Tocotronic, Donnerstag, 4. März, 20.00 Uhr, E-Werk, Köln
Ruhrpilot – Das Navigationssystem für das Ruhrgebiet
NRW: Rüttgers sucht die Flucht nach vorn…Handelsblatt
NRW II: Entsetzen bei der SPD über FDP Gespräche…Kölner Stadtanzeiger
NRW III: CDU stellt Strafanzeige wegen E-Mails…FAZ
NRW IV: Gefahren aus dem Untergrund…Zoom
Pop: Festland…2010lab
Dortmund: Und nochmal 70 Millionen weniger…Der Westen
Ruhrgebiet: Polen prägten das Revier…Zeit
Duisburg: Kultur-Kürzungen abgeschmettert…Der Westen
Medien: Deutsches Presserecht für den Rest der Welt…Law Blog
Essen: Theater muss sparen…Der Westen
Ruhr2010: Unternehmen spenden Bochum Webseite…Pottblog
SPD: GK Netzpolitik…Netzpolitik
SPD II: Interview mit Medienkommission…Pottblog
NRW V: Merkels Informant…taz
Collection Tours: Termine…Hometown Glory
FDP: Abmahnerin Liesmann ausgetreten…Gelsenkirchen Blog
Die Linke: Der Terminkalender zur Macht ist fertig
Sollte die neoliberale Weltverschwörung am 9. Mai bei den Lanstagswahlen in NRW eine Schlappe erleiden und der Sieg des Proletariats in greifbare Nähe rücken, ist die Linkspartei gut vorbereitet: Sie hat den Terminkalender zur Macht längst fertig.
Noch ist die Linkspartei in NRW nicht im Landtag und auch der Sprung über die 5-Prozent Hürde könnte noch misslingen. Aber über solche Szenarien mag man in der Parteizentrale in Düsseldorf und dem Wahlkampfhauptquartier in Bochum offensichtlich nicht nachdenken. Hier plant man für den Sieg des Proletariats, für den Griff der Ausgebeuteten und Geschundenen dieser Welt nach der Macht.
Für den Fall, dass es nach der Wahl zu einer Koalition der Linkspartei mit SPD und Grünen kommen könnte, steht der Fahrplan der Linken fest: Zwischen dem 25. und 29. Mai soll auf Regionalkonferenzen über die Ergebnisse der Gespräche mit Grünen und SPD diskutiert werden. Die Termine sind im Linkskalender bescheiden mit ggf. (gegebenenfalls) gekennzeichnet. Und am 30. Mai könnte dann auf einem Sonderparteitag die Entscheidung über die Gründung der Volksrepublik Nordrhein-Westfalen fallen. Oder einfach nur über die Verteilung von einem ganzen Haufen Staatsknete. Sollte alles etwas komplizierter werden, sind weitere Sonderparteitage für den 27. Juni und den 4. Juli eingeplant.
Also, all ihr Bonzen da draußen, ihr Freunde von Kirche und Kapital, ihr Büttel des Klassenfeindes: Spätestens am 5. Juli ist die neoliberale Ausbeuterparty vorbei. Gegebenenfalls.
Zum Tod von Hanns-Ludwig Brauser
Der Tod von Hanns-Ludwig Brauser hat uns bei den Ruhrbaronen geschockt. Wir haben ihn kennengelernt als engagierten Mann im Ruhrgebiet, jemanden, dem die Region am Herzen lag. Nicht immer waren wir einer Meinung, oft haben wir uns gestritten, auch heftig. Aber es ging um die Sache. Und da war es schön, mit Hanns-Ludwig Brauser jemanden zu haben, mit dem man sich engagiert über die vielen Themen des Ruhrgebietes streiten konnte.
