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Blaue Hoffung in Herten

Foto: Metropole Ruhr

Seit Jahren wird in Herten an einem Blauen Turm experimentiert. Damit soll aus Biomasse Wasserstoff für die Energieerzeugung gewonnen werden. Das Pilotprojekt hat nicht geklappt, jetzt will die Firma Solar Millennium die Großversion starten. Doch noch immer gibt es Zweifel, ob die Nummer laufen kann. Unser Gastbaron Ralf Köpke berichtet:

Der Lärm von der nahen Bundesautobahn A2 bricht nicht ab. Kaum ein Fahrer, der Richtung Hannover unterwegs ist, dürfte bei dem prasselnden Dauerregen an diesem Märztag kurz vor dem Autobahnkreuz Recklinghausen in Höhe des Stadtgebietes Herten einen Blick nach rechts werfen. Unübersehbar steht da ein Monument einer fast untergegangenen Industrieepoche: Der wuchtige Doppelbock-Förderturm von Schacht 7 auf Zeche Ewald, auf der Ende April 2000 der letzte Deckel fiel.

Spätestens Anfang kommenden Jahres wird die A2 an dieser Stelle um eine Attraktion reicher sein, besonders zu Nachtstunden. Ein neuartiges Biomassekraftwerk wird die Blicke dank einer blau schimmernden Hülle um das Stahlgerüst und reichlich Illuminierung im Inneren auf sich ziehen. Der Markenname steht damit fest: Blauer Turm. Mit 42 m Höhe überragt die Anlage den historischen Förderturm.

Moderne schlägt Tradition. So klingt es auch bei Christa Thoben. „Der Blaue Turm ist ein zukunftsweisendes Projekt, das beweist, dass die Region Ruhrgebiet wieder aufbricht“, sagte die Düsseldorfer Wirtschaftsministerin bei der Grundsteinlegung Anfang März.

Aufbricht in eine neue Energiezukunft, muss der fehlende Halbsatz noch lauten; denn der Blaue Turm kann dank eines mehrstufigen Verfahrens nicht nur Strom, sondern auch Wasserstoff produzieren. Grünen Wasserstoff, da die Einsatzstoffe wie Straßenbegleitgrün und Kleinholz aus der Forstwirtschaft regenerativen Ursprungs sind. Die Demonstrationsanlage bezuschusst Thoben, von der jeder auf dem politischen Parkett in Düsseldorf weiß, dass sie ein Faible für Wärmepumpen, Brennstoffzellen und Wasserstoff hat, mit immerhin 7,1 Mio. Euro. Weitere 17,5 Mio. Euro kommen aus dem Frankenland vom Investor Solar Millennium AG.

Thobens prosaische Worte machen gerade in Herten Sinn: Noch in den achtziger Jahren förderten gleich drei Pütts in der Stadt täglich 36 000 t Steinkohle und gaben 23 000 Kumpel Arbeit. Gestern war Herten Europas größte Bergbaustadt, morgen will die Revierkommune so etwas wie die Welt-Wasserstoffhauptstadt sein. „Wir wollen das Silicon Valley der Brennstoffzellen- und Wasserstofftechnologie werden“, formulierte Hertens Stadtbaurat Volker Lindner die ehrgeizigen Ziele bei der Gründung des „h2- Netzwerk Ruhr“. Herten verspricht sich ein neues Image und längerfristig auch neue Arbeitsplätze.

Strukturwandel heißt so etwas im Ruhrgebiet. Deshalb erhielt Anfang der Dekade ein Trio um Heinz-Jürgen Mühlen, der damals für die Bergbauforschung des RAG-Konzerns arbeitete, erste Fördergelder des Landes für eine Miniaturausgabe des Blauen Turmes mit 1 MW Feuerungswärmeleistung.

Nicht nur die erste Wasserstoffproduktion, sondern auch die Ankündigung, dass der Blaue Turm neben Grünschnitt auch Biomüll, Tiermehl oder Altöle zu Strom und sauberer Energie umwandeln könne, ließen den Informationsdienst Ruhr Anfang 2002 vom „Verkaufsschlager aus dem Ruhrgebiet“ schwärmen. Diese Option eines „Alles-Müllschluckers“ rief damals nicht nur die Aktivisten der Initiative „pro herten“ sondern auch Umweltschützer auf den Plan. In der ehemaligen Bergbaustadt laufen auch die Hausmüllöfen der Abfallgesellschaft Ruhrgebiet. „Wir wollten in Herten keine zweite Verbrennungsanlage in der Stadt haben, zumal die Anlagentechnik uns nie überzeugt hat“, erzählt Joachim Jürgens vom „pro herten“-blog. Dass die Bezirksregierung Münster den Anlagenbetreibern nur Straßenbegleitgrün als Brennstoff genehmigte, konnten die Aktivisten als ihren größten Erfolg verbuchen.

Das Kapitel Blauer Turm schien erledigt zu sein. Von einem Verkaufsschlager sprach niemand mehr in Herten, dem Erfinder-Trio war zudem das Geld ausgegangen; auch hatte es Streit untereinander gegeben. Im vergangenen Frühjahr übernahm die Solar Millennium AG mehrheitlich das Projekt, was auch die Fachwelt überraschte. Der Name des Erlanger Unternehmens steht für große Parabolrinnenkraftwerke, von denen das erste Ende 2008 in der spanischen Provinz Granada ans Netz gegangen ist. Rund 2 000 MW an Projekten für solarthermische Kraftwerke hat Solar Millennium nach eigenen Angaben in der Pipeline.

