
Eva Quistorp, Mitgründerin der Frauen-, Friedens- und Umweltbewegung und der Grünen, spricht im Interview zu ihrem 80. Geburtstag über ihren langen Kampf gegen linke Männer und patriarchalische Strukturen unter Migranten, Israelhass, Fehler von Merkel und Habeck, Alice Schwarzer und andere falsche Pazifisten.
Als Urgrüne unterstützte sie den CSU-Ruf nach einer Obergrenze für Flüchtlinge; als Organisatorin der großen Friedensdemos in den 1980er Jahren forderte sie früh einen Nato-Einsatz im Bosnienkrieg und warnte schon lange vor Putin; ebenso vor der Unterdrückung von Frauen durch Islamisten: Positionen, mit denen Eva Quistorp in ihrer Partei immer wieder aneckte. Weshalb sie nie ein Führungsamt bekam und heute ziemlich vergessen ist, obwohl sie entscheidenden Anteil daran hat, dass es die Grünen überhaupt gibt. Gründe genug, mit ihr ein langes Gespräch anlässlich ihres heutigen Geburstags zu führen, in dem sie auf ihren unermüdlichen politischen Einsatz über sechs Jahrzehnte und Erfolge wie Misserfolge zurückblickt.
Sie kommen aus einer evangelischen Pfarrerfamilie, haben während der Studentenbewegung in den 1960er Jahren in Berlin Germanistik, Politikwissenschaft und evangelische Theologie studiert und sind Gymnasiallehrerin geworden. Was hat Sie damals dazu gebracht, die Frauen-, Friedens- und Umweltbewegung mit zu initiieren und später die Grünen mitzugründen?
Eva Quistorp: Ich gehörte zur Nachkriegsgeneration, die einen Bruch mit der Vergangenheit wollte und die Chance dazu hatte. Heute glaube ich allerdings, dass ich doch stärker von meinem Elternhaus geprägt wurde, als ich damals dachte. Mein Vater war in der Bekennenden Kirche gegen die Nazis. Im Studium bin ich bei Professor Gollwitzer gelandet über seine Nichte, die Jüdin war. Deshalb denke ich, dass mein Weg zur Friedensbewegung vorgezeichnet war.
Und der Weg zur Umweltbewegung?
Quistorp: Der kam aus dem Pfarrhaus mit Garten. Die Nähe zu Bäumen und Blumen, die Apfelbaumplantage meines Onkels und eine Kuh zu hüten, das war eine gute Ergänzung zum Bildungsbürgertum meiner Familie. Das hat mich wohl zur Umweltkämpferin gemacht. Bei den 68ern und denen, die später aus den K-Gruppen zu den Grünen kamen, spielte die Umwelt überhaupt keine Rolle.
Das war also damals etwas ganz Neues?
Quistorp: Ja, und das verbindet sich für mich sehr mit der Frauenfrage. Beides richtete sich gegen die traditionelle, von Männern beherrschte Linke. Mit dem Feminismus ist bei mir viel aufgebrochen. Meine Mutter, Tanten und Großmütter waren auf die klassische Rolle als Hausfrauen beschränkt. So wollte ich nicht werden.
Die feministische Bewegung war also auch ein Aufstand gegen linke Männer?
Quistorp: Die Männer hielten lange Reden, die Frauen durften Kaffee kochen. Es gab damals eine selbstbewusste Frau im AStA der Freien Universität, die war für mich ein Vorbild. Sie war die einzige Frau im Akademischen Senat und die einzige, die auf Teach-Ins geredet hat. Sie war auch diejenige, die bei dem berühmten SDS-Kongress 1968 in Frankfurt Tomaten auf die führenden SDS-Männer warf. An dem Abend haben wir uns zum ersten Mal an der FU als 100 Studentinnen getroffen. Da hatte ich zum ersten Mal das Gefühl, unter kämpferischen Frauen zu sein.
Auch bei den Grünen dominierten lange Zeit Männer.
Quistorp: Als ich beim Gründungsparteitag in Karlsuhe 1980 eine Frauenquote forderte, war das ein Begriff, den es bis dahin nicht gab. Petra Kelly hatte mir zugerufen, als ich Rederecht bekam: „die Quote!“ Mir war war irgendwie klar: Sie meinte eine Frauenquote. Die Grünen haben das dann gleich in die Praxis umgesetzt. Wir Öko-Feministinnen waren aber in der Minderheit.
Wie ist bei ihnen und anderern die Idee entstanden, die Anti-AKW-Bewegung und die anderen sozialen Bewegungen zu einer grünen Partei zusammen zu führen?
Quistorp: Eine neue Partei wollte ich erst überhaupt nicht. Ich kam ja aus der antiautoritären Bewegung. Petra Kelly hat mich da klug eingebunden. Sie hatte in Deutschland keine Basis und hat sofort erkannt, dass ich sowohl in der Umwelt- als auch in der Frauenbewegung verankert war. Die Antiatombewegung machte in der Zeit die ersten bundesweiten Treffen. So entstand nach und nach der Gedanke, eine Partei zu gründen. Ich wollte zunächst mit Petra und Roland Vogt und Teilen der Umwelt-, Frauen- und Friedensbewegung die Grünen ins Europaparlament bringen, was 1980 gelang. 1983 zogen wir dann auch in den Bundestag ein.
