
Der Mythos vom „teuren Atomstrom“ hält sich hartnäckig. In Studien und politischen Debatten wird Kernkraft seit Jahren als riskant und überholt dargestellt, während Wind- und Solarenergie als günstig, sauber und unverzichtbar gelten. Von unserem Gastautor Christopher Ariel Merkel.
Doch dieses Bild entsteht vor allem deshalb, weil man meist nur den Teil der Kosten betrachtet, der gut in eine Tabelle passt. Die beliebten LCOE-Berechnungen – also die reinen Stromgestehungskosten – erfassen zwar Investition, Betrieb und Abschreibung, blenden jedoch all jene Faktoren aus, die ein Stromsystem tatsächlich teuer machen: Netzausbau, Speicher, Backup-Kraftwerke, Systemdienstleistungen, Redispatch, Förderhistorie und politische Risikoprämien. Mit anderen Worten: Die LCOE sind nicht falsch, aber sie sind nur ein Ausschnitt. Wer Strompreise in Europa verstehen will, muss die Systemkosten betrachten – und die steigen mit jeder zusätzlichen Einheit volatiler Erzeugung deutlich.
Daraus ergibt sich ein zweiter, kaum diskutierter Punkt: Kernkraft wirkt in vielen Vergleichen teurer, als sie tatsächlich ist. Ihre hohen Anfangsinvestitionen verzerren die LCOE, während die eigentlichen Vorteile – niedrige Brennstoffkosten, lange Laufzeiten, stabile Produktion über Jahrzehnte – in der Betrachtung kaum vorkommen. Was Kernkraft verteuert, sind in Europa nicht Technik oder Brennelemente, sondern Politik: wechselnde Mehrheiten, regulatorische Unsicherheit, jahrelange Verfahren, Klagen, Sondersteuern wie die deutsche Brennelementesteuer und schließlich milliardenteure Entschädigungen für Abschaltungen, die technisch nicht notwendig waren. Deutschland hat über ein Jahrzehnt hinweg vor allem dafür bezahlt, funktionierende Kraftwerke nicht zu betreiben.
Wind- und Solarenergie sind dennoch wichtig, nur eben nicht systemtragend. Ihre niedrigen Gestehungskosten stehen hohen Folgekosten gegenüber: Windanlagen verlieren durch Blattkanten-Erosion spürbar an Leistung und müssen nach 20 bis 25 Jahren häufig repowert werden. Photovoltaikanlagen altern ebenfalls, Wechselrichter fallen nach 10 bis 15 Jahren aus, und die Menge an Altmodulen steigt rasant – bis zu 78 Millionen Tonnen PV-Abfall weltweit im Jahr 2050. Darüber hinaus belasten Speicher und Backup-Kraftwerke das System, ebenso der massive Flächen- und Netzbedarf. Das heißt nicht, dass Wind und Solar „schlecht“ wären, sondern lediglich, dass sie ohne flankierende Maßnahmen keine Versorgungssicherheit gewährleisten können.
Der Preissturz bei Wind und Solar hat zudem weniger mit technischer Magie zu tun als mit chinesischer Industriepolitik: lahmende Kredite, niedrige Energiepreise, direkte Subventionen und staatlich koordinierte Produktion drücken die Kosten. Europa hat im Gegenzug fast seine gesamte PV-Industrie verloren. Dieser Zusammenhang wird in öffentlichen Debatten gerne ausgeblendet – ebenso wie die Tatsache, dass Subventionen in China letztlich über CO₂-intensive Kohlekraftwerke finanziert werden. Billige Module sind kein Naturgesetz, sondern Ergebnis politischer Entscheidungen in Peking.
Ein weiterer blinder Fleck betrifft die Endlagerung. Technisch ist das Problem weitgehend gelöst: Finnland betreibt ein Endlager, Schweden hat grünes Licht, Frankreich baut, die USA lagern seit 1999 radioaktive Abfälle im WIPP ein. Dass Deutschland seit Jahrzehnten nicht vorankommt, liegt weniger an Wissenschaft und Technik als an politischer Blockade. Yucca Mountain ist das beste Beispiel: geologisch geeignet, technisch machbar – politisch begraben.
