Sozialistische Schönfärberei zum Mauerfall – wie Künstler das Gedenken an DDR-Opfer missbrauchten


Berlin feierte am 9.November den 30. Jahrestag des wohl historischsten Ereignisses der europäischen Nachkriegsgeschichte. Mit dem Fall der Mauer wurde nicht nur das Schicksal der DDR besiegelt, sondern auch das des großen sozialistischen Experiments.

Es ist ein Tag, an dem insbesondere der zahllosen Bürgerinnen und Bürger der ehemaligen DDR gedacht werden sollte, die ihr Leben riskierten und gaben, um das Kartenhaus des Unrechtsstaates DDR zum Einsturz zu bringen. 30 Jahre später beweist die Berliner Künstlerszene, dass sie nicht reif genug ist, dieses Ereignis inhaltlich zu begleiten.

05.11.2019. Es ist Themenwoche zum Mauerfall. Ich schlendere mit zwei Kolleginnen vorbei am neuen Stadtschloss, dem Humboldtforum. Auf der Ostseite projizieren Beamer TV-Mitschnitte und Bilder aus der DDR Zeit auf die Fassade. Die längste geschlossene Sequenz ist gut 20 Minuten lang. Schabowski, Krenz, Kohl, dann DDR Bürgerinnen und Bürger, die die Grenze passieren. Die Gesichter, Tränen und Aussagen sind bekannt, die historische Tragweite kann kaum überbewertet werden. Was die Zivilgesellschaft der DDR in diesen Tagen des ausgehenden Jahres 1989 erreichte, ist bis heute unvorstellbar. Trotz Angst vor Verfolgung, trotz Stasi, trotz bewaffneter Mauerwächter ließen sie sich nicht einschüchtern. Sie stellten sich gegen ein System, das über 40 Jahre Menschen terrorisiert, verfolgt und ermordet hat. Ein System, das Menschen elementare Grundrechte abgesprochen hat, das Flüchtlinge zu Tieren degradierte, deren Ermordung keinerlei Bedeutung zukomme.

Nur ein Jahr später tritt die DDR der BRD bei. 12 Monate, in denen klar wurde, dass keine Reform, keine neuen Köpfe, keine Apparatschiks das kitten konnten, was über 40 Jahre systematisch zerstört wurde. Die Jahre 89, 90 und 91 sind auch der Abgesang auf den Sozialismus. Innerhalb von nur 36 Monaten verändert sich die Landkarte, historische Blöcke brechen auf und ab der Grenze der DDR östlich dominieren der Wunsch nach Freiheit und Rechtsstaatlichkeit. Es ist ein denkbar klares Statement gegen Sozialismus und Totalitarismus, gegen ideologische Absolutheitsansprüche.

Was damals geleistet wurde, verdient Würdigung. Ungeteilte Würdigung. Auch, um Respekt gegenüber denen zu erweisen, die den Fall der Mauer nicht erlebt haben, die an der Grenze ermordet wurden und die, die unter Folter oder schlechten Haftbedingungen die DDR nicht überlebten.

10.957 Tage später, es ist der 09.11.2019. Die Volkskammer hat gerade auf dem Humboldtforum über den Beitritt zur BRD abgestimmt. Deutschland ist wieder vereint. Es folgen Bilder des Wiederaufbaus Berlins, Sekunden danach Statements über die Bedeutung freier Wahlen und demokratischer Partizipation.

Dann ertönt plötzlich die Stimme von Luisa Neubauer. Fridays for Future, die historische Bedeutung, dicht gefolgt von einer Extinct Rebellion – Rednerin, die über das angebliche Verlangen der Bevölkerung nach „Bürger*Innenversammlungen“ nach Vorbild der Räterepublik schwadroniert. Anschließend muss die Dekarbonisierung der Bevölkerung salopp erklärt werden, zum Schluss der fünfminütigen Entwürdigung ist eindimensionale Kapitalismuskritik und DDR-Schönfärberei zu ertragen:

„Scheisse is einfach, dass die Leute viel mehr darauf angewiesen sind zu ackern und Kohle zu verdienen um das Notwendigste zu besorgen, das war im Osten nicht unser Problem in erster Linie.“