Hätten Sie sich damals vorstellen können, dass aus den teilweise chaotischen Anfängen Jahrzehnte später eine staatstragende Partei würde, die das Land nachhaltig verändert und geprägt hat?
Quistorp: Ich hätte nicht gedacht, dass sie so mächtig würde im Sinne eines auch kulturellen Einflusses. Ich dachte damals, dass die Grünen auf jeden Fall ein Potential von 15 Prozent haben. Über den Sprung auf 20 Prozent mit Hilfe der jüngeren Klimageneration und einer Jugend, die an Diversity interessiert ist, habe ich mich gefreut. Aber die Union und die SPD überholen zu wollen wie Robert Habeck und andere, fand ich falsch und größenwahnsinnig. Der ökosoziale Umbau, wie ich es 1986 genannt habe, braucht Zeit. Die Dominanz grünen Denkens hat auch Schattenseiten und blinde Flecken wie die Realität der Migration, die Misere in der Bildung und Infrastruktur und die Weltlage seit 9/11 und 2014 mit dem russischen Angriff auf die Ukraine als Wendepunkten.
Die Grünen haben einen weiten Weg zurückgelegt und sind jetzt im Bund wieder in der Opposition. Wenn Sie zurückschauen, überwiegt da bei Ihnen der Stolz, was sie erreicht haben oder die Sorge, dass vieles wieder in die falsche Richtung geht mit dem Krieg Russlands gegen die Ukraine und dem Bremsen der Energiewende durch die jetzige Bundesregierung und Trump?
Quistorp: Ich empfinde die Entwicklung der Grünen als Trost in dieser schreckliche Weltlage. Dass sie fest an der Seite der Ukraine stehen; dass sie weiter für Menschen- und Bürgerrechte kämpfen und für Klimaschutz; dass sie aber auch gelernt haben, Kompromisse in Regierungsbündnissen mitzutragen, das alles gibt mir Hoffnung.
Obwohl sie die Friedensbewegung mit geführt haben, haben sie früh vor einem Völkermord im zerfallenden Jugoslawien gewarnt und die Nato zum Eingreifen in Bosnien gedrängt – gegen Widerstände in ihrer Partei. Und sie haben auch schon früh vor Putin und seinen Kriegsplänen gewarnt. War der Pazifismus naiv?
Quistorp: Auch ich war in den 1980er Jahren von einem Idealismus getragen. Wie bei allen sozialen Bewegungen gab es einen Überschuss an gutem Willen. Der reicht aber nicht. Die Friedensbewegung war aber nicht durch und durch pazifistisch. Zum Teil war sie eine Anti-Atomwaffenbewegung. Das ist weiterhin dringend. Es gab allerdings auch einen starken Einfluss aus der kommunistischen Ecke und aus der DDR.
Heute wenden sich Pazifisten, die sich auf die Friedensbewegung berufen, gegen Waffenhilfe für die Ukraine in ihrem Abwehrkampf gegen die russischen Aggressoren. Wie finden Sie das?
Quistorp: Ich war immer gegen den Austritt aus der Nato, den die Grünen lange gefordert haben, und gegen eine starke Senkung des Verteidigungsetats. Da kommt bei mir wieder die Bekennende Kirche ins Spiel, der Widerstand gegen die Nazis. Und ich wusste sowohl von Reisen nach Lateinamerika als auch aus den antikolonialen Bewegungen in Afrika, dass es sehr wohl ein Militär geben kann, dass für progressive Ziele kämpft.
Aber tragen Sie nicht Mitverantwortung dafür, dass bei vielen Deutschen heute ein „Ohne-mich“-Haltung herrscht?
Quistorp: Ich habe früh Demonstrationen gegen Putin und seine Kriegstreiberei organisiert. Auch um gegen falsche Vorstellungen anzugehen, man könne mit sozialer Verteidigung seinen Imperialismus und Faschismus aufhalten. Aber manchmal zerreißt es mich selbst, weil ich lieber meine verbliebene Energie in die gute alte Friedensarbeit stecken würde, als mit Argumenten dagegen anzuarbeiten.
Haben Sie noch Berührung mit Alice Schwarzer, die mit Sarah Wagenknecht und anderen die Ukraine zur Kapitulation aufruft.
Quistorp: Was uns eint ist der Kampf gegen die Unterdrückung von Frauen durch Islamisten. Sie hat mir aber schon immer Verrat an der feministischen Sache vorgeworfen, weil ich die Frauen- mit der Friedensfrage verbunden habe. Dadurch hätte ich sie dahinter zurückgestellt. Schwarzer und Wagenknecht tun so, als wären sie die Frauenfriedenskämpferinnen der 80er Jahre. Das stimmt vorne und hinten nicht. Wagenknecht war da noch in der SED.
