Gebetsräume an Schulen? Was wir stattdessen wirklich brauchen

Dilek Engin Foto: SPD-Fraktion NRW

Unsere Gastautorin Dilek Engin ist schulpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion im Landtag NRW

In den vergangenen Wochen hat die Diskussion über Gebetsräume an den öffentlichen Schulen in Nordrhein-Westfalen spürbar an Dynamik gewonnen. Auf eine Kleine Anfrage meiner Fraktion wurde offensichtlich, dass bereits an 176 NRW-Schulen Gebetsräume bestehen. Die schwarz-grüne Landesregierung hält sich in der Bewertung sehr zurück und anstatt eine klare Regelung zu schaffen, überlässt sie die Entscheidung den einzelnen Schulen. Das mag für das Schulministerium bequem sein, ist aber aus meiner Sicht kein verantwortliches Handeln.

Um es klar zu sagen: Ich halte eigene Gebetsräume an Schulen für falsch. Unsere Schulen sind Orte des gemeinsamen Lernens und Zusammenlebens – nicht der Trennung. Hier kommen Kinder und Jugendliche verschiedenster Herkunft, Religionen und Weltanschauungen zusammen. Das Ziel ist, gemeinsam zu lernen, sich auszutauschen, zu streiten und voneinander zu lernen. Wer religiöse Zugehörigkeit in einem eigenen Raum organisiert, droht genau dieses Miteinander auszuhöhlen.

Die Trennung von Staat und Religion, die Säkularisierung unserer Gesellschaft, ist ein zivilisatorischer Fortschritt und ein unbestreitbarer Wert unseres demokratischen Gemeinwesens, den wir nicht freiwillig untergraben lassen sollten.

Religionsfreiheit hingegen ist ein hohes Gut, das in unserer Verfassung verankert ist – und sie gilt selbstverständlich auch für Schülerinnen und Schüler. Doch sie findet ihre Grenze dort, wo sie das schulische Miteinander in Frage stellt oder strukturell neue Konflikte schafft. Schulen dürfen nicht gezwungen werden, zwischen verschiedenen Glaubensgemeinschaften zu unterscheiden oder gar konkurrierende religiöse Räume einzurichten. In § 2, Absatz 7 und 8, des NRW-Schulgesetzes ist die weltanschauliche und religiöse Neutralität unserer Schulen unmissverständlich geregelt.

Schulleitungen stehen ohnehin vor immensen Herausforderungen. Bei meinen Besuchen an Schulen in ganz Nordrhein-Westfalen berichten mir Lehrerinnen und Lehrer, Schulsozialarbeiterinnen und Schulsozialarbeiter sowie Schulleiterinnen und Schulleiter regelmäßig von Personalmangel, Raumnot und wachsendem sozialen Druck. Die Frage nach Gebetsräumen hat für sie keine Priorität, sondern ist ein zusätzlicher Konfliktherd. Viele fühlen sich von der Landesregierung im Stich gelassen – und das zurecht.

Denn während an vielen Schulen nicht einmal genügend Räume für Förderschülerinnen und Förderschüler, Rückzugsorte für Kinder mit besonderen Bedürfnissen oder Lernräume für individuelle Förderung vorhanden sind, soll nun Raum für Gebetsräume geschaffen werden? Das ist realitätsfern – und legt falsche Prioritäten.

Die Schulministerin schweigt. Statt Klartext zu sprechen, weicht sie aus und überlässt die Verantwortung den einzelnen Schulen. Genau das kritisiere ich scharf. Denn diese politische Unklarheit führt zu Verunsicherung – in den Kollegien, bei den Eltern und in den Schulgemeinschaften. Das Bildungsministerium darf sich in dieser Frage nicht wegducken. Es braucht eine landesweite, rechtlich gesicherte Regelung.

Dabei geht es nicht um die Ablehnung von Religion oder Glaubenspraxis. Es geht darum, Schule als gemeinsamen Ort zu bewahren – als Raum des Dialogs, der Offenheit und der Verständigung. Dafür braucht es keine separaten Gebetsräume. Was wir brauchen, sind Räume der Begegnung. Räume für Respekt, für demokratisches Miteinander, für Gleichwertigkeit.

Religiöse Bildung, interreligiöse Projekte oder Gespräche im Ethikunterricht – all das hat Platz an unseren Schulen. Aber Schule sollte keine separaten Orte für religiöse Rituale und Praktiken schaffen.  Denn das öffnet nicht den Raum für den Dialog, sondern grenzt ihn ein.

Ich für meine Fraktion fordere daher: Die Landesregierung muss endlich Verantwortung übernehmen und Klarheit schaffen. Die Entscheidung über Gebetsräume darf nicht weiter auf die Schulen abgewälzt werden. Unsere Schulen brauchen keine zusätzlichen Konflikte – sie brauchen Unterstützung, klare Regeln und eine Politik, die ihnen den Rücken stärkt.

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4 Monate zuvor

Dilek Engin hebt in dem Artikel hauptsächlich darauf ab, dass solche Räume eine trennende Wirkung hätten. Sie geht für diese Bewertung davon aus, dass „religiöse Zugehörigkeit in einem eigenen Raum organisiert“ würde.