Die eigentliche Frage lautet daher nicht, welche Technologie auf dem Papier am günstigsten wirkt, sondern welche Kombination ein Energiesystem stabil, bezahlbar und klimaneutral macht. Ein reines Wind-Solar-Modell benötigt Vollbackups für Dunkelflauten, dazu Speicher, Netze, Reservekraftwerke und einen massiven Ausbau des Übertragungsnetzes. Diese Kosten sind real – und sie tragen heute bereits erheblich zu den hohen Strompreisen in Deutschland bei. Kernkraft ersetzt diese Unsicherheiten durch verlässliche Grundlast, über Jahrzehnte hinweg, unabhängig von Wetter, CO₂-Preis oder geopolitischen Lieferketten.
Das bedeutet nicht, dass Wind und Solar unnötig wären. Aber die Vorstellung, man könne ein hochindustrialisiertes Land allein mit wetterabhängiger Erzeugung betreiben, ist ein politisches Narrativ – kein technisches Konzept. Wer ehrlich vergleicht, kommt unweigerlich zu dem Schluss: Nicht die Kernkraft ist teuer, sondern das Weglassen der Kernkraft. Und das ist der blinde Fleck der deutschen Debatte.

Sorry, aber der Artikel ist an mehreren Stellen wenig überzeugend.
1. Der Autor schreibt selbst, dass die Stromgestehungskosten (=LCOE) „Investition, Betrieb und Abschreibung“ beinhalten, also die Kosten der Anlage über die gesamte Lebensdauer.
a) Dann sind aber die vom Autor angeführten Vorteile wie „niedrige Brennstoffkosten, lange Laufzeiten, stabile Produktion über Jahrzehnte“ selbstverständlich auch schon in die Stromgestehungskosten mit einbezogen, denn das sind nun mal Vorteile während des Betriebs.
b) Nicht enthalten in den Stromgestehungskosten sind dagegen natürlich die Kosten politischer Entscheidungen wie Sondersteuern oder Entschädiungen für vorzeitige Abschaltungen, denn die haben mit „Investition, Betrieb und Abschreibung“ nun mal nichts zu tun.
c) Die Kosten bei Erneuerbaren, die der Autor aufzählt, von Verschleißteilen bei erneuerbaten Energien, von Rotorblättern über Wechselrichter etc., und auch die Entsorgung von Modulen etc., gehören dagegen natürlich wieder sehr wohl zu „Investition, Betrieb und Abschreibung“ und sind damit in den Gestehungskosten enthalten.
–> Diese Punkte ändern also an den Gestehungskosten nichts, sondern sind einberechnet – sie zur Kritik der Orientierung an den Gestehungskosten aufzuführen ist also reine Nebelwerferei.
2. Die Endlagerfrage: Die ist in Deutschland eben nicht gelöst, und zwar nicht aus ideologischer Abneigung, sondern einfach deswegen, weil für die notwendigen Zeiträume niemand realistisch tatsächlich Verantwortung übernehmen kann, sondern man nur Risko und Kosten abwägen und die danach noch beste Möglichkeit wählen kann. Dafür haben die Betreiber nur eine zwar hohe, aber eben begrenzte Einmalzahlung geleistet – wenn es teurer wird (aber das passiert bei derartigen Großprojekten, insbesondere Im Bereich Kernenergie, ja nur ganz, ganz selten – Ironie Ende) zahlt der Steuerzahler. Ebenso hätten die Betreiber bei einem Unfall nur bis max. 2,5 Mrd. € an Schäden bezahlen müssen, den Rest (im Worst Case ein Vielfaches, zB für Fukushima ist das ca. 30-fache noch vorischtig geschätzt) hätte auch der Staat bezahlt. Diese im Ernstfall riesigen Kosten sind dagegen in den Gestehungskosten meiner Vermutung nach nicht enthalten.
Funny Nebenaspekt: Yucca Mountain soll ein Beispiel dafür sein, dass Endlagerungsprojekte in Deutschland politisch blockiert werden? Man hört es vielleicht schon am Namen, dass Yucca Mountain nicht direkt in Deutschland liegt. Es liegt in Nevada. Und auch da war es nicht rein politische Blockade, sondern Zweifel an der Eignung.