Er gehörte zu den Menschen, die das Ruhrgebiet in den vergangenen Jahren geprägt haben: Hanns-Ludwig Brauser, der Chef der Wirtschaftsförderung Metropole Ruhr, ist gestern nach kurzer und schwerer Krankheit im Alter von 62 Jahren gestorben. An die Metropole glaubte Brauser selbst nicht. So ein PR-Sprech war nicht seine Sache. Brauser wollte die realen Stärken des Ruhrgebiets betonen, um so Investoren für die Region zu interessieren: Logistik, Werkstoffentwicklung, Chemie. Er konnte einem stundenlang anhand von Untersuchungen und Tabellen erklären, warum genau diese Bereiche wichtig sind. Über die Metropolenträumereien machte er sich lustig: „Wer von Metropole Ruhr redet, hängt alten Ideen nach.“
Brauser hatte einen schweren Stand, als er von Düsseldorf in das Ruhrgebiet kam, um die Projekt Ruhr GmbH zu führen. Sie war kaum mehr als der verlängerte Arm der Landesregierung, geschaffen von Clement, um den letzten Rest an Selbstverwaltung im Ruhrgebiet zu zerschlagen: den Kommunalverband Ruhrgebiet. In dieser Zeit wurde Brauser immer wieder – und oft auch zu Recht – kritisiert. Aber schon damals setzte er Zeichen: Hanns-Ludwig Brauser hat bereits in den 90ern Themen wie die Bildungsarmut im Ruhrgebiet nach vorne gespielt und gleichzeitig für Lösungsansätze geworben. Es ist unter anderem ihm zu verdanken, dass die Migranten als eigenes Thema in der Wirtschaftsförderung erkannt wurden. Er hat mit den Boden bereitet, dass heute türkische Unternehmer gefördert und nicht behindert werden.
Als der Vater von vier Kindern im Jahr 2007 Chef der Ruhrgebiets-Wirtschaftsförderung wurde, war schnell klar, dass dies der Job war, der perfekt zu ihm passte. Hier war er unabhängiger, konnte selbst den Kurs bestimmen. Klar, er musste mit den Städten und lokalen Wirtschaftsförderern kooperieren, aber das konnte er hervorragend: Hanns-Ludwig Brauser war gut vernetzt, kannte noch den unwichtigsten Geschäftsführer irgendeiner Ratsfraktion in irgendeinem Kaff persönlich. Und wenn er wollte, konnte er sie mit der Kraft seiner Argumente und seiner Beharrlichkeit von seinen Ideen überzeugen und auf Linie bringen.
Hanns-Ludwig Brauser hat immer für das Ruhrgebiet geworben. Er hat es nicht aufgegeben, wie so viele andere. Er hat die Probleme der Städte erkannt, er hat die Lösung in einem Mehr an Zusammenarbeit gesehen. Er wollte ein starkes Ruhrgebiet. Und er legte sich immer wieder mit den zaghaften Kommunalpolitikern an: Er ließ Studien anfertigen, in denen die Probleme des Ruhrgebiets offen gelegt wurden. Im Verkehrsbereich zum Beispiel. Und bei aller Geduld konnte er auch ungeduldig sein: „Wenn es in zehn Jahren nicht weniger Nahverkehrsgesellschaften als heute gibt, haben wir etwas falsch gemacht,“ sagte er damals.
Wir bei den Ruhrbaronen hätten uns oft ein schnelleres Vorgehen gewünscht, während Hanns-Ludwig Brauser für den Konsens und damit für den kleinsten gemeinsamen Nenner warb. Aber, und das ist wichtig: vielleicht war Hanns-Ludwig Brauser einfach der größere Realist, der bessere Politiker, der Mann, der das Machbare auch schaffte, während wir Utopien forderten. Wir werden Hanns-Ludwig Brauser als streitbaren Mann für das Ruhrgebiet vermissen.
