Der Next-Generation-Sozi: Alex Karp und die Rückkehr der technischen Aufklärung

Alex Karp Foto: UK Government – Deputy Prime Minister Oliver Dowden attends AI Summit Lizenz: CC BY 2.0


Alex Karp, Chef des Datenkonzerns Palantir, schreibt ein leidenschaftliches Plädoyer für den Westen – technikoptimistisch, staatsfreundlich und überraschend sozial. Eine politische Position, die in Deutschland zwischen alle Stühle fällt.

Für die meisten ist ein Sozialdemokrat heute jemand, der zu dumm für die Grünen, aber so woke wie eine Bachelorstudentin der Alice Salomon Hochschule ist. Das war nicht immer so: In den 60er-Jahren war die SPD eine Partei, die auf Wirtschaftswachstum und technischen Fortschritt setzte, um das Leben der Menschen zu verbessern. Sie setzte auf Dialog mit der Sowjetunion und ihren Vasallen, wusste aber, dass die beste Gesprächsgrundlage eine starke Bundeswehr und amerikanische Mittelstreckenraketen waren. Sozialdemokraten damals waren ein wenig wie Alex Karp heute.

Alex Karp gründete gemeinsam mit Peter Thiel 2003 Palantir. Die Software des Unternehmens analysiert Daten für das Militär und die Polizei, um frühzeitig auf Gefahrenquellen hinzuweisen. Als Palantir seine Software der Ukraine zur Verfügung stellte, sagte Karp, ihre Bedeutung sei mit der einer taktischen Atombombe zu vergleichen. Doch Karp ist nicht nur ein erfolgreicher Softwareunternehmer mit einem Milliardenvermögen. Er lebte jahrelang in Deutschland, promovierte an der Goethe-Universität Frankfurt bei der Sozialpsychologin Karola Brede und verfasste seine Dissertation mit dem Titel „Aggression in der Lebenswelt: Die Erweiterung des Parsonsschen Konzepts der Aggression durch die Beschreibung des Zusammenhangs von Jargon, Aggression und Kultur“ auf Deutsch. Karp ist ein intellektueller Tech-Unternehmer. Nun erschien sein gemeinsam mit Nicholas W. Zamiska verfasstes Buch „The Technological Republic“ auf Deutsch.

Es ist Abrechnung und Warnung zugleich. Karp, der sich selbst wohl als Linken sieht, geht hart mit der Linken ins Gericht: „Das linke Establishment unserer Tage lebt in einem Gefängnis, das es sich selbst gebaut hat. Wie ein Tier im Käfig muss es geschmeidig, aber verstohlen auf und ab gehen, weil es unfähig ist, eine positive Vision eines tugendhaften oder moralischen Lebens zu bieten, dessen Inhalt es längst auf das absolute Minimum reduziert hat. Stattdessen müssen wir jetzt eine neue ›Entschlossenheit‹ erzeugen, wie der Autor und Kunstkritiker Roger Kimball schreibt, und auch ›Selbstvertrauen, den Glauben an die grundlegende Würde und Richtigkeit der eigenen Gemeinschaftsordnung und Lebensweise‹.“

Mit einer postmodernen Linken, für die der Wahnsinn einer Judith Butler steht, die Unterdrückung zu Emanzipation reinwäscht, wenn sie schreibt:
„Die Burka symbolisiert, dass eine Frau bescheiden ist und ihrer Familie verbunden; aber auch, dass sie nicht von der Massenkultur ausgebeutet wird und stolz auf ihre Familie und Gemeinschaft ist“, kann Karp nichts anfangen. Links sein heißt für ihn, die Probleme der Menschen zu erkennen, ernst zu nehmen und an ihrer Lösung zu arbeiten – auch wenn sie, wie im Bereich der Migration oder Sicherheit, nicht ins eigene Weltbild passen: „Es besteht die Gefahr, dass wir eine Moral oder Ethik, die sich an Resultaten orientiert – den Ergebnissen, die für die Menschen am wichtigsten sind, etwa: weniger Hunger, weniger Kriminalität, weniger Krankheit –, zugunsten eines wesentlich performativeren Diskurses aufgeben, in dem die Steuerung der ›Message‹ rund um diese Ergebnisse wichtiger wird als die Ergebnisse selbst.“