Das gibt die Antwort der Landesregierung* auf die Kleine Anfrage aber einfach nicht her. Darin steht einfach nur (genau der Frage entsprechend), an wie vielen Schulen es „Gebetsräume oder vergleichbare Einrichtungen“ gibt. Darüber, ob diese Räume einer bestimmten Religion zugeordnet sind und, wenn ja, welcher, steht da einfach gar nichts – weil danach auch nicht gefragt wurde. Dass es also Räume nur für Schüler:innen einer bestimmten religiösen Zugehörigkeit geben würde, ist also völlig der Phantasie der Abgeordneten entsprungen.

Gerade weil Schulen neutral sein sollen (und daher, wenn sie tatsächlich für eine Religion einen separaten Raum einrichten würden, das auf Wunsch auch für die anderen Religionen tun müssten und also gleich mehrere Räume bräuchten) und weil die Schulleitungen die pädagogischen Probleme mit getrennten Räumen wohl auch sehen würden, halte ich es für höchst unwahrscheinlich, dass es bei einer relevanten Zahl von Schulen tatsächlich einen separaten Gebetsraum für eine bestimmte Religion gibt. (Auch wenn das bei sehr speziellen Situationen natürlich nicht ausgeschlossen ist.) Vielmehr dürften es fast durchgehend allgemeine „Räume der Stille“ o.Ä. sein, die Schüler:innen verschiedener Religionen (oder auch ohne Religion) nutzen dürfen. So kenne ich es auch von der einzigen Schule, bei der mir ein solcher Raum bekannt ist.
Damit ist der Hauptempörungsgrund des Textes einfach hinfällig.
Die angebliche Gefahr, dass „Schulen […] gezwungen werden [könnten], zwischen verschiedenen Glaubensgemeinschaften zu unterscheiden oder gar konkurrierende religiöse Räume einzurichten“, ist also völlig irreal.

Ferner empört sich Engin darüber, dass die „Entscheidung über Gebetsräume“ „auf die Schulen abgewälzt“ werde; notwendig sei naber eine „klare“, landesweite Regelung. Ich halte das für völlig falsch, und zwar aus grundsätzlichen Gründen:
Erst einmal haben auch Schüler:innen das Recht auf freie Religionsausübung. Das ist einfach ein Grundrecht, das nicht am Schuleingang endet.
Das spiegelt sich auch im Schulgesetz, das Engin sehr selektiv zur Kenntnis nimmt. Denn dort – exakt im von der Autorin angegebenen §2, Abs. 7 – wird nicht nur die Neutralität (die nicht Laizität bedeutet) der Schule festgelegt, sondern auch, dass die Schule „ein Raum religiöser wie weltanschaulicher Freiheit“ ist und „Offenheit und Toleranz gegenüber den unterschiedlichen religiösen, weltanschaulichen und politischen Überzeugungen und Wertvorstellungen [wahrt]“. Also: Freiheit und Toleranz für alle Überzeugungen – damit kann man wohl kaum Gebete grundsätzlich untersagen.

Dieses findet aber seine Grenzen – so geht es auch aus der Antwort der Landesregierung hervor – am Zweck der Schule (deswegen dürfte sowieso natürlich nur außerhalb des Unterrichts gebetet werden), am Schulfrieden, am schulischen Miteinander und an den tatsächlichen Möglichkeiten.
Daraus folgt: Erst einmal müssten Schüler:innen beten dürfen, wenn sie an den genannten Punkten keine Probleme verursachen. Schüler:innen, die sich ohne großes Aufsehen in eine stille Ecke zum Gebet zurückziehen, sollten das also tun dürfen. Und selbstverständlich dürfte die Schule eine solche „stille Ecke“, sprich einen für alle Schüler:innen offenen „Gebets- und Meditationsraum“, „Raum der Stille“, „Ruheraum“ o.Ä. auch selbst schaffen.
Andererseits kann es aber natürlich auch sein, dass es in einer bestimmten Schule Spinner gibt, die um dieses Thema Konflikte verursachen, also das schulische Miteinander stören. Oder es kann schlicht sein, dass die „tatsächlichen Verhältnisse“, sprich die räumlichen Gegebenheiten der Schule, beide Möglichkeiten – dass Schüler:innen ohne offizielle Regelung eine geeignete stille Ecke nutzen bzw. dass die Schule einen solchen Raum einrichtet – nicht hergeben. Dann – aber auch nur dann mit solchen konkreten Gründen – kann die Schulleitung das Recht auf Religionsausübung einschränken.
Diese Abwägung hängt aber klar von den konkreten, tatsächlichen Verhältnissen vor Ort ab und ist deswegen auch bei denen, die diese Verhältnisse kennen, am besten aufgehoben – den einzelnen Schulen.

Eine allgemeine, landesweite Regelung dagegen würde entweder – wenn sie restriktiv wäre – die Religionsausübung auch in Schulen einschränken, in denen es dafür gar keinen Grund gibt, und würde daher mit hoher Wahrscheinlichkeit gegen Schulgesetz und Verfassung verstoßen. Oder aber sie würde – wenn sie die freie Religionsausübung an allen Schulen ermöglichen würde, sprich eine Möglichkeit zum Gebet an allen Schulen verlangen würde – die Konflikte und / oder Raumprobleme, vor denen die Abgeordnete warnt, an vielen Schulen erst schaffen.

*https://www.landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument/MMD18-14970.pdf

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