Unser tief empfundenes Beileid gilt seiner Familie
Stefan Laurin, David Schraven
Stimmen zu Hanns-Ludwig Brausers Tod…Link
3 FÜR 7 – (Sexy) Essen-Special
Houellebecq ist doof bzw. ein übler Selbstdarsteller. Man kann es nämlich alles auch kürzer und einfacher sagen. Z.B.: Natürlich glauben die Leute nicht nur was ihnen passt, sondern sie glauben auch Leuten gern, die sie z.B. ganz stumpf sexy finden (wollen). Daher all die schicken Moderations-Nichtpersonen bei TV & Co., aber das gilt selbstredend auch für die Trendpostillen, Blogs, etc. – bei denen zur Newsproduktion auch immer ein gehöriges Maß an Sich-selbst-Produzieren dazugehört. Deshalb stolziert auch jede Wasserstandsmeldung neuerdings daher, als wolle sie als letztes aus einem Container raus oder sonst einen Contest gewinnen. Wie blasiert! Themen: Tanz, Jingo de Lunch, eine Kunstakademie.
Die sublimierte Erotik des Tanzes: Das ist ja immer ein wenig heikel. Wo früher Söhne und Töchter aus nicht unreichem Hause zum Erbauen älterer Mitglieder der Gemeinde ein adrettes Ballett auf die Bühne brachten, sind mittlerweile ein wenig mehr Autoerotik und Verkopftheit eingezogen. Die Beziehung zwischen Dramaturgen bzw. Lehrern und Tänzern ist weniger offen autoritär, dafür müssen die Zuschauer nun auch verstärkt im Grunde Untanzbares getanzt sehen – fast wie ja denn nach Auschwitz doch eben genau mehr denn je Gedichte und Lieder geschrieben werden als je zuvor. Wilde Zusammenhänge hier: Massenmord, Erotik, 68er! Na, macht das an? Jedenfalls ist am Freitag Großtanztag in Essen: Im Rahmen der Biennale Tanzausbildung und darüber hinaus Mary Wigman und Gerhard Bohner bei PACT Zollverein.
Der derbe Charme von Kreuzberg-Rockern: Uh, yeah!!! Ausgezogen aus der Klein- oder Großstadt dahin, wo mitten in Deutschland total selbstbestimmtes Leben erkämpft werden soll – wie romantisch! Und dazu gehört dann auch „auf die Fresse“, „zünd an“ und „Rock!“, na klar! Oder gleich da geboren sein, wo Traditionen, wenn auch nicht sehr alte, so hoch gehandelt werden wie sonst nur in bayerischen Dörfern. Süßes, schmutziges, muskelbepacktes Alternativ-Berlin: hat was (für manche). Pomade und Tattoos, Jeans und Leder, Gitarre und Rumspucken sind da natürlich nur ein ähem Ausfluss des Ganzen, und natürlich finden sich in benachbarten Arealen leicht andere Appeals. Aber bei Jingo de Lunch (übersetzt: Typ aus Essen; Foto: Promo) in der Zeche Carl wird doch wohl deutlich, worum es geht: Rock’n’Roll wird erst dann sterben, wenn New York und Berlin endlich dicht gemacht sind. Bis dahin also schnell noch solche Konzerte gucken! (Interview mit der Support-Band Die Zelten! hier.)
Selbstverwirklichung an der Akademie: Ja, hurra! Freie Künste sind etwas Feines, sozusagen der Ursprung der modernen Ich-AG-Produktion: Es wird an sich und am eigenen Stil und schließlich der Verwertbarkeit von Image und Schöpfung gearbeitet, bis entweder davon gelebt werden kann – oder über andere geschrieben werden muss. Das ist natürlich bei allen äh Wissenschaften so, bei Bildender Kunst gibt es jenseits des Herbeizitierzwangs irgendwelcher „Vorbilder“ und „Inspirationen“ aber kaum irgendwelche Hemmnisse, einfach ganz in Leben und Werk aufzugehen. Zum Glück sind manche Künstler/innen sozusagen schizophrenie-fähig, sonst gäbe es nur noch Fulltime-Künstler auf der Welt, ganz Image, ganz unerschütterlich – und wenn was passiert da draußen: Schnell in Kunst und Aufmerksamkeit für eineN selbst umwandeln! Ts. Was war? Ach ja: Der Rundgang 2010 bei der Freien Akademie der bildenden Künste. Für Leute, die sich ganz zwanglos für die Kunst anderer Leute interessieren.
