
Man kann gegen die drei grün-linken Parteien in Deutschland sagen was man will, in einer Disziplin sind sie wahrhaft meisterlich: Wie sie trotz parlamentarischer und gesellschaftlicher Minderheitenpositionen durch die geschickte und machtpolitisch konsequente Bespielung des politischen Vorfeldes ihren Einfluss erhöhen, ist ganz hohe Schule. Kulturbetrieb, Bildungssektor, NGOs, Sozialverbände, Kirchengremien, die große Mehrheit der Medienakteure – die linke Dominanz ist in all diesen Bereichen mittlerweile erdrückend. Hie und da gibt es zwar noch vereinzelte Andersmeinende, diese befinden sich aber meist in der Defensive oder halten aus Angst vor Isolierung oder Schlimmerem lieber gleich die Klappe.
Obwohl die kulturelle Hegemonie auf keinen Fall unterschätzt werden darf, handelt es sich doch um eine überwiegend „weiche“, beeinflussende Macht, die von den genannten Institutionen ausgeht. Entsprechende Charaktereigenschaften vorausgesetzt, kann man sich ihr entziehen. Sofern nicht berufliche Abhängigkeiten eine Rolle spielen – was allerdings öfter der Fall ist -, genügt mitunter sogar schlichtes Ignorieren. Eine andere Qualität hat aber, wenn die politische Einseitigkeit auf den Kern des Rechtsstaats ausgedehnt werden soll. Der offensichtlich gelingende Versuch der SPD, das Bundesverfassungsgericht mit linkem Aktivismus personell aufzumunitionieren, hat deshalb völlig zu Recht unter Liberal-Konservativen zu einem Aufschrei geführt.
Wie üblich spielt die CDU, gefangen in ihrer strategischen Sackgasse, dabei eine jämmerliche Rolle. Drei von 16 Verfassungsrichterstellen sind nachzubesetzen, frühzeitig hatte die Union ihren Kandidaten zurückgezogen, um SPD, Grüne und stiekum eben auch die Linkspartei für die notwendige Zweidrittel-Mehrheit gnädig zu stimmen. Das Vorschlagsrecht für die zwei anderen Kandidaten liegt bei der SPD, und diese dachte gar nicht daran, im Gegenzug zumindest Frauke Brosius-Gersdorf zurückzuziehen. Die Jura-Professorin aus Potsdam hat sich zu Themen wie Impfpflicht, Gendern, Abtreibung, Kopftuchverbot im Gerichtssaal und AfD-Verbot in einer Weise apodiktisch geäußert, dass an ihrer Unabhängigkeit Zweifel bestehen.
Polarisieren sei nichts Schlimmes, und auch Verfassungsrichter hätten selbstverständlich ein Recht auf Meinungen und Haltungen, betont Volker Boehme-Neßler, Professor für Öffentliches Recht an der Universität Oldenburg. Doch der unbedingte Wille zur Polarisierung „entspricht nicht den Fähigkeiten, die man in Karlsruhe braucht“. Dort müsse man integrieren, und das gehe nur aus der Mitte heraus. „Karlsruher Urteile dürfen nicht spalten, sie müssen zusammenführen“, so Boehme-Neßler in einem Gastbeitrag für die „Welt“. Sonst verliere das Gericht den Respekt und das Vertrauen der Bürger. Brosius-Gersdorf sei „Anhängerin eines paternalistischen Staates (…), der vorschreibt und verbietet. Das Bundesverfassungsgericht soll aber nicht den Staat stärken und verteidigen, sondern die Verfassung und die Freiheit der Bürger – gegen einen übergriffigen und autoritären Staat.“
Wenn der Kandidat der Union für das Bundesverfassungsgericht, Robert Seegmüller, allein wegen seiner kritischen Haltung zur derzeitigen Migrationspolitik keine Chance auf eine Nominierung hatte, kann dies für eine vielfach festgelegte Kandidatin vom linken Rand erst recht nicht gelten. Dafür ist das Karlsruher Gericht viel zu mächtig. Doch in der Union deutet – wie schon bei der kleinlaut zurückgezogenen Überprüfung der staatlichen Finanzierung des NGO-Komplexes – mal wieder fast alles auf ein Einknicken hin, wenn es am 11. Juli zur entscheidenden Abstimmung kommt.