Woher kommt aus Ihrer Sicht der israelbezogene Antisemitismus bei vielen Linken?
Quistorp: Der Islamismus ist eine rechtsextreme Bewegung mit vielen Berührungen zu den Nazis. Das verstehen aber viele Linke und Jüngere nicht. Sie glauben, eine antikoloniale Widerstandsbewegung von Unterdrückten zu unterstützen. Ich finde grauenhaft, was an den Unis und auf den Straßen los ist. Schon vor 15 Jahren ist der alte Antisemitismus in neuer linker Weise hochgekommen. 2009 gab es in Durban eine UN-Konferenz. Da ist aus dem südafrikanischen ANC mit früheren Verbindungen zur Sowjetunion der Apartheidsvorwurf ins Spiel gebracht worden. Seitdem zieht er seine Runden auch durch die international verbundenen Zivilgesellschaften. Durch die Medien wird das noch verstärkt. Linke und islamistische Kadergruppen haben dadurch Auftrieb.
Und befeuern die Stimmung gegen Israel und Juden auch in Deutschland?
Quistorp: Leider. Israel wird nicht mehr mit dem Holocaust assoziiert, sondern mit Bildern vom Hunger und Krieg in Gaza, wie das auch Greta Thurnberg macht, die so große Verdienste um die Klimabewegung hat. Das zeigt die grässliche Macht des Internets, das Stimmungen schafft und das alte Klischee bedient: Juden töten Kinder. Das ist emotionale Erpressung.
Die Grünen haben sich immer für Migranten und deren Rechte eingesetzt. Tragen sie Mitverantwortung dafür, dass durch mangelnde Integration muslimische Einwanderer sich nun offen gegen Juden, gegen die westliche Kultur, gegen Frauenrechte und Homosexuelle wenden?
Quistorp: Ich habe früh davor gewarnt, dass wir die Gesellschaft nicht überfordern dürfen. Als Urgrüne habe ich 2015 öffentlich Horst Seehofer zugestimmt, dass wir eine Obergrenze brauchen. Die grenzenlose Globalisierung geht mit einer unbegrenzten Migration einher. Es kann aber nirgendwo Grenzenlosigkeit geben. Es gibt nur grenzenlose Liebe. Die kann man aber nur selbst leben. Man kann sie nicht anderen aufoktroyieren und zum politischen Programm machen.
Aber sehr lange war ja die Stimmung in Deutschland gegen Migranten. War es da nicht richtig, sich für eine andere Haltung ihnen gegenüber einzusetzen?
Quistorp: Die Union hat sich viel zu lange geweigert, Deutschland als Einwanderungsland anzuerkennen. Daher war der Kampf für ein modernes Einwanderungsrecht richtig. Doch spätestens seit dem Übermaß an illegaler Migration, der Überlastung von Schulen und Kommunen, des Wohn- und Gesundheitssystems hätte man sich das nüchterner und genauer angucken müssen.
Als Folge der großen Einwanderung und der Integrationsprobleme ist die AfD erstarkt und heute doppelt so stark wie die Grünen. Hätte sich das vermeiden lassen?
Quistorp: Die Hauptverantwortung dafür tragen Merkel, SPD und die Linke. Sie haben immer gesagt, das mit den Wohnungen, Schulen und Arbeit für die Flüchtlinge bekommen wir schon hin. Gerade die SPD hätte wissen müssen, dass es da schon Wohnungsnot und viele soziale Spannungen und Integrationsproblem gab. Als Lehrerin habe ich schon vor 50 Jahren erlebt, dass es schwierig ist, vier oder fünf Migrantenkinder in einer großen Klasse zu integrieren. Wie soll das ein Lehrer schaffen, wenn mehr als die Hälfte migrantisch ist?
Weshalb fordern junge emanzipierte Frauen Verständnis und Toleranz für patriarchalische Stukturen in Teilen der migrantischen Community und dafür, dass muslimische Frauen und Mädchen gezwungen werden, Kopftuch zu tragen oder sich zu verschleiern?
Quistorp: Ich fühle mich dadurch abgewertet, dass nun soviele Frauen mit Kopftuch herumlaufen. Was sollen denn da die kleinen Jungs denken, die daneben laufen? Dass Frauen nichts wert sind, wenn sie nicht ihren Kopf und ihren Körper verdecken? Das ist die Wiederkehr einer globaler Ideologie, diesmal der islamistischen, wie in meiner Jugend der lenistischen und maoistischen. Bei Grünen und der SPD ist es nicht so extrem, aber opportunistisch. Sie wollen Wählerstimmen bei Migranten gewinnen und sich gegen die CDU und das konservative Lager profilieren. Nur dass sie dabei Teile des Arbeitermilieus und auch der bürgerlichen Milieus verlieren.
Interview: Ludwig Greven
Eine ausführliche Fassung des Gesprächs steht im Blog „Starke Meinungen“