Nächste Woche: Was das alles mit dem sogenannten Kapitalismus zu tun hat und welche Formen von Währungen es sonst noch so geben könnte. (Mal sehen.)
Tanz am Freitag.
Jingo de Lunch am Donnerstag.
Rundgang bei der FAdbK ab Freitag.
Gedanken zur Philharmonie Essen und einem Kulturbeutel
Die Philharmonie in Essen ist eines der Vorzeigeprojekte im Ruhrgebiet, der Kulturhauptstadt Europas. Hochgelobt und hochgepriesen. Doch irgendwie ist es ruhig geworden um die „gute Stube“ Essens, seit Intendant Michael Kaufmann vor gut anderthalb Jahren rausgeworfen wurde. Warum?
Ich habe mir am Wochenende das Programm der Philharmonie angesehen. Das lag der WAZ bei. In dem Programm waren so ziemlich genau 20 Veranstaltungen in der Philharmonie. Grob überschlagen wird der Bau für diese Veranstaltungen 60 Stunden im Monat genutzt. An nur 15 Tagen wird die Philharmonie im März bespielt. Das bedeutet: jeden zweiten Tag passiert da gar nichts, außer dass die Bürger Essens für den Unterhalt zahlen. Weil geheizt werden muss ja. Ein schöner Saal, der zu oft leer steht.
Im Programm in der WAZ war das aber schön wegfrisiert. Die 15 Spieltage liegen ja nicht gleichmäßig verteilt über den Monat. Sondern die Veranstaltungen knubbeln sich an den Wochenenden. Damit dass dann nicht so aussieht, als passiert in der Philharmonie gar nichts, wurden beispielsweise in eine Wochenlücke ein bunter Platzhalter gesetzt. Dort stand dann, wie man Karten bei der Philharmonie kauft und so was. Schön groß und farblich und auffällig. Anderswo stand in einem Kästchen, was wie ein Programmpunkt, dass ein Konzert mit Barbara Sukowa ausfällt, für das im Internet noch geworben wird.
Und wenn man noch genauer hinschaut, sieht man, dass der Philharmonie Saal sogar nur vielleicht 14 mal für Philharmonische Konzerte benutzt wird. Die anderen sechs Veranstaltungen finden in einem kleineren Nebensaal statt oder es sind Führungen durchs Gebäude oder Events des Jugendamtes oder so Sachen wie der „Boogie Woogie Congress“
Kaufmann wurde damals geschasst, weil er seinen Etat angeblich überzogen hatte. Mir kam es so vor, als habe er dafür zumindest das Haus bespielt. Vielleicht hält heute sein Nachfolger den Etat ein. Dafür setzt aber eine Abwärtsspirale ein. Es wird weniger und weniger und das noch schlechter gemacht.
Damit ist das Haus kaum noch in der Lage, Geld über den Eintritt zu verdienen, um selbst die eigenen Kosten zu tragen. Das bedeutet, noch weniger Veranstaltungen und noch weniger Verdienst-Möglichkeiten können geschaffen werden. Wenn aber zu oft der Boogie Woogie Congress stattfindet, wird der Ruf des Hauses beschädigt, es kommen weitere billige Events – dafür aber irgendwann Anna Sophia Mutter nicht mehr. Ein Teufelskreis, den die Stadt Essen nur mit viel Geld durchbrechen kann, das sie aber offensichtlich nicht hat.
Mir graut vor dieser Lage. Zunächst wird das Problem zugekleistert, bis das Kulturhauptstadt-Jahr um ist. Die Philharmonie gilt immer noch als einer der wenigen Erfolge von Wolfgang Reiniger (CDU) und dessen immer noch amtierenden Stadtdirektor Christian Hülsmann (CDU). Und als einer der wichtigen Säulen der Hochkultur im Pott.