Die CDU kann oder will nicht begreifen, dass sie sich um der kurzfristigen Koalitions-Ruhe willen ihr eigenes politisches Grab schaufelt, wenn sie dem dreisten Kulturkampf von Links nicht endlich ernsthaft entgegentritt. Die Mehrheit der Bürger hat genug von identitätspolitischen Kapriolen und einer Politik, die von Parteien dominiert wird, die zusammen gerade mal 36,8 Prozent auf die Waage bringen.

Zu Brosius-Gersdorf: Mir fehlt immer noch eine sachliche Begründung, warum sie als Kandidatin so schlimm sein soll. Sie habe sich zu bestimmten Themen „apodiktisch“ geäußert. Aha. Beispiele? Ich habe erst mal gewisse Zweifel, dass eine Jura-Professorin sich nicht inhaltlich argumentierend, sondern bloß keinen Widerspruch duldend und behauptend zu solchen Themen geäußert haben sollte.
Dann: „Karlsruher Urteile dürfen nicht spalten, sie müssen zusammenführen“, behauptet ein anderer Professor. Warum? Wo steht das? in dem Grundgesetz, das mir zur Verfügung steht, steht ausschließlich, dass das Bundesverfassungsgericht an das Grundgesetz gebunden ist und dieses auslegt. Daher ist juristische Kompetenz gefragt. Von „Zusammenführen“ lese ich im GG nichts. Sollte in einer bestimmten Rechtsfrage ein relevanter Teil der Öffentlichkeit und der Politik eine verfassungsfeindliche Haltung vertreten und versuchen diese durchzusetzen, wäre es keineswegs Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts, Urteile zu fällen, die diese Gruppen und den Rest der Gesellschaft wieder „zusammenführen“, sondern solche, die die Verfassung verteidigen – nichts anderes. Und auch in weniger dramatischen Fällen müssen Richter sauber juristisch argumentieren und dürfen sich nicht von außerjuristischen Zielsetzungen wie einer grundsätzlichen Kompromisssuche oder gar einer vorgeblich vorzuziehenden politischen Position wie der sog. „Mitte“ leiten lassen.
Eine richtige Perle ist das: Einerseits wird ihr vorgeworfen, wie sie sich zu „Themen wie Impfpflicht, Gendern, Abtreibung, Kopftuchverbot im Gerichtssaal und AfD-Verbot“ geäußert habe. Soweit ich weiß, hat sie sich mindestens bei den Themen Abtreibung und Kopftuch für ein stärkeres individuelles Entscheidungsrecht ausgesprochen, nicht etwa dagegen. Und dennoch wird sie als „Anhängerin eines paternalistischen Staates (…), der vorschreibt und verbietet“, angegriffen. Das zeigt wunderbar, was für ein inhaltsloses Blabla es praktisch immer ist, wenn (ausgerechnet!) Konservative irgendjemandem „Paternalismus“, „Verbotspolitik“ o.Ä. vorwerfen. Erstens ist das ganz oft – wie hier – sowieso Unsinn. Und zweitens ist es schlicht Aufgabe von Politik, Regeln für das Zusammenleben zu gestalten, also auch Verbote zu erlassen.
Welche Verbote dann notwendig und gerechtfertigt sind, weil sie die Rechte des einen vor Übergriffen des anderen schützen, und welche es nicht sind, weil sie die Rechte des anderen zu sehr einschränken, ist dann politisch zu entscheiden und gegebenenfalls juristisch am GG zu prüfen. Aber Verbote sind nicht per se gut oder schlecht.