
Die Kommunalwahl in Nordrhein-Westfalen ist der erste große Stimmungstest für die schwarz-rote Bundesregierung. CDU und SPD blicken aus guten Gründen mit Sorge auf das einwohnerreichste Bundesland.
Wenn am 14. September 13,7 Millionen Wahlberechtigte in Nordrhein-Westfalen in 396 Städten und Gemeinden sowie 31 Kreisen über die Zusammensetzung der Räte und Kreise abstimmen und Bürgermeister, Landräte und Oberbürgermeister wählen, wird das ganze Land gebannt auf die Ergebnisse blicken. Die Kommunalwahl ist nicht nur der erste große Stimmungstest für die schwarz-rote Bundesregierung, sondern zeigt auch, wo die Oppositionsparteien stehen. NRW ist so etwas wie die alte Bundesrepublik in klein. Das Land war immer ein Reallabor für den Rest der Republik: Hier gab es schon 1966 eine Koalition von SPD und FDP, im Bund folgte sie drei Jahre später. 1994 kam es in Gladbeck und Mülheim zu den ersten schwarz-grünen Bündnissen in Deutschland. Heute ist die Zusammenarbeit von CDU und Grünen in vielen Teilen des Landes Alltag. Von NRW aus startete Christian Lindner 2012 das Comeback der FDP, hier zerbrachen im selben Jahr für lange Zeit die Hoffnungen der Linken, sich bundesweit in der Fläche zu etablieren.
Die Kommunalwahl zieht die Polit-Prominenz an: Bundeskanzler Friedrich Merz, Arbeitsministerin Bärbel Bas, Finanzminister Lars Klingbeil und Bayerns Ministerpräsident Markus Söder touren durch das Land.
Sogar Elon Musk, der eigentlich genug damit zu tun haben sollte, sein Automobilunternehmen Tesla vor dem Niedergang zu bewahren, hat sich in den Wahlkampf um die Macht in den Städten eingemischt: „Entweder Deutschland wählt AfD oder es ist das Ende Deutschlands“, postete er auf seinem sozialen Netzwerk X.
Laut einer Forsa-Umfrage im Auftrag der nordrhein-westfälischen Lokalzeitungen liegt die SPD bei den Kommunalwahlen in NRW bei 22 Prozent. Das ist zwar deutlich mehr als im Bund (13 %) oder im Land (17 %). Die CDU kommt laut Forsa auf 32 Prozent – was zunächst stark klingt, tatsächlich aber das schlechteste Ergebnis seit 1946 wäre. Grüne und FDP verlieren: Die Grünen könnten von 20 auf 14 Prozent fallen, die Liberalen dümpeln unter drei Prozent. Klarer Gewinner der Umfrage ist die AfD, die von fünf auf 14 Prozent klettern könnte, aber damit deutlich unter den 25 Prozent liegt, die ihr Umfragen im Bund zurechnen. Auch die Linke legt leicht zu – von 3,8 auf rund sechs Prozent.
Sicher, es ist eine Wahl, bei der lokale Themen im Vordergrund stehen sollten, und bei den Wahlen zu Landräten, Bürgermeistern und Oberbürgermeistern ist die Persönlichkeit der Kandidaten gerade in kleineren Gemeinden oft wichtiger als das Parteibuch, aber die Themen, um die es in Kommunen geht, sind teilweise dieselben Themen, die auch bundesweit die Politik bestimmen: Wie auch bundesweit steht nach einer Umfrage der großen Lokalzeitungen des Landes die Migration im Mittelpunkt des Wählerinteresses. Weitere wichtige Themen sind dann aber eher lokal. Sicherheit, Sauberkeit, Verkehr oder Wohnungsmangel spielen in den Kommunen eine größere Rolle als Wirtschaft, Frieden oder Rentenpolitik. Die Bürger scheinen sehr gut zu wissen, über was die Politik vor Ort entscheiden kann und über was nicht. Im Wahlkampf versuchen die demokratischen Parteien die Auseinandersetzung um die Migration zu vermeiden. In Köln verpflichteten sich CDU, SPD, Grüne, FDP, Linke und Volt sogar auf Initiative des Vereins „Kölner Runder Tisch für Integration“, im Wahlkampf nicht negativ über Migration zu sprechen. Doch Köln ist eine Ausnahme. Nicht nur, weil die Grünen hier nach einer Forsa-Umfrage von Ende August damit rechnen können, mit 23 Prozent die stärkste Fraktion im künftigen Rat zu stellen, sondern auch, weil das Thema Migration in anderen Städten so hoch auf der Tagesordnung steht, dass die Parteien es nicht ignorieren können. Das größte Problem in der Wahrnehmung der