Nach dem Jahr aber geht es bergab mit der Philharmonie. Sie droht, kaputt gespart zu werden. Gott sei Dank wurde zumindest der Bau des nächsten Konzerthauses in Bochum bis auf weiteres abgeblasen. Das wäre die nächste Hochkulturruine geworden.
Ich kann heute die Leute gut verstehen, die sich gegen den Kaufmann-Rauswurf gewehrt haben. Ohne einen renommierten Spitzenmann kann eine Philharmonie schnell zur Halle für billige Volksbespaßung verkommen. Am Wochenende habe ich mit einem Kumpel drüber gesprochen. Der sagte den schönen Satz: „Die wollen Kulturhauptstadt machen, können aber gerade mal Kulturbeutel.“
Das Foto stammt von der Seite ruhr2010-tickets.de
Rondoprinz
Rondoprinz, Mittwoch, 3. März, 20.00 Uhr, Intershop, Bochum
Ruhrpilot – Das Navigationssystem für das Ruhrgebiet
Ruhr2010: Kulturhauptstadt lebt in Dortmund von Sponsoren…Der Westen
NRW: SPD trifft Linkspartei…Kölnische Rundschau
Kneipen: Zu viel Bürokratie in Essen…Der Westen
Twitter: Kurze Ansage…Blogbar
Hamas: Aus niedrigen Beweggründen…xtranews
StreetView: Interview mit Google…Pottblog
Dortmund: Pohlammn will Hochkultur fördern…Ruhr Nachrichten
Dortmund II: Streit um FZW…Ruhr Nachrichten
Medien: Mendener Zeitung macht dicht…Medienmoral NRW
Wirtschaft: Kommunen schlagen Private…Zoom
RuhrStadt: Photowettbewerb startet…Ruhr Digital
2010, Odyssee im Stadtraum
Sechs Uraufführungen, 14 Stunden Schauspiel, 77 Schauspieler – im Ruhrgebiet wurde am Wochenende ein Theatermarathon gegeben. Doch die „Odyssee Europa“ ist weniger Extremsport für Theaterjunkies als ein fröhlicher Ausnahmezustand.
Ein Glas Wein auf der Premierenfeier, „dann schlaf‘ ich wohl ein“. Ulrike Seybold vom Organisationsteam der „Odyssee Europa“ ist erschöpft. Gerade hat sie die aus dem Bochumer Schauspielhaus strömenden Theaterbesucher mit einem Megaphon angetrieben. Seit Wochen arbeiten die Organisatoren an den Abläufen des Wochenendes: „Die Mitreisenden begeben sich bitte in die bereit stehenden Busse“, scheppert es über den Theatervorplatz – auf zur nächsten Etappe, einer Schifffahrt mit Abendessen auf dem Rhein-Herne-Kanal Richtung Westen. Am Ende des ersten Tages bringt das Theater Oberhausen noch Uraufführung Nummer Drei.
Ein Theatermarathon hat eigene Gesetze. Selbst Feiern wird zur logistischen Herausforderung. Die Polen, meint Anselm Weber der scheidende Intendant des Essener Grillo-Theaters auf dem Deck des Ausflugsschiffs, „die Polen haben schon um Sieben angefangen, da wird es nachher schwer reinzukommen.“ Gerade spiegeln sich die Lichter von Hafenanlagen im Fahrwasser des Rhein-Herne-Kanals, der Mond scheint über dem Südufer, Wanne-Eickel ist nicht weit. Die Idylle auf einem Fahrgastschiff „das älter ist als die Titanic“, wie der Kapitän stolz verkündet.
