Partei-NRW, um an den kommenden Bundestagswahl teilnehmen zu können. Die Piratenpartei setzt sich für den gläsernen Staat, die Rechte der Internet-Community und gegen Netzsperren und Vorratsdatenspeicherung ein. Stand 23. Mai fehlten den Piraten noch 666 von dieser Unterstützerunterschriften. Wer für die Piraten unterschgreibt erklärt natürlich nicht dass er sie wählt, sondern nur, dass er als Bürger befürwortet dass sie zur Wahl antreten können und ein für ihn wichtiger Teil des Parteiensprektrums sind. Also, wer ein Herz für die Piraten hat, sie unterstützen möchte ohne sie gleich zu wählen hat hier eine gute Möglichkeit, das zum Ausdruck zu bringen.

Ruhrpilot

Das Navigationssystem für das Ruhrgebiet

Opel: Guttenberg bringt Opel-Zerschlagung ins Spiel…Spiegel

Opel II:
Guttenberg dementiert Opel-Zerschlagung…Spiegel

Opel III: Magna überarbeitet Pläne für Bochum…FAZ

Kitas: Heute wieder Streik…Ruhr Nachrichten

Industrie: Chemie-Pipeline im Betrieb…Bild

Dortmund: Zweiter Schläger in Haft…Der Westen

Wahlkampf: Müntefering in Bochum…Der Westen

Gothic: Blackfield Festival im Nordsternpark…Gelsenkirchen Blog

Buch: Döner, Machos und Migranten…Hometown Glory

Energie: RWE will eine Milliarde Subventionen…Unkreativ

Irland: Das Kreuz mit der Kirche…Zoom

Tiere: Wollhandkrabben in Castrop…Ruhr Nachrichten

Bundestag: Laurenz-Meyer fordert Urlaubssperre…Welt

Netzsperre: Netzpolitik im Endspurt…2.0

Grundrechte: Pressefreiheit schwindet…FAZ

Internetszene: Wir sind Helden…FAZ

Werbung
Werbung


Keine Kohle für Arcandor

Der Staat sollte lieber in Bildung und Wissenschaft als in die Rettung von Opel und Arcandor investieren.

Jedes Jahr geben wir Milliarden Euros dafür aus, des Menschen unter der Erde nach Kohle graben, die man wesentlich billiger importieren kann. Mit jedem Tag, den sie in der Erde buddeln vergrößern sie zudem die Ewigkeitskosten. Noch Jahrzehnte nach dem Ende der letzten Zeche wird der Bergbau den Bürgern jährlich viele Millionen kosten. Naiv zu glauben, dass die Einnahmen der Kohlestiftung ausreichen werden, sie zu tragen. Am Ende zahlen wir für die Folklorewirtschaft Bergbau.

Und vielleicht zahlen wir ja auch bald für Karstadt und Opel und alle die anderen, die hinter den Büschen hervorkommen werden. Ist nicht auch Schaeffler rettenswert? Und vielleicht auch Porsche? Warum nicht auch Hertie? Und wieso nicht der kleine Handwerksbetrieb um die Ecke, der einfach nur Pech hatte und sich nicht verzockt hat? Es steht zu befürchten, dass sich die Liste der Unternehmen, die auf staatliche Hilfe drängen in den kommenden Monaten vergrößern wird – und längst nicht allen sollte geholfen werden. Und was ist wenn Fiat oder Magna in fünf Jahren nochmal Geld vom Staat wollen? Sagen wir dann nein? Vor einer Wahl sicher nicht.

Aber die Banken…
Der Staat rettet mit unserem Geld die Banken. Und er tut es mit verdammt viel von unserem Geld. Das wird uns und wohl auch noch unseren Kindern noch sehr lange teuer zu stehen kommen. Selbst große Anhänger einer strikten Ordnungspolitik sehen zu den Bankenrettungsmaßnahmen keine Alternative – was ich extrem beunruhigend finde, denn generell muss im Kapitalismus gelten: Wer sein Unternehmen gegen die Wand gefahren hat, muss pleite gehen. Wissen die großen Banken, jene die „To big to fail“ sind, dass ihnen nichts geschehen kann, werden sie in Zukunft noch riskanter agieren und im Wettbewerb die kleineren und mittleren Banken, die sich nicht der staatlichen Fürsorge sicher sein können, vielleicht vom Markt verdrängen. Sie haben damit eine Position, die sich ebenso wenig mit der Idee des Kapitalismus verträgt wie Monopole oder Kartelle – und genau so, wie gegen Kartelle und Monopole vorgegangen wird (oder besser: vorgegangen werden sollte) muss eine Lösung für den Bankensektor gefunden werden, die es möglich macht, das große Banken pleite gehen können, ohne die gesamte Wirtschaft in den Abgrund zu reißen. Die Rettung des Finanzmarktes in der aktuellen Krise muss der Anlass sein, den Finanzmarkt in dieser Richtung zu ordnen – sonst wird er dauerhaft nicht funktionieren.