Menschen vor Ort sind die Themen Sicherheit, Ordnung und Sauberkeit. Und damit ist verbunden in Gelsenkirchen, wie in vielen Städten im Ruhrgebiet, die sogenannte Armutszuwanderung aus Südosteuropa. Olivier Kruschinski ist Schalker, Gelsenkirchener, engagiert sich bei der Stiftung Schalker Markt, deren Ziel es ist, den Stadtteil, der dem berühmten Fußballverein seinen Namen gab, zu revitalisieren, und bietet Besuchern seit Jahren erfolgreich Mythos-Touren zur Geschichte von Schalke 04 und Gelsenkirchen an. Gelsenkirchen ist die ärmste Stadt Deutschlands, die Arbeitslosigkeit ist hoch, und mit einem preisbereinigten Durchschnittseinkommen von 19 000 Euro pro Jahr haben die Menschen hier die geringste Kaufkraft unter allen 400 Städten. Nur 13 Prozent der rund 12 000 Rumänen und Bulgaren, zumeist Sinti und Roma, gehen einer sozialversicherungspflichtigen Arbeit nach. „Ich empfinde meine Heimatstadt trotzdem als liebens- und lebenswert, verschließe aber natürlich nicht die Augen davor, dass es Probleme und Fehlentwicklungen gibt.“ Kruschinski hat neben der deutschen auch die französische Staatsangehörigkeit. Seine Mutter lebt in Lyon: „Wenn ich mir dort die Banlieues anschaue, empfinde ich Gelsenkirchen als wohltuend geordnet, gesittet und sauber.“ Gelsenkirchen müsse seinen Stolz zurückgewinnen, vieles laufe gut: „Wir haben weltweit erfolgreiche Unternehmen, Hidden Champions, und über die redet niemand.“ Und klar, auch der Wiederaufstieg von Schalke 04 in die erste Liga würde die Stimmung in der Stadt heben.
Die Armutszuwanderung ist das große Thema in der Stadt, und auch die Stadt wirbt damit, die Zahl der Bulgaren und Rumänen durch den Abriss von Schrottimmobilien zu reduzieren. Auch auf Initiative der Stadt hat die Ampel 2024 ein Gesetz beschlossen, das die Ersteigerung und Weitervermietung der heruntergekommenen Häuser erschwert. Bis es sich auswirkt, wird es aber noch Jahre dauern. Die Armutsmigration ist der Hauptgrund für den Aufstieg der AfD in Gelsenkirchen, und der ist kein neues Phänomen. Schon bei der Bundestagswahl 2017 erzielte die AfD hier mit 17 Prozent eines ihrer besten Ergebnisse in Westdeutschland. Bei der Wahl im Februar lag die Partei dann mit 24,7 Prozent der Zweitstimmen knapp vor der SPD, für die es nur für den zweiten Platz reichte. Gut möglich, dass die AfD die stärkste Fraktion im neuen Rat stellen wird und ihr OB-Kandidat Norbert Emmerich sich im wahrscheinlichen zweiten Wahlgang gegen SPD-Kandidatin Andrea Henze nur nicht durchsetzen wird, weil die Anhänger der anderen demokratischen Parteien die Sozialdemokratin unterstützen werden. Doch Gelsenkirchen ist noch eine Ausnahme: „Dass das gesamte Ruhrgebiet oder gar Nordrhein-Westfalen insgesamt blau wird, davon sind wir noch weit entfernt“, sagt der Bochumer Politikwissenschaftler Oliver Lembcke. Ein Grund dafür sei, dass die AfD in NRW bislang keine gewachsene politische Kraft sei. Hinzu käme eine allgemeine Stimmung, die sich nicht allein mit Gegenwind aus Berlin oder mit den sozialen Brennpunkten erklären lasse. „Es ist die Haltung: Politik macht keinen Unterschied, Politiker kümmern sich nicht, sie sind unfähig oder sorglos.“ Kommunalpolitisch profitiere jedoch die AfD vom Thema Migration, und das strahle auf weitere Bereiche wie Sicherheit oder basale Ordnungsprobleme der Lebensführung vor Ort aus. Diese Stimmung habe inzwischen auch auf kommunaler Ebene Zugkraft: „Und zwar nicht nur in den sozialen Brennpunkten im Ruhrgebiet, sondern gerade auch in ländlichen Räumen. Dort gibt es eine gewisse Verödung, vor Ort passiert oft nichts mehr. In diesen Regionen gibt es eine populistische Grundierung. Sie ist real.“
Lembcke vergleicht die Lage in NRW mit der in Thüringen vor wenigen Jahren: „Die Leute schämten sich, für die AfD anzutreten. Es war schwer, Kandidaten zu finden.“ Heute sei das gerade auf dem Thüringer Land ganz anders.