Spätestens an dieser Stelle muss hinterfragt werden, ob die Verantwortlichen den Jahrestag des Mauerfalls feiern oder beweinen. Sozialistische Ideologie und Träumerein, zum Gedenkens an die Opfer jenes Staates, die auf dem Seitenstreifen der Autobahn, kurz hinter der Grenze, Orangen gekauft haben, weil es in der DDR keine gab. Das war die sozialistische Realität, das große sozialistische Experiment. Auch ist es völlig unanständig, das Andenken an den 09.11.89 ideologisch auszuschlachten. Es zeigt, wie völlig respektlos und ignorant damit umgegangen wird, was die SED den Bürgerinnen und Bürgern angetan hat. Die Bürgerinnen und Bürger der DDR flohen, in aller Deutlichkeit, vor dem Sozialismus, vor der Enge totalitärer Systeme, vor der Aussichtslosigkeit, Zukunftsangst und Unterversorgung. Es war gerade der Kapitalismus, die Freiheit der BRD und die Chance auf eine selbstbestimmte Zukunft, für die sie bereit waren, ihre Leben zu riskieren. Davon ab, die Schließung der völlig maroden DDR-Fabriken und Kraftwerke nach 1990 war auch für den Umweltschutz ein Glücksfall der Geschichte.

„… Belastung von Luft, Wasser und Böden […] verursacht v.a. durch starke Nutzung von Braunkohle als Energieträger, chemische Industrie und industrialisierte Landwirtschaft. Im Pro-Kopf-Vergleich mit der BRD wurde in der DDR in den 1980ern u.a. 25% mehr Primärenergie verbraucht, die CO2-Emissionen waren doppelt und die SO2-Emissionen gar zehnmal so hoch. Dies hatte teilweise erhebliche Auswirkungen auf Mensch und Natur, so waren z.B. 1989 54% der Waldfläche geschädigt und in den Industriegebieten nahmen Bronchitis und Hautkrankheiten bei Kindern in den 1980ern stark zu“

Institut für Umweltgeschichte und Regionalentwicklung e.V. (Hg.): Umweltschutz in der DDR. Analysen und Zeitzeugenberichte. Bearb. v. Hermann Behrens und Jens Hoffmann, 3 Bde. München 2007. 1129 S.

Der Ton wird leiser, das Licht schwächer, das Humboldt-Forum ist wieder in Dunkelheit gehüllt. Was blieb, sowohl bei mir wie auch meinen Kolleginnen, war die Enttäuschung. Was da gerade über das Humboldt-Forum lief, war angesichts der letzten Minuten nichts anderes als der zynische-respektlose Versuch, den 09.11.1989 für sozialistisch-linke Ideologie zu missbrauchen. Zusammen mit dem zynischen „Besetzung beenden“ Schriftzug in hebräischer Sprache muss hinterfragt werden, ob diese absurden Fehltritte nicht schlicht gewollt waren.

Die Kunst ist frei, anders als in der DDR wird keine Zensur betrieben und Künstlerinnen und Künstlern droht keine Folter. Ob jedoch die Themenwoche zum Mauerfall der richtige Ort ist, um diesen ideologisch auszuschlachten und anschließend Geschichtsrevisionismus zu betreiben, ist mehr als nur fragwürdig. Es besteht, vorsichtig formuliert, Erklärungsbedarf.

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ke
ke
4 Jahre zuvor

Eine EU, die zu dumm ist, sich auf eine Zeitzone zu einigen. Demonstranten, die nichts riskieren und im Regelfall nichts machen.

Wie kann man diese Akteure mit den Mut und der Entschlossenheit der damaligen Bürger der DDR und der Politiker wie Gorbatschow, Németh, Kohl, Genscher, Bush etc. vergleichen.
In so kurzer Zeit diese Länder zu vereinigen und Vertrauen zu schaffen ist ein Mega-Leistung, die wahrscheinlich nur in einem kleinen zeitlichen Korridor möglich ist.

Aber selbst heute ist für Frau Schwesig die DDR kein Unrechtsstaat.

Dann muss man noch bedenken, dass auch heute noch ein großer Teil der Klimagasreduzierungen in Deutschland auf dem Stilllegen von DDR Betrieben bzw. deren Sanierung beruht. Nach dieser Periode ist nur noch wenig passiert.

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