Opel und Karstadt

Von Opel und Karstadt hängt das funktionieren unserer Wirtschaft indes nicht ab: Opel hat seinen Marktanteil in den vergangenen Jahrzehnten halbiert und auch Karstadt ist seit langer Zeit in der Dauerkrise.Für Karstadt kommen, auch wenn das Unternehmen jetzt gerettet werden sollte, die harten Zeiten erst noch – dann, wenn die Kris eden Einzelhandel voll erwischt was mit den steigenden Arbeitslosenzahlen bald der Fall sein wird. 

Beide Unternehmen wurden schlecht geführt. Opel hat seinen einstmals guten Ruf mit jahrelangen Qualitätsmängeln ruiniert und Karstadt ist es nicht gelungen, sich auf die Veränderungen im Einzelhandel einzustellen – im Gegensatz zu Kaufhof.
Der Staat sollte also sehr genau schauen, ob er diesen Unternehmen mit unserem Geld hilft – ihre Probleme haben mit der Wirtschaftskrise nicht viel zu tun, sind nicht in absehbarerer Zeit vorbei sondern strukturell. Anders ist das beispielsweise bei Mittelständlern, die keinen Kredit mehr bekommen, weil die Banken in der Krise ihre Kreditbedingungen verschärft haben – hier sollte der Staat eingreifen und bürgen, denn diese Unternehmen sind oftmals gesund und Opfer der Krise. So dogmatisch sie sterben zu lassen, sollte niemand sein. Opel und Karstadt hingegen sind keine Opfer – die Unternehmen haben als Unternehmen versagt (Wobei Opel ja noch nicht einmal ein richtiges Unternehmen ist, sondern nur ein Teil von General Motors – und die US-Autoindustrie ist schon seit Jahrzehnten in einer Dauerkrise. Zudem gibt es weltweit große Überkapazitäten im Automobilbau.) Normal, dass die schwächeren Anbieter in Zeiten eines Nachfragerückgangs als erste einknicken.
Für gute Karstadtlagen werden sich ebenso Interessenten finden wie für die attraktiven Teile Opels. Und diese Interessenten werden Geld für diese Unternehmensteile zahlen und zumindest einen Teil der Jobs erhalten. Und wer weiß: Vielleicht ist die Automobilindustrie ja gar keine Zukunftsbranche mehr, die unbedingt erhalten bleiben muss. Vielleicht steht sie ja vor gewaltigen Umbrüchen und Opel ist erst der Anfang – und gegen solche Umbrüche kann sich ohnehin kein Staat stemmen.
Auf keinen Fall sollte sich die Bundesrepublik erpressen lassen – weder von Arcandor noch von Magna oder Fiat. Eine Insolvenz ist immer noch besser als Milliarden Steuereuros zu versenken.

Was tun?
Der Staat kann mit unserem Geld eine Wette auf die Zukunft abschließen: Vielleicht zahlen ja Magna, Arcandor oder Fiat die Kredite zurück, die der Staat vergeben und verbürgen soll – dann ist alles glatt gegangen. Vielleicht zahlen sie ihre Schulden aber auch nicht zurück – dann bleiben wir auf den Schulden sitzen und das Geld fehlt. Mit dem kann man aber eine Menge gute Sachen machen – und viele sind für die Zukunftsfähigkeit unseres Landes wesentlich wichtiger als Karstadt und Opel (Oder gar den Erhalt des Schickedanz-Vermögens, für dessen Erhalt Frau Schickedanz, die größte Arcandor  Aktionärin, nicht gerade viel geleistet hat. Wieso verkauft Arcandor nicht andere Unternehmensteile um Karstadt zu retten, wenn es denn eine Chance hat? Eben!): Zum einen muss deutlich mehr Geld in Schule und Wissenschaft investiert werden. Zu viele Jugendliche verlassen ohne Schulabschluss die Schulen, die Betreuung muss ebenso ausgebaut wie der bauliche Zustand vieler Schulen verbessert werden. Die Qualität der Universitäten muss verbessert werden und das am besten ohne Studiengebühren. Deutschland hat im internationalen Vergleich wenige Studenten – und auch die Wissenschaftsleistung der Universitäten kann noch gesteigert werden. Dort werden die Technologien entwickelt, die unseren Wohlstand künftig sichern müssen – nicht am Grabbeltsich von Karstadt.
Und wenn der Staat dann noch meint, dass er Unternehmen direkt Geld zukommen lassen sollte,kann er ja Unternehmensgründern bei den ersten Schritten helfen, und nicht alten Unternehmen, die ihre besten Zeiten hinter sich haben.

Ruhrpilot

Das Navigationssystem für das Ruhrgebiet

Diskussion: Auf dem Weg zur Metropole…Der Westen

Phoenixsee: Dortmund in Seenot…Der Westen

Opel: Streit über Opel-Rettung…Spiegel

Schützen: Land will Schießstände erfassen…Ruhr Nachrichten

Ruhr2010: Kurzfassung des Imagefilms…Der Westen

Rock: Ärger um Juso-CD…Gelsenkirchen Blog

NRW: Grüne und SPD erwägen Koalition mit der Linkspartei…Welt

Sozialticket: Dortmund lässt auslaufen…Pottblog

Arcandor: CDU lehnt Bürgschaft ab…Focus

Krise: Dr. Seltsam zündet Atombombe…Spiegel