Georg Jellinek und drei offene Fragen zu einem palästinensischen Staat

Georg Jellinek Foto: Universitätsbibliothek Heidelberg Lizenz: CC BY-SA 4.0


Unser Gastautor Thomas von der Osten-Sacken zweifelt daran, dass viele derer, die nun die Anerkennung eines palästinensischen Staates fordern, sich überhaupt bewusst sind, was einen Staat ausmacht.

Was mich jedes Mal aufs Neue verblüfft: Da beschäftigen sich Leute hauptberuflich mit diesem Konflikt, über den mehr Bücher und Artikel geschrieben wurden, als über den gesamten afrikanischen Kontinent (zumindest war das im Jahr 2000 so, wie eine Untersuchung ergab), und dann können sie nicht einmal die Fakten richtig darstellen.

1967 gab es die „Green Line“ zwischen Jordanien und Israel, die allerdings keine international anerkannte Grenze war, sondern Waffenstillstandslinie, während Gaza unter ägyptischer Verwaltung stand. Das alles hatte nichts mit einem möglichen palästinensischen Staat zu tun. Die Idee, innerhalb der Grenzen dieser Green Line, also in den nach 1967 von Israel besetzten Gebieten, einen solchen zu schaffen, kam erst sehr viel später auf. Bis in die 90er Jahre war deshalb die Westbank völkerrechtlich von Israel besetztes jordanisches Staatsgebiet.

Zudem wäre es extrem hilfreich für alle Beteiligten, wenn sie den Begriff Staat ernst nehmen würden und wenigstens mal den Wikipedia-Eintrag dazu lesen würden.

Vorab allerdings eine Klarstellung. Die Aussage „Ich bin für die Gründung eines Staates“ ist eine recht irrelevante Meinungsaussage, die sich von „Ich unterstütze die Anerkennung eines palästinensischen Staates“ grundlegend unterscheidet und auch seltsam ist, denn offiziell gegründet wurde der palästinensische Staat schon 1988 in der von Mahmoud Darwish verfassten „Palestinian Declaration of Independence“.

Nur Staaten können allerdings andere Staaten anerkennen. Dafür müsste der anzuerkennende Staat, zumindest nach gängiger völkerrechtlicher Definition, im Vorfeld einige Bedingungen erfüllen. Bei Wikipedia heißt es: „Das klassische Völkerrecht kennt drei Merkmale des Staates (nach der Drei-Elemente-Lehre von Georg Jellinek): eine Bevölkerung (Staatsvolk), einen geographisch durch Staatsgrenzen abgrenzbaren Teil der Erdoberfläche (Staatsgebiet), eine stabile Regierung, die effektive Gewalt ausübt (Staatsgewalt). Ein Staat gilt als untergegangen, wenn eines dieser Elemente, die ihn konstituieren, weggefallen ist.“

Leider ist bis heute völlig unklar:

A) Wer das Staatsvolk dieses palästinensischen Staates ist oder sein soll. Sind es alle muslimischen und christlichen Nachfahren derjenigen, die 1947 im damaligen Mandatspalästina gelebt haben? Oder nur die, die heute in den Gebieten jenseits der Green Line leben (minus der Bewohner jüdischer Siedlungen)? Diese Frage ist bis heute nicht geklärt, denn wenn Ersteres der Fall wäre, hätten sämtliche von der UNRWA als Palästinenser definierten Menschen das Recht, in diesen Staat umzusiedeln, was schlicht angesichts der schieren Menge kaum möglich wäre.

B) Wie der „abgrenzbare Teil der Erdoberfläche“ aussehen soll. Es bedarf, denke ich, keiner langen Ausführungen, dass bedeutende Teile der sogar gewählten palästinensischen Parteien sich in keinster Weise untereinander einig sind, wie dieser Teil aussehen soll. Hamas, Jihad Islami und andere beanspruchen das Gebiet des ganzen Mandatspalästinas für sich, auf dem sich nun einmal der international anerkannte Staat Israel befindet, sodass die Schaffung eines Staates Palästina notwendigerweise zum Ende des Staates Israel führen würde. Ob den Regierenden etwa in Spanien so ganz klar ist, ob sie genau wissen, welchen Teil der Erdoberfläche sie mit ihrer Anerkennung meinen, darf zumindest mit einem Fragezeichen versehen werden, wenn die stellvertretende Regierungschefin dort auf einer Kundgebung „From the river to the sea, Palestine will be free“ skandiert, da dieser Slogan gemeinhin als Willensausdruck derer gilt, die einen solchen Staat auf dem Gebiet des ganzen Mandatspalästinas zu errichten wünschen. (https://www.ynetnews.com/article/rjnguxama)

C) Es dürfte offensichtlich sein, dass von einer „stabilen Regierung“ kaum die Rede sein kann und von Ausübung von Staatsgewalt schon gar nicht. Zu dieser gehörte etwa staatsrechtlich das Gewaltmonopol, das keine Entität dort innehat, sonst unterhielten zum Beispiel Parteien keine Milizen und andere bewaffneten Gruppierungen. Nach Jellinek muss die Regierung eines Staates keineswegs durch Wahlen legitimiert sein oder rechtsstaatlich verfasst sein, sie muss aber in der Lage und vor allem willens sein, Staatsgewalt auszuüben bzw. ausüben zu wollen.

Bedauerlicherweise ist nichts von alldem im Moment gegeben, warum das so ist, darüber ließe sich tagelang diskutieren und Schuldige suchen und finden. Nur sollte man, wenn man über Anerkennung von Staaten redet, zumindest wissen, was das bedeutet und dies ganz besonders in Zeiten, in denen weltweit viele Staaten nur noch auf dem Papier bzw. in der UN-Vollversammlung existieren und sich herumgesprochen haben dürfte, was für fatale Folgen es für die dort lebenden Menschen aber auch unzählige andere hat, wenn solche Gebilde als chronische „Failed States“ existieren.

Und all dies bezieht noch nicht einmal Überlegungen ein, die über Jellineks Rechtspositivismus hinausreichen und sich mit Fragen, wie Legitimität solcher Staaten nach innen, Freiheit, Selbstbestimmung von Bürgern etc. befassen.

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