Noch betagter ist der Stoff, dem sich diese Theaterreise widmet: Die Odyssee von Homer, die älteste Reiseliteratur des abendländischen Kulturraums. Odysseus, ein Sieger von Troja, findet nicht zurück nach Ithaka zu Frau, zu Hof und Sohn. Der Gott Poseidon wütet gegen ihn, der Held muss über stürmische Meere, mit einer Zauberin leben. Beschützt von der Göttin Athene, bereist er sogar die Unterwelt, um seinen Weg zurück zu finden.
Für die sechs europäischen Schriftsteller, die sich im Auftrag der Ruhr 2010 dieses Stoffes angenommen haben, ist die Heimkehr Odysseus‘ einer der Ausgangspunkte. Nach zwanzig Jahren strandet Odysseus an der Küste Ithakas. Doch seine Gemahlin Penelope erkennt ihn kaum wieder, nassauernde Freier haben sich am Hof eingenistet und ihr erwachsener Sohn Telemachos. Odysseus tötet Penelopes Verehrer und alle Helfershelfer. Doch wie die Geschichte weiter geht, verliert sich in Mythen.
Am Essener Grillo-Theater hat der polnische Autor und Regisseur Grzegorz Jarzyna einen blassen Mann stranden lassen, der sein Gottvertrauen verloren hat. Einsam beginnt er ein stummes Gebet, bevor er in die Schlacht gegen die Freier zieht, den Tod findet er aber durch die Hand seines aufmüpfigen Sohnes. Um diese Rückkehr geht es auch im Finale, der am lautesten bejubelten Inszenierung am Sonntag Abend in Dortmund. Nun liegt Schnee auf Ithaka. Die Freier nennen sich „Reformer“, sie haben Stauseen, Industrien, Schlachthöfe geschaffen, sie begnügen sich nicht mehr mit Odysseus‘ Weinkeller. In großem Stil beuten sie Ithaka aus, bis sie von Odysseus erschlagen werden. Müde hält er hernach seinen Sohn in den Armen – hält er ihn zu fest? „Odysseus, Verbrecher“ nennt der österreichische Autor Christoph Ransmayr seine Version der Odyssee, tapfer und wortkarg hat der Dramatiker die Theaterfahrt durchs Ruhrgebiet mitgemacht.
Zum Beispiel Oberhausen: Hier belauern sich vier Freier in Badehosen in einem leeren Pool. Bange warten sie auf Odysseus Heimkehr, ringen immer verzweifelter um Penelopes Gunst, die den mörderischen Wettkampf der Nebenbuhler wie die Spielleiterin einer Fernsehshow beobachtet. Als eine abschreckende Idee, mit der sich Penelope die Männer vom Leib hält, ist der Odysseus des irischen Autoren Enda Walsh übrigens der mächtigste dieses Wochenendes.
Nach einer kurzen Nacht steht Oliver Scheytt mit den anderen Reisenden im Foyer des Theaters an der Ruhr in Mülheim und wirkt schon sehr zufrieden mit dem Theater-Happening: „Wir sind bei den Leuten angekommen mit den Geschichten, der Idee, diesem Wochenende“, sagt der Geschäftsführer der Ruhr 2010 zur Halbzeit. Zu anstrengend sei das nicht, findet der Kulturpolitiker, oft bleibe noch Zeit für einen Kaffee, „und die Reisen empfinde ich als angenehm“.
Die Agentur „Raumlabor“ aus Berlin hat das Umfeld der Aufführungen entwickelt, auch die Busfahrt von Mülheim nach Moers am Ruhrdeich entlang. Rechts strömt der Fluss zum Rhein, links die Autobahn, dazwischen die Kleingartenanlage „Ruhrperle“; spitzgiebelige Häuschen, Deutschlandfahnen und blaue Autobahnschilder. Später passiert die Reisegruppe die weißen Riesen von Hochheide, trostlose siebziger Jahre Wohnsilos im Schmuddelwetter. Das Orkantief bringt Regen, Hagel und Wind von der Nordsee.