CDU und SPD hätten noch die Chance, ihre Wähler zurückzugewinnen: Wenn sich jemand 20 Jahre glaubwürdig für die Menschen eingesetzt hat und dann sagt: „Leute, wir können das und das verbessern, dafür setze ich mich ein“, dann entsteht echtes Zutrauen. Das ist kein wolkiges Irgendwas, sondern greifbar. Und genau hier bietet die kommunalpolitische Ebene enorme Chancen. Die Zeit für Parolen wie „Das Land wird bunt, Vielfalt, Freude, Eierkuchen“ sei vorbei. „Für diese Art der Vergrünung zahlt die SPD schon lange einen hohen Preis.“ Die SPD sei zu lange der Berliner Blase gefolgt: „Das ist einer der Gründe, warum die SPD jetzt so zitternd ihrem Ergebnis bei der Kommunalwahl entgegenblickt.“
Doch es hat nicht den Anschein, dass alle Sozialdemokraten zittern: „Dass wir verlieren und die AfD zulegt, ist schon eingepreist“, sagt ein roter Wahlkämpfer, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will. „Wichtig ist für uns, die SPD-OBs zu halten, und das schaffen wir auch gegen die AfD im zweiten Wahlgang, weil die dann die Stimmen aller Demokraten bekommen.“ Kampfesmut klingt anders.
Der Text erschien in einer ähnlichen Version bereits im Merkur

„Im Wahlkampf versuchen die demokratischen Parteien die Auseinandersetzung um die Migration zu vermeiden“
Hören Sie endlich auf, in demokratischen und nichtdemokratischen Parteien zu unterscheiden. Sie Spalten, und wohin diese Spaltung führt sehen wir ja nicht nur in Deutschland. Ohne Vorwürfe ein Rechter, Rechtextremist, Fascho, Nazi zu sein geht es bei Diskussionen nicht mehr. Hass und Hetze soll angeblich bekämpft werden, aber die Richtigen darf man Hassen und gegen diese Hetzen. Es reicht.
Sehen wir uns mal als Bespiel die Antisemitendemos seit 2 Jahren an. Ein sehr großes Vorfeld Ihrer sogenannten demokratischen Parteien sympatisiert und Unterstützt diese teilweise offen. Da regt sich keiner auf, aber über Vollidioten aus Sylt hyperventilieren alle mehrere Wochen lang, werden sogar Existenzen versucht zu vernichten. Sehen Sie irgendwo den ansonsten auf Anti-AFD-Demos bekannte Zivilgesellschaft gegen Judenhass? Nein, der wird dort gelebt und gefördert. Schauen Sie in dem Spiegel (Zeitschrift), da wird Israel als Störenfried der Region bezeichnet. Ihre sogenannten demokratischen Parteien tun nix gegen Judenhass, denen ist es gleihgültig.
@ mike_mh:
Zitat: „Hören Sie endlich auf, in demokratischen und nichtdemokratischen Parteien zu unterscheiden.“
Warum? Es gibt nun mal demokratische und nichtdemokratische Parteien.
Warum sollte man über diese Realität hinweglügen?
Zitat: „Ohne Vorwürfe ein Rechter, Rechtextremist, Fascho, Nazi zu sein geht es bei Diskussionen nicht mehr.“
Das ist Unsinn. Bei sachlichen Diskussionen zwischen demokratischen Politiker:innen geht es ganz prima ohne diese Vorwürfe.