Mit dem Einstieg in den Blauen Turm erschließen sich die Franken nicht nur ein neues Geschäftsfeld, mit dem sich über Lizenzen oder im Eigenbetrieb Geld verdienen lässt. Dank der verschiedenen Boni im Erneuerbare- Energien-Gesetz wird jede Kilowattstunde aus einer Blauen-Turm-Anlage hierzulande mit annähernd 15 Cent vergütet. Der eigentliche Kick für Technologievorstand Henner Gladen ist die Kombination beider Anlagentechniken, die das Unternehmen für künftige Standorte plant: „Durch das Zusammenspiel mit dem im Blauen Turm erzeugten Gas können wir die Betriebsstunden unserer solarthermischen Kraftwerke bis in die Nachtstunden ausweiten, also auch dann Strom produzieren, wenn die Sonne nicht scheint.“

Herten ist für Solar Millennium der Probelauf, der zeigen soll, dass die Technik in dem Demonstrationskraftwerk ausgereift ist. Von solchen Hybrid- Kraftwerken, also Parabolrinnen plus Blauer Turm, soll es viele angedachte Projekte im Sonnengürtel geben. „In diesen Regionen kann die Biomasse weitestgehend aus Olivenkernen oder Apfelsinenschalen bestehen“, sagt Gladen. Für ihn ist es keine Frage, dass die Technik beim vergrößerten Blauen Turm mit 13 MW Leistung mitspielt: „Wir sind von der Technologie des Blauen Turmes voll überzeugt, sonst hätten wir nicht das Geld unserer Aktionäre investiert.“

Dass die Franken die Feuerungswärmeleistung in einem Schritt um den Faktor 13 erhöhen wollen, stößt dagegen bei Thomas Sonntag-Rösing auf Unverständnis: „Dieses Upscaling erscheint mir zu groß und zu risikoreich zu sein, da die bekannten Probleme nicht ausgeräumt sein können.“ Der promovierte Chemiker gehörte zu dem Erfinder-Trio und weiß, wovon er beim Blauen Turm redet. Seine Erfahrungen bringt er so auf den Punkt: „Die Anlage lief eher schlecht als recht, aber immerhin konnte das grundsätzliche Funktionsprinzip getestet und bestätigt werden. Zeit und Geld für weitere Optimierungen waren nicht da.“

Ungelöste Probleme sieht Sonntag- Rösing vor allem beim „Wärmeträgerkreislauf“, dem eigentlichen Herzstück der Anlage. Zum Hintergrund: Um die Biomasse zu zersetzen und das wichtige Produktgas zu gewinnen, sind während der verschiedene Prozessstufen Temperaturen bis zu 950 °C notwendig. Die benötigte Wärme liefern zuvor erhitzte zigtausende Keramikkügelchen mit vielleicht einem Zentimeter Durchmesser, deren Gesamtgewicht bei etlichen Tonnen liegt. „Diese Kugeln sind nicht gleichmäßig geformt. Bei ihrem Weg durch den Turm reiben sie aneinander, wobei unweigerlich Staub entsteht“, erklärt Sonntag-Rösing.

Die Entwicklung dieses Staubes, der immer wieder die Funktion wichtiger Anlagenbauteile beeinträchtigte und damit die Gesamtanlage blockierte, hätten die Entwickler damals nicht richtig in den Griff bekommen. Vor allem deshalb sei die Pilotanlage nur 3,8 Prozent der möglichen Betriebsstunden gelaufen. Dass die Reinigung des erzeugten Produktgases in der Pilotanlage auch nie erprobt worden sei, könnte nach Worten des Mitentwicklers zu einem weiteren Problem werden.

Abhaken will Sonntag-Rösing die Biomassevergasung in dem Blauen Turm nicht per se: „Ich glaube nach wie vor, dass das Verfahrensprinzip des Blauen Turmes eine gute Lösung bietet, einzelne ausgewählte Biomassen zu verwerten. Die technische Umsetzung allerdings ist sehr anspruchsvoll und derzeit noch nicht in allen Bereichen für einen Dauerbetrieb gelöst.“ Seine Warnung lautet deshalb: „In Herten besteht die Gefahr, viel Geld zu versenken. Erfolg und Misserfolg können schnell sehr nah beieinander liegen.“

Auch sein früherer Mitstreiter Christoph Schmid, der ebenfalls zum Gründungs-Trio zählte, bricht nicht den Stab über das Anlagenprinzip: „Es ist wichtig, mit dem Verfahren weiterzumachen, dessen Konzept grundsätzlich eine gute Sache ist.“ Dass der Wärmeträgerumlauf in der Tat „einige Risiken“ birgt, ist auch für Schmid eine Schwachstelle: „Es gibt ein Restrisiko für die Investoren – aber wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Das Verfahren hat ganz klar Potenzial und braucht einen Investor mit breiten Schultern.“

Wie breit die Schultern von Solar Millennium sind, wird sich in den kommenden Monaten zeigen. Gladens Vorstandskollege Thomas Meyer sieht den Blauen Turm jedenfalls „schon seinen Siegeszug von Herten“ aus antreten. Für „pro herten“-Sprecher Jürgens sind dagegen die „grundsätzlichen Bedenken an der Funktionsfähigkeit der Anlage nicht ausgeräumt“, weshalb er von „rausgeworfenen Steuergeldern“ spricht.

Ein Flop des Blauen Turms wäre jedenfalls für die Landesregierung und für Herten peinlich. Im Mai 2010 findet die Welt-Wasserstoffkonferenz im nahen Essen statt. Im Rahmenprogramm ist ein Abstecher nach Herten fest eingeplant.

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