
Das nördliche Ruhrgebiet ist das Armenhaus der Republik. Und die dort angesiedelte chemische Industrie leidet unter dem Green Deal und der Energiewende. Die Politik und die Unternehmen wissen das, aber noch fehlt der Mut, daraus die Konsequenzen zu ziehen.
Das Chemieunternehmen Ineos will sein Werk in Gladbeck schließen. Die kleine Stadt am Rand des Ruhrgebiets würde 270 gut bezahlte Industriearbeitsplätze verlieren. Die Gründe für das Ende des Betriebs sind klar. Gladbecks Bürgermeisterin Bettina Weist (SPD) benennt sie im Interview mit der WAZ: „Ich führe viele Gespräche mit dem Betriebsrat, mit Gewerkschaften. Das Unternehmen nannte als Grund für das Aus vor allem den hohen Industriestrompreis und die CO₂-Steuer in Deutschland.“ NRW sei ein Industrieland, und da wären Chemiearbeitsplätze ein Teil der DNA. „Ich sehe da aber unseren Ministerpräsidenten und unseren Bundeskanzler in der Verantwortung. Wenn positive Zeichen gesetzt werden, vielleicht können wir Ineos dann doch noch halten.“ Doch was die positiven Zeichen sein könnten, sagt Weist nicht.
Auch in Gladbecks Nachbarschaft sind die Sorgen groß. Im Chemiepark Marl sind 10.000 Arbeitsplätze in Gefahr. Fallen sie weg, sind weitere 30.000 Jobs in Gefahr. „Wenn die Chemieindustrie als großer Arbeitgeber wegbreche, habe dies weitreichende soziale und gesellschaftliche Folgen“, mahnen die Repräsentanten von Gelsenkirchen, Marl und dem Kreis Recklinghausen und fordern unter anderem niedrigere Energiekosten für die Industrie und eine Reform des CO₂-Emissionshandels“, sagten die Lokalpolitiker im November der WAZ. Und Evonik-Chef Christian Kullmann, dessen Unternehmen der Chemiepark gehört, forderte schon im Oktober im Interview mit der FAZ: „Schon heute belasten uns hohe Gebühren für CO₂-Emissionen. Ab 2027 plant Brüssel eine drastische Verschärfung dieser Gebühren im Rahmen des ETS-Systems. Das gefährdet die Existenz vieler Unternehmen. Ursula von der Leyen, der Präsidentin der Europäischen Kommission, habe ich das bereits gesagt: Die CO₂-Gebühr für Europa muss weg. Sie gefährdet in Deutschland mindestens 200.000 gut bezahlte Industriearbeitsplätze.“
Die Dramatik der Situation sorgt für eine Offenheit, die noch vor wenigen Jahren undenkbar war. Was noch fehlt, ist der Mut, die offenbar längst gewonnene Erkenntnis offen auszusprechen: Der Green Deal und die Energiewende, wie sie in Deutschland betrieben wird, sind Gift für Wirtschaft und Arbeitsplätze. Und sie sind ein Booster für die AfD, zu deren Hochburgen im Westen das nördliche Ruhrgebiet gehört. Politik, Unternehmen und Gewerkschaften wissen das längst, aber niemand will der Erste sein, der es ausspricht. „Eine CO₂-freie Wirtschaft wird es in Deutschland ohne Speicherung (CCS) von CO₂ an Kohle- und Gaskraftwerken und ohne Kernkraft nicht geben. Wer versucht, grüne Ideologie in die Praxis umzusetzen, macht die AfD stark und die Wirtschaft schwach. 2026 wird hoffentlich das Jahr, in dem darüber offen geredet wird. Viel Zeit bleibt nicht mehr.