3. Was natürlich stimmt: Stromerzeugung aus Wind und Sonne ist volatil, deswegen braucht man verschiedene Speichermöglichkeiten und/oder Backups für kürzere und längere Zeiträume und Möglichkeiten zur Laststeuerung. Das weiß aber auch jeder. Deswegen ist dieser Satz ein reiner Strohmann: „Aber die Vorstellung, man könne ein hochindustrialisiertes Land allein mit wetterabhängiger Erzeugung betreiben, ist ein politisches Narrativ – kein technisches Konzept.“ Diese Vorstellung hat keiner, der sich mit dem Thema ernsthaft auseinandersetzt, sondern jeder weiß, dass mit zunehmendem Anteil von Erneuerbaren auch die Netze um- und Speichermöglichkeiten ausgebaut werden müssen sowie uU Kosten für Laststeuerung entstehen. Ob diese Kosten langfristig tatsächlich so hoch sind, dass sie die drastisch höheren Gestejhungskosten der Kernenergiue ausgleichen würden, ist die Frage. Das zu berechnen ist sicher nicht einfach.
Mit seinen Nebelwerfereien (in 1.), Unklarheiten in 2. und der Strohmannargumentation zu 3. trägt der Artikel aber wirklich nicht zur sachlichen Diskussion bei.
@ paule t. , das hat der Autor vielleicht ein wenig mißverständlich geschrieben. Wenn man ein Kraftwerk das 60 bis 80 Jahre lang laufen kann nach 35 Jahren abstellt dann muß man die Abschreibung stark verkürzen was natürlich zu hohen Stromgestehungskosten führt. Man kann die Kosten sogar noch weiter senken, zum Beispiel mit Wiederaufarbeitung. Also auch hier wieder die Politik die die Stromerzeugung künstlich verteuert. Würde man in neue Kernkraftwerke ( „schnelle“ Reaktoren) investieren könnte man auch den anfallenden „Müll“ als Brennstoff nutzen und Deutschland wäre mit dem vorhandenen „Müll“ in der Lage seinen Strombedarf für mehr als 100 Jahre zu decken, die dann noch anfallenden Reste müßte man auch nicht mehr „Endlagern“ sondern sie wären nach 300 Jahren harmlos.
@ Uwe Johann Pflügl:
Wie auch immer: Die Berechnungen der Stromgestehungskosten, die jetzt in Diskussion zum Thema relevant sind, gehen vom gesamten Lebenszyklus jetzt neu zu bauender Kraftwerke aus, wie ihn ein Betreiber jetzt planen würde. D.h. in diesen Berechnungen ist logisch die Laufzeit enthalten, die ein Betreiber jetzt bei der Planung annehmen würde, nicht verkürzt durch politische Entscheidungen. So etwas hineinzunehmen, ist also sachfremd.
Der Rest ihrer Bemerkungen sind mE Fantastereien, wie sie bei Atomkraftfans leider oft vorkommen. Dass „ein Kraftwerk […] 60 bis 80 Jahre lang laufen kann“, traf mW für die deutschen AKWs schlicht nicht zu. Die waren mW größtenteils ursprünglich auf ca. 30 Jahre ausgelegt. Durch Sicherheitsupdates/ Nachrüstungen, Materialüberprüfungen u.Ä. ist man wohl irgendwann zu dem Schluss gekommen, dass noch ein paar Jahre mehr auch gehen würden, sodass man dann irgendwann bei 40 +? angekommen wäre.
Fakt ist also: Die tatsächlichen Laufzeiten der meisten deutschen AKws waren zwar kürzer als technisch möglich, aber dennoch länger als ursprünglich vorgesehen. Annahmen von 60 oder mehr sind einfach Fantasterei.
Ansonsten reden sie von Technologien, die in Deutschland (wenn überhaupt irgendwo, keine Ahnung) noch nie zur Anwendung gekommen sind, die aufzubauen mutmaßlich Jahrzehnte dauern würde und uns also in der nächsten Zukunft gar nichts helfen würden. Und ob diese Technologien die hohen Gestehungskosten der Kernkraft ein bischen senken würden oder vielleicht gar erhöhen, ist auch nicht ausgemacht.
Beispiel: Der neue Reaktor in Flamanville in Frankreich hat 12 Jahre mehr Bauzeit gebraucht als geplant und mit 13 Mrd. das Vierfache der geplanten Baukosten verschlungen. Während seiner Bauzeit wurden aber AKWs mit insgesamt größerer Kapazität abgeschaltet. So sieht’s in Frankreich aus, dem Land, wo es angeblich eine Renaissance der Atomkraft gibt (die sieht man allerdings bisher nur in den Reden des Präsidenten und den Alpträumen des Rechnungshofs).