Das Moerser Schlosstheater spielt in einer ehemaligen Tennishalle eine weibliche, türkische Odyssee der Autorin Emine Sevgi Özdamar. Eine Irrfahrt der jungen Perikizi die um Auswanderung kreist, um Ausbeutung, Anpassung und auch für die Zuschauer in einem befreienden Hochzeitsfest gipfelt, einem „Bad in der offenen See“. Tee wird dazu gereicht, Süßigkeiten und Kolonya – türkisch Kölnisch Wasser. Dann ein Paukenschlag: Der Moerser Intendant bittet die Besucher für die kleine Bühne zu unterschreiben. An der Westgrenze des Ruhrgebiets befürchtet man, die Kommune werde das Theater schließen.
Die Irrfahrt endet in Dortmund, ein riesiges Straßenbahndepot, eine Festtafel für dreihundert Gäste, türkische Musik, türkische Küche, lange Schlangen, ein Stimmensummen. Das Paar nebenan ist einfach nur „glücklich“, diese Reise mitgemacht zu haben. Sie kommen aus Essen, haben das Theaterhappening trotzdem mit Übernachtung gebucht. Die Gelegenheit, sechs so unterschiedliche Stücke so kompakt vorgeführt zu bekommen, habe sie begeistert – aber noch mehr die „neuen Kontakte mit anderen Zuschauern oder unseren Gastgebern in Moers“. Und dann müssen ihm alle am Tisch von ihren Erlebnissen berichten und welches der Stücke, am besten gefallen habe.
Natürlich ist dieser Reigen der Ruhrtheater auch ein Kräftemessen der Bühnen. Nicht nur die Autoren der Stücke, Vertreter der anderen Theater sind vor Ort, auch Prominente wie der Intendant des Berliner Ensembles. Mit Buhrufen reagierte Claus Peymann etwa auf den Hauptdarsteller an seiner alten Arbeitsstätte Bochum. Auf einer Guckkastenbühne hat Odysseus von seinem Abstecher in die Unterwelt berichtet – ein stark rauchender, fast leidenschaftsloser Held, der in dem Stück von Roland Schimmelpfennig auch als „Mann aus dem Lotto-Totto-Laden“ oder „Mann vom Sofortdienst“ geführt wird. Das Publikum hatte für das Spiel von Wolfgang Michael weit mehr übrig als Legende Peymann.
„Nein“, sie werde kein Ranking der Ruhrbühnen vornehmen, sagt eine Zuschauerin, Lehrerin aus Essen vor der letzten Aufführung: „Diese Art von Reise hat mich begeistert, diese Inszenierung mit uns“. Im Katalog der Odyssee stehe ja, dass es „um die Bühnenwerdung der Welt“ gehe. Ihre Theaterfreundin meint, sie habe selten mit so vielen Leuten gesprochen – komisch, dass es das nur bei einem solchen Happening gebe? War es das türkische Essen im Nordstadt-Depot, der frische Eindruck – diesen beiden gefiel die Auswanderer-Odyssee aus Moers besonders gut.
Nächste Termine: Sa/So 6./7. März 2010; Sa/So 13./14. März 2010; Fr/Sa 2./3. April 2010; Sa/So 22./23. Mai 2010
Hilf dem Hobo, kauf ne bodo!
Die neue bodo ist raus! Das ist die Stunde, Gutes zu tun. Seit 15 Jahren hilft das Straßenmagazin Menschen in schwierigen sozialen Lagen – helft mit, kauft es.
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„Das Straßenmagazin ist bunt, professioneller gestaltet, umfangreicher denn je. Der Verein bodo e.V. hat neue Arbeitsfelder erschlossen und beschäftigt neben den Verkäufern des Straßenmagazins fast 40 Menschen in den Buch- und Trödelbasaren in Bochum und Dortmund, im Onlinevertrieb von Büchern und bei Transporten und Umzugshilfen.“
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Kleiner Bonus im Heft: Die Wattenscheider Schule in gekürzter Fassung.