Für Karp stellt – im Gegensatz zu seinem Geschäftspartner Peter Thiel – weder die Demokratie noch den Liberalismus noch den Westen in Frage. Obwohl sein Buch aus einer amerikanischen Perspektive geschrieben ist, nennt er Amerika fast durchgehend in einem Atemzug mit seinen Verbündeten. Der MAGA-Isolationismus, der ja auf eine jahrhundertelange Tradition zurückblicken kann, ist ihm fremd. Amerika ist für ihn ein Teil des Westens, braucht seine Verbündeten ebenso wie diese die USA. Aber damit der Westen dauerhaft existieren kann, muss er zu seinen Idealen und seiner Geschichte stehen – nicht unkritisch, nicht ohne sie zu hinterfragen, aber auch ohne einen Relativismus, der es nicht mehr wagt, auszusprechen, dass die westlichen Gesellschaften historisch erfolgreicher waren als ihre Konkurrenten und ihnen in vielen Bereichen bis heute technologisch und intellektuell überlegen sind.

Doch um diese Überlegenheit in einer Welt zu sichern, in der Diktaturen wie Russland und vor allem China – Länder, mit denen Palantir übrigens keine Geschäfte macht, es arbeitet nur mit Demokratien zusammen – an Macht und Bedeutung gewinnen, muss der Westen seiner selbst gewiss und wehrhaft sein. Für Karp ist das 21. Jahrhundert nicht mehr das der Atomwaffen, sondern das der Software, vor allem der KI. Eine verengte Sicht, denn der Krieg in der Ukraine zeigt uns jeden Tag, dass das Neue, die KI, schon da ist – allerdings das Alte, die Drohung mit Atomwaffen, der Einsatz von Panzern und die Grabenkämpfe, immer geblieben sind.

Für Karp ist klar, dass die USA sich auf den KI-Krieg vor allem mit China vorbereiten müssen, wenn sie nicht zerstört werden wollen. Nur Überlegenheit kann sie schützen – nicht ein Gleichgewicht des Schreckens, sondern die Angst der Diktatoren vor ihrer Macht. Der Politik in den USA wirft er vor, das noch nicht erkannt zu haben. Ein Grund ist für ihn die Zusammensetzung der politischen Kaste, in der es kaum noch Techniker und Ingenieure gibt. Das Verständnis der Bedeutung von Technologien sei gering. Und auch der Wille, dicke Bretter zu bohren und große Probleme anzugehen. Das habe sie mit den Software-Giganten des Silicon Valley gemein, denen er – wie der woken Linken – die Leviten liest: „Die ›Wunderkinder‹ des Silicon Valley – ihr Reichtum, ihre Unternehmensimperien und, noch grundsätzlicher, ihr gesamtes Selbstverständnis – existieren aufgrund der Nation, die in vielen Fällen ihren Aufstieg erst möglich machte. Sie rechnen sich selbst den Aufbau gewaltiger Tech-Imperien an, weigern sich aber zugleich, den Staat zu unterstützen, dessen Schutz – ganz zu schweigen von dessen Bildungseinrichtungen und Kapitalmarkt – die notwendigen Bedingungen für ihren Aufstieg schuf. Sie täten gut daran, diese Schulden anzuerkennen, auch wenn sie nicht zurückgezahlt werden.“

Anstatt an dem für Karp existenziellen Projekt der Verteidigung des Westens mitzuarbeiten, würden lieber Fastfood-Apps und Social-Media-Spiele wie Farmville programmiert, mit denen sich schnell Geld auf dem Konsumentenmarkt verdienen lässt. Karp weist auf Mariana Mazzucato hin, die Lieblingsökonomin von Robert Habeck: „In ihrem Buch ›Das Kapital des Staates‹ prangert Mariana Mazzucato, eine Wirtschaftsprofessorin am University College London, eine im Silicon Valley grassierende kollektive Amnesie mit dem Hinweis an, dass Software-Titanen dieser Ära die Rolle des US-Militärs ›vergessen‹ hätten. Sie haben die Geschichte umgeschrieben, um sich in den Mittelpunkt zu rücken, und bestreiten oder reden klein, welche Rolle der Staat dabei spielt, Innovationstätigkeit zu fördern und aufrechtzuerhalten. Und mangels irgendeines größeren Projekts, für das sich der Kampf lohnen könnte, wandten sich viele schlicht anderen Bereichen zu – nicht aus moralischer Schwäche, sondern aufgrund der Umgestaltung unserer hochheiligen Bildungseinrichtungen, die jetzt nur noch administrative Betreuung anstatt Vermittlung von Kultur leisten.“

Für Mazzucato ist der „Moonshot“, Amerikas Flug zum Mond, der eine Kette von Innovationen angestoßen hat, zu denen auch die Mikrocomputer gehören, die Blaupause für eine Zusammenarbeit von Staat und Unternehmen. Der FAZ sagte sie in einem Interview: „Die Welt ist voller Probleme. Der Staat und die privaten Unternehmen müssen zusammenarbeiten. Es geht nicht darum, den Unternehmen das Leben einfacher zu machen. John F. Kennedy hat über die Mondmission gesagt: ›Wir machen es nicht, weil es leicht ist, sondern weil es schwierig ist.‹ Sie müssen zugeben, dass etwas schwierig ist. Dann müssen Sie die Unsicherheit annehmen, indem Sie zusammenarbeiten, Risiken und Erfolge teilen.“

Zu den großen Problemen, die es zu lösen gilt, zählt Karp nicht nur die Verteidigung. Er sieht sie auch in Bereichen wie Bildung und Medizin und verweist auf den 2020 verstorbenen Anarchisten David Graeber: „Wo, kurz gesagt, sind die fliegenden Autos? Wo sind die Kraftfelder, die Traktorstrahlen, Teleportationskapseln, die Antigravitationsschlitten, die Tricorder, die Unsterblichkeitsmedikamente, die Kolonien auf dem Mars und all die anderen technischen Wunderwerke, von denen jedes von Mitte bis Ende des 20. Jahrhunderts heranwachsende Kind glaubte, dass es jetzt existieren würde?“

Karp will, dass es den Menschen besser geht, dass sie in Wohlstand und Sicherheit leben. Wachstum, sagte er im Gespräch mit Springer-Chef Matthias Döpfner, sei bei der Bekämpfung der extremen Rechten einer der entscheidenden Faktoren. Und der größte Wachstumstreiber, da ist sich Karp sicher, wird die Künstliche Intelligenz sein. Aber die Gesellschaft müsse nicht nur reicher, sondern auch gerechter werden. Der Schlüssel dafür seien Technologie und die Bereitschaft der Gesellschaft, große Aufgaben anzugehen.

Zugegeben, mit einem heutigen Sozialdemokraten hat Karp so viel zu tun wie ein Kampfpilot mit einem Feldhamster. Aber die Vorstellung, mit Hilfe von Technologie an einer gerechteren und wohlhabenderen Gesellschaft zu arbeiten, gehörte einmal zur DNA der Linken, bevor grüne Apokalyptiker die Diskurshoheit an sich rissen. Und auch pragmatisch die Probleme der Bevölkerung anzugehen, zugleich große Projekte voranzutreiben und die Überzeugung zu vertreten, die westliche Gesellschaft mit ihren Freiheiten sei nicht nur schützenswert, sondern auch besser und den Gesellschaftsmodellen ihrer Gegner überlegen – galten nicht immer so absurd, wie das heute in großen Teilen der Linken der Fall ist. Für diesen Sentenz aus dem Kommunistischen Manifest, in dem er seiner Bewunderung für die Bourgeoisie freien Lauf lässt, würde Karl Marx heute in jeder woken Studentengruppe Schnappatmung und hysterische Schreikämpfe auslösen:
„Die Bourgeoisie hat das Land der Herrschaft der Stadt unterworfen. Sie hat enorme Städte geschaffen, sie hat die Zahl der städtischen Bevölkerung gegenüber der ländlichen in hohem Grade vermehrt, und so einen bedeutenden Teil der Bevölkerung dem Idiotismus des Landlebens entrissen. Wie sie das Land von der Stadt, hat sie die barbarischen und halbbarbarischen Länder von den zivilisierten, die Bauernvölker von den Bourgeoisvölkern, den Orient vom Okzident abhängig gemacht.“

Karp würde sie wohl mit einem Schulterzucken annehmen und als Ansporn nehmen, die westliche Gesellschaft weiterzuentwickeln, denn sie ist für ihn zwar gefährdet, nicht perfekt, aber ohne Alternative – und noch lange nicht am Ende ihrer Entwicklung.

 

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paule t.
paule t.
4 Monate zuvor

Positiv: Der klare Hinweis, dass die technologischen Neuerungen, von denen wir alle profitieren, niemals ohne einen handlungsfähigen Staat zustandegekommen wären. Ebenso die Forderung, dass die Unternehmen, die davon profitieren, dann auch wiederum ihren Teil zum Funktionieren des Staates beitragen müssen.

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